Protocol of the Session on August 24, 2016

Auch die Fraktion DIE LINKE hat zwei Anträge zum Thema vorgelegt. Ich kann kursorisch sagen, dass in Ihrem ersten Entschließungsantrag meines Erachtens nichts Falsches steht, er durch unseren eigenen An trag aber eigentlich erledigt wird. Wir werden uns bei der Abstimmung darüber enthalten.

Bei Ihrem zweiten Antrag sieht das anders aus. Ich finde es sehr fragwürdig, zum gegenwärtigen Zeit punkt und aus bremischer Sicht über internationale Beobachter und über Sanktionen nachdenken zu wollen. Richtig falsch finden wir es, das Flüchtlings abkommen zu kündigen. Eine Spirale gegenseitiger Androhungen von offizieller Beobachtung, von Sank tionen oder Kündigungen hilft niemandem und endet in Sprachlosigkeit, die eben nicht unser Ziel ist.

(Beifall CDU, SPD)

Diesen Antrag werden wir deshalb ablehnen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich empfinde es als gute und wichtige Botschaft, dass sich eine ganz überwiegende Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses gemeinsam mit uns auf ei nen Antrag einigen konnte. Es hebt hervor, dass wir nicht nur Anteil an den Ereignissen und deren Folgen nehmen, sondern dass wir eine deutliche Meinung hierzu haben und diese zum Ausdruck bringen, und dass wir Grenzen ziehen, wo Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte bedroht werden, aber keine Türen zuwerfen.

Diese Signale sind uns nicht nur in Richtung Türkei wichtig. Sie sind uns insbesondere auch gegenüber den Menschen mit türkischen Wurzeln hier im Lande wichtig. Deshalb enthält kritikloses und organisiert wirkendes Fähnchenschwingen wie in Köln auch eine fragwürdige Botschaft. Wir teilen weder die Unterstützung von Putschisten, noch von politischen Kräften, die die Herrschaft einzelner oder weniger betreiben. Die Solidarität einer offenen Gesellschaft und die Erwartung zur Loyalität zu unseren Werten sind für uns zwei Seiten einer Medaille.

Wir akzeptieren aber auch keine Vorurteile, reflex haften Reaktionen oder gar das Schüren von Ressen timents auf der Grundlage von Verdächtigungen und Generalisierungen.

(Starker Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Schon deshalb ist und war es wichtig, auch an dieser Stelle zu den Ereignissen in der Türkei gemeinsam Position zu beziehen. – Herzlichen Dank!

(Starker Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Militärputsch in einem europäischen Land ist ein schreckliches Ereignis. Es erinnert uns daran, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, dass sie bedroht ist, dass es Kräfte gibt, die sie abschaffen wollen. Wir alle sind froh, dass der Militärputsch in der Türkei gescheitert ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, FDP)

Dem Versuch von Teilen der Armee, die Macht in der Türkei an sich zu reißen, ist eine Absage erteilt worden. Wir begrüßen das.

Ich finde es gut, dass ein Satz unseres Antrages in den Antrag der CDU, der Koalitionsfraktionen und der FDP aufgenommen worden ist, wenn auch nur in der Begründung. Es ist der zweite Satz – ich zitiere –:

„Mit der Abwehr des Militärputsches vom 15. Juli und der breiten Ablehnung des Putschversuchs auch

durch die parlamentarische Opposition und die Zi vilgesellschaft sind die Voraussetzungen gestärkt worden, die fatale Tradition einer Ausschaltung der Demokratie durch das Militär und einer angemaß ten Position des Militärs als vermeintliches oberstes Verfassungsorgan zu durchbrechen.“

Ich würde es gut finden, wenn die Bürgerschaft diesen Satz so beschließen würde. Das ist der notwendige Einstieg in die Kritik dessen, was seit der Abwehr des Putschversuchs abgewehrt wurde. Dass die Bür gerschaft die Abwehr des Putsches begrüßt, fehlt im Beschlussteil Ihres Antrags. Das ist nicht gut, denn diesen Satz möchten alle in der Türkei hören, bevor man sich weiter mit der Situation auseinandersetzt. In Ihrem Antrag steht – Kollege Dr. vom Bruch hat das eben noch einmal gesagt –:

„Militärputsche waren noch nie eine angemessene Reaktion auf politische Probleme und haben politische Fragen noch nie in demokratisch-rechtsstaatlichem Sinne gelöst.“

Das ist in der Form allerdings nicht richtig. 1974 beseitigte ein Militärputsch, die Nelkenrevolution, das faschistische Regime in Portugal und stellte nach fast 50 Jahren die Demokratie wieder her. Selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung sieht das so. Die deut sche Verfassung bekennt sich ausdrücklich zum Widerstandsrecht gegen Versuche, die demokratische Ordnung zu beseitigen. Deshalb schließen wir in die Geschichte des Widerstands gegen den NS auch den Versuch eines militärischen Aufstandes durch den Kreis um Stauffenberg ein.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Die fatale Tradition der Militärputsche in der Türkei hat mit solchen Motiven aber überhaupt nichts zu tun. Bei einem Militärputsch in der Türkei hieß es immer: Es geht gegen die Demokratie, gegen die Parteien, gegen die Arbeiterschaft, gegen die Bevölkerung. – Die drei Militärputsche seit 1960 hatten jedes Mal Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen zur Folge. Deshalb war es keine Frage, dass die gesam te politische Opposition über alle Parteien hinweg geschlossen gegen den Putschversuch war. Umso bestürzter sind wir, dass die Abwehr des Putsches nahtlos in eine Entwicklung übergegangen ist, die selbst einen Anschlag auf die Demokratie darstellt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

40 000 Menschen wurden seit dem Putsch verhaftet. 20 000 sitzen noch immer im Gefängnis. Viele Inhaf tierte sind verschwunden. Die Angehörigen wissen nicht, wo sie sind. 80 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst wurden entlassen oder suspendiert. Die tür kische Regierung plant, 38 000 Strafgefangene zu entlassen, um Platz für diejenigen zu schaffen, die

sie jetzt einsperrt. Amnesty International hat Berichte dokumentiert, wonach es zu Folterungen und Miss handlungen gekommen ist.

Das Besondere am Putschversuch vom 15. Juli ist, dass das Vorgehen gegen mutmaßliche Mittäter schon begann, bevor der Putsch überhaupt stattfand. Die Regierung hatte bereits vor dem Putsch schwarze Listen von Leuten, die sie entfernen und verhaften wollte. Das ist inzwischen offen zugegeben worden. Genau diese Listen sind sofort abgearbeitet worden. Erdoğan selbst hat den Putschversuch unmittelbar danach als Geschenk Gottes bezeichnet, weil er ihm einen willkommenen Vorwand verschafft, um noch brutaler gegen seine politischen Gegner vorzugehen und die Macht der AKP auszubauen.

Dieses Vorgehen – die Massenverhaftungen, die Massenentlassungen, das Verbot von Zeitungen und TV-Sendern, das gezielte Ausschalten von Richtern, Staatsanwälten und Journalisten – hat deshalb nichts mit irgendeiner Überreaktion zu tun, lieber Kollege Dr. vom Bruch. Es ist das Abarbeiten eines politischen Planes, beschleunigt durch die günstige Gelegenheit. Die Idee, die türkische Regierung hätte sich in etwas hineingesteigert und werde bald zur Besinnung kom men, ist völlig falsch. Sie verkennt, dass die Verletzung von Demokratie und Menschenrechten, die jetzt schon massenhaft geschieht, die Fortsetzung dessen ist, was vor dem Putschversuch schon geschehen ist, nur in einer neuen Größenordnung.

Mit dem Ausruf des Notstandes regiert Staatspräsident Erdoğan ohne das Parlament per Dekret. Das ist ge nau das Modell, das er mit seiner Verfassungsreform dauerhaft etablieren möchte: ein Präsidialsystem mit unumschränkter Machtfülle! Es hat im Januar großes Aufsehen erregt, als Erdoğan selbst zur Illustration eines solchen Systems auf Hitlerdeutschland verwie sen hat, meine Damen und Herren.

Es ist doch völlig klar: Eine Regierung, die am Parla ment vorbei per Notverordnung regiert – das kennen wir aus der Endphase der Weimarer Republik – ist niemals die Verteidigung der Demokratie, sondern immer der Einstieg in ihre schleichende Aushöhlung und schließlich in ihre Abschaffung. Kein Parlament auf der Welt darf so etwas gut finden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, FDP, ALFA)

Ich habe mich gefreut, als ich den Antrag der CDU gesehen habe. Darin gibt es Dinge, die wir anders sehen. Dazu komme ich noch. Die Kritik an dem, was derzeit in der Türkei geschieht, fand ich sehr klar und engagiert. Ich finde, Sie haben das in Ihrer Rede hervorragend gemacht, lieber Kollege. Deshalb finde ich es außerordentlich bedauerlich, wie die Formulierungen in diesem Antrag reihenweise durch den Beitrag der Koalition weichgespült worden sind. Ursprünglich hieß es darin:

„Der Putschversuch … und die darauf folgenden Reaktionen der amtierenden Regierung sind der vorläufige Höhepunkt einer anhaltenden Entwick lung, die die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen des Landes infrage stellt.“

Daraus ist jetzt geworden:

„Der Putschversuch … und die darauf folgenden Reaktionen der amtierenden Regierung sind mit großer Sorgfalt zu beobachten. Demokratische und rechtsstaatliche Strukturen des Landes müssen jetzt gestärkt werden.“

Das heißt, aus einer klaren und kritischen Bewertung sind jetzt bloße Sorgenfalten geworden. Aus der Gefährdung der Demokratie ist die wohlmeinende Aufforderung geworden, sie zu stärken. Das ist eine Formulierung, die denjenigen, die gerade den Weg in der Türkei zu einem autoritären Regime einschlagen, bestimmt nicht wehtut.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: So ein Quatsch!)

Liebe Kollegin, das ist kein Quatsch! Ich habe die Anträge nebeneinander gelegt.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Die Interpretation, die Sie vornehmen, ist nicht richtig, Herr Tuncel!)

Im zweiten Absatz hieß es ursprünglich:

„Massenentlassungen, Verhaftungen … sind nicht die Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlich keit, sondern weisen den Weg in totalitäre politische Strukturen und die … Herrschaft Einzelner …“

Auch davon sind nur die Sorgenfalten übriggeblie ben. Das geht so weit, dass die Reaktionen auf den Putschversuch nicht mehr überzogen sind, sondern nur noch „für uns überzogen wirken“.

Ich weiß nicht, wen man mit einer solchen Weichspül diplomatie beeindrucken möchte. Erdoğan und seine AKP sind es jedenfalls nicht. Es sieht für mich danach aus, dass man sich nicht mit denen anlegen möchte, die auch in Deutschland und in Bremen dem Weg in den totalen Erdoğan-Staat zujubeln. Anders kann ich mir das nicht erklären, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind für eine möglichst breite Beschlussfassung der Bürgerschaft zu diesem Thema. Wenn die De mokratie in einem Land gefährdet ist, muss man sich als Parlament dazu verhalten. Man sollte das so gemeinsam wie möglich tun. Deshalb werden wir als LINKE den Nummern 1 bis 5 Ihres Antrags zustim men. Wir halten unseren eigenen Entschließungsan trag nach wie vor für kürzer, klarer und besser. Wir stimmen aber auch den ersten fünf Nummern Ihres Antrags zu. Wir hätten aber gern, dass der Fehler in Nummer 3 korrigiert wird. Da steht jetzt, dass die

unabhängigen Wirkungsmöglichkeiten der Medien mit der Demokratie unvereinbar sind. – Das muss man sprachlich ändern.

Nicht zustimmen werden wir den Nummern 6 und 7. Da gehen unsere Auffassungen dann doch aus einander. Ich weiß nicht, woher die Sorge um eine politische Isolierung der Türkei kommt. Das Regime Erdoğan versöhnt sich außenpolitisch gerade mit Moskau, mit Teheran und sogar mit Assad.

(Abg. Kastendiek [CDU]: Alles lupenreine Demo kraten! – Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss! – Zur segensreichen Rolle der Türkei bei der Bekämpfung des interna tionalen Terrorismus verweise ich auf die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage im Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich finde auch nicht, dass oberstes Ziel für uns ein möglichst stabiler, geschlossener und handlungsfä higer türkischer Staat ist. Vor allem aber kann man keine Flüchtlinge in ein Land zurückschicken, in dem rechtliche Willkür herrscht. Man darf sich nicht auf eine Perspektive nach dem Motto einlassen: Nach Europa kommt ihr eh nicht. Deals in der Flüchtlings politik machen wir aber gern mit euch.

Das oberste Ziel für mich ist, dass wir die demokra tischen Kräfte und die Zivilgesellschaft in der Türkei unterstützen. Das können wir nicht, wenn sich die Bundeskanzlerin wieder freundlich mit Erdoğan fotografieren lässt und Verträge mit ihm schließt, während auf der Straße Menschen verhaftet werden.

(Beifall DIE LINKE)