Protocol of the Session on June 15, 2017

Daher glaube ich, daran sieht man, die Gesellschaft wird sich ändern müssen. Wenn wir alle älter werden wollen und wenn wir das Zusammenleben noch einigermaßen erträglich organisieren wollen, dann muss sich die Gesellschaft ändern, dann müssen sich Anschauungen ändern, dann muss sich die gesellschaftliche Einschätzung von Demenz, vom Älterwerden ändern, dann muss sich die Gesellschaft ändern, und man muss wahrscheinlich einen neuen Konsens finden, der auch sozial ausgewogen sein muss. Man wird Geld in die Hand nehmen müssen. Das ist ja ein altes Problem, das wir in diesen kapitalistischen Gesellschaften haben: Was keinen Profit bringt, wird nicht gemacht.

Daher haben wir da eine große Aufgabe vor uns. Packen wir es an!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jetzt noch ein bisschen Butter bei die Fische, würde ich sagen. Das einzige Instrument, mit dem die Sozialsenatorin hier in Bremen Einfluss auf Pflegeangebote nehmen kann, ist nach ihrer eigenen Aussage das Wohn- und Betreuungsaufsichtsgesetz, früher Heimgesetz. Weil sich dieses Gesetz bereits in der Endphase der Überarbeitung befindet, wissen wir aber schon heute, dass die Senatorin viele Chancen zur Verbesserung für Gepflegte und Pflegende nicht nutzen wird. Da helfen auch all die tollen Worte, die hier heute gefallen sind über eine demenzfreundliche Kommune, nicht so sehr viel. Herr Erlanson hat es eben ja auch ausgeführt.

(Beifall CDU)

Neben Kritikpunkten, die ich erst benennen werde, wenn wir hier die Debatte zum Gesetz führen, beanstanden wir, dass der seit dem Jahr 2004 in Bremen gültige Personalschlüssel so bleiben soll wie er ist. Lediglich perspektivisch will die Senatorin an der nächtlichen Situation der Zuständigkeit von einer Pflegekraft für 50 Bewohner einer Einrichtung etwas ändern. Warum aber will sie diesen wichtigen Punkt erst jetzt nach der Gesetzesnovellierung in Angriff nehmen, und warum hat sie ihn nicht bereits in den letzten zwei Jahren während der Novellierung abgearbeitet? Das wäre doch der richtige Weg gewesen.

(Beifall CDU)

Es ist jedenfalls auch eine nicht ganz ehrliche Debatte, wenn ständig behauptet wird, man könne sowieso nichts verbessern, weil es keine Fachkräfte mehr am Markt gäbe. Wir wissen doch alle, Herr Dr. Buhlert, dass es eine hohe Zahl ausgebildeter Pflegekräfte gibt, die allein wegen der schlechten Arbeitsbedingungen aus ihrem Beruf ausgestiegen sind oder nur noch stundenweise arbeiten wollen. Da liegt ein Schatz, meine Damen und Herren, den man heben könnte, wenn man die Arbeitsbedingungen verbessert.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wenn das so einfach wäre!)

Das geht direkt auch über einen besseren Personalschlüssel.

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(Beifall DIE LINKE)

Denn die Bewohner in den Pflegeheimen sind heute bereits beim Einzug deutlich älter und gebrechlicher als je zuvor, und sie brauchen dementsprechend mehr Zuwendung und auch Zeit.

Dann stellt sich Frau Dr. Kappert-Gonther am Wochenende vor die Landesmitgliederversammlung der Grünen und ruft nach besseren Pflegebedingungen, die dann allerdings weitgehend erst einmal über mehr Geld für das Pflegepersonal geregelt werden sollen.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Nicht nur! Es gab mehrere Beschluss- punkte! - Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Es gab fünf Beschluss- punkte!)

Dabei haben Sie sich aber in der schon seit Monaten laufenden Debatte über das Wohn- und Betreuungsgesetz nicht ein Mal hier in Bremen offiziell geäußert und sich hier für in Bremen direkt machbare Veränderungen und Verbesserungen, zum Beispiel bei der Personalquote für die Nacht, eingesetzt. Hört denn der Kampf um Verbesserungen schon da wieder auf, wo man sich dann einmal gegen die eigene Senatorin positionieren müsste? Das kann es nicht sein, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, BIW)

Des Weiteren muss bei der Qualitätsentwicklung auch mehr über die gezielte Anwerbung von gewünschten Pflegeheimangeboten nachgedacht werden. Es gibt weit mehr als wir in Bremen anbieten. Dazu denke ich an Hameln oder an die Niederlande, was ja eben auch schon genannt wurde. Es gibt auch mehr Angebote zum Beispiel für jüngere Betroffene. Wir haben in dem Bereich noch, glaube ich, ganz vieles, was uns in Bremen fehlt. Die Bremer Sozialsenatorin gibt sich aber doch weitgehend mit Aussagen wie, wir fördern die Öffnung zum Stadtteil, zufrieden. Als wenn damit bereits eine gewisse Lebensqualität für zur Pflegende und besonders für die Schwächsten unter ihnen, den Menschen mit Demenz, gesichert sei! Begriffe wie zum Beispiel Alten- oder Seniorenpolitik habe ich hier in den letzten Jahren dagegen nicht gehört. Es reicht aber nicht aus, nur zu beobachten, es muss auch gestaltet und gesteuert werden. Man kann mehr steuern, als es aktuell in Bremen getan wird, sogar über das Wohn- und Betreuungsaufsichtsgesetz, wie ich es ja eben schon ausgeführt habe.

Während der Auseinandersetzung mit diesem Thema bin ich auch auf den sogenannten Bremer Altenplan gestoßen. Er wurde im Jahr 1997

das erste Mal herausgegeben und dann zu 2007 neu aufgestellt. Dieser Altenplan, dem man heute wohl auch eher einen netteren Namen geben würde, gibt einen Überblick über alle Angebote, die es mit Stand von 2007 für ältere Menschen in Bremen gab. Es wurden allgemeine Ziele für die Seniorenarbeit, aber gerade auch Ziele für die Pflege, konkret auch für Menschen mit Demenz genannt. In diesem Plan kommt tatsächlich mehrfach der Begriff der Altenpolitik, der jetzt vielleicht auch ein bisschen altbacken ist, vor. Offensichtlich hatte die SPD damals noch die Vorstellung, auch politisch Einfluss nehmen zu wollen und zu können. Dieser Altenplan wurde aber unter der Regie der Grünen nicht mehr weiterverfolgt und ist inzwischen völlig veraltet. Er muss aktualisiert und vor allen Dingen in der Zielsetzung den heutigen Erfordernissen angepasst und eng mit dem Sozialplan in Bremerhaven abgestimmt werden. Wir brauchen nämlich dringend Ziele und Strategien für Bremen, wie wir hier miteinander in einer zunehmend alternden Gesellschaft leben wollen.

(Beifall CDU)

Wir müssen auch eine Vorstellung dazu entwickeln, wo wir in einigen Jahren mit all unseren Unterstützungs- und Pflegeangeboten sein wollen. Einen entsprechenden Antrag zur Aktualisierung des Altenplans werden wir in den nächsten Tagen einreichen, denn heute können wir noch selbst aktiv für ein würdevolles Alter sorgen, deshalb sollten wir das auch tun. Jeder einzelne Mensch muss es uns wert sein, weil er Mensch vom Anfang bis zum Ende ist, und das gilt auch noch, wenn er Pflege braucht oder wenn er gar eine Demenz entwickelt. - Danke!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. KappertGonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, dass Bündnis 90/Die Grünen am letzten Sonntag - wir halten Parteitage auch am Sonntag ab - einen umfassenden Maßnahmenkatalog beschlossen hat, wie die Situation für Pflegende und für zu Pflegende umfassend zu verbessern ist, und zwar auf bremischer Ebene und auf Bundesebene.

(Zurufe CDU)

Was nicht stimmt, lieber Kollege Erlanson, ist, Sie haben gesagt, diese Koalition würde Angebote der Altenpflege kaputtsparen, so war Ihr Ausdruck, das ist falsch. Was diese Koalition tut

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und auch künftig vorhat, ist, wir investieren in Bereiche, die Zukunft haben, unserer Meinung nach, nämlich aufsuchende Altenarbeit, flexible Angebote für Alte und Demente, und das halten wir auch für richtig.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD - Vizeprä- sident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Wir bringen tatsächlich den Mut auf und sagen, wir schauen uns einmal an, welche Angebote bisher gut nachgefragt wurden und welche nicht. Gewisse Seniorentreffs haben nicht ausreichend Besucherinnen und Besucher, sodass wir sagen, es macht Sinn, an der Stelle auch einmal ein Angebot zu schließen, um das Geld, was dann zur Verfügung steht, in die flexibleren und individuelleren Betreuungsmöglichkeiten zu investieren. Das ist, wie ich finde, eine sehr kluge Entscheidung der Koalition.

Was mich sehr berührt hat, und ich möchte daran noch einmal anschließen, ist, als Frau Dehne gerade über diese Ausstellung sprach, wo diese großformatigen Bilder von Menschen mit Demenz zu sehen waren. In dem Zusammenhang habe ich mich noch einmal erinnert, dass wir von Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2014 eine große Veranstaltung hier in der Bremischen Bürgerschaft hatten, eben zur Frage, wie geht es weiter mit Angeboten für Menschen mit Demenz? Dort hat eine Pfarrerin von sich und ihrer Mutter berichtet und erzählt, sie pflegt diese inzwischen demente Mutter zu Hause. Sie hat das überhaupt nicht beschönigt, sondern hat gesagt, wie schwer das ist, was für eine schwere Pflege das bedeutet, aber sie hat auch erklärt, sie habe noch nie einen so direkten emotionalen Kontakt - Steffi Dehne nickt, du warst dabei - zu ihrer Mutter gehabt, weil es eben nicht so ist, dass Demenz nur bedeutet, alles und alles geht kaputt und ist verschüttet, sondern das Emotionale bleibt eben präsent und vorhanden. Es ist möglich, mit Menschen dann auch in Kontakt zu treten. Es ist nicht nur möglich, sondern es ist auch notwendig.

Darum ist es so wichtig, auch zu schauen, welche Angebote wir Menschen mit Demenz unterbreiten und wie wir auch deren Freiheitsgrade sichern. Es ist ja auch in der Debatte, in Ihrer Anfrage angefragt worden, wie man zum Beispiel mit elektronischen Ortungssystemen umgeht. Sie haben es ja angesprochen, dass über den Schuh bestimmte elektronische Hinweise darüber vermittelt werden können, wo Menschen sich bewegen. Da ist es uns so wichtig zu sagen, alles, was zusätzliche Freiheit für Menschen mit Demenz bringt, ist gut, was jedoch eine Einschränkung der Freiheit bedeutet, das lehnen wir ab. So sehen wir das auch mit der Frage, wann ist es sinnvoll, dass jemand

auch im stationären Bereich versorgt wird? Wann ist es möglich und sinnvoll, dass jemand im ambulanten Bereich versorgt wird? Es geht immer darum, wo die höchstmöglichen Freiheitsgrade für den einzelnen Menschen sind, und darum ist es richtig, dass wir weitermachen auf diesem Weg, hin zur Öffnung und hin zur demenzfreundlichen Kommune. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, im Laufe der Debatte ist klargeworden, dass wir mehr Personal brauchen. Ich glaube aber nicht, dass es so einfach ist, irgendwo Personalquoten hineinzuschreiben, und dadurch wird dann die große Reserve der Menschen aktiviert, die trotz Ausbildung nicht mehr pflegt. Denn es muss ja noch eine ganze Menge mehr an den Arbeitsbedingungen verändert werden. Da muss man sehr viel genauer hinschauen. Ich glaube, es ist so, dass diejenigen, die nicht mehr pflegen, zum Teil andere Arbeit gefunden haben und anderen Beschäftigungen nachgehen. Deswegen bleibt ein wichtiger Punkt, der anzugehen ist, die Ausbildung von Menschen, die neu in diesen Bereich kommen, und dafür zu sorgen, dass sie Arbeitsbedingungen vorfinden, die Spaß machen, Freude bereiten, nicht so stressen und trotzdem eine gute Pflege ermöglichen, sodass sie lange und mit Freude an der Arbeit dabeibleiben, denn diese Arbeit wird gebraucht, ob nun für Demenzkranke oder für Alte. Wir haben einen größeren Teil der Gesellschaft, der auf solche Menschen, die helfen, angewiesen ist.

(Beifall FDP)

Einen großen Teil der Altenarbeit - der Altenplan ist angesprochen worden - leisten Sozialverbände, Kirchen und eben auch andere Anbieter. Da gilt es genau hinzuschauen, wer was anbietet, was nützt und was nicht. Auch da gibt es einen Wandel, dort wird es Angebote geben, die nicht mehr so interessant sind, die nicht mehr zielgerichtet sind und nicht in dem Maße helfen, wie andere es tun würden. Dann gilt es natürlich zu schauen, wie man die Ressourcen umsteuert. Da ist die Arbeit, die sozialräumlich geleistet werden muss. Denn man muss auch schauen, dass demenzkranke Alte teilweise in ihren Altersgruppen, in ihren Zielgruppen gut aufgehoben sind und sich dort austauschen können, dort gemeinsames Erleben haben, weil sie auch eine gemeinsame Vergangenheit haben.

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Dann ist noch der letzte Punkt, den ich ansprechen wollte, die Frage, wie viel Freiheit möglich ist. Natürlich ist das für jeden, der mit Menschen zu tun hat, die dement sind, immer wieder eine Überlegung: Wie ist der Grad der Selbst- und Fremdgefährdung? Es gibt Menschen wie den Menschen, den Peter Erlanson beschrieben hat, die das noch selbst für sich entscheiden, sich damit aber auch beschränken. Es gibt aber natürlich auch Menschen, für die jemand, der sie begleitet und der sie im Zweifel betreut, entscheidet, wie viel Selbst- und Fremdgefährdung vorhanden ist. Das muss immer wieder individuell austariert werden, das kann man nicht von heute auf morgen sagen. Das heruntergelassene Bettgitter ist gut, aber es gibt auch den Punkt, an dem der Mensch droht, aus dem Bett zu stürzen und einen Oberschenkelhalsbruch zu erleiden. Insofern muss man sehr genau schauen, in welcher Situation was an welcher Stelle und vielleicht auch für welchen Zeitraum am Tag angezeigt ist.

(Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: Höchstmöglicher Freiheits- grad!)

Genau! Darum geht es, genau auszutarieren, was der größtmögliche Freiheitsgrad ist. Er kann sich von heute auf morgen ändern, und das ist keine Regelung, die man im Jahresabstand treffen sollte, sondern sehr genau an den Verläufen orientiert, die solche Erkrankungen nehmen können. Es war mir wichtig, das hier noch einmal auszuführen! - Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dehne.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Grönert, ich fand, das war jetzt eben ein bisschen eine Ersatzdebatte über das Wohn- und Betreuungsgesetz, und ich finde zumindest den Zusammenhang mit unserer Debatte über Demenz in dieser Stärke nicht richtig.

(Abg. Bensch [CDU]: Wieso?)

Ich finde, das können wir gern demnächst noch einmal debattieren und das Gesetz noch einmal genauer anschauen. Ein paar Worte habe ich dazu schon gesagt. Ich finde, das ist hier nicht ganz an der richtigen Stelle.

(Abg. Frau Grönert [CDU]: Ich habe damit nicht angefangen, Sie haben damit angefangen! - Abg. Bensch [CDU]: Ja! Das ist ein sozialdemo- kratisches Eigentor!)

Das ist kein Eigentor, das sehe ich anders.