Protocol of the Session on August 24, 2016

(Beifall DIE LINKE)

Zu Nummer 7: Ich habe auch kein Verständnis für diejenigen hier in Bremen, die einer undemokratischen und autoritären Entwicklung der Türkei zujubeln. Die Anteilnahme hat teilweise Formen angenommen, die man klar zurückweisen muss. Ich erwarte von türki schen Vereinen und Verbänden in Bremen, dass sie sich zur Demokratie bekennen. Es ist eine Sache, die AKP zu wählen. Es ist aber eine andere Sache, auf die Straße zu gehen, um ein noch schärferes Vorge hen gegen die Opposition in der Türkei zu fordern. Dafür kann ich kein Verständnis aufbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerschaft darf dafür auch kein Verständnis haben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE, Abg. Tassis [AfD])

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was in der Türkei passiert ist, hat uns alle erschreckt und sprachlos gemacht.

Wir haben die Bilder aus Istanbul und Ankara ver folgt und uns gefragt, was die Menschen dort dazu bewegt, einen Putsch zu versuchen beziehungsweise dagegen auf die Straße zu gehen. Man sieht, dass in der Türkei große Spannungen zwischen den ver schiedenen Bevölkerungsgruppen herrschen und es keinen Umgang mit Minderheiten gibt, wie wir ihn uns wünschen.

Dennoch rechtfertigt all das keinen Militärputsch, der nichts weiter bewirken soll, als die Demokratie auszuhebeln und unsere Vorstellungen von Freiheit zu beseitigen. Man muss aber auch sagen, das Un recht eines Putsches rechtfertigt noch kein Unrecht. Unrecht gibt eben nicht das Recht, weiteres Unrecht zu begehen. Deswegen fordern wir auch, dass die gesamte Türkei zur Demokratie, zu Menschenrech ten, zu Rechtsstaatlichkeit, zu Pressefreiheit und zu Grundrechten zurückkehrt.

(Beifall FDP, CDU)

Deshalb sind wir froh, dass es gelungen ist, einen breiten Konsens in der Bürgerschaft, in unserem de mokratisch legitimierten Parlament, hinzubekommen. Ich finde es gut, dass DIE LINKE deutlich macht, welche Teile des Antrages sie mitträgt und wie groß dieser Konsens ist, denn das ist das Signal, welches von der Bremischen Bürgerschaft ausgehen sollte.

Wenn wir all das sehen, was nach dem Putsch pas siert ist, müssen wir uns aber doch fragen, was in der Türkei los ist. Das bringt uns auch zum Nachdenken. Gleich nach dem 21. Juli wurde für drei Monate der Ausnahmezustand verhängt. Es gab ein Ausreiseverbot für Akademiker und 30 Tage Untersuchungshaft ohne Richterbeschluss. Am 25. Juli gab es ein Dekret zur Schließung von Tausenden Schulen, etlichen Univer sitäten – darunter auch in unserer Partnerstadt Izmir –, von Stiftungen und Gewerkschaften. Am 27. Juli wurden Haftbefehle gegen Journalisten der Zeitung „Zaman“ erlassen und die Schließung von 45 Zei tungen, 16 Fernsehsendern und Haftbefehle gegen weitere Journalisten. Am 29. Juli wurden Reisepässe für ungültig erklärt. Es kam zur unehrenhaften Ent lassung von Soldaten, Offizieren und Generälen, die an dem Putschversuch beteiligt waren, die Schließung von Militärakademien und Gymnasien.

Wir konnten eine Großkundgebung mit der – „rein zufälligen“ – Forderung verfolgen, die Todesstrafe einzuführen. Jetzt sollen Straftäter entlassen werden, damit diejenigen, die auf den vorbereiteten schwarzen Listen standen, in die Gefängnisse gebracht werden können.

All das ist nicht rechtsstaatlich. All das ist nicht das, was wir uns unter einem Rechtsstaat vorstellen. Wir müssen auch ganz klar in Richtung Türkei sagen: Wenn es zu einer Volksabstimmung über die Todes strafe kommt, ist das eine Volksabstimmung über den EU-Beitritt. Nichts anderes ist das, denn das ist die rote Linie, die die EU ganz klar ziehen muss.

(Beifall FDP, SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Schon jetzt müssen wir sagen, mit einem autokrati schen System, einer Erdoğan-Türkei, kann die EU nichts anfangen. Auch darüber wären etliche Kapi tel noch in ganz andere Richtungen zu verhandeln, bevor überhaupt eine Mitgliedschaft in solch einem demokratischen Staatenverbund wie der EU möglich ist. Wir müssen vor dem Hintergrund des Putsches ganz genau hinschauen, wie der Dialog mit der Türkei weitergehen kann. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Türkei eine zentrale Rolle in vielen Fragen einnimmt, die uns bewegen. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir auf alle Forderungen der Türkei eingehen können, müssen und wollen.

Genauso, wie wir fragen, wie wir mit Menschen umgehen und wie wir deren Rolle zukünftig sehen wollen, die die Türkei hier bezahlt, müssen wir uns die Frage stellen, wie es mit Städtepartnerschaften aussieht, und zwar nicht, um sie infrage zu stellen, sondern um sie neu zu justieren und neu zu struk turieren. Diese Frage muss erlaubt sein. Diese Frage ist angesichts dessen, was passiert, angebracht. Wir werden darüber diskutieren. Wir haben eine Große Anfrage dazu gestellt.

DIE LINKE hat schon einmal die Frage aufgeworfen, ob es angesichts dieser Entwicklungen beispielsweise noch richtig ist, dass die Polizeien zusammenarbeiten und einen Austausch pflegen. Das kann man diskutie ren. Das muss man diskutieren, denn man muss sich dabei die Frage stellen, welchen Zweck wir damit verfolgen, und sich fragen, welchen Zweck die andere Seite damit verfolgt. Wenn das noch übereingeht, kann man etwas machen. Wenn man dadurch einen Wandel hinbekommt, ist das zu unterstützen. Wenn man dadurch an der jetzigen Stelle keinen Wandel hinbekommt, muss man sich die Frage stellen, ob man es nicht lieber lässt.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass in der Türkei jetzt mit Notverordnungen regiert, mehr und mehr ein Präsidialsystem gefordert und einge führt wird und die Situation dazu neigt, am Ende immer weniger demokratisch zu werden. Gegenüber Partnern, die an einigen Stellen zusammenarbeiten – die Nato ist schon genannt worden –, muss man sich ernsthaft sagen, was man voneinander hält und was man von Dingen hält, die der andere jeweils macht. Auch die Nato als Verteidigungsbündnis ist eine Wertegemeinschaft. Als Wertegemeinschaft verteidigt sie Demokratie und Menschenrechte. Es ist manchmal schon schwer, zuzuschauen, was die Türkei momentan macht.

Insofern muss man sich auf der staatlichen Ebene begegnen und darauf achten, dass dieser Weg, den die Türkei eingeschlagen hat und den wir nicht für

gut halten, wieder zu einem richtigen Weg in Richtung Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gewandelt wird. Dorthin muss sie sich wieder bewegen. Was dazu beitragen kann, sollten wir beitragen. Was nicht dazu beiträgt, sollten wir lassen. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

Sehr geehrter Herr Prä sident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuallererst mein Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer dieses Putschversuches und für all diejenigen ausdrücken, die um die trauern, die aufgrund des Putschversuchs zu Tode gekommen sind. Ich glaube, das steht diesem Parlament gut an.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Ich war im Urlaub, als ich abends die Nachricht bekam, dass es in der Türkei einen Putschversuch gab. Ich war ganz weit von der Türkei und von Deutschland entfernt. Dort gab es allgemeines Entsetzen. Keiner konnte einschätzen, was jetzt eigentlich passiert, was zur Hölle da los ist. Die Nachrichten überschlugen sich. Die Leute griffen alle zu ihren Smartphones und versuchten im Minutentakt, herauszufinden, was passiert. Die Ereignisse der späteren Nacht haben für mich etwas Bewundernswertes gezeigt. Ich fand es bewundernswert, dass sich die Bevölkerung diesem Versuch des Militärs, die Macht an sich zu reißen, entgegengestellt hat. Das finde ich großartig. Das muss ich hier ausdrücklich sagen.

(Beifall SPD)

Militärputsche können und dürfen niemals ein legiti mes Mittel zur Ergreifung politischer Macht sein. Das ist auch nicht von den Begriffen aus dem Grundgesetz gedeckt, Herr Tuncel, die Sie genannt haben. Da geht es nicht um ein legitimes Mittel zur Ergreifung politischer Macht, sondern um etwas völlig anderes. Deswegen finde ich diese Durchmischung an dieser Stelle unangemessen.

(Beifall SPD)

Mir mag es nicht immer gefallen, welche Regierun gen es in anderen Ländern gibt. Manchmal gefällt es mir auch nicht, welche Regierungen es in anderen deutschen Bundesländern gibt.

(Zuruf FDP: Vielleicht handelt auch die Bundesre gierung nicht immer entsprechend!)

Gleichwohl muss ich als Demokratin akzeptieren, wenn andere Länder eine demokratische Entschei dung treffen.

(Abg. Tuncel [DIE LINKE]: Ja, demokratisch!)

Ich muss akzeptieren, wenn andere Länder eine demokratische Entscheidung treffen.

Mit Besorgnis erfüllt mich allerdings tatsächlich das, was dort im Moment passiert. Der Außenminister der Türkei, Herr Çavuşoğlu – ich hoffe, ich spreche den Namen richtig aus –, hat selbst den Begriff „Säube rung“ benutzt. Ich kann Ihnen sagen, dass uns das nicht wenig besorgt. Ich darf diesen Begriff wählen, weil er genau das zum Ausdruck bringt.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Bloß, dass es danach nicht sauber ist!)

Die Säuberungen – wie sie dort genannt werden – stellen in dem vorliegenden Ausmaß einen Angriff in bislang unbekannter Form auf die Demokratie dar. Es steht für mich außer Frage, dass der türkische Staat das Recht hat, gezielt gegen die Putschisten und ihre Hintermänner vorzugehen. Die Säuberun gen, die aktuell in der Türkei zu beobachten sind, erreichen allerdings zunehmend ein Ausmaß, das an der Verhältnismäßigkeit deutliche Zweifel aufwirft.

(Beifall SPD)

Geschlossene Schulen und Universitäten, Zehntau sende entlassene oder suspendierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, darunter Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Lehrerinnen und Lehrer, geschlossene Zeitungen und TV-Sender sowie verhaftete Journa listinnen und Journalisten lassen eher das Bild einer Hexenjagd gegen mögliche Gülen-Anhänger entste hen als das Bild einer geordneten Strafverfolgung.

(Beifall SPD, CDU)

Der türkische Finanzminister und Vizeregierungs chef Şimşek – das habe ich jetzt bestimmt falsch ausgesprochen – hat selbst gesagt, dass es die Liste mit Namen von Regierungskritikern schon lange vor dem gescheiterten Putschversuch gab. Auch ich habe den Eindruck, dass der Putschversuch jetzt für etwas genutzt wird, das von uns und von der türkischen Bevölkerung an keiner Stelle gewollt sein kann.

Wenn wir heute hierüber debattieren, muss ich aller dings auch sagen, dass dieser Konflikt meines Erach tens nicht nach Deutschland getragen werden darf!

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Bei allem Verständnis für die unterschiedlichen po litischen Lager und Meinungen in der Türkei rund

um den Putschversuch und das daraus resultierende Verhalten sowohl der Regierung als auch der Kritiker muss klar sein, dass in Deutschland nur der Weg eines friedlichen Dialogs zugelassen werden kann.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Einen Transfer gewaltsamer Auseinandersetzungen der verschiedenen politischen Lager nach Deutschland können und wollen wir nicht zulassen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Stattdessen zielen wir auf demokratische und fried liche Formen des Austausches mit und zwischen den türkischen Vereinen und Verbänden in Deutschland.

(Beifall SPD)

In den letzten Tagen hat es Versuche einer Legenden bildung darüber gegeben, wie sich ein von der CDU vorgelegter Antrag im Laufe der Bearbeitung durch andere Fraktionen verändert hat. Dieser Legenden bildung möchte ich für meine Fraktion ausdrücklich und deutlich entgegentreten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)