Protocol of the Session on March 17, 2016

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einen Punkt sagen, gerade an diejenigen, die sich so große Sorgen um die Abschaffung ihres Bargelds als Ganzes machen: Ich glaube, Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das Bargeld wird hierzulande im Zusammenspiel von Banken, Handel und IT-Industrie auf Katzenpfoten abgeschafft. In zehn Jahren werden wir keine Kassiererinnen mehr an den Supermarktkassen haben.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das finde ich aber nicht toll!)

Das mögen Sie nicht toll finden, aber wenn dann die Frage gestellt wird, ob wir dem Handel vorschreiben, dass er Bargeld annehmen muss, dann wird uns Herr Dr. Hilz sagen: Nein, unser Verständnis von Liberalismus ist, dass man niemand dazu zwingen kann.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: In den USA ist der Trend wieder rückläufig, Herr Gottschalk!)

Moment! Frau Vogt, lassen Sie mich einen Punkt dazu sagen: Worum es eigentlich geht, um mit diesem Problem fertigzuwerden? Das ist nicht die Frage des materiellen Bargelds, sondern es ist die Frage der anonymen Zahlung,

(Zurufe: Richtig!)

und es stellt sich konkret die Frage: Wie kann auch in einem digitalen Umfeld anonym bezahlt werden?

(Beifall SPD)

Vor einigen Jahren hatten wir diese Diskussionen bereits im Zusammenhang mit der Geldkarte hier in Deutschland. Wer sich tatsächlich Sorgen über die

Abschaffung des Bargelds und die damit verbundenen Kontrollmöglichkeiten macht, muss über die Anonymität digitalen Zahlens nachdenken. Das ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Es ist eine schwierige Herausforderung, aber wir sollten uns von dieser eigentlichen Herausforderung durch solche Diskussionen nicht ablenken lassen. – Danke schön!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat Frau Bürgermeisterin Linnert das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eingangs möchte ich etwas zu Herrn Schäfer sagte, der hier immer mit derselben Strategie arbeitet, nämlich, eine Sache herbeizureden und dann tapfer dagegen zu kämpfen: völlige Überschuldung der öffentlichen Haushalte in Europa, und deshalb muss man das Bargeld abschaffen. Ehrlich gesagt, die Überschuldung der öffentlichen Haushalte – –.

(Abg. Schäfer [ALFA]: Stimmt ja auch! 21 Milliarden Euro!)

Hören Sie mir mal einen Moment zu, dann sage ich auch etwas dazu. Man kann, glaube ich, nicht jedes Thema mit so einer grundlegenden Paranoia bearbeiten. Es tut mir leid.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Dass die Schulden in Europa hoch sind – auch aus meiner Sicht zu hoch, gefährlich hoch –, entbindet uns ja nicht von der Verpflichtung, einmal zu schauen, wie es weltweit aussieht. Warum reden Sie den Euro-Raum schlecht? Weil Sie übergeordnete politische Interessen daran haben, weil Sie den Menschen Angst einjagen wollen und sich dann als Retter aufspielen? Wenn man sich aber anschaut, wie die Staatsverschuldung weltweit ist, dann stellt man fest, der Europa-Raum ist ein Hort der Ruhe, Ordnung und Stabilität, und das soll er auch bleiben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass durch die Einführung der Maastricht-Kriterien, sosehr es auch Menschenwerk sein mag, schon eine ganze Menge passiert ist und sich Europa – dabei fällt es Deutschland noch am wenigsten schwer, auch unter Inkaufnahme großer Probleme, die es bedeutet, wenn man darauf verzichtet, allen Problemen mit Geldausgeben und immer mehr Geld ausgeben zu begegnen – auf den Weg gemacht hat, dort herauszukommen. Ich erwarte, dass das auch wahrgenommen wird. Außerdem würde ich es auch ganz gut finden, wenn die

Werte, die mit den Staatsschulden geschaffen wurden, in die Berechnung einbezogen würden. Auch das würde einen Blick darauf werfen, wie wir als Europa weltweit aufgestellt sind: mit funktionierender Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Infrastruktur. Dies alles berechtigt zum Teil – zumindest aus meiner Sicht – dazu, Kredite aufzunehmen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Zum Thema möchte ich gern sagen: Es ist eine interessante Debatte und nicht so einfach in eine Richtung aufzulösen. Es wird gesagt, dass die Einführung der Bargeldobergrenze von 5 000 Euro und die Abschaffung der 500-Euro-Noten der Bekämpfung der Steuerhinterziehung, der Bekämpfung des Terrorismus und der Bekämpfung der Schwarzarbeit dienen.

Bei der Steuerhinterziehung muss man sich klarmachen, dass sich ein Großteil der Fälle vom Volumen her – darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen – in einem kleineren Bereich bewegt: in der Gastronomie, bei Handwerk, bei Dienstleistungen, im Einzelhandel, wo Steuern nicht gezahlt werden. Dort wird weder das eine noch das andere helfen, da es in aller Regel um Beträge geht, die erst in der Summe zum Problem werden. Illegal ist es ohnehin, aber das findet in dem Bereich unter 500 Euro statt, und dort würden die Maßnahmen, die jetzt in Rede stehen, nichts bringen.

Beim Terrorismus gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen, ob man dafür sorgen kann, dass Terroristen auf bargeldlos umsatteln. Ich habe so meine Zweifel daran, aber Summen zu stückeln ist ebenfalls immer möglich.

Bei der Schwarzarbeit hat man es mit einem Sachverhalt zu tun, der verboten ist. Es gibt Höchstgrenzen in Belgien, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Dass es dort weniger Schwarzarbeit gibt, ist mir nicht bekannt. Daran kann man Zweifel haben. Insofern habe ich hinter der Frage, ob die in Rede stehenden Maßnahmen in der Lage sind, die damit verbundenen sinnvollen Ziele und Zwecke zu erfüllen, viele Fragezeichen.

Ich habe aber auch keine Lust, in den Ruch zu geraten, dass man die Interessen einiger weniger Gebrauchtwagenhändler, die jetzt die Speerspitze der Bewegung spielen und sagen, das mit der Bargeldobergrenze darf man auf keinen Fall machen, oder der Wettbüros weiterverfolgt. Wir wissen, dass dort teilweise Schwerpunkte von Steuerhinterziehung und einem Schwarzmarkt liegen, den wir so nicht haben wollen. Gerade im Bereich der Online-Wetten musste jeder schauen, wie er sich in den letzten Jahren politisch verhalten hat, um dort einen Cut hineinzubekommen beziehungsweise die Sache in den Griff zu bekommen. Dort werden sehr große Geldsummen gewaschen, indem man mit Schwarzgeld – ich sage mal – einmal auf den Sieg von Werder, einmal auf die Niederlage und einmal auf „unentschieden“ wet

tet, sich das Geld des richtigen Tipps vermehrt und als weißes Geld in den Geldkreislauf gelangen kann. Gerade, was den Wettbewerb betrifft, liegt vieles im Argen. Dagegen vorzugehen und internationale Regelungen zu treffen, würde jedenfalls viel mehr bringen. Was auch etwas gebracht hat, ist das Geldwäschegesetz. Bei Barein- und auszahlungen bei Banken in der Größenordnung von über 15 000 Euro muss man einen Ausweis vorlegen und wird in eine Liste eingetragen. Ich weiß auch von der Bremer Landesbank, dass das nicht so selten vorkommt und zum Teil den Ermittlungsbehörden helfen kann. In der Abwägung würde ich immer sagen: Bei der Einführung der Bargeldobergrenze handelt es sich um einen Grundrechtseingriff, der auf jeden Fall verhältnismäßig sein muss. Deshalb ist die Maßnahme allein vielleicht gar nicht das Ausschlaggebende. Möglicherweise gibt es Alternativen und andere Dinge, die mehr wirken würden. Ich würde immer sagen: Vor die Wahl gestellt, wäre mir eine gute, funktionierende und noch besser ausgestattete Steuerfahndung lieber, gute Zollkontrollen gegen Schwarzarbeit oder auch endlich die Einführung der KassenSoftware INSIKA, die immer noch nicht weiterkommt, weil massive Interessen dafür sorgen, dass das INSIKA-System nicht eingeführt wird. Wir wissen, dass es die jetzt weit verbreiteten Kassensysteme ermöglichen, die Kasseneinnahmen jeden Abend neu herunterzusetzen, und die Kontrollmöglichkeiten für die Steuerbehörden werden dadurch sehr stark minimiert. Dort erwarte ich Unterstützung von möglichst allen aus diesem Haus, damit die Bundesregierung endlich aufhört, das auf der Basis der Interessen und unter dem Lobbydruck, unter dem sie steht, immer weiter zu verschleppen. Dort spielt in Wirklichkeit die Musik. Dort könnte man auf jeden Fall sehr große Effekte in Richtung der hier geäußerten Ziele – Steuerhinterziehungsbekämpfung, Terrorismusbekämpfung und Schwarzarbeitsbekämpfung – erzielen. Insofern kommen wir, ohne dass die Bundesregierung bisher etwas Konkretes vorgelegt hat, zu der Überzeugung, dass im Moment nicht dargelegt wurde, wie die Anforderung, dass der Grundrechtseingriff Bargeldobergrenze verhältnismäßig sein muss, funktionieren kann. Aber, wie gesagt, ich warte auf die Darlegungen der Bundesregierung. Bremen wird in deren Kenntnis beschließen, wie es sich im Bundesrat verhalten wird. Ansonsten muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass wir mit nationalen Alleingängen bei diesem Thema nicht so richtig weiterkommen, sondern dass das ein Thema ist, bei dem wir in Europa noch viel stärker zusammenarbeiten müssten. Die Ziele, mit denen diese Maßnahmen verbunden waren, teilen wir hier alle. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich nicht noch einmal in der zweiten Runde sprechen, aber ich finde es immer wieder erstaunlich, wie leichtfertig man mit öffentlichen Schulden umgeht.

(Bürgermeisterin Linnert lacht – Abg. Frau Dr. Kap- pert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie bitte?)

Wenn wir einmal versuchen, nicht von Geld zu reden – denn irgendwann werden wir feststellen, wir können in Geld nicht wohnen, wir können uns mit Geld nicht kleiden, wir können Geld nicht essen; Geld ist nichts weiter als ein Versprechen, ein Gutschein, und dieses Versprechen wird zunehmend zu einem leeren Versprechen –, wenn wir die Diskussionen, die wir hier in den letzten Tagen über Haushaltsthemen und verschiedene Ausgaben hatten, einmal Revue passieren lassen, dann stellen wir immer fest, aus welchem Topf das kommt: Sind das jetzt Landesmittel? Sind es Bundesmittel? Sind es EU- oder EFRE-Mittel? Wir sprechen dabei über Umverteilung innerhalb dieser verschiedenen Töpfe.

Aber Umverteilung findet ja nicht in Form von Bits und Bytes und Papier und Gutscheinen statt, sondern sie findet statt von jemandem, der etwas hat oder produziert hat, zu jemandem, der es konsumiert. In unserer Gesellschaft, in der wir keine großen Bodenschätze haben und in der das Geld nicht aus dem Boden kommt, ist unser Wohlstand die Arbeit jener, die hier etwas herstellen oder irgendwelche Dienstleistungen erbringen.

Umverteilung findet immer statt von den Menschen, die etwas herstellen, in den Ausgabenbereich, völlig egal, ob das über einen EU-Topf geht, über den Bundeshaushalt oder über einen Landeshaushalt. Es ist Umverteilung von Menschen, die arbeiten, zu den entsprechenden Aufgaben, die wir finanzieren müssen. Wir erleben, dass diese Umverteilung ausufert, indem die Abgaben für Arbeit immer weiter erhöht werden – Stichwort: stille Progression –, und wir erleben, dass, wenn es jemand in seiner aktiven Lebensarbeitszeit schafft, etwas zu sparen oder sich eine Rentenanwartschaft erwirbt, diese jetzt sozusagen sukzessive dadurch entwertet wird, dass die Zinsen unterhalb der Inflationsrate gehalten werden.

Das ist noch einmal eine Umverteilung weg von den Leuten, die arbeiten. Wenn wir uns die Kaufkraft und die Lohnentwicklung anschauen – nehmen wir einmal den typischen Facharbeiter –, stellen wir fest, dass von 2010 bis heute die Kaufkraft eines durchschnittlichen Facharbeiterhaushaltes um 30 Prozent gesunken ist. Die durchschnittliche Kaufkraft eines Facharbeiterhaushaltes ist heute wieder auf dem gleichen Niveau wie Mitte der Siebzigerjahre. Das heißt, der Produktivitätsfortschritt von 45 Jahren, eines ganzen

Arbeitslebens, ist weg; aber, wie man an der Börse sagt: Das Geld ist nicht weg, es ist nur woanders. Man hat es verteilt. Wer ist dafür zuständig, dass es dorthin verteilt wurde? Wer ist dafür verantwortlich? Das sind Politiker, und zwar Politiker wie Sie, Frau Linnert. – Vielen Dank!

(Beifall ALFA – Zuruf CDU: Wie Sie!)

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Gottschalk.

Ich möchte das nicht stehen lassen, dass hier populistischerweise gesagt wird, es liegt am System, dass die Politik gerade den Arbeitnehmern das Geld

(Abg. Schäfer [ALFA]: Das Sie drucken!)

über die Niedrigzinsen über die Verteilung aus der Tasche holt.

Wir haben das Problem: Warum sind die Zinsen so niedrig? Der Hintergrund ist, dass wir im Verhältnis zur Nachfrage im Investivbereich einen gewaltigen Überschuss von anlagesuchendem Kapital haben. Warum haben wir einen solchen Überschuss? Weil im Rahmen der Primärverteilung sehr viel mehr Geld in Haushalten gelandet ist, die eine niedrige Sparquote haben, weil von unten nach oben umverteilt worden ist. Das ist das Problem. Dieses drückt jetzt darauf. Vor dem Hintergrund, dass es, daraus resultierend, insgesamt, überall in diesem Bereich eine zu geringe Nachfrage gibt, stemmt sich die Europäische Zentralbank dagegen und versucht, diese Nachfrage durch niedrige Zinsen anzuregen, damit die Wirtschaft nicht in eine völlige Deflationsfalle gerät.

In dieser – ich hätte fast gesagt, dummen – nicht kenntnisreichen Art zu denunzieren, kann man nicht hinnehmen. Herr Schäfer, wenn Sie hier schon diesen Auftritt machen, sollten Sie wenigstens einmal ein wenig in ein Buch schauen. – Danke!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse als Erstes über den Antrag der FDP abstimmen. Wer dem Antrag der FDP mit der DrucksachenNummer 19/315 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich nun um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD], Abg. Timke [BIW])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen)