Protocol of the Session on January 21, 2016

Der Bundesgesetzgeber hat diese humane Ausgestaltung eines weitgehend inhumanen Aufenthaltrechtes jetzt verboten. Über den kompletten Ausschluss der Menschen aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten haben wir hier schon geredet.

Bremen hat die Einstufung der angeblich sicheren Herkunftsländer des Balkans mit guten Gründen nicht mitgetragen. Wir alle wissen, dass vor allem Roma, Sinti, Ashkali und andere ethnische Minderheiten dort systematisch diskriminiert werden, auch darüber haben wir gesprochen. Hier zur Erinnerung noch einmal beispielhaft einige Zahlen aus Serbien: Wir wissen, dass zwei von drei Roma dort keinen Zugang zu Medikamenten haben, doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Des Weiteren wissen wir, dass zwei von drei an Unterernährung leiden, und dass Roma überproportional oft der Zugang zur Schule oder Arbeit verwehrt wird. Außerdem wissen wir, dass fast jeder zweite Roma in Elendsvierteln ohne Sanitäreinrichtungen, Kanalisation, Stromversorgung oder Heizung lebt. Ebenso ist uns bekannt, dass das besonders auf Abgeschobene zutrifft, weil sie nicht einmal mehr über provisorische Strukturen verfügen.

Der Niedersächsische Landtag hat im Jahr 2012 eine Delegation in den Kosovo entsendet. Das Delegationsmitglied Stephan Dünnwald beschrieb deren Situation anschließend so, wenn ich zitieren darf: „Den Abgeschobenen fehlt es oft am Allernötigsten, in vielen Fällen sind noch nicht einmal zeitnah Unterbringung und Ernährung gesichert.“ Auf dem Balkan herrschen im Winter Minusgrade, das werden Sie auch wissen, das Gleiche gilt für Afghanistan, wohin die Bundesregierung jetzt wieder vermehrt abschieben will. Auch dort ist nicht gesichert, dass Menschen

nach einer Abschiebung nicht dem Kältetod ausgesetzt sind, vor allem, wenn sie alt, krank oder sonst wie verletzlich sind. Wir lehnen Abschiebungen grundsätzlich ab: Diese Debatte möchte ich jetzt und hier aber nicht führen.

Was wir heute mit dem Antrag verlangen, ist, dass der Bremer Senat mit seinem staatlichen Handeln keine Menschen in Gefahr bringt. Das ist aus unserer Sicht seine selbstverständliche Pflicht.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich hoffe, wir sind uns darin einig, dass Bremen Menschen nicht in eine Situation abschieben darf, die für sie eine Gefahr darstellt. Genau das ist aber der Fall bei Abschiebungen in klirrende Kälte, ohne Existenzsicherung, ohne Strom und ohne Heizung, in Wellblechhütten. Ohne Gesundheitsversorgung und Sicherung der Existenz, bei eisiger Kälte leben zu müssen, stellt eine reelle und bekannte Gefährdung der Betroffenen dar.

Genau aus diesem Grund war der Bremer Innensenator noch im Jahr 2013 der Auffassung, ich zitiere: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückführungen von ausreisepflichtigen Staatsangehörigen aus den Balkanstaaten im Winter zu besonderen humanitären Härten führen.“ So begründete er seinen Erlass zur Winterregelung, den er zuletzt im Jahr 2013 aufgelegt hatte. Seitdem gab es praktisch keinen Bedarf für eine solche Regelung, da, wie gesagt, kaum abgeschoben wurde. Das ändert sich jetzt aber. Nicht geändert hat sich jedoch die Lage im Balkan, deshalb gibt es jetzt dringenden Handlungsbedarf für eine Neuauflage des Wintererlasses.

(Beifall DIE LINKE)

Rechtlich dürfen Sie drei Monate lang Abschiebungen aus humanitären Gründen aussetzen. Die Länder können sie selbst bestimmen, und sie können selbst entscheiden, welche Personengruppen sie damit schützen wollen, oder sie können generell die Abschiebungen für drei Monate stoppen.

In Rheinland-Pfalz gibt es einen Wintererlass – ich weiß, es ist kein genereller Abschiebestopp –, der nach wie vor in Kraft ist. In seiner Begründung heißt es, ich zitiere erneut: „Nach vorliegenden Informationen ist die wirtschaftliche und soziale Situation der meisten Angehörigen von Minderheiten aus den Balkanstaaten nach wie vor nicht ausreichend entwickelt. Dies kann gerade in den Wintermonaten im Fall einer Rückführung dorthin Versorgungsengpässe und gesundheitliche Risiken mit sich bringen, sodass eine Rückkehr in Würde und Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.“ Wie gesagt, ein in Kraft stehender Erlass.

Was Rheinland-Pfalz kann, das können Sie auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, und Sie können sogar

mehr. Sie können und dürfen Winterabschiebungen generell oder auch spezifisch für bestimmte Staaten oder für bestimmte Gruppen für drei Monate aussetzen, es sei denn, Sie wollen das nicht, es sei denn, Sie nehmen in Kauf, dass Menschen aufgrund Bremer Handelns in Gefahr geraten. Dann attestiere ich Ihnen allerdings einen Mangel an Menschlichkeit. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat Anfang Dezember vorigen Jahres den Antrag mit der Überschrift „Keine Abschiebung in die Kälte – Wintererlass jetzt!“ eingebracht. Der Senat soll aufgefordert werden, die verbliebenen rechtlichen Handlungsspielräume zu nutzen und gemäß Paragraf 60 a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz aus humanitären Gründen Abschiebungen zumindest von Angehörigen ethnischer Minderheiten in die Balkanstaaten auszusetzen.

Ich habe es an dieser Stelle hier im letzten Jahr schon gesagt, damals allerdings zu einem CDU-Antrag mit anderer Stoßrichtung: Selbstverständlich wird der Senat das Aufenthaltsgesetz und auch dessen Paragraf 60 a rechtskonform anwenden, und zwar alle Menschen betreffend. Wenn dringende humanitäre Gründe einer Abschiebung entgegenstehen, wird nicht abgeschoben, das hat Frau Leonidakis gerade für die Vergangenheit gelobt, und das ist unverändert so. Das ist Gesetzeslage, und an die halten wir uns.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Selbstverständlich steht auch die SPD-Fraktion hinter der Forderung, niemanden in existenzielle Bedrohung und Lebensgefahr abzuschieben. Weil wir ganz sicher gehen wollten, dass das so ist, haben wir uns beim Innenressort und der Leiterin der Ausländerbehörde noch einmal genau über das Konzept der Aufenthaltsbeendigung informieren lassen. Damit haben wir nicht bis zur heutigen Debatte gewartet, und die Ausländerbehörde hat auch nicht den Ausgang der heutigen Antragsberatung abgewartet, sondern handelt jetzt – wie im Übrigen auch schon vor der Einbringung des Antrags – rechtsstaatlich und unter Wahrung der Menschenrechte der Betroffenen.

(Beifall SPD)

Die Antragstellerin weiß auch, wie gewissenhaft unsere Ausländerbehörde an dieser Stelle arbeitet und dass im Rahmen der Rückführung von nicht bleibeberechtigten Personen sorgfältig geprüft wird, welche Gründe einer Abschiebung entgegenstehen könn

ten. Sie weiß, wie auch wir, dass die Ausländerbehörde in einem abgestimmten kommunikativen Verfahren mit der Rückkehrberatung der AWO eine Rückkehr der Betroffenen so vorbereitet, dass den Betroffenen eine Rückkehr ohne eine existenzielle Bedrohung möglich ist.

Angesichts der hohen Anzahl freiwilliger Ausreisen kann ich wohl sagen, dass das Konzept der Ausländerbehörde funktioniert. Dafür möchte ich mich bei der Ausländerbehörde und bei unserem Innensenator bedanken.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Um es auch noch einmal klar und deutlich zu sagen, in existenzielle Bedrohung wird aus Bremen niemand abgeschoben, und schon gar nicht in den Kältetod. Gegen diese Unterstellung der LINKEN möchte ich mich hier im Namen der SPD-Fraktion und für das Innenressort verwahren. Dafür brauchen wir keinen Erlass des Innenressorts, das klappt schon jetzt.

(Beifall SPD)

An dieser Stelle hat man ja vielleicht in der Rede der Kollegin Leonidakis gemerkt, worum es eigentlich geht, nämlich darum, dass Abschiebungen grundsätzlich abgelehnt werden. Das, meine Damen und Herren, habe ich deutlich gesagt, das haben die SPDFraktion und das Innenressort deutlich gesagt, dass das für uns grundsätzlich nicht gilt, sondern wir halten uns hier an Recht und Gesetz.

(Beifall SPD)

DIE LINKE hat diesen Antrag im Übrigen wiederkehrend in verschiedenen Landtagen der Republik gestellt. Möglicherweise gibt es in dem einen oder anderen Land Gründe, einen entsprechenden Antrag zu stellen und einen solchen Erlass zu fordern, anders als in Bremen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich DIE LINKE mit dem Thema differenziert auseinandersetzt, bevor ein Antrag auch hier in den Landtag eingebracht wird. Leider ist das nicht der Fall. Die SPD-Fraktion wird Ihren Antrag daher ablehnen.

(Beifall SPD)

Erlauben Sie mir trotzdem noch ein Wort zur inhaltlichen Begründung des Antrags! Dass es dringend notwendig ist, die Situation von ethnischen Minderheiten, insbesondere Roma, in den westlichen Balkanstaaten zu verbessern, ist unbestritten. Es fängt bei der lebensnotwendigen Gesundheitsversorgung an und hört bei Bildungschancen nicht auf. Das ist der Grund für den für EU-Beitrittskandidaten geltenden EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma. Das sehen im Übrigen auch alle Ministerpräsidenten, Ministerpräsidentinnen und die Bundes

kanzlerin so. Das steht – das kann man nachlesen – in der Einigung vom 24. September 2015.

Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssen, um ihre Situation zu verbessern, sondern ihre Situation in ihrer Heimat verbessert wird.

(Beifall SPD)

Deshalb müssen wir auch von Bremen aus darauf drängen, dass der Asylkompromiss vom 24. September auch in diesem Punkt zügig umgesetzt wird. Es müssen Perspektiven für die Menschen in den Herkunftsländern geschaffen werden. Dazu gehört insbesondere die Verbesserung der wirtschaftlichen und der sozialen Situation der Roma in den westlichen Balkanstaaten. Dies müssen wir von Bremen aus eng begleiten. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! DIE LINKE fordert, wie wir gehört haben, einen Abschiebestopp für ethnische Minderheiten in die Kälte, den sogenannten Wintererlass.

Frau Leonidakis hat eigentlich die Katze aus dem Sack gelassen, denn sie möchte, dass eigentlich keine Abschiebungen durchgeführt werden. Warum stellen Sie nicht eine entsprechende Forderung, sondern tragen sie scheibchenweise vor? Einmal hier einen kleinen Antrag, einmal dort einen kleinen Antrag, machen Sie es doch einfach einmal richtig!

Natürlich ist der CDU-Fraktion auch klar, dass es im Einzelfall durchaus problematisch sein kann – Frau Aulepp hat eben gerade darauf hingewiesen –, wenn beispielsweise Familien mit kleinen Kindern ohne geregelte Aufnahme und Unterbringungsmöglichkeit in ihrem Heimatland, Afghanistan gehört auch dazu, abgeschoben werden. Sie stehen dann tatsächlich vor großen Problemen, insbesondere dann, wenn in diesen Heimatländern – das Balkangebiet ist schon genannt worden – strenge Wintermonate herrschen. Es kann und darf jedoch nach der Ansicht der CDUFraktion nicht zu einem generellen Abschiebestopp für den betroffenen Personenkreis aus diesen Ländern führen, egal, aus welchen Gründen.

Unter Berücksichtigung der derzeit großen Probleme mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge, meine Damen und Herren, müssen wir von der Maßnahme und der Möglichkeit der Abschiebung zwangsläufig Gebrauch machen, alles andere wäre der Gesellschaft nicht zu vermitteln.

(Beifall CDU)

Hinzu kommt noch, dass die Länder Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, der Kosovo, Albanien und Montenegro aus der Sicht der CDU-Fraktion grundsätzlich völlig zu Recht zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden sind. Bremen hat diese Entscheidung des Bundes nicht unterstützt, weil es sich allerdings um Bundesrecht handelt, ist Bremen verpflichtet, die Bundesregelung umzusetzen. Das schließt eine Einzelfallprüfung – und auch darauf hat Frau Aulepp eben hingewiesen – ausdrücklich nicht aus, allerdings beschleunigt die Bundesentscheidung die Asylverfahren erheblich. Dies spiegelt im Übrigen die Anerkennungsquote im Asylverfahren für Personen aus diesen Ländern wider, denn sie liegt in der Regel etwa bei einem oder unter einem Prozent.

Der im Antrag der LINKEN zitierte Paragraf 60 a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes sieht die Aussetzung der Abschiebung aus humanitären Gründen im Einzelfall vor,

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Nein, das ist nicht so!)

auch darauf hat Frau Aulepp hingewiesen. Das bedeutet, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage schon möglich ist, zum Beispiel eine Abschiebung einer Familie mit kleinen Kindern oder ähnliche Fälle in die Kälte aus humanitären Gründen vorübergehend nicht durchzuführen. Daran, meine Damen und Herren, soll sich aus der Sicht der CDU-Fraktion nichts ändern. Wir lehnen den Antrag deshalb ab.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zicht.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Rot-Grün steht in Bremen für eine Bleiberechtspolitik mit einem hohen humanitären Anspruch. Das war in den vergangenen Jahren so, und das soll auch künftig so bleiben.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

In den letzten Wintern bedeutete dies, dass Bremen in der kalten Jahreszeit keine Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen Personen in die Balkanstaaten durchgeführt hat. Der Grund waren die schon genannten katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse für viele Betroffene aus diesen Herkunftsländern.