Protocol of the Session on March 17, 2016

Zu Frage eins: Es liegt keine Auswertung zu der Frage vor, welche unbegleiteten minderjährigen Ausländer vor ihrer Inobhutnahme in Bremen bereits in einem anderen EU-Staat gelebt haben. Sie sind stets dort in Obhut zu nehmen, wo sie sich tatsächlich aufhalten.

Zu Frage zwei: Bei der Inobhutnahme findet kein Abgleich mit dem Visa-Informationssystem, VIS, statt. Dieser erfolgt erst im Asylverfahren.

Zu Frage drei: Aus einem Voraufenthalt des Minderjährigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU ergeben sich grundsätzlich keine Konsequenzen, es sei denn, Familienangehörige des unbegleiteten minderjährigen Ausländers leben rechtmäßig in einem Mitgliedsstaat und eine Familienzusammenführung dient dem Wohl des Kindes. – Soweit die Antwort des Senats!

Herr Kollege Hinners, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, ich bin ein wenig überrascht, dass Sie die Herkunft der unbegleiteten minderjährigen Ausländer nicht erforschen. Wenn Sie sagen, dass es eine Konsequenz hätte, wenn da Familienangehörige leben, Sie aber gar nicht wissen, woher sie kommen, dann wissen Sie auch nicht, dass dort Familienangehörige leben. Ist das richtig?

Das habe ich so nicht gesagt. Ich habe gesagt, es liegt keine Auswertung dazu vor. Das heißt, ich kann Ihnen nicht sagen, 53 Prozent waren vorher in Spanien und von denen wiederum 27 Prozent vorher in Frankreich oder Portugal oder wo auch immer, sondern bei der Inobhutnahme wird erhoben: Wie heißt der Jugendliche? Woher kommt er? Dort findet auch die Prüfung statt, ob es irgendwo Familienangehörige gibt.

In der Regel gibt es diese – jedenfalls in dem Stadium der Inobhutnahme – für uns erkennbar nicht. Das ist einfach erst einmal so. Wir haben ja in der Regel auch keine Papiere, keine genauen Hinweise über Reisewege. Wir haben dann im Weiteren zum Teil Erkenntnisse darüber, dass sich diese Jugendlichen vorher schon einmal in einem anderen EU-Staat aufgehalten haben; aber daraus erwächst ja noch keine weitergehende Information darüber, ob es dort Familienangehörige gibt. In aller Regel ist die Rückführung in ein anderes EU-Land, auch wenn positiv bekannt ist, dass sich Jugendliche dort vorher aufgehalten haben, solange die Personen minderjährig sind, aussichtslos.

Herr Kollege Hinners, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, Sie sind ja auch für Inneres zuständig und wissen daher sicherlich, in wie vielen Fällen bei polizeilichen Ermittlungen festgestellt worden ist, dass die unbegleiteten minderjährigen Ausländer möglicherweise vorher in einem anderen EU-Land gelebt haben. Können Sie dazu Daten nennen?

Ich bin da nur für Inneres zuständig, nicht nur „auch“.

(Abg. Hinners [CDU]: Auch für den Senat!)

Es hat eine Veränderung im Geschäftsverteilungsplan gegeben. – Aber der Hintergrund, den Sie ansprechen, ist, dass wir durchaus wissen, dass sich ein größerer Teil insbesondere der polizeilich auffälligen Jugendlichen zuvor bereits in anderen EU Ländern – schwerpunktmäßig in Spanien und Frankreich – aufgehalten haben und dort auch häufig schon polizeilich auffällig gewesen sind. Prozentzahlen kann ich Ihnen dazu nicht sagen, aber das ist bei einem größeren Teil so. Das ändert nur nichts. Daraus erwächst nicht die Konsequenz, dass wir sagen können: Hurra, jetzt wissen wir, der war schon in Frankreich, dann geben wir den da wieder ab. Die unbegleiteten minderjährigen Ausländer werden nicht nach den Regeln von Dublin in die Länder zurückgeführt, über die sie eingereist sind, sondern sie werden grundsätzlich, solange sie minderjährig sind, immer an dem Ort, an dem sie sich aufhalten, durch die staatlichen Systeme in Obhut genommen.

Herr Kollege Hinners, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, gilt das auch für die Fälle, in denen die unbegleiteten minderjährigen Ausländer einen Asylantrag stellen und somit im laufenden Asylverfahren sind?

Das gilt auch für Minderjährige im Asylverfahren, wobei übrigens die meisten nicht im Asylverfahren sind. Die Allermeisten stellen, zumindest soweit sie minderjährig sind, keinen Asylantrag. Aber selbst wenn sie einen Asylantrag stellen, ändert das nichts daran, dass sie unter dem besonderen Schutz der UN-Kinderrechtskonvention stehen und bei ihnen rechtlich eine Rückführung in ein anderes Land nicht möglich ist.

Herr Kollege Hinners, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Das gilt auch für die Möglichkeit, dass sie in diesem Land, also in einem anderen EU-Land, schon einen Asylantrag gestellt haben oder hätten gestellt haben können, der dort behandelt, möglicherweise sogar abgelehnt worden ist?

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Lesen Sie die Dublin-Verordnung! Darin steht das!)

Ja! – Dublin gilt ausdrücklich nicht für Minderjährige. Wie gesagt, ich habe darauf verwiesen, die UN-Kinderrechtskonvention ist in diesem Punkt relativ eindeutig. Die Ausweisung eines Minderjährigen in ein anderes Land setzt voraus, dass wir ihn dort entweder mit Familienangehörigen zusammenführen können oder in sein Heimatland, wenn dort ein entsprechendes Jugendhilfesystem besteht, das bereit und in der Lage ist, ihn aufzunehmen. Diese Voraussetzungen sind in der Praxis in aller Regel nicht gegeben.

Herr Staatsrat, eine weitere Zusatzfrage durch die Abgeordnete Frau Grönert!

Wenn ein Minderjähriger hier schon eine Weile als Minderjähriger lebt, auch im System, also Alterseinschätzung und so weiter erfolgt sind, und sich dann herausstellt – wie es auch schon Fälle gegeben hat –, dass er schon in einem anderen EU-Land, aber als Erwachsener, gelebt hat: Was geschieht dann hier in Bremen mit diesem Menschen?

Es gilt die Alterseinschätzung, die hier vorgenommen worden ist. Aus der Erkenntnis, dass ein hier als minderjährig eingeschätzter unbegleiteter Ausländer in einem anderen Land möglicherweise als volljährig eingeschätzt worden ist, könnte sich ein Anhaltspunkt ergeben, die hiesige Altersfeststellung zu überprüfen. Aber es ändert automatisch erst einmal nichts, sondern es gilt grundsätzlich die Alterseinschätzung, die hier vorgenommen worden ist.

Frau Kollegin, eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich habe nicht gemeint, dass er in einem anderen Land als volljährig eingeschätzt wurde, sondern dass er sich dort reell selbst als volljährig gemeldet hat.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Altersfeststellung hier gilt. Wir haben erstens keine konkreten Informationen über das Zustandekommen der Informationen in dem anderen Land. Selbst wenn er dort gesagt hat, er sei 27, ist die Frage ja, wie alt er objektiv ist. Das wird hier versucht zu ermitteln. Wenn wir positive Erkenntnisse hätten, würden wir diese natürlich heranziehen. Allerdings gilt dann das Verfahren, das man sich so vorstellen muss: Der Jugendliche gilt als minderjährig, hat einen Amtsvormund, der durch das Gericht bestellt ist, und es gibt durchaus Fälle, in denen, wenn die Erkenntnis aus einem anderen Land vorliegt, dass diese

Angaben unrichtig sein könnten, beim Gericht ein Antrag auf Entpflichtung des Amtsvormunds gestellt wird. Das ist dann eine gerichtliche Entscheidung, die dort im Zweifelsfall zu treffen ist. Aber wenn eine Person sozusagen amtlich unter Vormundschaft gestellt und ein Amtsvormund durch das Familiengericht bestellt ist, können die Sozialbehörde oder die Innenbehörde das nicht einfach aufheben. Dann befinden wir uns in einem ganz normalen, ordentlichen Verfahren zur Aufhebung einer Amtsvormundschaft.

Herr Staatsrat, eine weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Schäfer.

Herr Staatsrat, wenn sich bei einem vorgeblich Minderjährigen tatsächlich herausstellt, dass er volljährig gewesen ist, weil beispielsweise die Ausweispapiere auftauchen oder er es vielleicht selbst angibt, und der Mann vielleicht jahrelang Jugend- oder Eingliederungshilfe in Anspruch genommen hat, ergeben sich daraus für ihn irgendwelche negativen Konsequenzen?

Spielen Sie auf die Frage an, ob sozusagen Rückzahlungsverpflichtungen für zu Unrecht in Anspruch genommene Leistungen entstehen?

Ich frage, ob zum Beispiel von Amts wegen Anzeige wegen Betruges gestellt wird, ob Schadensersatzforderungen gestellt werden können, ob es irgendwelche Konsequenzen gibt, die dazu führen, dass sich Menschen vielleicht überlegen, ob es schlau ist, so zu agieren.

Ich kann Ihnen das jetzt nicht im Einzelnen sagen. Ich bin gern bereit, das noch einmal zu prüfen und mit den zuständigen Behörden zu erörtern. Erfolgversprechende Konsequenzen sehe ich dabei allerdings, ehrlich gesagt, nicht. Dass man über diese Variante versuchen würde, Jugendhilfebeiträge zurückzugewinnen, halte ich für aussichtslos.

Entschuldigung, eine weitere Frage: Einer anschließenden Duldung steht ein solches Verhalten auch nicht entgegen?

Bei einer Duldung würde das natürlich schon eine Rolle spielen. Bei Minderjährigen, wenn sie hier aufenthältig sind, besteht ja die Möglichkeit, im Anschluss eine Duldung oder einen Aufenthaltstitel aufgrund gelungener Integrationsleistung zu erhalten. Das würde sicherlich bei einer solchen Prüfung Berücksichtigung finden. Aber bei dem Personenkreis, über den wir sprechen, der uns Probleme macht, haben wir ein ganz anderes praktisches Problem.

Das Problem ist ja nicht, dass sie einen Aufenthaltsanspruch hier hätten, sondern dass ihre Heimatländer nicht bereit sind, sie zurückzunehmen, und da ist es,

ehrlich gesagt, relativ egal, ob wir zu der Einschätzung kommen, dass deren Aufenthalt hier umgehend zu beenden wäre oder nicht. Voraussetzung dafür ist nämlich immer, dass die Abschiebung auch praktisch möglich ist. Für die Ausweisungsentscheidung mag das also von Bedeutung sein, aber für die tatsächliche Durchführung der Abschiebung ist es bedauerlicherweise vollständig ohne Belang.

Herr Staatsrat, weitere Zusatzfrage liegen nicht vor.

Die zehnte Anfrage steht unter dem Betreff „Besetzung der Stellen aus dem 3. Sofortprogramm“. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Frau Leonidakis, Tuncel, Frau Vogt und Fraktion DIE LINKE.

Bitte, Frau Kollegin Leonidakis!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie viele der im 3. Sofortprogramm zur Aufnahme und Integration von Geflüchteten beschlossenen zusätzlichen Stellen sind in den betroffenen einzelnen Ressorts und Amtsbereichen inzwischen besetzt?

Zweitens: Wie viele Stellen sind darüber hinaus in den betroffenen einzelnen Ressorts und Amtsbereichen demzufolge nicht besetzt?

Drittens: Aus welchen Gründen konnten Stellen bislang nicht besetzt werden, und mit welchen Maßnahmen plant der Senat, die Besetzung zu beschleunigen?

Die Anfrage wird beantwortet von Frau Bürgermeisterin Linnert.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage eins: Von den insgesamt für 2016 beschlossenen 354 Stellen des 3. Sofortprogramms sind mittlerweile für 231 Stellen Einstellungszusagen erfolgt beziehungsweise die Stellen besetzt worden. Für 127 Stellen des allgemeinen Verwaltungspersonals wurde eine zentrale Ausschreibung durchgeführt. Hierbei konnten 73 Stellen mittlerweile besetzt werden. Weitere Stellen für Fachpersonal wurden durch dezentrale Ausschreibungen besetzt.

Bei der Senatorin für Jugend, Frauen, Integration und Soziales konnten für Fachpersonal bisher 68,31 Stellen besetzt werden, bei der Senatorin für Kinder und Bildung wurden insgesamt 73,1 Stellen, bei der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz elf Stellen, bei der Senatskanzlei eine Stelle, beim Senator für Justiz und Verfassung zwei Stellen, bei der Senatorin für Finanzen eine Stelle und beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr zwei Stellen besetzt.

Zu Frage zwei: Die Zahl der aktuell nicht besetzten Stellen wird nicht zentral erfasst. Aufgrund der haushaltlosen Zeit kann auch kein Soll-Ist-Abgleich zwischen den durch den Haushalt finanzierten Stellen und den tatsächlich besetzten Stellen durchgeführt werden, da es keine beschlossene Beschäftigtenzielzahl gibt.

Zu Frage drei: Der Senat hat mit dem 3. Sofortprogramm eine hohe Zahl von unbefristeten Stellen beschlossen, deren Besetzung zügig durchgeführt wird. Allein für die Stellen der allgemeinen Verwaltung gingen insgesamt über 4 400 Bewerbungen ein. Insgesamt waren es rund 6 200 Bewerbungen. Um diese rechtssicher zu bearbeiten, entsprechend gut qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zu finden und insbesondere allen Bewerberinnen und Bewerbern gleiche Chancen für eine Einstellung im Rahmen eines verlässlichen Auswahlverfahrens zu bieten, hat der Senat erhebliche Anstrengungen unternommen. Ein Großteil der Verfahren wird im ersten Quartal beendet werden können. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Kollegin Leonidakis, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Frau Bürgermeisterin, Sie haben eben in der Antwort auf Frage zwei gesagt, dass das nicht zentral erfasst wird. Wenn man aber die Zahlen notiert, kommt man zu der Zahl, dass von den 154 Stellen der Sofortprogramme 123 nicht besetzt sind. Trifft das zu?

Ja! Ich habe ja generell geantwortet. Von den 354 Stellen des 3. Sofortprogramms sind 231 besetzt beziehungsweise es gibt Einstellungszusagen. Wenn man diese abzieht, kommt man zu dem Ergebnis, dass circa zwei Drittel besetzt wurden und ein Drittel noch nicht.