Protocol of the Session on January 20, 2016

Insgesamt müssen wir davon ausgehen, dass die Herabsetzung der Strafbarkeit nicht zu dem Ergebnis führen wird, das sich die Große Koalition vorgestellt hat. Neben der Abschiebung gibt es weitere Gründe bei dem Abschiebungsverfahren zu berücksichtigen, die nicht gleich diesen Erfolg nach sich bringen werden.

Das Wesentliche ist, strafbares Verhalten muss auch erfolgreich ermittelt und erfolgreich abgeschlossen werden können und schließlich zu einer Verurteilung durch die Justiz führen. Bei dem Personalbestand – sowohl im Bereich der Polizei als auch im Bereich der Justiz – gibt es zudem erhebliche Mängel, dass dies im Einzelfall gelingen wird.

Köln hat gezeigt, dass es hier auch nicht nur um ein Thema der sexuellen Belästigung von Frauen und um Raubdelikte ging, sondern es hat auch verdeutlicht, dass die Polizei in Köln für diese Situation nicht richtig aufgestellt gewesen war; nicht umsonst ist der Polizeipräsident entlassen worden. Hier ist auch darauf zu achten, dass wir für die Arbeit der Polizei für die Zukunft es ermöglichen, dass Polizei und Justiz nicht nur personell, sondern auch technisch besser aufgestellt sein müssen. – Danke schön!

(Beifall FDP, ALFA)

Das Wort erhält zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was Frau Aulepp eben in ihrer Rede gesagt hat, weil ich etwas verunsichert bin.

Wir sind uns einig, dass wir die bestehenden Gesetze anwenden wollen und auch darin, dass es im Sexualstrafrecht zu einer Verschärfung kommen soll.

Ich habe aber jetzt nicht ganz verstanden, ob Sie die Auffassung von Ihrem Bundesjustizminister und unserem Innensenator teilen, dass wir auch die Ausweisung von straffällig gewordenen Flüchtlingen erleichtern wollen oder nicht.

Ich kann nur für die CDU-Fraktion zur Unterscheidung noch einmal ganz klar sagen: Wenn Menschen, die sich durch solche Straftaten wie in Köln nicht nur gegen die Strafgesetze, sondern gegen die Grundprinzipien unserer Gesellschaft, gegen Menschenrechte und gegen grundrechtlich verbürgte Verfassungsgarantien wenden, sind wir dafür, dass wir diese Menschen auch in Zukunft, unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens, leichter ausweisen, als es bisher der Fall gewesen ist. Das ist unser Anliegen, es ist das Anliegen von Herrn Minister Maas. Ich habe verstanden, dass LINKE und Grüne das nicht wollen.

(Zurufe DIE LINKE)

Für die CDU will ich nur ganz klar sagen, wir sind dafür, dass Menschen, die sich so wie in Köln gegen unsere Rechtsordnung stellen, auch in ihre Heimatländer zurückgeführt werden, und zwar unabhängig vom Ausgang und dem Maß der Strafe. – Danke!

(Beifall CDU, ALFA)

Als Nächster hat das Wort Herr Senator Mäurer.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Bei Vergewaltigung reicht aber der Straftatbestand nicht? – Zurufe des Abg. Röwekamp [CDU] – Unruhe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe das Wort an Herrn Senator Mäurer gegeben! Bitte, Frau Vogt, Sie müssen nicht immer das letzte Wort hier haben!

(Beifall CDU, FDP – Abg. Röwekamp [CDU]: Insbe- sondere nicht, wenn es falsch ist! – Widerspruch DIE LINKE – Abg. Röwekamp [CDU]: Der Senator hat ja jetzt das Wort!)

Bitte, Herr Senator Mäurer!

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Historiker ordnen nachträglich die Geschichte. Sie definieren die Ereignisse, die für den Beginn oder das Ende einer Epoche stehen. Für uns, die wir diese Ereignisse miterleben, bleibt ihre Tragweite oft unerkannt.

Als Ungarn Ende der Achtzigerjahre seine Grenzen öffnete, war dies ein großer Schritt zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. Welche Bedeutung diese Entscheidung hatte, haben die wenigsten von uns damals geahnt.

Am 5. September hat Ungarn die Grenzen erneut geöffnet, dieses Mal auf Bitten der deutschen Bundeskanzlerin. Es war gedacht als humanitäre Ausnahmeregelung, die weitere Entwicklung ist Ihnen bekannt. Welche Bedeutung hat der 5. September für die Geschichte der Bundesrepublik und für Europa? Ich bin davon überzeugt, dass dieses Datum den Beginn einer weitreichenden gesellschaftlichen Veränderung markiert. Im Gegensatz zu den Historikern jedoch haben wir noch die Chance, auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen. Dies setzt allerdings voraus, dass man die Realitäten erkennt und handelt.

Die Zeichen dafür, dass sich die Dinge dramatisch verändert haben, sind für mich nicht zu übersehen. In einem Zeitraum von weniger als drei Monaten hat die Bundesregierung massiv das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Flüchtlingspolitik verloren.

Am 25. September waren noch fast 60 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt, dass Deutschland die große Zahl der Flüchtlinge verkraften kann. Heute sind dies noch 37 Prozent. Nachdem bereits in den ersten zwei Wochen dieses Jahres mehr als 53 000 Flüchtlinge registriert worden sind, wird sich die Lage weiter verschärfen, zumal die erhoffte europäische Lösung keinen Schritt vorankommt. Im Gegenteil, selbst die Schweden, die in der Flüchtlingsfrage bisher ein Vorbild waren, schließen die Grenzen. In Österreich geht die Diskussion in die gleiche Richtung.

Trotz des Winters und der widrigen Witterungsbedingungen sind weiterhin Tausende von Flüchtlingen unterwegs. Im Frühjahr werden diese Zahlen noch einmal ganz erheblich ansteigen. Wer keine nationalen Grenzschließungen will, muss dringend internationale Lösungen finden, anderenfalls haben wir auch in diesem Jahr eine Million mehr Menschen, die zu uns kommen.

Es wächst die Sorge der Bevölkerung, dass die soziale Sicherheit, die politische Stabilität und insbesondere die innere Sicherheit der Bundesrepublik verloren gehen. Das verunsichert die Menschen. Für Angst und Unsicherheit bei den Bürgern sorgen auch die Terroranschläge in Paris und Istanbul; sie verschärfen die allgemeine Stimmungslage. Ich sehe dabei mit Besorgnis, dass in vielen Debatten beide Themen unzulässig miteinander vermengt werden.

(Beifall SPD)

In dieser Situation haben die Ereignisse von Köln die Wirkung eines Brandbeschleunigers. Sexuelle Gewalt gegen Frauen als Massendelikt, offenbar vorwiegend begangen von Personen aus arabischen Ländern und Nordafrika, sprengt den Rahmen des bisher Vorstellbaren. Die Botschaft gegenüber den Opfern darüber hinaus ist verheerend: Dieser Staat schützt nicht seine Bürgerinnen und Bürger und überlässt stattdessen dem Mob die Straße.

Für die antidemokratische Rechte sind diese Ereignisse geradezu eine Steilvorlage, die ihnen viele neue Wähler in die Arme treiben wird. Zugleich nimmt die Anzahl der Übergriffe auf Notunterkünfte und Flüchtlinge zu.

Ich wage mir nicht vorzustellen, wie diese Gesellschaft sich entwickelt, wenn Deutschland das Ziel eines terroristischen Anschlags werden sollte. Dass diese Gefahr real gegeben ist, muss ich nicht besonders betonen.

Wie ist die Lage in Bremen? Isoliert betrachtet, sind die Vorkommnisse in Bremen in der Silvesternacht eher unspektakulär.

Es gab Raubdelikte, Taschendiebstähle, vereinzelt auch Körperverletzungen und an manchen Orten wilde und auch gefährliche Knallereien, eben den allgemeinen Wahnsinn am Jahreswechsel. Allerdings war die Polizei mit massiven Kräften an den Brenn

punkten vor Ort. Mit dieser Vorgehensweise sollte von vornherein verhindert werden, dass die Gruppe der sehr auffällig straffälligen jungen Flüchtlinge die Lage bestimmt. In Bremen gibt es weit über 2 000 Jugendliche, die allein, ohne Eltern, aus Syrien, Afghanistan und Gambia zu uns gekommen sind und die unauffällig bei uns leben. Das ist der eine Teil der Wahrheit.

Der andere ist, dass eine Gruppe von rund 50 unbegleiteten Jugendlichen inzwischen für die Mehrzahl der Raubdelikte in Bremen bei den unter 18-Jährigen verantwortlich ist. Das Gros dieser Täter kommt aus Marokko und Algerien. Dank der massiven Präsenzmaßnahmen sowie der Arbeit einer speziellen Ermittlungsgruppe konnten in der Vergangenheit zahlreiche Taten aufgeklärt werden. Zurzeit befinden sich elf Jugendliche in Untersuchungshaft und vier in Strafhaft. Da die Abschiebung von Jugendlichen nach geltendem Recht beinahe unmöglich ist, können wir erst handeln, wenn sie volljährig geworden sind.

Ein weiteres Problem ist, dass diese Gruppe der Jugendlichen in der Regel ihre Identitäten verschleiert und ihre Papiere vernichtet oder verloren hat, und dass ihre Heimatländer kein Interesse daran zeigen, sie als Staatsbürger anzuerkennen und wieder zurückzunehmen.

Ich begrüße es sehr, dass nunmehr die Bundesregierung entsprechenden Druck auf Marokko und Algerien ausüben will, damit diese kooperieren. Ohne eine solche Kooperation können wir uns auf Landesebene noch so anstrengen, wir werden uns von diesen Menschen nicht befreien können.

(Beifall SPD, CDU)

Gleichwohl habe ich Ende des vergangenen Jahres die Ausländerbehörde aufgefordert, alle Möglichkeiten hinsichtlich der Abschiebung dieser besonderen Gruppe auszuloten. Die Frage, ob Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Die Anerkennungsquote für diese Länder beträgt nahezu null. Viel wichtiger ist es, ob eine Rückführung in diese Länder tatsächlich möglich ist. Sie haben gestern aus der Presse erfahren, dass Schweden dies mit Marokko bereits realisiert hat. Es ist viel entscheidender, dass wir da in der praktischen Umsetzung vorankommen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich stehe auch zu dem, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Der Senat verfolgt weiterhin das Konzept, zu deeskalieren. Priorität hat für uns weiterhin die freiwillige Ausreise von Menschen, die hier nicht bleiben können. Gehen sie nicht, müssen wir sie abschieben. Diese Rechtslage galt auch schon vorher. Daran halten wir uns.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Nun zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU! Sie haben der Presse entnommen, dass ich mich in der Tat dafür ausgesprochen habe, die Vorschläge der Bundesminister de Maizière und Maas zu übernehmen. Das ist auch Konsens in der Innenministerkonferenz. Der Senat wird sich mit dieser Frage beschäftigen, wenn uns der Entwurf der Bundesregierung zugeleitet wird. Daher werde ich Ihnen dazu heute noch keine Antwort geben können.

Ich frage Sie ehrlich zum Thema Abschiebung, glauben Sie wirklich, dass wir die Probleme, die wir gegenwärtig haben, darüber lösen können? Sehen Sie nicht die Schlangen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem sogenannten BAMF? Hunderttausende von Anträgen liegen dort unbearbeitet. Selbst wenn sie alle bearbeitet wären, stellte sich die Frage, woher Sie die vielen Tausend Verwaltungsrichter nehmen, die dann die Klagen in einem überschaubaren Zeitraum abarbeiten können. Woher nehmen Sie die Polizeibeamten des Bundes, die wir heute überall vermissen, weil sie in Bayern gebunden sind, die uns dann bei diesen Abschiebungsmaßnahmen unterstützen?

Selbst wenn wir das Personal hätten, um das alles zu realisieren, wird die Mehrheit der Menschen bei uns bleiben, da in ihren Ländern Krieg und Chaos herrschen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist die Realität. Deswegen werden wir uns darum kümmern müssen, was in unseren Städten passiert. Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass die Lasten fair verteilt werden. Sie haben das Thema angesprochen. Residenzpflicht besagt nur, dass man darauf achten wird, dass die zukünftigen Generationen vernünftig verteilt werden. Das heißt, dass kein Zustrom in einzelne Städte, sondern eine gleichmäßige Beteiligung, auch eine Lastenverteilung, stattfindet. Das halte ich für sehr vernünftig. Ich sage aber noch einmal, entscheidend ist, dass die großen Fragen geklärt werden. Abschiebung ist kein Thema, das wirklich zu einer Lösung des Problems beiträgt. – Danke sehr!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Röwekamp, Sie haben eine Frage an die SPD gerichtet. Ich möchte diese beantworten. Gestatten Sie mir aber einen kurzen Vorspann. Was ich an der Diskussion über die Vorfälle von Köln unerträglich und ekelhaft finde, ist, dass diese Vorfälle zum Anlass genommen werden, um pauschal

Zuwanderung und Flucht nach Deutschland zu kritisieren und zu diskreditieren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Ich verurteile das zutiefst. Das findet auch in Teilen meiner Partei statt. Das findet in Teilen Ihrer Partei statt. Das ist in Bremen Gott sei Dank anders.

Ich möchte Ihre Frage sehr einfach beantworten. Wir wissen und haben – anders als der nordrhein-westfälische Landtag – in Bremen auch immer sehr offen darüber diskutiert, dass wir hier in der Tat ein Kriminalitätsproblem mit einer Gruppe haben, die wir benennen und ethnisch zuordnen können. Es gehört zu einer guten, progressiven und in meinem Falle zu einer linken Politik, zu differenzieren und zu sagen, dass wir alles daransetzen müssen, diejenigen, die Zuwanderung, die den Islam und die Fremde und Flüchtlinge dadurch diskreditieren, dass sie permanent Straftaten begehen, in einem rechtsstaatlichen Verfahren abzuurteilen. Für mich und für die SPDFraktion in Bremen gehört auch dazu, sie in den Maghreb abschieben zu müssen, wenn dieses rechtsstaatliche Verfahren beendet ist und die Voraussetzungen vorliegen. Dazu steht die gesamte Bremer SPD. – Danke schön!