Frau Kollegin Aulepp! Sie haben es besser gesagt, als ich es hier oben hätte sagen können. Ich stimme Ihnen zu.
Ich will bei aller Heiterkeit kurz noch einen weiteren Aspekt benennen, weil das Thema ernst es. Sie haben dargestellt, dass die Wirtschaft mitunter Probleme macht und nicht flexibel genug ist. Ich möchte sagen, dass ich die Wirtschaft in der Pflicht sehe, mehr für familienfreundliche Arbeitsplätze zu tun,
und das nicht nur, weil wir das moralisch richtig finden. Es ist doch eigentlich total verrückt, dass wir in einer Zeit leben, in der wir uns in einem demographischen Wandel befinden, in der bestimmte Arbeitsbereiche unter hohem Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel leiden, und es die Wirtschaft nicht selbst löst, wir der Wirtschaft nicht ins Stammbuch schreiben können, dass sie dafür sorgen müssen, dass es Arbeitsplätze gibt, auf denen man als Mutter oder Vater innerhalb einer Familie auch arbeiten kann.
An dieser Stelle möchte ich auch sagen, dass es Beispiele gibt wie die Debatte, die es gestern gab, wenn man sich den GHB anschaut, wenn man sich anschaut, dass es da auch viele Frauen in Beschäftigung gibt, die als Alleinerziehende mit geringem Einkommen arbeiten. Wenn wir solche Arbeitsplätze sehen und solche Arbeitsplätze haben, die verlässlich sind, die familienfreundlich sind, ist es gut. Wenn wir Wirtschaftsunternehmen sehen – damit meine ich nicht nur das eine, sondern damit meine ich die Wirtschaft insgesamt –, die diesen Menschen, Frauen wie auch Männern, die Perspektive für einen solchen Arbeitsplatz nimmt, dann ist es aus familienpolitischer Sicht außerdem höchst verwerflich.
Ich nenne einmal in Kürze die drei entscheidenden Punkte. Erstens: Wir müssen Betreuung ausbauen – da ist das Land Bremen insgesamt nicht gut genug –, Bildung damit eben auch weiter verstetigen. Zweitens brauchen wir mehr Geld für die Familien. Wir müssen das mit einer anderen Steuergerechtigkeit organisieren. Drittens brauchen wir mehr Zeit für die Familien. Mehr Zeit für Familien organisieren wir über ein familienfreundliches Arbeitszeitrecht. Wir organisieren es darüber, dass wir von der Teilzeit in die Vollzeit zurückgehen können, damit Menschen nicht abgehängt sind, nur weil sie sich um ihre Familie kümmern. An dieser Stelle wird auch die Bundestagswahl ganz spannend sein, weil es eine Richtungsentscheidung gibt. Ich hoffe, sie wird richtig. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht nur noch ganz kurz zu dem Thema Kindergeld, Kinderfreibetrag. Kindergeld und Kinderfreibetrag gehen darauf zurück, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dass es ein sächliches Existenzminimum geben muss, das frei vom Zugriff des Staates zu sein hat, und zwar in jeglicher Form, sowohl frei vom Zugriff durch Einkommensteuer, als auch frei von dem Zugriff durch Kita-Beiträge. Weil wir eine so desolate Lage bei den Familien haben, auf die ich gleich noch eingehen werde, haben wir hier in Bremen nämlich inzwischen die Besonderheit, dass 56 Prozent der Eltern von Beiträgen freizustellen sind.
Mitnichten ist es so, dass es sich beim Thema Kindergeld um ein reines Steuergeschenk handelt, das Eltern gegeben wird, sondern es handelt sich in einem ganz beträchtlichen Teil um die Zurückzahlung von zu viel gezahlten Steuern, die zuvor einbehalten worden sind. Weil viele Arbeitnehmer eben keinen Lohnsteuerjahresausgleich machen, hat man damals den Kinderfreibetrag in ein Kindergeld umgewandelt, damit das erst einmal alle bekommen und dann hinterher denjenigen, die eine Steuererklärung abgeben, der tatsächlichen Betrag ausgerechnet wird. Wenn der tatsächliche Freibetrag höher ist – das ist so, Frau Kollegin Dr. Kappert-Gonther, das können Sie nachlesen –, kommt ein höherer Betrag heraus. Das hat nichts damit zu tun, dass man den einen schlechterstellen will als den anderen. Das ist reine Steuersystematik. Das zeigt, deswegen habe ich das Wort benutzt, das ich benutzt habe, dass die Kollegen, die hier geklopft haben, leider vom Steuerrecht wenig verstehen.
Kollegin Ahrens, danke für diese Erläuterung. Ich weiß, Sie sind Steuerbeamten. Aber können Sie mir bei drei Feststellungen zustimmen? Zum Ersten ist der Steuerfreibetrag höher als der Kinderfreibetrag. Zum Zweiten: Die Rechtsprechung schließt nicht aus, dass man das Kindergeld auf die Höhe des Kinderfreibetrages oder sogar höher, wie Kollegen Aulepp gesagt hat, anpassen könnte. Zum Dritten schließt die Rechtsprechung nicht aus, dass man das Kindergeld nicht
Das würde jetzt eine längere Antwort voraussetzen. Das machen wir nachher beim Kaffee. Da setze ich Ihnen das gern in allen Einzelheiten auseinander.
Wer ansonsten dieses Thema noch gern hören möchte, hat die Möglichkeit, sich mit dazuzusetzen. Das würde jetzt meine Redezeit überstrapazieren.
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber von Gerechtigkeit! – Abg. Frau Dr. Kappert- Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber von Ge- rechtigkeit! – Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Recht ist ja nicht immer gerecht! – Weitere Zurufe SPD, Bündnis 90/Die Grünen)
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir würden es gern hier hören! – Abg. Tschöpe [SPD]: Fürs Protokoll!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wollten wir uns heute dem Thema „Mehr Vereinbarkeit wagen“, und zwar dem Bericht zur sozialen Lage der Familien in Bremen und Bremerhaven widmen. Da ist der Bereich Kindergeld und Kinderfreibetrag ein Mini-Teilaspekt, der eher davon ablenkt, was hier in Bremen, im Lande, in den Kommunen Bremen und Bremerhaven, durch uns selbst verursacht nicht passiert und was wir hier in Bremen und Bremerhaven selbst in der Hand haben und selbst ändern können. Darauf möchte ich mich in meiner weiteren Rede nun konzentrieren.
233 000 Menschen und damit 40 Prozent der Stadtbevölkerung wohnen in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen als Familie zusammen. Das ist Grund genug, sie mit guten Rahmenbedingungen zu unterstützen. Für die CDU-Fraktion möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich für den guten Bericht der Arbeitnehmerkammer bedanken, weil er auf einige wichtige Punkte aufmerksam gemacht und uns in unserer parlamentarischen Arbeit bestätigt hat. Die Bereiche frühkindliche Bildung und die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die dort ent
halten sind, haben wir in sehr vielen Anträgen immer wieder gefordert. An dieser Stelle zeigt sich, was der Bericht der Arbeitnehmerkammer noch einmal wieder feststellen muss, dass wir in Bremen – da stimme ich meiner Kollegen zu – kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben.
Wenn ich dann an der Stelle weiter sehe, dass auch viele Forderungen, die die Arbeitnehmerkammer jetzt noch einmal aufgeführt hat, früher schon vom Armutsausschuss beschlossen worden sind, zeigt es, dass es tatsächlich kein Erkenntnisproblem ist.
Wir können uns ein „Weiter so!“ nicht erlauben. Familien in Bremen gehören in zunehmend geringerem Maß zur Mittelschicht. Das haben Sie in Ihren Ausführungen vergessen. Ihr Anteil ging von 67 Prozent im Jahr 2000 auf 54 Prozent in 2012 zurück. Gleichzeitig sank die Berufstätigkeit Alleinerziehender von 69 Prozent in 2010 trotz Einführung des Rechtsanspruches für Krippenkinder auf nur noch 58 Prozent in 2015. Das sind Alarmsignale, bundesweit der schlechteste Wert, die zeigen: Hier müssen wir etwas für Familien tun und insbesondere für die von Armut betroffenen Alleinerziehenden.
Leider verläuft bereits der Start für Familien im Land Bremen mehr als holprig, weil Bremen seinen Amtspflichten im keiner Form ausreichend nachkommen. Wir erinnern uns noch alle an das Chaos im Standesamt bei den Geburtsurkunden, nicht nur Papier, sondern Eintrittskarten für die Inanspruchnahme weiterer Leistungen wie Kindergeld oder Elterngeld, Leistungen, die die Mehrfachbelastungen, die mit der Geburt von Kindern einhergehen, abfedern und Familien unterstützen sollen.
Daran schließt sich das Elterngeld an. Konzipiert als Lohnersatzleistung soll es in den ersten Lebensmonaten das Familieneinkommen erhöhen und die berufliche Auszeit von Müttern verkürzen. Das setzt aber voraus, dass das von ihnen beantragte Elterngeld auch tatsächlich erhalten wird. Das ist in Bremen aber durchschnittlich erst nach 20 Wochen oder fünf Monaten der Fall, obwohl es eigentlich einen Rechtsanspruch nach vier Wochen gibt. Allen Beteuerungen von Sozialsenatorin Stahmann zum Trotz gab es in diesem Bereich auch seit acht Monaten keine Verbesserungen. Schlimmer noch, Überbrückungskredite, die man als Hilfskrücke erfunden hat, sind ausgelaufen. Die Elternbescheide für diese Eltern sind immer noch nicht da.
Die versprochene Hilfe ist ausgeblieben. Dabei braucht es doch Unterstützung von Anfang an und nicht staatlich verursachte Existenzprobleme. Familienfreundlichkeit sieht anders aus!
Frau Dr. Kappert-Gonther, wenn Sie über fünf Monate lang Geld in einer beträchtlichen Höhe von bei Frauen im Durchschnitt 607 Euro und bei Männern
im Durchschnitt von 1 000 Euro pro Monat nicht bekommen, ist das für viele existenzbedrohend, auch wenn es für Sie persönlich vielleicht nicht der Fall ist. Darüber muss man aber nicht lächeln.
Schlimmer noch, läuft es in den Familien nicht reibungslos, treffen sie auf ein prekär ausgestattetes Jugendamt im Notfallmodus, das derzeit die normalen Beratungen und Unterstützungen für Familien liegenlassen muss. Das ist ein Zustand, der noch Monate anhalten wird, denn wegen Einarbeitung der vielen neuen Mitarbeiter ab April und der notwendigen Aufarbeitung des Liegengebliebenen wird der Notfallmodus noch länger bleiben.
Es ist ein großer Erfolg, das stelle ich auch fest, dass die CDU-SPD-geführte Bundesregierung das Unterhaltsvorschussgesetz bis zum 18. Lebensjahr des Kindes ausweiten wird. Leider trifft das aber in Bremen auf eine ebenfalls personell dafür nicht ausgestattete Dienststelle. Das wird wieder Probleme bei den Alleinerziehenden geben und zu riesigen Staus führen. Da können wir uns schon auf das nächste Chaos freuen.
Bereits in der frühen Phase zeigt sich die prekäre Lage vieler Frauen in Bremen und Bremerhaven zudem besonders deutlich. Jetzt komme ich zu den erschreckendsten Zahlen der Studie der Arbeitnehmerkammer. 40 Prozent der Mütter in Bremen waren vor der Geburt nicht berufstätig. Jetzt kommt Bremerhaven! In Bremerhaven waren es sogar erschreckende – Herr Tsartilidis, das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen – 65 Prozent, die nicht berufstätig waren.
Hier wird der Grundstock für das Armutsrisiko in unseren beiden Städten und die dadurch bedingte Kinderarmut gelegt. Wir erinnern uns: Nach der aktuellen Bertelsmann-Studie ist die Kinderarmut im Land Bremen am stärksten gestiegen und doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Nur in Berlin leben mehr Kinder in Hartz IV. Dort ist die Zahl allerdings rückläufig, ebenso wie in Hamburg.
Wir haben nicht nur den bundesweit höchsten Anteil bei den unter Sechsjährigen, sondern auch bei den unter 15-Jährigen. Das heißt, Armut ist hier verfestigt. Diese Familien leben vorrangig in den sogenannten soziokulturell benachteiligten Quartieren unserer beiden Städte. Um diese 40 Prozent nicht erwerbstätigen Schwangeren in Bremen und 65 Prozent in Bremerhaven nach dem Elterngeld zu erreichen, braucht es daher endlich einen nennenswerten Ausbau bei der frühkindlichen Infrastruktur sowie an Ganztagsgrundschulen in diesen besonderen soziokulturell benachteiligten Quartieren.
Zum zweiten Mal fehlen die meisten Krippen- und Kita-Plätze genau in diesen besonders von Armut betroffenen Quartieren. Auch der Ganztagsschulausbau geht in diesem Bereich viel langsamer voran. Das kann man ein wenig auf den Koalitionsstreit und auf die handwerklich schlechte Umsetzung zurückführen. Um eine echte Unterstützung für diese Familien zu haben, werden aber genug Tagesmütter, Krippen- und Kita-Plätze sowie Ganztagsschulplätze, ein ausreichendes Betreuungsangebot, das natürlich auch für die Schichtarbeiterinnen und die prekär beschäftigten Frauen Rand- und Nachtzeiten umfasst, und zwar ein Angebot in jedem Stadtteil und nicht nur ein einziges zentrales für die gesamte Stadt benötigt.
Benötigt wird eine Ausweitung des Rechtsanspruches für Alleinerziehende auf acht Stunden in der Krippe, auch wenn noch nicht im Januar bei der Anmeldephase nachgewiesen werden kann, dass man jetzt schon einen Job in der Tasche hat. Benötigt wird eine umfassende Unterstützung und Begleitung dieser Mütter durch einen Einstieg in die Nachholung eines Schulabschlusses, begleitete Berufseinmündung, Sprachkurse, Berufsabschlüsse, um anschließend Arbeit zu finden.
Dabei ist es übrigens unerlässlich – ich gehe mit meinen Kollegen konform –, dass wir eine Weiterentwicklung der Kindertageseinrichtung in Kinder- und Familienzentren mit einer entsprechenden Ausstattung mit Personal und Geld brauchen. Das hat der Armutsausschuss in seinen Handlungsempfehlungen auch festgestellt.