Protocol of the Session on May 25, 2016

Leider ist es immer noch so, dass viele politische Maßnahmen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten von gravierenden Mängeln bei der Einhaltung und Gewährung von Grundrechten zeugen. Insbesondere der Umgang mit Flüchtlingen in europäischen Ländern höhlt derzeit massiv europäische Grundrechte aus. Erst letzte Woche hat die Kommission ihren aktuellen Jahresbericht zur Umsetzung und Anwendung der Charta der Grundrechte veröffentlicht. Was wir darin lesen, kann uns nicht freuen. Darin ist zu lesen von steigender Intoleranz, von steigender Fremdenfeindlichkeit, von steigenden Hassbotschaften, vor allem gegen Flüchtlinge. Wir haben heute Morgen darüber debattiert.

Darin ist zu lesen, dass es dringend notwendig sei, das tägliche Schutzniveau EU-weit anzuheben. Dort ist von einem besonderen Negativschwerpunkt zu lesen, dem Schwerpunkt zur Bekämpfung von antisemitischem und antimuslimischem Hass, denn – das ist besonders besorgniserregend – europaweit nehmen Antisemitismus und antimuslimischer Hass rasant zu. Wir lesen auch von systematischen Gruppenabschiebungen, die nach der Charta ausgeschlossen sind. Wir lesen von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, nach der Charta eigentlich ausgeschlossen. Wir lesen von massiven strukturellen Diskriminierungen von Minderheiten in Europa, insbesondere der Roma – nach der Charta ausgeschlossen.

In allen EU-Mitgliedstaaten sind insbesondere ethnische Minderheiten und Menschen, die nicht der gängigen Norm entsprechen, von Diskriminierung betroffen. Sie werden angefeindet, sie werden verprügelt und mancherorts durchaus auch staatlich diskriminiert. In Westeuropa lang erkämpfte Frauenrechte stehen inzwischen wieder zur Diskussion, zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren eigenen Körper. Nicht nur in mittel- und osteuropäischen Staaten wird diskutiert, ob wir Frauen darüber noch selbst entscheiden können, auch in einigen westeuropäischen Staaten ist das wieder ein Thema.

Die Maßnahmen der Europäischen Kommission und auch der aktuellen niederländischen Ratspräsidentschaft zeugen davon, dass die EU den Schutz der Grundrechte besonders wichtig nimmt. Wir hatten letzte Woche die Botschafterin im EU-Ausschuss zu Gast, und sie hat eindrücklich davon berichtet. Die Europäische Kommission hat einen starken Fokus auf der Einhaltung der Grundrechte.

(Glocke)

Meiner Einschätzung nach nimmt die EU den Schutz der Grundrechte sehr viel wichtiger und verteidigt sie sehr viel mehr als so manche nationalstaatliche Regierung. In Bezug auf rassistische Diskriminierung gibt es vor allem wegen der Hartnäckigkeit der Kommission langsam, aber immerhin, Fortschritte. Ich bin überzeugt, die Situation für Minderheiten in Europa wäre ohne die Initiative der Europäischen Kommission und ohne die Initiative des Europäischen Parlaments viel prekärer, als sie heute ist. Die Bekämpfung von menschenfeindlichen Politiken und Diskriminierung bleibt deshalb für uns alle, für alle Mitgliedstaaten und für alle europäischen Institutionen, zentrale Aufgabe politischen Handelns.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD – Glocke)

Weil der Präsident so viel klingelt, hebe ich mir den nächsten Teil für die zweite Runde auf! – Vielen Dank bis hierher!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner. – Herr Zenner, Sie haben das Wort! – Herr Zenner, es liegt keine weitere Wortmeldung vor! Sie sind sozusagen der Einzige!

(Zurufe – Abg. Zenner [FDP]: Ich mache das kurz und bündig!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben drei Europa-Anträge vorliegen: von der SPD und den Grünen, die CDU hat einen Änderungsantrag gestellt, von der LINKEN ist noch ein Dringlichkeitsantrag eingegangen.

FDP und Europa waren immer eine Herzenssache.

(Beifall FDP)

Die deutsche Außen- und Europapolitik unter Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Guido Westerwelle hat viel zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Europäische Grundwerte und Grundrechte für Europa herauszustellen, sie zu verfestigen, möglichen Einschränkungen entgegenzuwirken, findet unsere uneingeschränkte Zustimmung.

(Beifall FDP)

Die Völker Europas sollen in Freiheit, Gleichheit, Solidarität, bei den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer enger zusammenwachsen. Wir haben die Krise mit Griechenland, wir haben eine Situation in Großbritannien, aber wir haben seit einigen Jahren auch Entwicklungen, das hat die Vorrednerin dargestellt, die den Nationalismus mehr in den Vordergrund stellen als den europäischen Gedanken. Wir haben in Ungarn und in Polen Angriffe auf die Meinungs- und Pressefreiheit, wir haben in Polen Eingriffe in die Justiz, und wir haben in den letzten Monaten erfahren, dass es bei der Behandlung von Asylsuchenden und Flüchtlingen mangelnde Bereitschaft und wenige Kooperationsmöglichkeiten gibt. Dies alles bringt uns berechtigterweise dazu, über das Thema Europa und die Zukunft Europas nachzu-denken.

Die eingereichten Anträge stellen die Charta der Grundrechte für Europa in den Mittelpunkt. Die Grundrechte der europäischen Charta sind wesentlich weiter gefasst als das, was das Bonner Grundgesetz in den Artikeln 1 bis 19 kennt, und sie werden großzügiger ausgelegt, was die Rechtstaatlichkeit anbelangt. Artikel 10 dieser Charta befasst sich mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, Artikel 18 und 19 mit Asyl- und Flüchtlingsrechten, Artikel 21 mit Nichtdiskriminierung und Artikel 71 mit unparteiischen Gerichten. All diese Vorschriften wären, wenn man diesen Rechtsstaatsmechanismus über die Kommission einsetzen will – das ist die Absicht dieser beiden Anträge –, die Einbruchstellen, über die diese Diskussion mit den Mitgliedstaaten geführt werden müsste. Im Hinblick auf die möglichen Einschränkungen in den Ländern, die ich benannt habe, halten wir es wie die Antragsteller für sinnvoll, mit den entsprechenden Regierungen in Kontakt zu treten und diesen Prozess einzuleiten.

(Beifall FDP)

Bei der SPD ist im Antrag zusätzlich ein unabhängiger Sachverständigenrat erwähnt. Ich habe das so verstanden, dass man die Rechtsstaatsprobleme, mit denen man sich beschäftigen möchte, von dritter Seite untermauert bekommen möchte. Ob das bei der Vielzahl der europäischen Institutionen, all derer man sich bedienen und die man einbeziehen kann, notwendig ist, kann man prüfen. Einen richtigen Handlungsbedarf, der auf der Hand liegt, sehe ich allerdings momentan nicht.

Der Antrag der CDU – ich denke, von Herrn Eckhoff formuliert – findet in allen Punkten unsere Zustimmung. Wir hätten uns allerdings bei der einen oder anderen Passage noch mehr Berücksichtigung erwartet. Er weitet den Antrag der Regierungskoalition um einiges aus. Er beschreibt die Situation der deutschen

Europa- und Außenpolitik. All dies findet unsere uneingeschränkte Zustimmung.

(Beifall FDP)

Bei der Außenpolitik hätte ich mir noch gewünscht, dass man neben der Außenpolitik auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufgeführt hätte, da Europa einmal mit einer Verteidigungsgemeinschaft begonnen hat. So gehen wir einmal von der Auslegung aus, dass Außenpolitik auch Verteidigungspolitik inkludiert, um nicht noch einen Änderungsantrag zu stellen.

Sie hatten darauf hingewiesen, dass bei den jungen Menschen in der Ausbildung mehr ankommen muss, was für einen Wert Europa darstellt und welche europäischen Werte vermittelt werden müssen. Da hätten wir uns auch gewünscht, dass dies nicht nur auf Deutschland oder Bremen beschränkt gilt, sondern dass wir darauf drängen, dass alle Länder der Europäischen Union dies in ihren Ausbildungskatalogen aufnehmen.

(Glocke)

Als letzten Punkt haben Sie genannt, dass sich die bremische Verwaltung mehr mit Brüssel in Verbindung setzen soll. Auch da hätte ein bisschen mehr Butter bei die Fische gehört. Das ist sehr allgemein formuliert. Wo liegen da die einzelnen Schwerpunkte?

Unter dem Strich gehen die Anträge in die richtige Richtung, sie finden unsere volle Unterstützung. Beim Antrag der LINKEN werden wir uns enthalten, weil wir uns heute über das bestehende Europa unterhalten wollen. Was Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, findet inhaltlich unsere Unterstützung,

(Glocke)

aber die beiden anderen Anträge beziehen sich auf das bestehende Europa. – Danke schön für die Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe zwei Kinder, die im Moment in den USA zur Schule gehen. Beiden habe ich gesagt: Wenn ihr wiederkommt, hat sich Europa verändert. Meine Töchter haben große Schwierigkeiten, das nachzuvollziehen. Wir diskutieren immer über die Frage, was in den USA im Vorwahlkampf um die Präsidentschaft los ist, und immer, wenn bestimmte Argumente kommen, sage ich, die werdet ihr jetzt auch hier hören, die sind in Europa nicht mehr unzulässig, sondern werden auch hier in den Mündern

gewisser Personen geführt. Meine Töchter können das gar nicht nachvollziehen. Sie kennen ein Europa, in dem man von einem Land ins nächste fährt und sich völlig selbstverständlich bewegt. Sie kennen Klassen und Schulen, die bunt sind, Freundeskreise, in denen sich selbstverständlich Menschen aus allen möglichen Herkunftsländern bewegen, Kindergruppen, in denen sie mit unterschiedlichsten Menschen zu tun haben, und sie können diese Ressentiments überhaupt nicht verstehen. Sie kennen das, was wir nach den beiden Weltkriegen gemeinsam aufgebaut haben, denn die unteilbaren Grundrechte sind gerade Ergebnis und größte Errungenschaft der Erkenntnis, dass es so nie wieder werden darf.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingssituation muss sich Europa auf den gemeinsamen Wertekatalog besinnen und ihn verteidigen. Nationale Egoismen gefährden diese Werte und sind eine Gefahr für Europa. Grundrechte gelten für alle jederzeit, sie gelten auch und gerade in Zeiten von Krisen und Kriegen an vielen Orten auf der Welt. Diese Krisen müssen aber in Europa vor einer menschenwürdigen Asylpolitik haltmachen. Wir dürfen die allgemein gültigen Grundrechte hier nicht aufweichen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben diesen Antrag zusammen mit den Grünen gestellt, weil wir finden, dass es richtig ist, uns auf das zurückzubesinnen, was uns in der Europäischen Union eint, auf das gemeinsame Selbstverständnis, und dies unabhängig von der Tagespolitik und von Einzelentscheidungen, ob diese oder jene Maßnahme akut die richtige ist oder wir eine andere Entscheidung treffen sollten. Ich bin dem Kollegen Eckhoff und der CDU-Fraktion dankbar, dass sie noch darüber hinausgegangen sind und an etlichen Stellen konkretisiert haben, was Europa für uns heißt. Auch wenn ich als Sozialdemokratin an einigen Punkten anders formuliert hätte, teile ich sehr wohl die Inhalte, die die CDU-Fraktion hier zur Diskussion und zur Beschlussfassung stellt.

Insbesondere finde ich es richtig, dass in Bremen mit Schülerinnen und Schülern und mit Bürgerinnen und Bürgern über den Wert von Europa diskutiert wird. Warum machen wir das eigentlich? Ich finde es richtig, dass es im Unterricht und in Projektwochen angesprochen wird und dass wir das Projekt Europaschulen vorantreiben. Das können Sie auch dem Koalitionsvertrag der beiden Parteien entnehmen, die diese Regierung führen. Sie können dem auch entnehmen, dass wir insgesamt eine Politik machen wollen, die sich um die Schwachen in dieser Gesellschaft kümmert, und das sind auch die Flüchtlinge.

Richtig ist auch, dass wir versuchen, von Bremen aus auf europäischer Ebene unseren Einfluss und unse

re Gesprächspartner zu sichern. Gerade Bremen hat in den letzten 20 Jahren unglaublich von dem profitiert, was wir in der EU gemeinsam bewegt haben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir beobachten, dass in einzelnen Feldern, in einzelnen Ländern Diskussionen losgetreten worden sind, die wir nicht nachvollziehen können, Diskussionen um die Frage des ordentlichen Rechtsweges und Diskussionen um die Frage der Presse- oder Meinungsfreiheit. Wir beobachten das mit Sorge. Wir sind allerdings froh, dass die EU ein Verfahren hat, mit dem sie sich diesen Problemen widmet und in dem sie genau diese Staaten untersucht. Das ist aus unserer Sicht völlig richtig.

Ich möchte noch auf Herrn Zenner eingehen, der gesagt hat, der Vorschlag der Koalition, ein Sachverständigengremium einzurichten, sei nicht unbedingt notwendig. Lieber Herr Zenner, das ist kein Vorschlag der Koalition, über den wir heute beschließen, und dann wird auf europäischer Ebene ein Sachverständigengremium eingerichtet. Im Gegenteil! Es geht darum, und diese Diskussion wird europaweit geführt, ob man die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in Wien dadurch stärkt, dass dort ein solches Sachverständigengremium eingerichtet wird. Wir sind sehr dafür. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei der Koalition für die Vorlage dieses Antrages bedanken! Ich habe ihn sehr gern gelesen und fand ihn informativ und auch inhaltlich sehr gut, denn er beschäftigt sich mit einem wichtigen Thema. Danke auch dafür, dass Sie das auf die Tagesordnung gesetzt haben!

Humanitäre und bürgerliche Grundrechte sind das Fundament, auf dem Menschen in Freiheit und Sicherheit leben können. Sie sind Errungenschaften politischer Kämpfe und Lehren aus den bittersten historischen Erfahrungen. Nach den massiven Menschenrechtsverletzungen des Zweiten Weltkriegs wurden humanitäre und bürgerliche Grundrechte in völkerrechtlichen und europäischen Abkommen verankert. Die europäische Menschenrechtskonvention, kurz EMRK, die Sie auch in Ihrem Antrag erwähnen, ist inzwischen von 47 Staaten, also allen Ländern Europas, unterzeichnet worden. Herr Zenner, Europa ist zumindest geografisch mehr als die EU.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Aber es geht doch jetzt um die EU!)

Das heißt leider nicht, dass die Grundrechte überall gewahrt und geschützt werden. Die Liste der Grundund Menschenrechtsverletzungen in Europa ist lang. Teilweise wurden sie schon erwähnt, und auch in Ihrem Antrag zählen Sie einige davon auf. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist in vielen europäischen Ländern leider immer noch Alltag. Ich möchte hinzufügen, Kollegin Dr. Müller hat das auch getan, dass Diskriminierungen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit System haben, das betrifft insbesondere das Beispiel der Roma auf dem Balkan.

Sie schreiben zu Recht, dass das Recht auf Bildung in Europa für Geflüchtete häufig nicht umgesetzt wird. Ich möchte hinzufügen, das gilt auch für Deutschland und für Bremen. Sie schreiben berechtigterweise, dass Ungarn und Polen versuchen, die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Ich möchte hinzufügen, auch in Russland und der Türkei gibt es Angriffe auf diese Grundrechte.