Protocol of the Session on June 14, 2017

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Justizminister Heiko Maas will gegen HateSpeech im Internet vorgehen, vor allem auf Plattformen wie Facebook. Wie Frau Steiner eben schon gesagt hat, ist das nachvollziehbar. Wir alle wissen, dass in den letzten Jahren immer mehr Bedrohungen, Beleidigungen und Volksverhetzungen veröffentlicht wurden. Um nur einige Beispiele zu nennen, zitiere ich aus

den Kommentarspalten des Facebook-Accounts der Bremer AfD:

Rübe runter, denen müssten ihr Geschlechtsorgan und ihre Hände abgehakt werden, Baseballschläger über die Rübe, dass es knackt.

Ich könnte jetzt noch weiter zitieren, aber ich glaube, dass es uns allen erst einmal reicht.

(Beifall SPD - Abg. Frau Neumeyer [CDU]: Ja!)

Die Staatsanwaltschaft Bremen kennt diese Beiträge und hat dennoch bisher gegen keinen dieser Poster ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Darauf werde ich später noch zurückkommen. Klar ist, die Anzahl hetzerischer und oft rassistischer Kommentare hat deutlich zugenommen. Eine gesellschaftliche Debatte darüber ist also absolut notwendig. Diese Debatte wird in verschiedenen Bereichen längst geführt. Das finden wir wichtig und richtig. Frau Aulepp hat es eben in ihrem Redebeitrag gesagt. Natürlich stellen wir uns hier als Parlament, als Vertreterinnen der verschiedenen Fraktionen gegen Hassbotschaften im Internet. Bei der Frage, über die wir heute diskutieren, geht es aber um das Wie.

Die große Koalition kam auf die Idee, für Facebook ein Gesetz zu machen, und zwar dieses Netzwerkdurchsetzungsgesetz, über das wir heute reden. Bei dem Gesetzentwurf geht es große kommerzielle Social Media Plattformen. Ich werde der Einfachheit halber über Facebook sprechen, gemeint sind aber natürlich auch Twitter, YouTube und Instagram.

Neu ist, dass diese Social Media Plattformen binnen kürzester Zeit Inhalte löschen sollen, die bestimmte Straftatbestände erfüllen. In schweren Fällen soll das innerhalb von 24 Stunden gelingen, ansonsten sieht das Gesetz, wie es schon von verschiedenen Kollegen gesagt wurde, ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro vor. Hier entsteht natürlich das eigentliche Problem. Facebook soll komplizierte strafrechtliche Bewertungen innerhalb kürzester Zeit vornehmen. Ansonsten wird es richtig teuer. Wir glauben, dass man durchaus von der Gefahr des vorauseilenden Gehorsams sprechen kann und so sehr viele Inhalte gesperrt werden. Die Gefahr des sogenannten Overblockings besteht hier aus unserer Sicht ganz akut. Frau Aulepp hat gesagt, dass sie dieses Problem nicht sieht. Es mag sein, dass Sie es nicht sehen, aber eine große Anzahl von Expertinnen und Experten sieht das so.

(Beifall DIE LINKE)

Landtag 3402 45. Sitzung/14.06.17

Außerdem enthalten die in diesem Gesetz aufgelisteten Straftatbestände einige unbestimmte Rechtsbegriffe, die auch für qualifizierte Strafrechtlerinnen und Strafrechtler sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht innerhalb von 24 Stunden zu bewerten sind. Das ist ein weiteres sehr großes Problem. Jetzt soll das, was sonst Staatsanwaltschaft und Gerichte prüfen, von Facebook entschieden werden. Kritiker sprechen hier von einer Teilprivatisierung der Rechtsdurchsetzung. Wir finden, davon ist zu Recht die Rede. (Beifall DIE LINKE)

Selbstverständlich ist ein kritischer Umgang mit Hate Speech absolut wichtig. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz muss aber in dieser Form abgelehnt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Fast alle Fachleute kritisieren dieses Gesetz als schlecht gemacht und falsch ausgerichtet. Zum Beispiel schreibt Cornelia Holsten, die Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt und Vorsitzender der Kommission für Medienschutz, KJM: Problematisch sei aus Sicht der KJM insbesondere, Entscheidungsmacht über die Rechtswidrigkeit von Medieninhalten an private Unternehmen zu delegieren. Es sei kaum vorstellbar, wie das mit den Aufgaben der staatsfernen Aufsicht und der Gerichte vereinbar sein könnte.

Fraglich ist für uns auch, warum die Expertise und die Rolle der Landesmedienanstalten und der KJM im Netzwerkdurchsetzungsgesetz überhaupt nicht berücksichtigt werden. Bei den Landesmedienanstalten und der KJM sind doch Fachleute vorhanden. Sie haben auch die gesetzliche Zuständigkeit. Schon heute können diese Aufsichtsgremien Bußgelder gegen Plattformbetreiber verhängen. Auch die Reporter ohne Grenzen kritisieren den Gesetzesentwurf mit deutlichen Worten. Sie warnen vor „einem gefährlichen Schnellschuss, der das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit massiv beschädigen könnte“. Sie fordern die Abgeordneten des Bundestages dazu auf, dieses Gesetz abzulehnen.

(Beifall DIE LINKE)

Ähnliche Statements gibt es von verschiedenen Akteuren wie dem Deutschen Anwaltverein, der Verbraucherzentrale Sachsen, dem Deutschen Journalisten-Verband, dem Deutschen Kulturrat, der Bitkom und vielen weiteren. Sogar der UN-Sonderbeauftragte für Meinungsfreiheit hat der Bundesregierung einen sehr kritischen Brief geschrieben. Wenn ich jetzt alle Kritiker aufzählte, käme ich vermutlich in einen Konflikt mit

meiner Redezeit. Das Ergebnis heißt aber eindeutig, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in dieser Form zurückgezogen werden muss.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Die LINKE ist der Meinung, dass Akteure in der Medienaufsicht, also die Landesmedienanstalten und die KJM, zuständig sind und gestärkt werden müssen. Für konkret strafbare Inhalte sind Staatsanwaltschaft und Gerichte zuständig. Wenn diese, wie in dem eben zitierte Fall von „Rübe runter“ und „Hände abhacken“ nicht ermittelt werden, sollte man bei der Bremer Staatsanwaltschaft fragen, was sie sich eigentlich dabei gedacht haben. Wenn die Staatsanwaltschaften in Deutschland zu überlastet sind, um sich mit Gewaltaufrufen bei rechten Facebook-Accounts zu beschäftigen, muss man ganz klar über mehr Personal nachdenken und darf dieses Problem nicht einfach an Facebook abgeben. Wir stimmen deshalb dem FDPAntrag inhaltlich zu. Wir finden, dass die Koalition das auch tun sollte. - Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte die zweite Runde nutzen und etwas noch einmal deutlich machen, auch wenn es vielleicht klar ist. Facebook hat in dieser Sekunde fast 2 Milliarden User. Allein an diesem Tag wurden 420 Millionen Tweets bei Twitter abgesetzt. Das ist eine Anzahl, die für uns kaum zu greifen ist. Wenn dahinter die Erwartungshaltung steht, innerhalb von 24 Stunden qualifiziert zu prüfen, wo Hasskommentare in dieser riesigen Datenmenge weltweit vorhanden sind und diese dann auch noch zu löschen, ist das keine gangbare Praxis. Wir haben alleine 30 Millionen Facebook-Nutzer in Deutschland. Die Forderung geht völlig an der Realität vorbei und passt nicht in diese Welt.

(Beifall FDP)

Außerdem passt es mir überhaupt nicht, dass wir hier schon wieder einen deutschen Alleingang unternehmen. Es ist ein Gesetz, das - wenn überhaupt - auf europäischer Ebene beschlossen werden sollte und EU-Recht betrifft.

(Abg. Güngör [SPD]: Facebook hat aber Mitar- beiter dafür!)

Landtag 3403 45. Sitzung/14.06.17

Es bringt nichts. Wir tun uns überhaupt keinen Gefallen, wenn wir hier in Deutschland einen Alleingang wagen und versuchen, Netzwerke zu beschränken.

(Beifall FDP)

Frau Aulepp, Sie haben vorhin gesagt, es würden Gesetze benötigt. Wir haben Gesetze. Frau Strunge hat es auch gesagt. Wir haben genügend Gesetze, wir müssen sie nur endlich konsequent im Netz anwenden. Alles, was in der realen Welt ein Straftatbestand ist, ist es auch in der virtuellen Welt. Damit müssen wir uns durchsetzen.

(Beifall FDP)

Im Übrigen gibt es auch eine Selbstverpflichtung. Ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben, dass Facebook, Twitter, Microsoft und YouTube einen Verhaltenskodex ausgearbeitet haben. Diese Selbstverpflichtung funktioniert.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Wow!)

Mittlerweile werden nämlich 60 Prozent der Fälle in den Kommentaren von Facebook und den anderen Plattformen gelöscht, davon 50 Prozent sogar innerhalb eines Tages. Man kann zumindest einmal anerkennen, dass es dort mittlerweile eine Verbesserung.

Sie sagten, es gäbe angeblich keine Massenlöschungen. Es gibt mittlerweile schon clevere Start-ups, die sich auf dieses verrückte Gesetz einlassen.

(Abg. Frau Sprehe [SPD]: Die Staatsanwalt- schaften machen das! - Abg. Güngör [SPD]: Aber dafür gibt es doch schon Bots!)

Sie bauen gerade Bots und Roboter, die das Netz nach Stichwörtern screenen. Völlig aus dem Kontext gerissen werden die Posts nachher gelöscht. Dort sitzt eben keine reale Person, die sich alles durchliest und beurteilt, ob das wirklich diffamierend und ein Straftatbestand ist oder eben nicht.

(Abg. Frau Sprehe [SPD]: Die Staatsanwalt- schaften machen das! - Abg. Güngör [SPD]: Diese Bots gibt es aber jetzt schon!)

Frau Grobien, Sie sagten, irgendjemand hätte gesagt, es sei verfassungswidrig. An der Stelle möchte ich dem Kollegen Öztürk noch einmal zur Seite springen. Er hat eben selbst aufgezählt, wer alles gesagt hat, dass es verfassungswidrig sei. Ganz ehrlich, es hat nicht irgendjemand gesagt,

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Der Wissenschaftli- che Dienst hat auch die Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg geschrieben!)

sondern es hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages gesagt. Er ist eines dieser Schwergewichte. Dieser sagte - ich kann das gern zitieren -:

„Im Ergebnis kann in den Vorgaben des Paragrafen 3 NetzDG-E ein Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit erkannt werden. Dieser Eingriff erscheint nach Abwägung der erörterten Belange nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein.“

Das kommt vom Wissenschaftlichen Dienst. Das zeigt, hier geht nur noch Wahlkampf pur ab. Das ist nämlich die Angst davor, als Sozialdemokraten im September abgewählt zu werden, sonst würde man heute keinen solchen Schnellschuss nicht machen. - Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem ich direkt angesprochen wurde, wollte ich mich noch einmal kurz melden. Ja, manchmal bin ich auch anderer Auffassung als manche Experten. Manchmal sind bestimmte Experten auch in der Minderheit und tun nur so, als wären sie Experten. Ich möchte nur so viel dazu sagen.

Natürlich ist das Löschen von Beiträgen in sozialen Netzwerken ein hochsensibles Thema. In der digitalen Welt finden öffentliche Meinungsbildung und eben auch politische Willensbildung statt. Deswegen ist es wichtig, dass sich Leute austauschen und sich frei bewegen können. Ich sage aber noch einmal: Um sich entsprechend frei bewegen und seine Meinung zu sagen zu können, muss man diesen Austausch und die Meinungsfreiheit schützen und sich ganz klar dagegen wehren, dass Verbotenes und Hetzerisches verbreitet wird. Sie schildern es gerade so, als würde das von allein funktionieren. Das tut es nicht, das haben wir festgestellt. Wenn das nicht von allein funktioniert, dann muss man eben entsprechende Gesetze machen, die die Leute dazu verpflichten.

Ich nenne ein konkretes Beispiel: Finden Sie es falsch, wenn journalistisch verantwortete, seriöse Medien Leserbriefe mit solchen Inhalte nicht abdrucken oder entsprechende Kommentare von ihren Internetseiten löschen? Ich glaube, dass finden Sie auch nicht falsch.

Landtag 3404 45. Sitzung/14.06.17

(Beifall SPD - Abg. Frau Steiner [FDP]: Das ist doch Quatsch!)