Die weiteren Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertungen werden sicherlich ergeben, aus welchen Motiven die einzelnen Tatbeteiligten tatsächlich gehandelt haben und ob individuelle Bereicherungsabsichten auf Kosten der Asylantragsteller oder, das ist natürlich auch möglich, von staatlichen Institutionen vorhanden waren. Dann, meine Damen und Herren, werden wir wissen, welche Straftatbestände den Beschuldigten zur Last gelegt werden können. Infrage kommt dabei § 96 Aufenthaltsgesetz, der eine Strafandrohung von sechs Monaten bis fünf Jahren vorsieht, bei gewerbsmäßiger, also qualifizierter, oder gemeinschaftlicher Tatausführung sogar bis zehn Jahren.
Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, welche Gründe für die Beschuldigten und die betroffenen Asylbewerber ausschlaggebend für das illegale Verfahren waren; denn nach allem, was wir bisher wissen, hätten die Anträge auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren eine sehr hohe Anerkennungsquote gehabt. Sollten die Beschuldigten aus finanzieller Bereicherungsabsicht gehandelt haben, geht die CDU-Fraktion davon aus, dass mit allen rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Mitteln die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und Schadensersatz leisten müssen.
Meine Damen und Herren, es stellt sich auch die Frage, ob die Asylantragsteller selbst Geld für die Bustransporte nach Bremen und für das illegale Asylverfahren bezahlen mussten und damit auch selbst zu Opfern krimineller Machenschaften geworden sind. Das wäre natürlich eine Situation, die, sozial betrachtet, fürchterlich wäre. Das wird sicherlich – ich hoffe es sehr! – im laufenden Ermittlungsverfahren geklärt werden können.
Darüber hinaus ist es für die CDU-Fraktion von großer Bedeutung, dass zukünftig solche umfangreichen Missstände im Asylverfahren ausgeschlossen werden. Bundesinnenminister Seehofer hat eine umfangreiche Untersuchung des Falls angekündigt und die öffentliche Aufklärung zugesagt. Dazu gehört für die CDU, dass solche komplexen Entscheidungen zwingend das Vieraugenprinzip erfordern – Herr Zenner hat schon darauf hingewiesen –, in dem eine Person die, häufig sehr emotionale, Anhörung durchführt und dokumentiert sowie eine weitere Person unabhängig davon die erforderliche Entscheidung über den Asylantrag trifft.
Meine Damen und Herren, wir halten es auch für erforderlich, dass, insbesondere nach dem Bekanntwerden der gesamten Hintergründe, auf die Gewährung von Aufenthaltsberechtigungen durch das Migrationsamt – das betrifft also die bremische Zuständigkeit – kritisch geschaut wird. Die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses zum organisierten Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven haben gezeigt, dass bestimmte staatliche Aufgabenwahrnehmungen für Korruption und Vorteilsannahme anfällig sind. – Vielen herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jedem fällt auf, dass die Debatte vorwiegend im Konjunktiv geführt wird. Warum ist das so? Jeder, der diese Aktuelle Stunde betrachtet, weiß, dass heute - ich glaube, gegen 14 Uhr - der Bundesinnenminister im zuständigen Innenausschuss des Bundestages zusammen mit der BAMF-Leitung berichten wird. Es wäre klug gewesen, gewisse Konjunktive dadurch zu vermeiden, dass man nicht heute eine Aktuelle Stunde einberuft, sondern einfach gewartet hätte, bis Informationen tatsächlich ins Volk gekommen sind.
So bleibt uns nur, aus allgemein zugänglichen, öffentlichen Quellen den Sachverhalt so, wie er dargestellt wird, zu umrunden. Ein paar öffentliche Quellen gibt es ja. Herr Zenner, ich bin etwas verwundert, dass Sie diese nicht genutzt haben.
Das BAMF hat eine ausgiebig gestaltete, sehr informative Webseite. Dort wird übrigens auch dargestellt, was das BAMF als Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge eigentlich macht. Unter dem Menüpunkt „Verfahrenssteuerung und Qualitätssicherung“ wird ausgeführt, ich zitiere:
„Die Qualitätssicherung von Asylverfahren setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Sie erfolgt ganzheitlich; denn es gilt hierbei das gesamte Asylverfahren - von der Antragstellung bis zur Zustellung des Bescheides - zu untersuchen. Die Qualitätskontrolle wird unter anderem in Form von Sichtungen der Anhörungsprotokolle und der Bescheide ausgeübt. Außerdem sind zu allen asylrechtlichen Entscheidungen den Qualitätsförderern des Bundesamtes sogenannte Kurzübersichten
„Die Steuerung des Asylverfahrens dient auch dazu, die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte zu vereinheitlichen. Daher gelten die Leitsätze auch im Prozessbereich als Grundlage für die Linie des Bundesamtes. Zwischen den Standorten und dem Referat, das die Prozessführung bei den Obergerichten wahrnimmt, erfolgt ein stetiger Informationsaustausch, etwa über die aktuelle Entscheidungspraxis der Obergerichte. Eine wirksame Steuerung setzt aber auch eine ständige Erfolgskontrolle voraus. Dafür sorgt neben der Fachaufsicht durch Referats- und Gruppenleiter auch das Referat ‚Operative Steuerung Asyl und Integration‘. Es analysiert Entwicklungen und Trends, damit Handlungsbedarf für die Steuerungsmaßnahmen frühzeitig erkannt und umgesetzt werden kann.“
Das alles hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge! Es ist nicht so, dass wir jetzt etwas Neues einführen müssten. Diese Bundesbehörde hat unter der Ägide des vorherigen Bundesinnenministers sehr wohl versucht, eine Kontrolle einzuführen. Das hat sie auch nach außen entsprechend dargestellt.
Wenn diese Verfahrenssteuerung tatsächlich so versagt haben sollte, dass 1 200 bis 2 000 Fälle in der Außenstelle Bremen nicht rechtmäßigen Entscheidungen zugeführt worden sind, dann wäre das in der Tat nicht nur erklärungsbedürftig, sondern schlicht und ergreifend unverständlich - aber am Ende des Tages augenscheinlich Ausdruck eines Versagens bei der Anwendung der internen Richtlinien des Bundesamtes.
Ich bin mir übrigens sicher, dass der Bundesinnenminister heute im Innenausschuss des Bundestages Stellung dazu nehmen wird, warum diese Qualitätssicherungsmaßnahmen seiner Behörde nicht funktioniert haben und was man in Zukunft dagegen tun kann.
Was ich allerdings ärgerlich finde, ist der Versuch, das Agieren einer Bundesbehörde damit zu verquicken, wie diese Stadt organisiert ist oder welche Asylpolitik beziehungsweise welche Willkommenskultur diese Stadt hat. Das ist der Versuch, die
Frage in den Raum zu stellen - wieder der Konjunktiv! -, ob Bremen nicht irgendetwas hätte machen müssen, zumindest irgendetwas hätte machen können, und warum das gerade wieder in Bremen passiert.
Es ist in der Tat so, dass es Fragen gegeben hat. Pistorius ist das eine. Sehr verdienstvoll war an dieser Stelle auch die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag. Herr Hinners, Sie haben ihren Hinweis auf das Zahlenwerk beschränkt. Es wäre schön gewesen, wenn Sie bis zum Ende zitiert hätten.
Der Bundesminister des Innern erklärte in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE gegenüber dem Deutschen Bundestag:
„Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) legt Wert auf eine einheitliche Verfahrensdurchführung und Entscheidungspraxis. Dies wird durch Dienstanweisungen allgemeiner Art sowie verbindliche Herkunftsländerleitsätze geregelt, die eine einheitliche rechtliche Bewertung der typischen Fallkonstellationen ermöglichen.“
Die Außenstellen des BAMF bearbeiten nicht gleichermaßen alle Herkunftsländer. Die Antragsteller jedes Herkunftslandes mit jeweils individuell unterschiedlichen Schicksalen beziehungsweise Fluchtgründen sind die Grundlage für zwangsläufig in der Summe auch divergierende Schutzquoten. Kleine Entscheidungsmengen je Arbeitseinheit beziehungsweise Dienststelle des BAMF sowie eine unterschiedliche Anzahl von Außenstellen pro Bundesland des BAMF führen zu statistischen Unterschieden.
Die Außenstellen des BAMF weisen unterschiedlich hohe Anteile von Dublin-Verfahren auf, sodass die Schutzquote auch durch diesen Faktor - extrem - variiert.
Zu berücksichtigen ist bei der Annahme der Gleichverteilung ferner, dass der zugrunde liegende Verteilungsmechanismus über keine weiteren Kriterien als die Staatsangehörigkeit Auskunft
gibt (also zum Beispiel keine Volksgruppe, Reli- gion). Insofern kann nicht überprüft werden, ob bei den Kriterien, die für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus entscheidend sind, tatsächlich eine Gleichverteilung - wenn man lediglich das Kriterium der Staatsangehörigkeit zugrunde legt - gegeben ist.
Grundsätzlich ist das Asylverfahren eine individuelle Einzelfallprüfung, in der sich auch bei Personen aus gleichen Herkunftsländern die individuellen Umstände deutlich unterscheiden können (zum Beispiel Heterogenität der Gruppe der Antragstel- ler, verschiedene Akteure, von denen Verfolgung ausgeht, verschiedene Verfolgungsgründe). Die einzelnen Gründe, die zur Zuerkennung des Schutzstatus führen oder nicht, werden statistisch nicht erfasst. Ein Vergleich der Länder sowie eine Generalisierung der Schutzquote auf zum Beispiel eine Volksgruppe oder Religion sind aus den genannten Gründen nicht möglich.“
So der Bundesinnenminister im Oktober 2017, nachdem der niedersächsische Innenminister gefragt hatte, warum bei ihm eine Abschiebung unterbrochen wurde. Die Fraktion DIE LINKE fragte bei der Bundesregierung nach. Der CDU-Innenminister de Maizière antwortete: Jo, dat is man so.
Vielleicht sollten wir diese Debatte dann weiterführen, wenn wir Informationen haben. Ich jedenfalls wäre sehr dafür. Dann kann man auch darüber reden, was beim BAMF verändert werden muss. Wir sollten den Konjunktiv und das Verbreiten nebulöser Geschichten, was Bremen angeblich alles hätte machen können, vermeiden. Herr Zenner, als Sie geredet haben, habe ich mir die Frage gestellt - wenn die Logik stimmt, dass jeder dafür verantwortlich ist, was an seinem Ort passiert, auch wenn es das Agieren einer völlig fremden Behörde ist -, warum der Bürgermeister von Pfullendorf nicht den Bundeswehrskandal aufgeklärt hat.
Herr Hinners, an einer Stelle haben Sie recht: Ich glaube, sowohl dieser Staat als auch und vor allen Dingen die Schutzbedürftigen haben ein Recht darauf, dass das Grundrecht auf Asyl nach rechtsstaatlichen Kriterien ausgelegt wird. Darauf haben
wir alle zu achten. Deshalb würde ich diese Debatte gern dann weiterführen, wenn tatsächlich amtliche Informationen vorliegen.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung machen! Wir wissen bisher nur das, was in der Presse steht. Wir wissen nicht, aus welchen Motiven die ehemalige BAMF-Leiterin gehandelt hat. Eines aber wissen wir: Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann hat sie den Menschen einen Bärendienst erwiesen. Ich erinnere mich an den Sommer 2014, an die Fernsehbilder von Menschen - Frauen, Kinder, Männer -, die, vertrieben von bösartigen Fanatikern, im Sindschar-Gebirge ohne Nahrung und ohne Trinkwasser waren, an die Mädchen und Frauen, die auf entsprechenden Sklavenmärkten verkauft worden sind. Vor dem Hintergrund der genozidalen Geschichte, die wir in Deutschland haben, sage ich, wenn es eine Rechtfertigung für Asyl gibt, dann war es diese. - Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Tschöpe, ich glaube, Sie haben mich falsch wiedergegeben beziehungsweise falsch zitiert. Ich habe hier nicht Sachverhalte miteinander vermengen wollen, sondern ich habe nur gesagt, dass Bremen, dass der Innensenator auch Interesse an diesem Thema haben muss, wenn in der Öffentlichkeit Bremen und nicht das Bundesamt in die Debatte und die Medienberichterstattung eingeführt wird. Wenn man bedenkt, dass Ausländer- und Asylpolitik nicht nur das Asylverfahren, sondern auch die daraus entstehenden Folgerungen - Aufenthalt und dessen Finanzierung - umfasst, dann wird klar, dass alle Gebietskörperschaften hierfür Verantwortung tragen und dass es auf ein Zusammenwirken ankommt. In diesem Kontext ist es dann auch berechtigt, Fragen zu stellen, was vielleicht nicht ganz rund läuft. Das