Protocol of the Session on January 21, 2016

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in erster Lesung. Es ist vereinbart worden, nach der ersten Lesung den Gesetzesantrag zur Beratung und Berichterstattung an den Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dieser Überweisung des Gesetzesantrages mit der Drucksachen-Nummer 19/145 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! Ich bitte um die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Kulturelle Teilhabe, kreative Potenziale und Kulturarbeit von und mit Flüchtlingen als Chance und Herausforderung nehmen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 17. November 2015 (Drucksache 19/147)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Emigholz.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen das zentrale Thema, das nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern überall in Deutschland in den letzten Wochen und Monaten beraten worden ist, nämlich, wie können wir gut zusammenleben, wie können wir gut zusammenwachsen, und zwar die Menschen, die neu zu uns kommen, und die Menschen, die hier schon länger leben.

Wir wissen, dass weltweit unruhige Zeiten angebrochen sind. Wir wissen, dass die Menschen, die neu zu uns kommen, die zu uns geflüchtet sind und bei uns vor Krieg, Verfolgung und sonstiger Not Schutz suchen, als Allererstes ganz banale Dinge benötigen: Ein sicheres Dach über dem Kopf, Nahrung, eine gute Gesundheitsversorgung, möglichst schnell Arbeit, und sie müssen rasch die Möglichkeit bekommen, unsere Sprache zu lernen.

Nun legen Kulturpolitiker einen Antrag vor und wollen mit Ihnen gemeinsam über Kunst und Kultur reden und welchen Beitrag Kunst und Kultur zu diesem Prozess leisten können. Sind denn bei den zu bewältigen großen Aufgaben Kunst und Kultur nicht vielleicht ein verzichtbares Sahnehäubchen? Nein, ganz und gar nicht!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Kunst ist so viel! Kunst ist natürlich als Allererstes etwas ganz Simples, nämlich zweckfreie Kunst. Dann kann Kunst viel, zusätzlich kann Kunst viel. Sie kann zur Integration beitragen, zur persönlichen Stärkung, zur kulturellen Verständigung im gegenseitigen Respekt und in Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Sie kann die Erfahrung ermöglichen, etwas beitragen zu können, gegenseitig etwas beitragen zu können, von den Menschen, die zu uns kommen, etwas von sich beitragen zu können und von den Menschen, die schon lange hier leben, für Geflüchtete etwas in diesem kulturellen Zusammensein miteinander anzufangen.

Ganz am Anfang des Integrationsprozesses steht die Sprache. Die Sprachkurse sind entscheidend. Die Volkshochschule – Sie wissen es alle – leistet hier Enormes. Um den Ansturm von Menschen, die zu uns kommen, bewältigen zu können, damit sie rechtzeitig, möglichst frühzeitig, Sprachkurse, Integrationskurse, in denen die deutsche Sprache vermittelt wird, anbieten zu können, benötigt die VHS zusätzliche Räume, einfach Räume, in denen man sitzen und gemeinsam lernen kann. Weiterhin ist zusätzliche Personal nötig. Genau das wollen wir mit dem Antrag auch unterstützen.

Welche Wirkung kann von anderen gemeinsamen zusätzlichen kulturellen Aktivitäten ausgehen? Kulturprojekte bauen vor Ort Brücken. Sie tragen dazu bei,

dass wir gegenseitig mehr voneinander verstehen. Ich bin der Auffassung, dass es mit dem gegenseitigen Verständnis schwierig ist. Wenn man sagt, ich verstehe dich, dann weiß man noch gar nicht so genau, was das bedeutet. Wir können jedoch alle immer etwas dazu beitragen, dass möglichst viel und umfassend Verständnis füreinander entwickelt wird. Genau dafür können Kultur, Kunst und gemeinsame Kreativität etwas bewirken.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist ja nicht so, dass geflüchtete Menschen nur etwas benötigen, nein, sie haben auch ganz viel zu geben. Natürlich benötigen Menschen, die alles verloren haben, erst einmal viel von uns. Lassen Sie uns allerdings bedenken, dass diese Menschen auch für uns etwas mitbringen! Es ist nicht nur der Mut, die Jugend, die Arbeitskraft, es sind doch auch die vielfältigen Fähigkeiten und das Wissen aus einem anderen Kulturkreis, das wir noch nicht kennen.

Der kulturelle Austausch, gemeinsames Erkunden der kreativen Fähigkeiten bereichert uns, die schon länger hier leben, und die Menschen, die zu uns kommen. Gemeinsam kreativ sein fördert – das wissen wir auch aus der frühkindlichen Bildung – das Selbstvertrauen, die soziale Entwicklung, die seelische Gesundheit und eben auch den gegenseitigen Respekt und das Verständnis für die Bedürfnisse von anderen.

Wir können doch schlecht gemeinsam künstlerisch tätig sein und gegenseitig über unsere Grenzen „hinwegtrampeln“. Man lernt dort doch voneinander, auf welche Weise man miteinander umgehen kann.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Nun wäre es sicherlich falsch zu denken, dass Kunst für alles die Rettung ist, hilfreich ist sie aber allemal. Gerade in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs brauchen Gesellschaften die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen über Kunst und Kultur. Die entscheidenden Akteure sind die Künstlerinnen und Künstler aus allen Kulturkreisen.

Wie können wir es schaffen, diese Fragen gemeinsam anzugehen? Auf welche Weise kann es gelingen, zusammen mit Flüchtlingen etwas zu gestalten, statt nur für sie, miteinander zu reden, statt über sie zu reden? Wir schlagen in unserem Antrag vor, in einen entsprechenden Diskurs einzutreten, in einen Prozess des gegenseitigen Lernens und sich Bereicherns. Wir erwarten, dass ein solcher Prozess wichtige Impulse geben kann und wesentlich zur Steigerung der Lebensqualität von uns allen beitragen kann.

Abschließend fordern wir in unseren Antrag, dass der Bremen-Pass weiterentwickelt wird, damit der Zugang zu kulturellen Angeboten für alle besser nutzbar wird. Viele kulturelle Einrichtungen bieten bereits einen kostenfreien Zugang für Geflüchtete an. Wir finden, das kann noch etwas mehr werden.

Ich komme zum Schluss! Mir ist es ein Anliegen, den Kultureinrichtungen in Bremen und in Bremerhaven in möglichst unser aller Namen sehr für das zu danken, was sie bereits für das Entwickeln eines gemeinsamen Miteinanders in unserem Land leisten. Ihre Arbeit für und mit Flüchtlingen ist schon vielfach herausragend. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bolayela.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Tagtäglich fliehen Menschen weltweit wegen Krieg, Diktatur und Hungersnot. Laut den Prognosen der Vereinten Nationen wird die Migrationsbewegung in Zukunft noch stärker werden. Im Augenblick ist die Rede von 60 Millionen Menschen. Lediglich 14 Prozent von ihnen erreichen Europa. Von diesem Prozentsatz erreicht ein Teil Bremen und Bremerhaven. Neben einer angemessenen Versorgung mit Wohnraum und einer Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist der Erwerb der deutschen Sprache das Wichtigste für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ich möchte hier deutlich unterstreichen, dass diese Aufgaben komplex und schwer wahrzunehmen sind. Der Bremer Senat hat jedoch in den letzten Wochen und Monaten viel geleistet.

(Beifall SPD)

Mein Respekt und mein Dank gehen an die vielen Freiwilligen, die in Bremen und Bremerhaven mitgeholfen haben. Ich denke insbesondere an viele Kirchengemeinden, Vereine und Beiräte, aber auch die Mitarbeiter der Bremer Behörden will ich nicht vergessen. Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft befindet sich in einem Transformationsprozess. Wir müssen uns daher zukünftig in einer gemeinsam geprägten friedlichen, offenen, toleranten und von Vielfalt geprägten Gesellschaft entwickeln. In diesem Transformationsprozess muss neben Soziales, Bildung und Arbeit ebenfalls die Kultur eine Schlüsselrolle spielen, um die Wahrung des Lebens in Vielfalt mit dem Recht auf Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen. Es geht hier um eine gemeinsame Identifikation in einer Stadt und in einem Land. Kunst und Kultur haben eine große Kraft und ein großes Potenzial. Die Kultur stabilisiert und unterstützt dabei die Wiedererlangung einer autonomen Lebensführung in einem noch fremden Land. Die Kultur ist ein Mittel zur Integration.

(Beifall SPD)

Deshalb haben Kultureinrichtungen eine integrative Aufgabe, um unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln.

Kultur bringt die Menschen zusammen, fordert Vielfalt und Individualität und kann Brücken bauen. Für oftmals traumatisierte Menschen stellt sie eine Möglichkeit dar, das Erlebte zu verarbeiten und in der neuen Heimat anzukommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, dass Bremen und Bremerhaven kulturell viel zu bieten haben. Im Rahmen eines Gesprächs mit der Volkshochschule Bremen habe ich etwas Interessantes dazugelernt. Um eine integrative Stadtgesellschaft zu schaffen und eine gelungene Integration zu erreichen, benötigen wir in der Regel fünf Stufen. Erstens eine Willkommenskultur, zweitens eine strukturelle Integration, drittens eine soziale Integration, hier zu sagen, Integration funktioniert am besten in einer guten Nachbarschaft, viertens auf eine Identität bezogene Integration, und letztlich hat für mich als fünfte Stufe die kulturell-politische Integration eine große Bedeutung.

Kulturelle Integration bedeutet eine teilweise Übernahme und Anerkennung der gesellschaftlichen Werte und Normen durch Menschen mit einem Migrationshintergrund, natürlich basierend auf gegenseitigem Respekt.

Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland das Problem, dass viele Kinder mit einem Migrationshintergrund, die hier geboren und aufgewachsen sind, sich nicht als Deutsche fühlen. Hierfür habe ich ein konkretes Beispiel. Als ich mit meiner Frau vor zwei Jahren in Frankreich war, haben wir zwei Jugendliche – ein asiatisch aussehender Junge, vermutlich aus Sri Lanka, und ein schwarzer Junge, vermutlich aus Ghana – kennengelernt und gefragt, von wo sie denn stammten. Die Antwort beider lautete: „Nous sommes francais.“ Auf Deutsch: Wir sind Franzosen. Stellen Sie einmal jungen Menschen mit einem Migrationshintergrund eine solche Frage! Man wird leider nur selten hören „Ich bin Deutscher!“. Das finde ich persönlich sehr traurig für unsere Gesellschaft.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Hier haben wir großen Handlungsbedarf. Wenn sich doch einer zutraut zu sagen, ich bin Deutscher, dann kommt auf die kritische Nachfrage hinterher die Aussage, welches das ursprüngliche Herkunftsland oder das Land der Eltern ist. Diese Frage ist heutzutage nicht mehr nötig. Es muss reichen zu sagen, ich bin Deutscher, ich bin Bremer, und das ist gut so.

(Beifall DIE LINKE)

Wir fordern deshalb erstens einen vertieften Diskurs zwischen den kulturellen Einrichtungen und der Kulturbehörde darüber, wie wir aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen kulturell gestalten und begleiten können und wie die heutigen Flüchtlinge zu aktiven Nutzerinnen und Nutzern von kulturellen Angeboten werden können. Zweitens fordern wir eine

bessere finanzielle Ausstattung – meine Kollegin hat es schon erwähnt – der Volkshochschule für ihre gute Arbeit und drittens eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Migrantenorganisationen und Kultureinrichtungen.

Wir Sozialdemokraten wollen eine integrative Stadtgesellschaft kultureller gestalten, und das heißt, Teilnahme und Teilhabe zu ermöglichen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dieser Antrag der Koalition zur kulturellen Teilhabe, kreativen Potenzialen und Kulturarbeit von und mit Flüchtlingen ist richtig. Natürlich wollen auch wir, dass Geflüchtete genauso wie andere Menschen auch die Möglichkeit bekommen, ihre kreativen Potenziale einzubringen. Selbstverständlich sehen auch wir kulturelle Angebote als wichtige Möglichkeit an, Kontakte in Bremen zu knüpfen, hier anzukommen und sich einzuleben. Daher bedanke ich mich an dieser Stelle für den Antrag, dem wir zustimmen werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Manche von Ihnen sind vielleicht beim Lesen des Antrags über den Begriff des Audience Development gestolpert. Darunter versteht man eine strategische Entwicklung, um neue Zielgruppen für bestehende Programme der Kultureinrichtungen zu werben. In diesem Fall also für Geflüchtete. Wir finden, Aufgabe der Kulturarbeit in Bremen ist es, noch einen Schritt weiter zu gehen. Wir vertreten die Auffassung, wenn man es mit der Integration – auch in der Kultur – ernst meint, dann muss man auch so mutig sein, offen dafür zu sein, dass eine echte Integration auch eine Veränderung der kulturellen Landschaft bedeuten wird, denn die Geflüchteten sollen nicht nur zu Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch zu Aktiven werden und Kultur gestalten können.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: So steht es ja auch im An- trag!)

Deshalb sollten wir Audience Development weiterführen zu einem Prinzip des Audience Empowerment, das Selbstorganisation und Selbstrepräsentation von Flüchtlingen ermöglicht,

(Beifall DIE LINKE)

und anstatt auf den Ausbau einer Haltung des Kümmerns zu setzen, eher auf Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren, die dann unsere kulturelle

Landschaft auch verändern. Glücklicherweise spricht dieser Antrag ja auch genau das an, ohne es als Ordiance Empowerment zu benennen. Ich will es hier nur noch einmal verdeutlichen, dass für uns ganz entscheidend ist, dass man eben nicht nur für die Geflüchteten, sondern vor allem mit den Geflüchteten arbeiten wird.

(Beifall DIE LINKE)

Kommen wir nun zu den einzelnen Beschlusspunkten des Antrags! Ich zitiere: „Die sprachliche Integration der Flüchtlinge als Voraussetzung für gesellschaftliche und kulturelle Partizipation unter anderem dadurch sicherzustellen, dass die Volkshochschulen dem Bedarf entsprechende, zusätzliche Personalressourcen für Deutschkurse zugewiesen bekommen.“ Dieser Punkt ist von zentraler Bedeutung. Die Volkshochschule leistet hier sehr gute Arbeit, aber die personelle Ausstattung ist zu knapp bemessen. So entstehen viel längere Wartezeiten für Sprachkurse, teilweise bis zu einem Jahr, und das, obwohl wir alle wissen, wie wichtig es ist, von Anfang an die Möglichkeit zu erhalten, die Sprache zu lernen, um in Bremen richtig anzukommen.