Protocol of the Session on June 15, 2017

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden über das Thema „Verfolgt Bremen den richtigen Ansatz im Umgang mit Menschen mit Demenz?“. Das ist ein schwieriges Thema, wir reden zwei Mal fünf Minuten, und ich will Ihnen vorschlagen, ich mache zwei Vorbemerkungen, dann habe ich zwei Hauptpunkte und als Drittes noch einen kleinen Bericht aus der Praxis.

Ich fange an mit den Vorbemerkungen! Ich will einmal darauf hinweisen, dass erstens die Große Anfrage der CDU, aber auch die Antwort der Koalition wirklich ausgesprochen lesenswert sind, und ich würde wirklich jedem empfehlen, der sich mit dem Thema erstmals oder auch näher beschäftigen will, sich tatsächlich diese Anfrage und die Antwort dazu einfach einmal zu Gemüte zu führen, weil man dabei etwas lernt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen)

Das war die erste Vorbemerkung.

Zweite Vorbemerkung: Ich will in den Vorwürfen, sage ich einmal, die es vonseiten der CDU gegeben hat, oder Sorgen, die die CDU dabei hat, am Anfang wenigstens in dem einen Punkt einmal recht geben,

(Beifall CDU - Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Schon wieder Beifall!)

nämlich darin, dass sie behauptet, dass diese Formel, die wir eben wieder gehört haben, die Öffnung in den Stadtteil, die Öffnung in den Sozialraum, eigentlich ein sehr schönes Konzept ist, das sehr gut klingt, aber eben - und das ist immer die Schwierigkeit bei diesen Dingen - nicht unbedingt gut unterfüttert und vor allen Dingen nicht gut finanziell unterfüttert ist.

Da hat die CDU uneingeschränkt recht, und wenn Sie ein Beispiel dazu hören wollen, sage ich, ich finde es schon ein bisschen putzig, wenn Sie auf der einen Seite die Öffnung in den Sozialraum propagieren, und andererseits sind Sie gerade dabei, die Seniorentreffs irgendwie

kaputtzusparen und herunterzustufen. Das passt nicht zusammen, meine lieben Kollegen von der Koalition!

(Beifall DIE LINKE)

Das war die zweite Vorbemerkung.

Dann komme ich zu einem meiner Hauptpunkte. Ich will einmal so anfangen: Diese Große Anfrage hat einen Vorlauf, und dieser war eigentlich schon im Jahr 2005. Damals gab es schon einmal eine Große Anfrage der CDU, in der sie sehr darauf abgehoben hat, welche Betreuungsform man denn bei Demenzkranken vorziehen sollte. Die CDU hat so ein bisschen diese sogenannten Demenzdörfer präferiert, die es in den Niederlanden gibt - die gibt es mittlerweile auch in Hameln -, in denen man so ein Areal schafft, das insgesamt so ein bisschen ausbruchssicher ist, aber, wenn man es so ein bisschen zynisch sagen will, auch ganz viel Auslauf und Selbstbestimmung der Menschen, die dort wohnen. Es gibt dort in der Tat, das muss man auch immer noch dazu sagen, auch eine ausgesprochen gute Personalbemessung, also einen guten Ansatz vom Personal her, wenn man solche Dinge macht, und die funktionieren dann auch ganz gut.

Die SPD oder die Koalition hat damals gesagt, sie wolle diese Öffnung zum Stadtteil, sie wolle viel dafür tun, dass in den Stadtteilen Sympathie, Verständnis, aber auch Mithilfe für Demenzkranke aufgebracht wird. Das ist der Vorlauf zur heutigen Großen Anfrage, und ich würde da noch einmal deutlich sagen, zumindest aus Sicht der LINKEN, ich glaube, allein die Überschrift drückt schon das Dilemma oder das Problem aus, wenn da nach dem richtigen Ansatz im Umgang mit Demenzkranken gefragt wird.

Ich glaube, es gibt nicht den richtigen Umgang. Das ist falsch, weil ich glaube, wie an vielen anderen Stellen auch, die eine Form ist für den einen Patienten oder die andere Patientin gut, während es die andere Form überhaupt nicht ist. Das hat etwas mit dem individuellen Sein der Menschen zu tun, mit ihrer Geschichte, mit der sie in solche Einrichtungen hineinkommen. Ich glaube, für den einen kann das Demenzdorf durchaus eine Möglichkeit sein, für den anderen kann es wiederum sein, dass er versucht, so lange wie möglich im Stadtteil zu bleiben und dort durch ambulante Stellen versorgt zu werden. Als dritte Form gibt es natürlich auch mittlerweile sehr viele WGs für Demenzkranke. Ich kenne einige davon, mit denen ich mich beschäftigt habe. Das ist auch sicherlich eine gute Form, aber nicht ausschließlich, es gibt nicht die ausschließliche Form.

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Wenn man sagt, es gibt nicht die ausschließliche Form, dann muss man auch darauf hinweisen - das haben meine Vorredner teilweise auch getan -, dass man natürlich so etwas wie ein gutes Wohn- und Betreuungsgesetz haben muss, dass man alle diese Formen im Interesse und im Dienste der Demenzkranken sehr genau im Blick und sehr genau unter Kontrolle hat. Da hat das Wohn- und Betreuungsgesetz gute Anfänge gemacht, aber auch nicht ausreichend. Daran muss noch weitergearbeitet werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das war Punkt eins.

Um auch noch einmal Punkt zwei zur Sprache zu bringen, eigentlich beide, also die Große - -. Die Große sage ich schon! Die Koalition, das war ein Versprecher, ja!

(Abg. Bücking [Bündnis 90/Die Grünen]: Ist ganz schön groß im Vergleich zu Ihnen! - Abg. Eckhoff [CDU]: Wird immer kleiner!)

Ich sage einmal, die Koalition und die CDU sind sich eigentlich einig darin, dass sie eines der entscheidenden Kriterien in diesen Großen Anfragen und in den Antworten dazu außen vor lassen, das ist natürlich die Finanzierung. Sie beschäftigen sich an keiner Stelle damit, wie man dann das eine oder andere wirklich gute Konzept finanzieren soll. Wie soll man das tun? Ich sage einmal, aus Sicht der LINKEN würde ich da immer wieder deutlich sagen, die älter werdende Gesellschaft muss sozial anders organisiert werden als heute.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss!

Wenn man die Ungleichheiten einer Klassengesellschaft nicht nur reproduzieren will in diesen Angeboten, die man macht, dann muss man nichts tun, denn dann richtet der Markt das. Wenn man sagt, der Markt will es nicht richten, dann muss man ganz eindeutig Geld in die Hand nehmen, und nicht wenig Geld, und es muss einen neuen gesellschaftlichen Konsens über die älter werdende Gesellschaft geben. Da sind wir erst noch am Anfang, und ich komme gleich noch einmal wieder zu einem praktischen Beispiel. - Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Demenz kann uns alle treffen, das wurde zutreffenderweise gesagt. Das bereitet einem Sorgen, insbesondere, wenn man in der Familie erlebt hat, wie Großeltern, wie Väter einen nicht mehr erkennen, nicht mehr wissen, mit wem sie zu reden haben, mit wem sie sprechen und sich immer mehr aus dem verabschieden, was man selbst wahrnimmt. Das heißt aber lange nicht, dass sie nicht in ihrer Welt leben, dass sie in ihrer Welt nicht glücklich sind und nicht individuelle Bedürfnisse haben, auf die es einzugehen gilt. Sie sind so verschieden, wie sie verschieden waren, bevor es bei ihnen jeweils die Erkrankung gab. Insofern sind die Lösungen, die wir finden können, auch nicht generelle Lösungen, sondern es geht darum, individuelle Lösungen zu finden.

Die einen oder anderen wissen es, ich arbeite mit Menschen mit Autismus zusammen. Da sagen wir immer, kennt man einen Autisten, kennt man genau einen Autisten, und genauso ist es mit Dementen.

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen)

Kennt man einen Dementen, kennt man genau einen, und dort ist es noch anders: Die Krankheit verändert sich, sie verändert den Menschen, und der Krankheitszustand verschlechtert sich. Man kann das herauszögern, es ist nicht nur Prävention, die Frau Kappert-Gonther zu Recht angesprochen hat, sondern es geht eben auch darum, die Krankheitsverläufe durch ein entsprechendes Umfeld und entsprechende Pflege hinauszuzögern. Das heißt aber, wir müssen nicht nur das Individuum, sondern ein sich permanent veränderndes Individuum betrachten, und deswegen muss es auch eine ganze Menge von Lösungen geben.

Deswegen gibt es nicht das Demenzdorf oder das Heim, das geeignet ist, oder die ambulante Unterbringung oder die Öffnung zum Stadtteil, sondern es gilt, individuell zu schauen, was das Beste ist, um den Menschen, die von einer Demenzkrankheit betroffen sind - wobei das ja verschiedene Krankheiten sind, wenn man genauer hinschaut -, ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und zu schauen, dass sich die Umgebung jeweils darauf einstellt, was das für unsere Gesellschaft und für den Sozialraum heißt, damit umgehen zu lernen und damit umgehen zu können. Wir brauchen Strategien dafür, mit einer älter werdenden Gesellschaft umzugehen, die natürlich potenziell mehr Demenzkranke haben wird. Das heißt aber nicht, dass man mehr Spezialeinrichtungen dafür braucht, sondern dass man auf diese ganzen Individuen eingehen und dann entsprechend schauen

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muss, welche Wohnform und welches Angebot es jeweils geben muss.

(Beifall FDP, SPD)

Dann wurde natürlich richtig gesagt, dass es ambulante Pflege dafür geben muss, die sich darauf einstellt, dass wir natürlich schauen müssen, wie die Personalschlüssel sind, weil Gewalt in der Pflege in der Tat dadurch verursacht wird, dass beide Seiten mit manchen Situationen überfordert sind. Das muss man vermeiden!

Wenn wir aber über Personalschlüssel reden, müssen wir so ehrlich sein und sagen, dass wir auch darüber reden müssen, wie es mit der Ausbildung und der Bezahlung weitergeht und wie wir dafür sorgen, dass in diesem Sektor genügend Menschen arbeiten. Personalschlüssel in Gesetze zu schreiben ist das eine, aber dafür zu sorgen, dass genügend Menschen diesen Beruf ausüben wollen, Spaß daran haben und eben nicht permanent davor zurückschrecken, weil sie überfordert sind, das ist, glaube ich, der wichtige Schritt, der uns alle fordert, und dann kommt es eben darauf an, Lösungen und Wege mit den Sozialträgern zu finden, die diese Einrichtungen tragen, mit den kommerziellen Anbietern, die es da gibt, aber eben auch mit den Angehörigen, denn die Angehörigen sind ein ganz wichtiger Teil, wenn es darum geht, möglichst lange im Umfeld zu arbeiten. Die brauchen auch ihre Unterstützung.

Da gibt es gute Ansätze, Pflegezeiten zu ermöglichen und so weiter, aber es geht auch darum, ihnen den Rücken zu stärken und auf der anderen Seite Angebote zu machen, damit sie dann auch einmal ihre Auszeiten haben. Ich kenne viele Angehörige, die sich selbst überfordern und natürlich auch in die Gefahr geraten, dann in Gewalt mit ihren Partnern zu kommen, wenn diese allmählich von der Demenz erfasst werden. Da gilt es dann auch, für diese Angehörigen erst einmal Auszeiten mit Tagesangeboten zu organisieren, bei denen die Angehörigen der Demenzkranken dann hinausgehen und die anderen Luft holen können. Auch das sind wichtige Punkte, die wir im Blick haben müssen.

Insofern herzlichen Dank für die Anfrage! Sie hat ein Thema beleuchtet, das wichtig ist, es zu beleuchten, weil es eine gesellschaftliche Veränderung in diesem Bereich dadurch gibt, dass wir älter werden. Wir werden noch lange darüber diskutieren müssen, weil es noch nicht gelöst ist, aber Lösungen anzustreben ist aller Ehren wert. - Herzlichen Dank!

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wie angekündigt will ich noch einmal zu einem praktischen Beispiel kommen. Auch Herr Dr. Buhlert hat es jetzt zuletzt noch einmal, wie ich finde, gut auf den Punkt gebracht, Demenz hat auch sehr viel mit dem sozialen Umfeld, mindestens mit dem sozialen Umfeld zu tun. Es gibt Ansätze, die ich eigentlich auch sehr überlegenswert finde, die im Grunde genommen sagen, Demenz ist ein Stück weit auch ein soziales Phänomen, das sich dann möglicherweise neurologisch manifestiert, aber trotzdem ein soziales Problem. Deshalb habe ich gedacht, ich schildere Ihnen einfach einmal einen Verlauf, den ich selbst miterlebe. Ich habe natürlich alles anonymisiert und umgewandelt.

Also, es gibt einen älteren Herrn zwischen 70 und 80 Jahren, der in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt. Er lebt dort, er hat früher mit seiner Frau dort gelebt, die Frau ist in der Zwischenzeit verstorben. Die Kinder sind, wie man so schön sagt, aus dem Haus, die Kontakte sind nur noch sporadisch. Dieser ältere Herr hat durchaus Kontakte in der Nachbarschaft, versorgt sich eigentlich noch einigermaßen selbst, und er hat den großen Vorteil, dass er einen Garten hat. Er hat ein Fahrrad, und eigentlich fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad in den Garten. Da hat er die Katze, die immer dahin kommt und die er füttert. So hat er eigentlich ein gutes Leben.

Jetzt wird er im Laufe der Zeit natürlich, wie das so ist, immer älter, körperliche Gebrechen werden größer, irgendwann stürzt er mit dem Fahrrad, kommt ins Krankenhaus, kommt wieder zurück, fährt weiter mit dem Fahrrad in seinen Garten. Er stürzt ein zweites und ein drittes Mal, und irgendwann verkauft er seinen Garten und verschenkt auch sein Fahrrad, weil er einfach meint, nicht mehr gewährleisten zu können, sich selbst oder andere nicht zu verletzen. Das heißt, der Garten ist nicht mehr, er sitzt dann in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung und wird im Laufe der Zeit eigentlich immer gebrechlicher. Normalerweise ist er so noch zum Einkaufen gegangen, mittlerweile hat er sich einen Rollator geholt, um das ein bisschen einfacher zu gestalten. Man kann, wenn man das beobachtet, eigentlich merken, wie sich solch ein Leben und solch eine Perspektive eines Lebens immer mehr zuspitzen. Es wird im Grunde genommen immer weniger. Der Radius wird immer geringer, bis er irgendwann nur noch 24 Stunden allein in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung hockt.

Man kann dann allmählich Symptome der Demenz beobachten. Er geht dann manchmal vor

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die Tür und schaut, was die Leute draußen machen. Irgendwann stellt man fest, dass er nicht so genau mehr weiß, welcher Tag eigentlich ist, und es kommt irgendwann hinzu, dass er irgendwie die Tochter wieder rechtzeitig zur Schule schicken muss, und er fragt, welcher Wochentag denn ist und so weiter. Es gibt andere Momente, in denen er eigentlich wieder völlig klar ist, völlig normal, man kann mit ihm reden.

Ich glaube, das ist so ein Verlauf in unserer heutigen älter werdenden Gesellschaft, aber auch einer Gesellschaft, die immer mehr in die Vereinzelung geht. Es gibt einfach keine Familienverbünde mehr, das ist ja auch ein alter Befund. Man sagt heute, das ist ein Singlehaushalt, jetzt nicht der klassische Singlehaushalt, aber die Entwicklung macht ihn sozusagen dazu, und es gibt im Grunde genommen keine Kontakte nach außen. Ich finde, das ist ein Beispiel, und ich bin ziemlich davon überzeugt, wenn man es schaffen würde und wenn dieses schönes Konzept, hinein in den Stadtteil, hinein in den Sozialraum tatsächlich besser organisiert wäre, wenn es tatsächlich so kommen würde, dann gäbe es für diesen Menschen viel, viel mehr und viel, viel eher Anschlussmöglichkeiten und auch Beschäftigung. Man kann es schon so sagen, wenn man allein nur noch in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung herumsitzt, eigentlich nicht mehr herauskommt, und das Leben so beengt ist, dann wird es auch schwierig, ich glaube, das kann sich jeder, der sich ein bisschen einfühlt, vorstellen.

Das zeigt einfach, es ist auch ein soziales Problem. In dem Fall ist es noch so, dieser Mensch ist relativ gut situiert, das heißt, er kann das eine oder andere tatsächlich auch noch bezahlen. Wenn das auch noch wegfallen würde, was ja für viele Menschen leider in Bremen so der Fall ist, dass sie sich eben nicht einfach einen Trolley kaufen oder einmal bei REWE irgendetwas bestellen können, dann würde es natürlich noch düsterer.

Daher glaube ich, daran sieht man, die Gesellschaft wird sich ändern müssen. Wenn wir alle älter werden wollen und wenn wir das Zusammenleben noch einigermaßen erträglich organisieren wollen, dann muss sich die Gesellschaft ändern, dann müssen sich Anschauungen ändern, dann muss sich die gesellschaftliche Einschätzung von Demenz, vom Älterwerden ändern, dann muss sich die Gesellschaft ändern, und man muss wahrscheinlich einen neuen Konsens finden, der auch sozial ausgewogen sein muss. Man wird Geld in die Hand nehmen müssen. Das ist ja ein altes Problem, das wir in diesen kapitalistischen Gesellschaften haben: Was keinen Profit bringt, wird nicht gemacht.