Protocol of the Session on March 8, 2017

Dabei ist es übrigens unerlässlich – ich gehe mit meinen Kollegen konform –, dass wir eine Weiterentwicklung der Kindertageseinrichtung in Kinder- und Familienzentren mit einer entsprechenden Ausstattung mit Personal und Geld brauchen. Das hat der Armutsausschuss in seinen Handlungsempfehlungen auch festgestellt.

(Beifall CDU)

Lediglich ein Schild an der Tür zum Kindergarten und den Kindergarten in Kinder-und Familienzentrum umbenennen, ist noch nicht der Inhalt, den wir brauchen, um Kinder und Familien aus der Armut zu holen und sie entsprechend zu begleiten. Das setzt Personal und Ressourcen voraus.

Die Arbeitnehmerkammer kommt in ihrem Bericht in Bezug auf die alleinerziehenden und nicht arbeitenden Mütter zum gleichen Schluss. Erforderlich sind neben hinreichenden Krippen- und Kita-Plätzen mit bedarfsgerechten Betreuungszeiten auch bildungs- und ausbildungspolitische Maßnahmen. Es geht dabei vor allem um das Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen sowie von begleiteten Berufseinmündungen, Teilzeitausbildungen und Sprachkursen. Alles das, was wir in mehrfachen Anträgen – ich habe Ihnen eben die sechs Punkte genannt – immer wieder gefordert haben, fordert auch die Arbeitnehmerkammer. Sie haben alle unsere Anträge zu diesem Thema abgelehnt. Das zeigt, wir haben keinen Erkenntnis-, sondern wir haben ein Umsetzungsproblemen, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Das ist in der Tat ein Armutszeugnis, allerdings ein Armutszeugnis für den Senat. Über den Bericht sozialpsychologisch begleiteter Aus- und Weiterbildung debattieren wir voraussichtlich am Donnerstag. Auch hier haben wir und DIE LINKE schon vor einem Jahr Anträge auf Umsetzung gestellt. Das, was der Armutsausschuss in seinen Handlungsempfehlungen vorgeschlagen hat, das, was die Arbeitnehmerkammer jetzt noch einmal bestätigt hat, das, was schon vor einem Jahr der Wirtschaftssenator als größtes Hindernis für die Aufnahme von Arbeit von Alleinerziehenden in seinem Bericht an die Deputation festgestellt hat, haben wir vor einem Jahr als Umsetzung gefordert.

Herausgekommen ist bei Ihnen nichts. Sie wollen unsere Anträge ablehnen. Jetzt wollen Sie noch einmal bis zum Ende des Jahres prüfen, ob Sie das denn, obwohl Sie unsere Auffassungen teilen, dann vielleicht gnädigerweise in 2018 umsetzen wollen. Das ist Schneckentempo, und das können wir uns bei den stark steigenden Armutszahlen, die uns eben zitiert wurden, nicht leisten.

(Beifall CDU)

Prüfaufträge helfen Alleinerziehenden nicht. Ihnen hilft konkretes Handeln. Ihnen hilft ein konkret vorhandener Kita-Platz. Ihnen hilft konkret eine assistierte Teilzeitausbildung. Alles das haben wir in Bremen immer noch nicht. Es macht mich ehrlicherweise langsam schon wütend. Auch Frau Böschen ist vor einem Jahr durch ganz Bremen getourt und hat sich mit allen Beteiligten ausgetauscht und hat die ganzen Probleme erfahren. Die Armutsspirale steigt in beiden Städten massiv an. Die höchste Armutsquote haben Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Sie haben das in allen Punkten ausgeführt.

Abschließend möchte ich noch einen Satz zu Bremerhaven sagen, weil mich auch hier das Thema besonders umtreibt. 65 Prozent, ich wiederhole noch einmal die Zahl, die ich am erschreckendsten im gesamten Bericht fand, arbeiten nicht, wenn sie Kinder bekommen. Sie starten nicht arbeitend. Hier zeigt sich, dass der Krippen- und der Kita-Ausbau in Bremerhaven etwas gebracht hat. Dort sinken die SGB-II-Quoten. Sie steigen aber ganz massiv bei den Schulkindern an.

Das zeigt, dass wir hier als Landespolitiker überlegen müssen, inwieweit wir Bremerhaven bei dem Ganztagsschulausbau zum Beispiel durch Übernahme des nicht unterrichtenden Personals besser ausstatten können, denn es gilt, die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen, nicht nur im Bundesgebiet, sondern auch innerhalb unsers Bundeslandes herzustellen. An der Stelle müssen wir neue Wege beschreiten. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, begrüße ich auf der Besuchertribüne recht herzlich zwei Frauengruppen aus Bremerhaven, „Dialog Verein für gleiche Rechte“ und vom Alevitischen Kulturzentrum, eine Frauengruppe vom Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien aus Bremen-Gröpelingen und neu zugewanderte und weitere internationale Frauengruppen aus Bremen.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen einmal zeigen, über welchen Bericht wir sprechen. „Mehr Vereinbarkeit wagen!“ Das ist ein wirklich fulminant dickes Werk der Arbeitnehmerkammer. Wir finden, dass es ausgesprochen gelungen ist und bedanken uns dafür sehr.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Imhoff [CDU]: Zwei Leute finden das auch! – Abg. Güngör [SPD]: Nein! Drei!)

Bevor ich inhaltlich vertieft einsteige, möchte ich Ihnen eine kleine persönliche Geschichte erzählen. Das mache ich nicht oft an dieser Stelle. Sie ist mir gestern eingefallen. Als ich junge Mutter war und meine erste Stelle suchte und mein Mann und ich überlegten, wie wir das machen, hatten wir uns an einer Klinik beworben, beide als ganz junge Ärzte. Für mich war es die erste Stelle. Wir haben gesagt, dass wir Teilzeit arbeiten möchten, beide 30 Stunden. Der Chef sagte, das hätte es zwar noch nie gegeben, aber er gab uns diese Chance. Wir haben beide, mein Mann und ich, 30-Stunden-Stellen bekommen.

Dann kamen die Fragen. Ich wurde immer gefragt: „Mensch, du hast doch so kleine Kinder, warum arbeitest du denn so viel?“ Mein Mann wurde gefragt: „Was ist denn mit dir los? Du bist doch Arzt. Willst du nicht Karriere machen? Warum arbeitest du so wenig?“ Genau die gleiche Stundenzahl, die gleiche familiäre Situation! Das ist jetzt fast 25 Jahre her. Ich frage mich, ob es heute auch noch so sein könnte, und ich fürchte, ja.

(Abg. Frau Sprehe [SPD]: Ja!)

Allein daran sehen wir schon, dass es eine solche unterschiedliche Haltung immer noch gibt, dass die Familienfrage immer noch im Wesentlichen eine Frauenfrage ist. Daran sehen wir, wie viel sich noch ändern muss.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Es ist eben immer noch nicht selbstverständlich, dass sich beide Partner gleichberechtigt um Kinder, wenn sie da sind, kümmern. 60 Prozent der bundesdeutschen Paare, knapp zwei Drittel, sagen, dass sie sich gleichberechtigt kümmern möchten. Nun kann man einmal sagen, das ist schon einmal etwas. Das heißt aber auch, 40 Prozent sagen: Nein, Gleichberechtigung spielt für uns immer noch keine Rolle! Wenn wir dann auch noch wissen, dass es in etwa nur 14 Prozent der Fall ist, dass sich beide gleichberechtigt um die Kinder kümmern, sehen wir, wie viel hier noch zu tun ist.

Heute ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Ich finde, unsere Mütter und Großmütter haben viel für uns erreicht.

(Beifall SPD)

Das finde ich auch! Darüber können wir uns freuen! Es ist aber noch nicht gut genug. Die Bertelsmann Studie hat es letztes Jahr gesagt und festgestellt, dass es noch 170 Jahre dauert, bis wir die Gleichberechtigung erreicht haben, wenn wir in dem Tempo mit ihr weitermachen. Das ist ein Jahr her. Es sind also nur noch 169 Jahre.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch überschaubar!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann uns doch nun wirklich nicht zufriedenstellen.

Wie sieht es denn nun aus? Die Hälfte der Frauen in Doppelverdienerhaushalten arbeitet inzwischen Vollzeit. Dazu könnte man sagen, das ist schon einmal etwas. Wie sieht es mit dem Einkommen aus? Nur jede Zehnte, nur zehn Prozent der Frauen, verdienen über 2 000 Euro monatlich. Bei den Männern sind es 42 Prozent. Wir sind weit von Lohngleichheit entfernt. Das darf so nicht bleiben.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Warum darf das so nicht bleiben? Erstens ist es fulminant ungerecht. Zweitens beeinflusst es die aktuelle Lebensrealität von Frauen, von Familien. Die unterschiedliche Lohnhöhe führt auch dazu, dass die Wahl meistens immer noch auf die Frauen fällt, wenn die Familie überlegt, wer denn jetzt zu Hause bleibt und Elterngeld bezieht, weil die Männer eben den höheren Geldbeitrag verdienen und dann gerechnet und festgestellt wird, dass das Familieneinkommen nicht reichen würde. Drittens hat es Auswirkungen auf die Rentenhöhe der Frauen. Auch das Thema Altersarmut ist immer noch weiblich. Auch das können wir so nicht hinnehmen!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wenn wir dann noch ergänzen – der Aspekt fehlte hier bisher heute in der Debatte –, dass nicht nur die Kinder-, Pflege- und Erziehungsleistung immer noch überwiegend bei den Frauen liegt, sondern auch die Pflege im Alter, von alten Familienangehörigen ganz überwiegend Frauenarbeit ist, sehen wir, wie ungerecht Fürsorgearbeit immer noch aufgeteilt ist.

Was muss man also tun? Ich stimme dem Kollegen Tsartilidis voll zu. Natürlich müssen wir auch steuerlich andere Anreize für mehr Gleichberechtigung setzen. Dazu gehört als Erstes natürlich die Abschaffung des Ehegattensplittings dazu. Alles andere sind Fehlanreize. Das muss endlich vorangehen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Das Zweite ist, das haben Sie auch völlig zu Recht gesagt, dass man die Ungleichheit der finanziellen Unterstützung für Familien, wenn Kinder da sind, angleichen und die Ungleichheit aufheben muss. Sie wissen, dass die Grünen eine Kindergrundsicherung vorschlagen, die bedeutet, dass Kinder gleichermaßen in allen Bereichen die gleichen Chancen bekommen sollen.

Welche Themen gehören zusammen? Arbeitszugang, Lohngerechtigkeit, Kinderbetreuungschancen – darauf gehe ich gleich ein –, Rente, all das hängt zusammen. Wenn wir dann noch die Ungerechtigkeiten bei Pflege und bei Alleinerziehenden anschauen, welche Chancen Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt haben, nämlich geringere, haben, sehen wir, dass noch viel in Richtung Gerechtigkeit zu tun ist.

Was brauchen denn nun junge Familien, was brauchen die Frauen, was brauchen gerade die Alleinerziehenden, damit sie gut arbeiten können? Als Erstes brauchen Sie Kinderbetreuungsplätze. Der Rechtsanspruch hat einen fulminanten Fortschritt gebracht. Es stimmt, was Sie gesagt haben, Frau Leonidakis, und auch das, was Sie, Frau Ahrens, gesagt haben: Wir sind in Bremen noch nicht an dem Punkt, dass wir diesen Rechtsanspruch vollständig erfüllen können. Ja, das finden wir nicht gut. Nach der ersten Anmeldung werden – Sie haben die Zahl genannt – 1 766 Plätze fehlen. Es fehlen die Räume. Es werden übrigens auch die Erzieherinnen fehlen. Es ist ausgesprochen schwierig, gute Erzieherinnen zu bekommen.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Gilt das auch für die Bremer Probleme?)

Das hängt übrigens auch mit den Ausbildungsbedingungen für Erzieherinnen und dem Gehalt für Erzieherinnen zusammen.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Es hängt auch mit den Ausbildungskapazitäten zusammen!)

Wir sind generell zuversichtlich, wie Sie wissen. Wir fragen uns aber auch, wie wir diese 1 766 Plätze durch den Aufbau von Mobilbauten und durch neue Gruppen in bestehenden Räumen erreichen können. Sie wissen, was wir vorschlagen: Wir schlagen eine Systemumstellung auf ein Gutscheinsystem vor, das freien Trägern mehr Anreize verschafft zu bauen. Wir wissen, dass das in Hamburg und Berlin inzwischen wunderbar funktioniert hat. Es hat im Vorfeld dort viel Kritik von den Medien und von allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen gegeben. Inzwischen funktioniert es dort so gut, dass fast alle zufrieden sind. Wir denken, das wäre auch für Bremen ein guter Weg.

Jetzt komme ich zu den Alleinerziehenden als Gruppe, die besonders viel Unterstützung braucht. Ich habe in dem Bericht eine Zahl gefunden. Die Zahl der erwerbstätigen Alleinerziehenden insgesamt sinkt. Bevor diese Frauen, es sind meistens Frauen, Alleinerziehende, Kinder bekamen, hatten 40 Prozent auch keinen Beruf.

Anschließend waren zwei Drittel erwerbslos. Was ist wichtig dafür, dass wir Alleinerziehende zunehmend besser unterstützen? Eines ist schon angesprochen worden. Das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen. Es geht um das Thema Teilzeitausbildung. An der Stelle sind wir in Bremen noch nicht gut genug. Es sind nicht nur die Betriebe, die sich noch anpassen müssen und Nachholbedarf haben. Es sind auch die Berufsschulen. In Berufsschulen ist Teilzeitausbildung nicht vorgesehen. Das ist nicht gut.

Ich komme zum Thema Kita. Das eine ist, einen Platz zu bekommen, das andere ist aber auch die Frage, ob dieser Platz die Stundenzahl abdeckt, die eine Frau, die eine Familie benötigt.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, um einem Acht-Stunden-Job nachgehen zu können!)

Das ist insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen, die in Schicht arbeiten, nach wie vor nicht der Fall. Wir brauchen flexiblere Betreuungszeiten, Betreuungszeiten in den sogenannten Randstunden, frühmorgens, spätabends und auch – das ist immer ein ganz emotionales Thema – nachts. Auch dafür brauchen wir Betreuung. Was soll denn die Krankenschwester tun, die Nachtdienste hat? Sie kann ihr Kind nicht einfach in die Ecke stellen. Das will keiner. Also brauchen wir flexiblere Betreuungsmöglichkeiten. Da müssen wir jetzt voran.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ich würde gern noch ein paar Worte zu den Betrieben sagen. Sie wissen, dass es in Bremen die Möglichkeit gibt, sich als familienfreundlicher Betrieb zertifizieren zu lassen. Das finde ich ausgesprochen gut. Es gibt Betriebe, die das gemacht haben. Von den Stahlwerken wissen wir es. Im öffentlichen Dienst gibt

es auch viele Ressorts, die sich als familienfreundlicher Betrieb haben zertifizieren lassen. Das muss noch mehr werden. Ich kann mir sogar vorstellen, dass man darüber nachdenkt, wie man das mit den Instrumenten der Wirtschaftsförderung macht, ob man besondere Anreize für Betriebe setzt, die sich familienfreundlich aufstellen.