Protocol of the Session on February 26, 2014

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Einflussmöglichkeiten auf Intensivtierhaltung nutzen und vorantreiben

Antrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 10. September 2013 (Drucksache 18/1048)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Staatsrätin Friderich.

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erster erhält das Wort der Kollege Jägers, SPDFraktion.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Wir diskutieren heute über das Thema „Einflussmöglichkeiten auf Intensivtierhaltung nutzen und vorantreiben“. Wer zum Beispiel die Berichterstattung über das gesehen hat, was bei Betrieben geschieht, die für Wiesenhof arbeiten – ich verweise dazu auf die Sendung im NDR –, weiß, wie notwendig eine solche Debatte ist, dass wir die Debatte führen müssen und dass wir auf die Intensivtierhaltung in unserem Land mehr Einfluss nehmen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Eine Intensivtierhaltung, wie da gezeigt, wollen wir nicht haben.

Wir haben Einflussmöglichkeiten. Zum einen ist von den Bausenatoren und Bauministern in der Konferenz der Bauminister beschlossen worden, und zwar 16 zu 0, also einstimmig, dass im Baugesetzbuch die Privilegien für Großställe aufgehoben werden sollen. Es hat also Begrenzungen gegeben, es hat einen Eingriff gegeben.

In der Metropolregion machen wir mit den Umlandgemeinden eine gemeinsame Landesplanung Bremen/Niedersachsen. Wir müssen prüfen, wie wir Einfluss nehmen können – denn Bremen ist nun einmal von Niedersachsen umgeben –, damit nicht direkt an

unseren Grenzen die Betriebe entstehen, die wir vielleicht gar nicht haben wollen. Also, auch da kann man Einfluss nehmen.

Das sogenannte Dispensierrecht – wir wollen es abschaffen – erlaubt den Tierärzten, verschreibungspflichtige Arzneimittel herzustellen, zu lagern und zu verkaufen. Wir glauben, dass damit der Einsatz von Medikamenten verstärkt wird. Insbesondere geht es um die Frage des Antibiotikaeinsatzes. Wenn wir hören, dass Tiere sechs-, acht-, zehnmal mehr Antibiotika bekommen als Menschen, muss einem das zu denken geben. Das kann nicht gesund sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es gibt multiresistente Keime, die im Krankenhaus oder von den Ärzten kaum noch bekämpft werden können, weil so viel von diesem Zeugs eingesetzt wird. Seit 2011 gibt es eine Meldepflicht für diese Mittel. In 2011 sind 1 734 Tonnen Antibiotika an die Tiere verfüttert worden. Tonnen! Auch ich habe mal Antibiotika gekriegt. Das ist so eine Tablette, und darin sind irgendwie zehn Milligramm. Man muss sich einmal vorstellen, wie viele Tabletten da so verteilt worden sind. Die Hühner kriegen ja keine Tabletten; das ist schon klar. Aber man muss sich einmal vorstellen, wie viel das ist und was da an Mengen verteilt wird. Noch einmal: Das kann nicht gut sein, auch für unsere Ernährung nicht.

Wir wollen, dass Lebensmittel aus tiergerechter Haltung gekennzeichnet werden, sodass wir uns entscheiden können, was wir einkaufen wollen. Wir wollen systematische Kontrollen der Tiergesundheit. Weil wir, meine Damen und Herren, selber entscheiden wollen, was wir kaufen, kann man sagen: Es gibt eine Art Demokratie mit dem Warenkorb. Wenn man weiß, woher etwas kommt, kann man selbst entscheiden, was man kaufen will, kann man die Sachen in den Warenkorb packen, die man für gut hält oder für die es Siegel gibt, die sagen, dass das gut ist.

Was mir noch aufgefallen ist: Betriebe, die mit ihren Menschen schlecht umgehen – das heißt, die die Arbeitnehmer ausbeuten, hetzen, quälen und versuchen, sie möglichst billig zu beschäftigen –, gehen auch mit ihren Tieren nicht gut um. Uns als SPD-Fraktion geht es auch immer um die Arbeitnehmer, die in diesen Firmen beschäftigt sind. Auch hier sagen wir als SPD: Lasst euch nicht alles gefallen, wenn ihr da arbeitet! Wehrt euch, organisiert euch und guckt, dass ihr als Arbeitnehmer ernst genommen werdet! Für die SPD ist das Ethische nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Menschen. Deswegen rufen wir dazu auf, dass es ordentliche Arbeitsbedingungen gibt.

Produkte aus Intensivtierhaltung bringen Märkte zum Beispiel in Afrika ins Ungleichgewicht. Es gibt ja eine große Exportbreite aus der Landwirtschaft. Wir exportieren das meiste oder ganz viel, was produziert

wird, und das bringt Märkte ins Ungleichgewicht, wenn gleichzeitig subventioniert oder alles Mögliche zugelassen wird. Die Hälfte aller hungernden Menschen auf der Welt – das kann man gar nicht glauben; ich habe das aber gelesen – arbeitet in der Landwirtschaft. Sie produzieren Lebensmittel, und die Hälfte derer hungert bei der Produktion. Da stimmt doch etwas nicht auf unserem Planeten!

Das ist wie in ganz, ganz vielen Fällen so: Es ist eigentlich genug da, es ist nur schlecht verteilt. Wenn man weiß, dass pro Mensch circa 4 800 Kilokalorien pro Tag zur Verfügung stünden, wenn man sie nur verteilen könnte, weiß man auch, was an Lebensmitteln vernichtet wird, weil hier zu viel ist, weil wir es nicht aufessen, weil wir es gar nicht schaffen, weil es dann schlecht wird und weil wir es wegwerfen. Auch das kann nicht sein. Wir müssen die Verteilung verbessern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen, meine Herren, Menschen müssen essen. Das haben wir in der Menschenrechtserklärung von 1948 – darin steht nämlich etwas zum Recht auf Nahrung für alle Menschen – für Deutschland anerkannt. Wenn wir das in solchen Konventionen anerkennen, müssen wir auch dazu beitragen, dass es umgesetzt wird. Das ist unsere Verpflichtung. Wir können nicht sagen: Wir haben das 1948 mal anerkannt. Schön, was alles so meine Väter gemacht haben. Aber wir nehmen das mal zur Kenntnis, und das war es. – Das kann nicht richtig sein!

Es gibt schlimme Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft, zum Beispiel Monopolbildungen. Baumwollsaatgut wird noch von irgendwie fünf Firmen, auf dem Planeten verteilt, hergestellt. Gleichzeitig, seitdem es das gibt, ist das Saatgut um 8 000 Prozent teurer geworden.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss oder melde mich gleich noch einmal!

Wir haben also noch einige Möglichkeiten, die wir nutzen müssen, um mit der Intensivtierhaltung so umzugehen, wie die Tiere und die Menschen das verdient haben. – Schönen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Nächster Redner der Kollege Saffe, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich erst einmal bei der SPD für die Initiative, also für den Antrag, denn ich finde es immer wieder wich

tig, dass wir diese Themen – gestern Ernährung, heute Tierhaltung – auf der Tagesordnung haben.

Ich war im letzten Sommer in Wietze im Kreis Celle. Das war kurz vor der großen Demonstration dort. Ich habe mir diese Geflügelschlachtfabrik angesehen, von außen natürlich, denn hinein darf niemand. Der Schlachtplan dort: 430 000 geschlachtete Hühnchen pro Tag, 5 pro Sekunde, 300 pro Minute. Rein von außen betrachtet, könnte es auch eine Keksfabrik oder eine Chipfabrik sein: eine schöne helle Fassade, ein sauber gemähter Rasen davor, ein freundlicher Wachmann, der einen mit netten Worten den Weg vom Gelände weist. Da ist mir einmal mehr deutlich geworden, warum dieses System so lange funktioniert. Es basiert unter anderem darauf, dass wir alle nicht so genau hinter die Fassaden gucken können oder wollen, nicht hinter die Werbebildchen, die uns Lügen von glücklichen Kühen, Schweinen und Hühnchen erzählen, nicht hinter die Theken, in denen fein säuberlich und sehr einladend Fleischwurst und Fisch von netten Menschen in weißen Schürzen feilgeboten werden, und nicht hinter unsere eigene Gleichgültigkeit, weil günstige Angebote locken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Eine kleine Fantasie an dieser Stelle: Stellen wir uns einmal vor, die Mauern, die Fassaden, die Wände der Schlachthöfe, der Megamastställe, auch der Tiertransporter wären aus Glas, und wir könnten hineingucken! Ich glaube, einiges hätte sich von selbst erledigt.

Aber es gibt Hoffnung, denn immer mehr Menschen gucken doch hinter die Fassaden und entdecken dort auch ihre eigene Verantwortung. Unter anderem deshalb debattieren wir hier das Thema wiederholt, denn auch, wenn wir in Bremen keine Tierfabriken, keine Massentierhaltung haben, sind wir dennoch verantwortlich. Es sind wir, wenn wir hier in einen üblichen Supermarkt gehen und das tolle Schnäppchenangebot Wiesenhof Broiler – das Kilo 2,17 Euro – kaufen, und es ist Bremen mit den vielen öffentlichen Kantinen, Mensen, Cafeterien und so weiter.

Von Bremen aus werden viele Produkte tierischer Herkunft nachgefragt, privat und öffentlich. Von hieraus gelangt viel Geld in das System, das also von hier aus mitfinanziert und so leider auch ermöglicht wird. Unter anderem das wollen wir ändern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir wollen unserer Verantwortung nachkommen, und wir wollen und wir werden die gar nicht so kleinen Möglichkeiten als kleiner Zwei-Städte-Staat nutzen und einen Beitrag zu einem Umbau oder – besser – einer Abschaffung des Systems Massentierhaltung leisten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Unser aktueller Antrag enthält dazu einige gute Vorschläge und Ideen, wie ich finde. Ein wichtiger Hebel ist dabei die öffentliche Beschaffung, also das, was Bremen an Nahrung einkauft. Hier kann die Stadt Marktmacht ausüben, um schlicht nach Marktgesetzen die Nachfrage nach Erzeugnissen aus artgerechter Haltung zu steigern, die nach solchen aus der Massentierhaltung zu senken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wie uns der Senat in einer Vorlage im letzten Jahr geschrieben hat – das war in der Antwort auf die Große Anfrage „Ökologisch faire Beschaffung“ –, ist eine Umstellung in vielen Bereichen zu 100 Prozent bis 2020 möglich. Ganz deutlich noch einmal: Wir wollen, dass in den bremischen Kantinen, Mensen, Schulen, Behörden, auch in den Krankenhäusern mittelund langfristig nur noch tierische Erzeugnisse aus artgerechter Haltung auf den Tisch kommen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun sind wir kein Agrarland, aber wir haben dennoch Möglichkeiten. Konkret stelle ich mir das so vor, dass künftig in die Pachtverträge mit den Kantinen „aus artgerechter Haltung“ hineingeschrieben wird, abgesichert durch seriöse Label, wie zum Beispiel BioLand oder Neuland, und abgesichert durch das Kriterium „regional“, was ganz wichtig ist, denn wenn die Höfe, auf denen die Tiere gehalten werden, nur 50 oder 100 Kilometer weg sind, kann man hinfahren und überprüfen, ob man zu Recht mehr Geld zahlt und ob das stimmt, was von artgerechter Haltung erzählt wird. Wenn es stimmt und wenn vor allem Schülerinnen und Schüler das sehen, dann ist man viel eher bereit, mehr für das Fleisch zu bezahlen und sich vielleicht auch Gedanken darüber zu machen, den Fleischkonsum zu reduzieren. Ohne das geht es sowieso nicht. Das ist eine Grundbedingung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag kann sich auf zwei nicht unwesentliche Schriften beziehen.

Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Krankenhauskeime“ wird unter den Empfehlungen an den Senat, die ich auch als Empfehlungen an uns ansehe, ein breiter Verzicht auf Lebensmittel aus Massentierhaltung angeregt. Das steht deshalb darin, weil uns die Sachverständigen im Ausschuss immer wieder auf die Gefahr multiresistenter Keime hingewiesen haben, die aus der Massentierhaltung herrührt. Jährlich sterben mindestens 15 000 Menschen in deutschen Krankenhäusern an multiresistenten Keimen. Wir haben ja schmerzlich erfahren, was diese Keime in bremischen Krankenhäusern anrichten.

Die zweite Schrift, auf die ich mich beziehe, ist unser Koalitionsvertrag, denn dort steht auf Seite 27 im

Zusammenhang mit bäuerlicher Landwirtschaft geschrieben – ich zitiere –: „Wir setzen dabei vor allem auf den biologischen Landbau, artgerechte Tierhaltung, die Regionalvermarktung.“ Es steht dort geschrieben: artgerechte Tierhaltung. So soll es sein. Danach wollen wir uns richten. Das ist unsere Geschäftsgrundlage.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)