Protocol of the Session on June 14, 2017

Ja, natürlich sind für die Auslegung des Strafrechts und dann auch für das Aussprechen von Rechtsfolgen Strafgerichte zuständig und keine Privatleute oder Unternehmen. Wir alle müssen uns aber doch immer überlegen, dass das, was wir tun, Konsequenzen hat. Wir müssen uns auch überlegen, ob das, was wir tun und sagen, strafrechtliche Konsequenzen hat. Genau diese Prüfung verlangen wir auch von Facebook und Co. Das ist keine Privatisierung von Strafverfolgung, sondern es bedeutet, dass die sich an ihre eigene Nase fassen und endlich Verantwortung übernehmen.

Meine Damen und Herren, noch zwei kurze Anmerkungen.

Erstens: Ich weiß - das bringt meine Profession mit sich; auch Sie, die hier alle als gesetzgebende Gewalt sitzen, wissen -, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen Gesetze nicht die Ausnahme, sondern eigentlich eher die Regel in einem gesetzgeberischen Prozess sind. Diese müssen natürlich vernünftig geprüft und am Ende auch ausgeräumt oder jedenfalls argumentativ widerlegt werden.

(Glocke)

Das ist an sich aber noch nichts Besonderes an diesem Gesetz.

(Beifall SPD - Abg. Buchholz [FDP]: Ein Minister muss ein bisschen mehr wissen!)

Zweitens: Natürlich müssen und werden wir uns mit diesen Bedenken auseinandersetzen. Natürlich kann und muss man dieses Gesetz noch besser und effektiver machen. Damit hat unser Justizsenator auch schon intensiv begonnen. Im Rechtsausschuss des Bundesrats ist das - im Übrigen mit tatkräftiger Unterstützung des FDP-Justizministers aus Rheinland-Pfalz - diskutiert worden. Offensichtlich sind die Bedenken da auch unterschiedlich verteilt.

Frau Steiner, die von Bremen aus im Übrigen schon lange geforderte und intensiv unterstützte Clearingstelle ist an der Stelle ein gutes Beispiel. - Vielen Dank!

(Beifall SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche erreichte uns der Dringlichkeitsantrag der FDP, in dem der Senat aufgefordert wird, das derzeit im Bundestag diskutierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz - ein schwieriges Wort - zu stoppen. Die FDP sieht ihre liberale Grundhaltung in Gefahr und spricht von einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Allein das ist schon ein kleiner Widerspruch. Sie fordert, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Hass-Kommentaren und Fake News eine originäre staatliche Aufgabe bleiben soll. Natürlich setzen auch wir uns für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit ein. Das vorweggeschickt!

Worum geht es eigentlich in dem Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas? In der Öffentlichkeit ist die Debatte bereits breit und differenziert geführt worden. Frau Aulepp hat bereits an unsere Debatte „No Hate Speech“ im letzten Jahr erinnert. Doch ist Aufklärung offensichtlich immer noch vonnöten, denn der Sachverhalt ist kompliziert. Die Praxis im Umgang mit Beleidigungen, Drohungen und Hetzkampagnen gegenüber Menschen in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter ist nach wie vor unbefriedigend. Viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt, in denen das Gesetz und das Recht, das unbestritten gilt, derzeit keine Anwendung findet. Dort wird gehetzt und beleidigt. Dies geschieht meistens unter dem Deckmantel der Anonymität und häufig ohne Konsequenzen für die Täter.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll dem nun Einhalt gebieten. Es soll die Plattformbetreiber zum Aufbau eines wirksamen Beschwerdemanagements und zur kurzfristigen Lö

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schung gemeldeter strafbarer Inhalte verpflichten. Bei Verstößen drohen erhebliche Bußgelder. Wir haben auch das schon gehört.

In einer hitzigen Bundestagsdebatte wurde der Gesetzentwurf am 19. Mai dieses Jahres in erster Lesung diskutiert. Zwar sind sich wohl doch alle Fraktionen einig, dass man die großen Anbieter für die Verfolgung von Hass-Nachrichten in ihrem Netz mehr in die Verantwortung nehmen muss, das Wie wird hier aber nach wie vor stark diskutiert. Denn die privaten Anbieter - da stimmen wir wohl auch alle überein - dürfen nicht in die Richterrolle gedrängt werden, weil ansonsten die Gefahr der Beschneidung der Meinungsfreiheit bestehen würde.

(Beifall CDU)

Die berechtigte Kritik haben wir hier auch schon von allen Seiten gehört.

Mit dem neuen Gesetz sollen nun aber die Plattformbetreiber verpflichtet werden, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden vorzuhalten, das vor allen Dingen für die Nutzer leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und auch ständig verfügbar ist. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt, gesperrt und zu Beweiszwecken gesichert werden. Das haben wir auch schon gehört. Vierteljährlich müssen die Betreiber einen Bericht über den Umgang mit Beschwerden veröffentlichen, und das auch auf der Homepage. Für Verstöße können laut Gesetzentwurf Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro verlangt werden. Das ist in der Tat eine sehr hohe Summe.

Zur Klärung, ob ein nicht gelöschter Inhalt rechtswidrig ist, muss aber das für die Durchführung zuständige Bundesamt für Justiz eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen. Für den Umgang mit den deutschen Behörden und Gerichten müssen die Plattformbetreiber einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen. So, wie es die FDP in ihrem Antrag behauptet, ist es nämlich gerade nicht. Die Rechtsstaatlichkeit wird eben nicht außer Kraft gesetzt.

Trotzdem ist das Verfahren und ist insbesondere die Eile zu kritisieren, die Bundesminister Maas mit diesem Gesetz hat. Das Gesetz soll so hoppla-di-hopp noch möglichst in den nächsten vier Wochen auf den Weg gebracht werden. Wie gesagt, es drohen Klagen. Klagen ergeben aber wieder Klagen. Das ist genauso wie mit den Gutachten, die beim Bundestag offensichtlich schon vorliegen. Seit Beginn der Woche

gibt es wieder ein neues Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das zu dem Schluss kommt, man könnte dieses Gesetz für verfassungswidrig halten.

Viel gescholten wird Justizminister Heiko Maas für die Geschwindigkeit, mit der das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Nach der Erstberatung soll es in der nächsten oder übernächsten Woche eine Anhörung geben, damit es in der letzten Juniwoche offensichtlich im Bundestag zu einer abschließenden Beratung kommen kann, um im Juli durch den Bundesrat auf den Weg gebracht zu werden.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Um im Winter wieder kassiert zu werden!)

Für uns als Fraktion ist dabei ein Punkt besonders wichtig. Wir müssen - und dem schließen wir uns an - einen Mechanismus finden, der rechtswidrige Inhalte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt, ohne dass durch eine zu weitgehende Löschpraxis in vorauseilendem Gehorsam die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Als Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses hätte ich es begrüßt - und das wurde auch diskutiert -, wenn wir Ihren Antrag an den Wissenschaftsausschuss überwiesen hätten. Offensichtlich konnte man sich aber interfraktionell nicht so richtig einig werden. Das bedauere ich.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Das war die Koalition, das war nicht interfraktionell!)

Wir bleiben deshalb bei der Ablehnung. Wir haben die nächste Ausschusssitzung erst im August. Wir müssen schauen, wie es jetzt mit diesem Gesetz weitergeht. Den Antrag der FDP lehnen wir jedenfalls ab. - Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Öztürk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Kollegin Grobien! Ja, wir haben gestern in der Tat darüber gesprochen. Rot-Grün ist zu dem Schluss gekommen, dass wir den Antrag der FDP ablehnen werden, weil die Koalition so ist, wie sie ist. Die einen möchten ihm zustimmen oder ihn überweisen, die anderen möchten den Antrag ablehnen. Das ist nichts Verwerfliches.

(Abg. Frau Grobien [CDU]: Habe ich auch nicht gesagt!)

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Wir als Fraktion der Grünen lehnen den guten Antrag, diese Initiative schweren Herzens ab. Wir haben uns an vielen Stellen wiedergefunden. Es ist durchaus sinnvoll, sich über Inhalte auszutauschen. Das macht auch ein lebendiges Parlament aus. Ich bin bei vielen Punkten nicht einer Meinung mit dem gewesen, was Frau Kollegin Aulepp vorgetragen hat. Wir Grünen sehen das ganz anders. Es wurde viel zu dem Charakter dieses Gesetzes und dazu dargelegt, welchen Inhalt, welche Zielsetzung und welche Folgen es in der Intention hat.

Ich würde gern mit einem oder zwei Punkten daran anknüpfen, um noch einmal diese Dimension zu verdeutlichen. Ich würde es nicht auf die leichte Schulter nehmen, dass der Deutsche Richterbund, beide Journalistenverbände, Zeitungsverleger, Zeitungshäuser, Medienmacher, Lokalzeitungen, die Bitkom und Teile der Wirtschaft, sogar Internetfirmen, die eben keine Social Media Plattformen nach dem Telemediengesetz betreiben, das kritisieren. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat sich dazu geäußert. Erst gestern hat der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte seine diesbezügliche Stellungnahme abgegeben. Das Urteil dazu ist vernichtend. Wir als Grüne ignorieren das nicht.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP, BIW)

Wir solidarisieren uns an der Stelle mit all den Bedenkenträgern. Wir teilen ihre Bedenken und sind gespannt darauf, ob dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Das passiert mit Sicherheit, wenn es verabschiedet werden sollte. Ja, Sie haben recht, Frau Kollegin Aulepp. Oft ist es bei solchen Gesetzen so, dass Leute Bedenken haben. In der Regel sind es verfassungsrechtliche Bedenken. Dann landet es beim Bundesverfassungsgericht. Das Gesetz wird dann kassiert, oder ihm wird stattgegeben. Das ist nichts Neues. Die Qualität der Breite der Bedenkenträger ist aber sehr massiv. Bundesminister Maas bekommt nicht umsonst Wind von allen Seiten, weil die Dimension des Gesetzes erkannt wurde. Es ist nicht einmal europarechtskonform. Das hat der Verband der Juristen und Juristinnen einhellig bescheinigt. Wir Grüne sagen, Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit im Internet sind sehr hohe Güter. Die gilt es zu schützen. Unabhängig davon ist aber das Internet kein rechtsfreier Raum, war kein rechtsfreier Raum und wird auch kein rechtsfreier Raum sein.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben in der Regel immer die Position vertreten, dass hier nachgebessert werden muss. An der Stelle sei in Richtung des Ministeriums von Herrn Maas noch einmal Folgendes gesagt: Natürlich ist die Absicht gut, ein Gesetz voranzubringen, das die großen Internetgiganten ein bisschen an die Kandare nimmt, damit sie strafbare Inhalte - und hier geht es um strafbare Inhalte - identifizieren, löschen und den Ermittlungsbehörden an der Stelle einen Zugang gewähren. Richterliche beziehungsweise strafrechtliche Entscheidungen dürfen wir nicht Unternehmen, sondern sollten wir den Juristinnen und Juristen überlassen.

(Abg. Frau Grobien [CDU]: Das wollen wir auch nicht!)

Auf der einen Seite droht man den Unternehmen mit weitreichenden Druckinstrumenten, nämlich einer hohen Strafgebühr von bis zu 50 Millionen Euro, auf der anderen Seite fordert man die Löschfrist von 24 Stunden. Juristen erzählen mir, dass selbst sie bei einem bestimmten Tatbestand X - sei es Beleidigung oder Stalking - unter Umständen Wochen brauchen, bis sie bescheinigen können, ob es wirklich der Straftatbestand ist oder nicht. Dann kann ich doch nicht von einem Unternehmen, das in der Regel keine darauf spezialisierten Juristen oder Verfassungsrichter beschäftigt, erwarten, dass es die Tatbestände innerhalb von 24 Stunden identifiziert und löscht. Das gilt vielleicht für den einen oder anderen Straftatbestand. Wenn ich zum Beispiel gegen jemanden eine ganz konkrete Morddrohung ausspreche, sind wir uns sicher alle einig, dass auch Facebook in der Lage ist, einen solchen Inhalt zu löschen, selbst wenn dieser nicht von außen gemeldet wird, sondern einem Beschäftigten auffällt. Der Straftatkatalog, der mit dem Gesetz vorgelegt worden ist, ist aber so allumfassend, dass die Juristen die größten Bedenken haben. Wir Grüne teilen diese nicht. Wir finden nach wie vor, dass die inhaltlichen Argumente an der Stelle nicht ausgegoren sind. Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist, dass die Landesparlamente nicht mit einbezogen wurden. Das ist unser zweiter Kritikpunkt. Die Landesmedienanstalten haben jetzt schon nach dem Jugendmedienschutzgesetz eine Aufsichtsfunktion. Sie können Bußgelder verhängen und können Unterlassungsklagen einreichen. Sie können weitere Ahndungen vornehmen. Nach dem Telemediengesetz sind es Rundfunkgeräte. All diese Bereiche wurden ausgeklammert. Auch steht gut in Ihrem Antrag, Frau Steiner, dass wir als Bundesland in keiner Weise die Möglichkeit haben, selbst zu intervenieren. Das kritisieren wir an dieser Stelle auch.

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Viel gravierender ist aber der technische Aspekt, über den wir noch gar nicht so richtig diskutiert haben. Es geht um den Einsatz von sogenannten Inhaltsfiltern. Diese werden im berechtigten Kampf gegen den Terrorismus verwendet. Wenn man auf sozialen Plattformen solche Inhalte findet, kann ein Algorithmus diese identifizieren und alle weiteren Kommentierungen und Verbreitungswege herausfiltern und anschließend löschen.

(Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin!

Der gleiche Inhaltsfilter soll wahrscheinlich mit dem gleichen Algorithmus hinterlegt und entsprechend berücksichtigt werden. Das wird die Meinungsvielfalt, die Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre massiv einschränken.

Der letzte Punkt betrifft den Auskunftsanspruch von Nutzerinnen und Nutzern. Er ist neu aufgenommen worden und wird dazu führen, dass sich Menschen wie in Autokratien eventuell genötigt fühlen, das eine oder andere nicht zu posten und nicht zu kommentieren, weil man durch dieses Auskunftsersuchen herausbekommen kann, von welchem anonymen Nutzer es stammt. Dabei geht es nicht nur um strafbare Inhalte, sondern eben auch um nichtstrafbare Inhalte. Hier wird man sicherlich eher den Löschbutton drücken, als in irgendeiner Form zu prüfen. Deswegen sind wir inhaltlich dabei, auch wenn wir den Antrag ablehnen. Wir sind über den Verlauf der weiteren Beratung gespannt. Wir sind sicherlich noch nicht am Ende. - Herzlichen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten Herrn Korol auf der Besuchertribüne begrüßen.

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge.