Protocol of the Session on May 11, 2017

Wir müssen auch ganz deutlich machen, wenn die türkische Regierung heute kritisiert, dass die deutsche Bundesregierung Türken Asyl gewährt - zum Beispiel türkischen Soldaten, die in der Europäischen Union stationiert wurden -,

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die Angst davor haben, unter diesen Terrorgesetzen in der Türkei vor Gericht gestellt zu werden, dass es auch darum geht, Menschen zu schützen, die möglicherweise bei einem Erfolg eines Referendums über die Todesstrafe für ihre politische Meinung getötet werden können.

(Beifall LKR)

Deswegen müssen die Bundesregierung und auch wir ganz klar sagen, wir stehen dazu, dass jeder hier bei uns Asyl genießt, der Gefahr läuft, einen politischen Prozess in der Türkei zu bekommen. - Vielen Dank!

(Beifall LKR)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Herr Dr. Buhlert hat ja einiges gesagt, das möchte ich nicht wiederholen.

Ganz kurz zu den Kollegen der CDU! Die Abgeordneten der HDP sind auch damals, als die Türkei noch einigermaßen demokratisch war, gewählt worden. Vielen Kollegen ist es vielleicht nicht bekannt, dass knapp über 20 Millionen Kurden in der Türkei leben und dass diese Partei überwiegend von ihnen unterstützt worden ist. Diese Menschen sind als Abgeordnete demokratisch gewählt worden. Mit dieser Partei ist aus meiner Sicht die Hoffnung verbunden, dass überhaupt irgendwann einmal Frieden zwischen dem türkischen Teil der Türkei und dem kurdischen Teil zustande kommen kann. Das zur HDP! (Beifall DIE LINKE)

Sie haben alle den Führungsstil von Herrn Erdogan zur Kenntnis nehmen müssen. Inzwischen ist es so, dass in letzter Zeit über 7 000 Menschen aus der Türkei in Deutschland Asyl beantragt haben, überwiegend handelt es sich um Akademikerinnen und Akademiker und Demokratinnen und Demokraten. Deshalb, liebe Frau Kollegin Dr. Müller, habe ich hier in meinem ersten Redebeitrag auch nicht gesagt, dass man mit der Opposition nicht reden sollte. Wenn Sie genau hingehört haben, dann habe ich gesagt, es sei wichtig, dass wir die, die sich trotz allem für die Demokratie eingesetzt haben - es waren knapp 50 Prozent -, unterstützen und einfach auch einmal einen Schlussstrich unter Erdogan ziehen und zu ihm sagen, du bist ein Diktator, aber kein Demokrat, und so geht es nicht weiter. Mit Ihren Darlegungen zu den Finanzen haben Sie nicht ganz recht. In den Jahren 2016 und

2017 sind 2,2 Milliarden Euro zugewiesen und inzwischen 750 Millionen Euro an die Türkei überwiesen worden.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber für welche Projekte?)

Ich hoffe, dass das Geld bei den Projekten ankommen ist, für die es gedacht gewesen ist. Erdogan hat vor Kurzem EU-Kommissaren das Recht verwehrt, Projekte zu kontrollieren, die in der Türkei von der EU unterstützt werden.

Ganz, ganz tragisch und dramatisch ist es auch, dass inzwischen fast 40 Akademikerinnen und Akademiker Selbstmord begangen haben, weil sie ihre Arbeitsstelle verloren haben. Nach dem Referendum passiert es tagtäglich, dass immer wieder Menschen entlassen und inhaftiert werden. Davor darf man die Augen hier nicht verschließen!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

In Bremen und in Deutschland - und das ist auch schon angesprochen worden - haben, glaube ich, über 400 000 Menschen für das Referendum gestimmt. Es leben 1,4 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland. Sie hätten wählen dürfen. Man muss immer wieder sagen, die meisten sind nicht wählen gegangen, aber diejenigen, die gewählt haben, haben zu 63 Prozent für Erdogan gestimmt. Wir müssen hier in Bremen, aber auch in Deutschland genau hinschauen, was in den vergangenen Jahrzehnten bei der Integration dieser Menschen, die in Deutschland leben, die hier geboren worden sind, die hier aufgewachsen sind, schiefgelaufen ist. Das Stichwort DITIB ist mehrfach gefallen. Wir müssen auch in Bremen noch einmal hinterfragen, mit wem wir in diesem Bereich zusammenarbeiten und was wir tun können, um die Menschen, die aus der Türkei zu uns gekommen sind, endlich zu integrieren, damit sie sich für und nicht gegen die Demokratie einsetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Liebe Frau Kollegin Grotheer, es ist richtig, wir haben uns sehr gewünscht, dass wir den Antrag vor dem Referendum debattieren. Es ist uns leider nicht gelungen. Wenn man es gewollt hätte, dann hätten wir den Antrag hier debattieren können, aber die Koalition hat sich anders entschieden. Es hat sich leider Gottes - -.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Wie bitte! - Abg. Fe- cker [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir haben den Antrag nicht gesetzt!)

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Wie gesagt, wenn Sie es gewollt hätten, dann hätten wir uns einigen können, den Antrag zu debattieren. Stimmen Sie mir da zu oder nicht?

(Zurufe SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir hätten es vereinbaren können. Wir hätten in jedem Fall darüber debattieren können. Wir haben auch unsere Zusage eingehalten, eine Neufassung vorzulegen. Das haben wir gemacht. Es ist so, solange sich die Situation in der Türkei nicht ändert, solange Menschen verfolgt werden, Menschen ins Gefängnis gesteckt werden, Menschen umgebracht werden, müssen wir als Demokraten vor allem den Menschen, die unsere Unterstützung brauchen, die Hoffnung in uns setzen, immer wieder Signale senden und sagen, wir sind für euch da, wir vergessen euch nicht, wir unterstützen euch. Deshalb werden wir immer und immer wieder, wenn es sein muss, hier Anträge einbringen. Das ist auch unser gutes Recht!

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Machen Sie das auch zu Russland? Das würde mich auch freuen!)

Zu dem CDU-Antrag! Die Ziffern 1 und 3 finden wir gut, wir stimmen ihnen zu, und deshalb beantrage ich getrennte Abstimmung. Immerhin ist es so, dass es vor dem Referendum kein Zeichen seitens der CDU gegeben hat und dass Sie jetzt einen Antrag eingebracht haben. Das finde ich gut. Vielleicht gelingt es uns hier in der Bürgerschaft irgendwann einmal, einen gemeinsam Antrag zum Thema Türkei zu formulieren und zu beschließen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich fasse mich viel kürzer, als Sie glauben. Sehr geehrter Herr Tuncel, jede Fraktion dieses Hauses hat das Recht, Anträge zu stellen, zu jedem Thema so oft sie möchte, und die Mehrheit dieses Hauses hat das Recht, diese Anträge gegebenenfalls abzulehnen.

(Abg. Tuncel [DIE LINKE]: Das ist Demokratie!)

Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Das sind die Spielregeln in diesem Hause.

Ich habe nicht gesagt, Sie dürften keine Anträge stellen. Nicht, dass Sie mir hier etwas unterstellen, was ich so nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, wir haben diese Position bereits zweimal

beschlossen, und ich muss nicht jeden Monat diese Position neu beschließen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe, glaube ich, relativ deutlich gemacht - ich habe nämlich die alten Beschlüsse zitiert -, dass wir tatsächlich Ihrem Anliegen in der Verurteilung von Vorgehensweisen, die auch wir für falsch halten, schon vor Monaten nachgekommen sind. Ich muss nicht an jeder Stelle, in jedem Monat das erneut beschließen, weil sich an dieser Verurteilung nichts geändert hat. Es hat sich an dieser Verurteilung nichts geändert.

Der einzige neue Punkt, und dazu komme ich jetzt, der einzige neue Punkt, der - -. Nein, da bin ich noch nicht, ich komme erst zu einem anderen Punkt, nämlich zu den EU-Beitrittsverhandlungen, die Sie ablehnen. Sie glauben, sowohl die CDU als auch die FDP, als auch DIE LINKE, dass das die Regierung in der Türkei zu einer Änderung ihrer Politik bewegen kann, wenn man jetzt den Dialog mit der Türkei zu den Voraussetzungen abbricht, um Mitglied der EU werden zu können, welche Garantie der Grund- und Menschenrechte, welche Anforderung an die Rechtsstaatlichkeit notwendig sind, und glauben, dass man damit die Türkei veranlassen könnte, wieder näher an die Rechtsstaatlichkeit zu rücken. Ich habe dazu wirklich eine völlig andere Auffassung.

(Beifall SPD, Die Grünen)

Ich bin ein Mensch des Wortes, aber nicht ein Mensch des Schwertes - das ist ja fast schon ein geflügeltes Wort von mir -, ich bin deshalb der Meinung, dass man auf Menschen nur einwirken kann, wenn man mit ihnen redet,

(Beifall SPD, Die Grünen)

und deswegen gibt es uns. Politiker reden miteinander und ringen um Lösungen. Wenn man nicht mehr um Lösungen ringt, glaubt man nicht mehr, den anderen mit Argumenten überzeugen zu können. Man hat dann allerdings auch keine Chance mehr, ihn von den eigenen Lösungen zu überzeugen.

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Nein! Man kann auch die Opposition unterstützen!)

Ich glaube, dass die stille Treppe vielleicht bei unartigen Kindern funktionieren mag, ob sie aber bei anderen Staatschefs funktioniert, das wage ich sehr zu bezweifeln. (Beifall SPD)

Aus unserer Sicht gibt es einen Grund, der zum sofortigen Abbruch von Verhandlungen führen

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muss: Vor einigen Monaten waren wir uns noch darin einig, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe die sogenannte rote Linie ist, die die Türkei auf keinen Fall überschreiten dürfe. Dazu stehen auch wir als sozialdemokratische Fraktion.

(Beifall SPD)

Deswegen teilen wir inhaltlich, liebe CDU, Ihr Anliegen in Bezug auf ein mögliches Referendum zur Todesstrafe. Da sich allerdings alle Politiker in Deutschland, die an einer solchen Entscheidung zu beteiligen wären, egal, in welcher Regierungskonstellation, egal, zu welchem Zeitpunkt, auf Bundesebene bereits zu dieser Abstimmung deutlich negativ positioniert haben, ist meines Erachtens eine solche Aufforderung gar nicht notwendig.

Sollte es zu getrennten Abstimmungen kommen, würden wir großen Wert darauf legen, dass die drei Ziffern des CDU-Antrags einzeln abgestimmt werden würden, weil wir diesem Punkt tatsächlich zustimmen würden. Dies gilt insbesondere deswegen, weil das tatsächlich der einzig wirklich neue Punkt in den Anträgen ist. Der einzige Punkt, über den wir nicht schon in den letzten Monaten abgestimmt haben.

Jetzt komme ich zu Ziffer 2 des CDU-Antrags! Nach der Ziffer 2 sollen wir beschließen - bitte schauen Sie in den Beschlusstext -, dass wir die Auffassung der Bundesregierung unterstützen, dass die guten Beziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern beider Staaten für Bremen auch weiterhin von Bedeutung sind.

Das klappt bestimmt ganz hervorragend, nachdem wir den Türkinnen und Türken erst gesagt haben, dass wir sie für nicht gut genug halten, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Das glauben sie uns garantiert sofort.

(Zurufe CDU)

Wir sollen außerdem beschließen, dass die Türkei in der NATO weiterhin eine wichtige Rolle einnimmt und dass wir die Bundesregierung in dieser Auffassung unterstützen. Ihrer Ansicht nach ist die Türkei für die NATO also gut genug, für Beitrittsverhandlungen zur EU aber nicht? Das erscheint mir doch etwas von einer Doppelmoral geprägt.