Protocol of the Session on April 18, 2013

Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/803 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und Abg. D r. K o r o l [fraktionslos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Leiharbeit verbieten

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 13. März 2013 (Drucksache 18/825)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Professor Stauch.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Leiharbeit ist ein ziemlich zentrales Thema der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere auch in Bremen und Bremerhaven. Wovon reden wir, wenn wir hier von Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen reden? Wir haben 13 500 Beschäftigte als Leiharbeitskräfte, wir sind eine Hochburg, das ist einer von 20 Beschäftigten, doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt. Die Situation sieht folgendermaßen aus: Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verdienen etwa die Hälfte dessen, was im Bundesdurchschnitt verdient wird. Laut der Antwort des Senats auf eine Anfrage vom April 2012 haben wir hier in Bremen ein ähnliches Verhältnis.

Bundesweit ist ein Drittel der Leiharbeitskräfte in der Metall- und Elektrobranche und ein Drittel in der Dienstleistungsbranche beschäftigt. Es ist so, dass es mehrheitlich Männer betrifft, allerdings ist die Leiharbeit auch bei den Frauen auf dem Vormarsch, wenn wir uns den Pflegebereich ansehen. Eine besonders problematische Branche, und deswegen sind wir hier auch sehr davon betroffen, ist die Windkraftbranche. Dort gibt es inzwischen Betriebe, die mehrheitlich aus Leiharbeitern bestehen. Wir haben Leiharbeit auch im öffentlichen Dienst. Es ist durchaus so, dass es dort auch vorkommt.

Wenn wir uns die Entwicklung der letzten zehn Jahre ansehen, seit der Deregulierung, seit den HartzGesetzen – das war am 1. Januar 2003 –, dann müssen wir sagen, die Leiharbeit hat wirklich nicht das gebracht, was man sich damals aus gewerkschaftlicher Sicht darunter vorgestellt hat. Leiharbeit ist kein Jobmotor, sie ist kein Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt, im Gegenteil, sie hat dazu geführt, dass wir die Arbeit in immer dünnere Scheiben geschnitten haben, ob das jetzt Minijobs, Leiharbeit, Teilzeit oder prekäre Beschäftigung sind. In der gesamten Linie ist die Leiharbeit ein unangenehm großes Feld geworden. Sie schafft weniger Erwerbsarbeit und nicht mehr.

Im SGB-II-Bereich werden ungefähr 50 Prozent Menschen in die Leiharbeit überwiesen. Wir wissen, dass das zum Teil sehr eng befristete Möglichkeiten sind. Nach wenigen Wochen oder Monaten kehren diese Menschen wieder zurück in den Leistungsbezug.

Das heißt also, wir haben ein Instrument, das den Betrieben die Möglichkeit geschaffen hat, sämtliche gewerkschaftliche Errungenschaften auf der Ebene der Mitbestimmung und des Arbeitsrechts letztendlich zu unterlaufen. Sie rekrutieren Menschen, die man an der Mitbestimmung vorbei relativ schnell in ein Trennungsszenario führen kann.

Ich möchte in dem Zusammenhang sagen, es geht hier nicht nur um Equal Pay, aber es ist einer der ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

zentralen Punkte, weil man ja festgestellt hat, dass in den vielen Bereichen den Leiharbeitern – ich habe die Zahlen vorhin genannt – deutlich weniger bezahlt wird als den Festangestellten. Es geht auch darum, dass man genau diese arbeitsrechtlichen Gesetzgebungen unterlaufen kann.

Wir haben die Möglichkeit geschaffen, jemanden sofort wieder zu entlassen, ohne dass es an irgendeine Art von Mitbestimmung et cetera gebunden ist. Das ist eine Entwicklung, die dermaßen missglückt ist, die massiv reguliert, eingedämmt und mit dem Ziel versehen werden muss, das abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können es uns faktisch gar nicht leisten, auch mit Blick auf die Problematik mit den Facharbeitern, zu sagen, sie werden mehr oder weniger alle in diesem prekären Bereich der Leiharbeiterschaft belassen. Wir haben hier mindestens ein Zweiklassensystem innerhalb der Belegschaften, und das Problematische ist tatsächlich, dass man sich durch diese Deregulierung erhofft hat, es über tarifliche Möglichkeiten aufzufangen. Dieser Versuch, den es damals gegeben hat, eine Hintertür offenzulassen, ist weidlich missglückt, und ich weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaften durchaus umstritten ist, wie wir mit der Leiharbeit umgehen.

Ich bin der Meinung, dass wir Wege schaffen müssen, um so etwas zu sanktionieren, abzuschaffen und letztendlich auf ein Mindestmaß zurückzuführen, wenn es darum geht, Wirtschaftsförderungen zu gewähren. Deshalb haben wir hier in diesem Antrag, der sehr ausführlich begründet worden ist, um auch letztendlich genau diese Ambivalenz in der Diskussion darzustellen, drei Forderungen aufgenommen: erstens, dass wir uns auf Bundesratsebene dafür einsetzen, die Leiharbeit abzuschaffen, zweitens, dass wir hier in unseren landespolitischen Zusammenhängen auf Leiharbeit verzichten, und drittens, dass wir bei der Wirtschaftsförderung sehr enge Maßstäbe setzen und sehr restriktiv damit umgehen, wer in den Genuss von Förderung kommt. Auf der Grundlage von Leiharbeit, das muss ich ehrlicherweise sagen, kann sich dieser Arbeitsmarkt in gar keiner Weise positiv entwickeln! – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Willmann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zu dem komme, was ich mir aufgeschrieben habe, gehe ich noch einmal auf die Rede ein, die die Kollegin Bernhard hier soeben gehalten hat, und ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

ich gehe im Speziellen auf ihre drei Forderungen in ihrem Antrag ein.

Ich glaube, wenn man einen solchen Antrag schreibt und sich auf die Rede vorbereitet, ist es eine Verpflichtung, sich damit auseinanderzusetzen – der Kollege Rupp hat den Antrag ja auch mitunterzeichnet –, was wir eigentlich schon gemacht haben. Wenn Sie sagen, wir sollen für die Wirtschaftsförderung strenge Barrieren einführen, wie wir mit dem Thema Leiharbeit und Wirtschaftsförderung umgehen, dann muss ich Ihnen sagen: Das haben wir bereits getan, und zwar über den Vorschlag, den Sie hier vorgelegt haben, hinaus, der ja aus Thüringen entliehen ist, nämlich eine Quote für Unternehmen zu schaffen, die Leiharbeiter beschäftigen. In Thüringen sagt man, wer mehr als 30 Prozent der Arbeitsplätze mit Leiharbeitern besetzt, der bekommt keine Wirtschaftsförderung.

Wir sind in Bremen, ob Sie es glauben oder nicht, wesentlich weiter, wir haben nämlich gesagt: Wirtschaftsförderung bekommt nur derjenige, der reguläre Arbeitsplätze schafft, und derjenige, der bei der Anrechnung von Arbeitsplätzen für seine Unternehmung Leiharbeiter einstellt, bekommt keine Wirtschaftsförderung. An dem Punkt ist die rot-grüne Koalition viel weiter, als Sie es in Ihrem Antrag fordern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die zweite Forderung, die hier im Antrag steht, ist, wir sollen uns im Rahmen einer Bundesratsinitiative auf ein generelles Verbot der Leiharbeit zubewegen. Dies zu machen, dem kann ich aus grüner Sicht nicht zustimmen. Ich glaube, wir knüpfen an die Debatte „Gute Arbeit“ an, die wir hier gerade erst hatten. Dazu muss man definieren, was gute Arbeit ist.

Für uns als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jegliche Arbeit ihren Wert, das gilt auch für ehrenamtliche Arbeit und für Familienarbeit. Erwerbsarbeit muss den Lebensunterhalt sichern, Sicherheit und Lebensplanung ermöglichen sowie gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung sicherstellen. Nur gute Arbeit ermöglicht den Menschen ein aktives gesellschaftliches Leben. Ein angemessenes und tariflich geschütztes Einkommen, Entgeltgleichheit, gesunde Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, starke Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte und ein Datenschutz für alle Beschäftigten auf Augenhöhe sind für uns Merkmale von guter und gerecht entlohnter Arbeit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

An der Stelle passt eben auch, so wie es eigentlich gedacht ist, die Leiharbeit mit hinein, und zwar unter klaren Leitlinien.

Für uns ist klar, dass sich das Gebot von Equal Pay nicht nur auf das Verhältnis der Geschlechter bezie

hen darf, sondern es muss sich für die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeiternehmer in den Unternehmen auch in der Abarbeitung von Auftragsspitzen widerspiegeln. Die Leiharbeit muss zeitlich befristet sein. Es darf nicht weiterhin so sein, wie es die Bundesregierung jetzt geschaffen hat, dass die Leiharbeit ausufert und dazu führt, dass dauerhaft in Unternehmen ganze Teile der Belegschaft durch Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer ersetzt werden. Dies muss auch darin enden, dass es einen Flexibilisierungszuschlag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben muss, die in der Leiharbeit arbeiten, weil sie unter besonders prekären Bedingungen arbeiten, nämlich nie zu wissen, wie lange sie im Betrieb sind.

Der andere, viel perfidere Teil als die Leiharbeit ist, glaube ich, der Werkvertrag. Es gibt Menschen, die aus Rumänien zu uns mit einem Werkvertrag kommen, sie gehen sechs Mal pro Woche in die niedersächsischen Schlachthöfe, zerlegen Rinder oder Schweine, und dann schicken sie die Hälfte ihres Lohns, der zwischen 3 Euro und 3,50 Euro liegt – es können sogar 5 Euro sein –, am Ende des Monats nach Rumänien, weil sie dann immer noch doppelt so viel verdienen wie in ihren Heimatstädten. Dies sind die tatsächlichen Auswirkungen der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, den die Bundesregierung weiter geöffnet hat.

Für uns Grünen ist klar, dass wir das Instrument der Leiharbeit wieder auf das zurückführen müssen, was es gewesen ist. Leiharbeit ist für uns ein durchaus sinnvolles Instrument in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten, aber es darf nicht dazu führen, dass Stammbelegschaften ausgehebelt werden, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte unterlaufen werden und die soziale Spaltung dieser Gesellschaft weiterhin in ungeahnte Weiten geführt wird. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Reinken.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Reform, die Neujustierung der Arbeitnehmerüberlassung, der Leiharbeit ist eine zentrale Aufgabe, das ist unbestritten. Skandalöse und unhaltbare Zustände gibt es in der Zeitarbeit, in der Arbeitnehmerüberlassung, das wissen wir. Diese zentrale Aufgabe muss angenommen werden, nur befürchte ich, mit dem Annehmen dieser Aufgabe wird es nichts vor Herbst dieses Jahres.

Wenn es nach uns geht, geht es nicht nur um die Neujustierung von Leiharbeit, sondern eben auch um andere Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt. Wer nur sagt, wir müssen die Leiharbeit verbieten – darauf hat der Kollege Willmann hingewiesen –, greift viel

fach zu kurz. Wir brauchen eine Neuordnung der Arbeit. Dazu gehören die Arbeitnehmerüberlassung und die Werkverträge, dass man sich das Thema Befristungen noch einmal genau anschaut, dazu gehören die Themen Mindestlohn und erweiterte Mitbestimmungsrechte bei der Anwendung der unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Möglichkeiten, die die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts betreffen. Das alles wird man als Paket angehen müssen, und es macht keinen Sinn, sich einzelne Aspekte dabei herauszugreifen.

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Warum nicht?)

Das will ich Ihnen gleich erklären, Herr Rupp!

Dass auf dem Arbeitsmarkt asymmetrische Verhältnisse herrschen, ist unbestreitbar, und dass das auch das Ergebnis der Arbeitsmarktreformen ist, ist auch unbestreitbar. Hier muss jetzt die Politik eingreifen und Fehlentwicklungen korrigieren. Das ist eine dringende Aufgabe, die wir gemeinsam im Rahmen der sozialen Verantwortung angehen müssen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Im Jahr 1994 waren 0,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Leiharbeit, also 138 000 Leiharbeiter, jetzt sind wir bei drei Prozent, bei ungefähr 850 000 Leiharbeitern. Richtig ist, die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer tragen das Risiko der Beschäftigungsschwankungen, das haben wir zuletzt in den Jahren 2008 und 2009 sehr deutlich gesehen, die Stammbelegschaften konnten zum Glück „geschont“ werden, die Leiharbeitnehmer wurden als Erste arbeitslos. Ursache hierfür war aber nicht nur die Aufweichung und Ausweitung bestehender gesetzlicher Regelungen, das wäre viel zu kurz gegriffen.

Ursachen sind zum einen die Philosophie, die heute in Unternehmen eine Rolle spielt und sich an den Renditen des Kapitalmarktes orientiert, die die Personalkosten als die am leichtesten zu beeinflussende Größe nimmt, zum anderen der Wahn der Analysten, dass man eben dann, wenn man die Personalkosten senkt, ein besonders attraktives Unternehmen am Markt ist, sowie die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Ausgliederung und die Illusion, dass man immer genug Personal vorfindet und sich nicht verantwortungsvoll um das Personal kümmern muss. Das alles sind auch Ursachen dafür, dass wir diese enorme Ausweitung von Zeit- und Leiharbeit haben.

Ich will deutlich sagen, dass die Ausweitung gesetzlicher Regelungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung mit Illusionen versehen war, die so nicht eingetreten sind. Es war ein Klebeeffekt, wir haben einen Klebeeffekt von ungefähr sieben Prozent in der Zeitarbeit, erwartet worden, der um ein Vielfaches höher ist.

Es gab zu Beginn der Arbeitsmarktreformen die Theorie, über die Personalserviceagenturen das Thema Vermittlung von Langzeitarbeitslosen über Leiharbeit in Angriff zu nehmen. Die Personalserviceagenturen sind samt und sonders eingeschlafen, und wir haben heute die Arbeitnehmerüberlassung nur noch in privaten Betrieben. Konterkariert wurden die Ziele durch massive Verwerfungen und massiven Missbrauch. Wir haben in der Tat den Ersatz der Stammkräfte durch Leiharbeiter, das ist feststellbar. Wir haben Lohnsenkungen in einigen Bereichen zu verzeichnen, und es hat sich in der Tat bestätigt, dass auch in den Krisen Leiharbeit deutlich fortgesetzt wurde. Wir haben aber auch Verwerfungen in anderen Bereichen, und deswegen muss man das als Paket sehen.

Das Thema Werkverträge ist angesprochen worden. Die Durchsetzung von Equal-Pay-Regelungen in sehr vielen Branchen führt dazu, dass die Betriebe auf Werkverträge umsteigen. Den Leiharbeitern, die gestern noch als Leiharbeiter beschäftigt waren, beziehungsweise den Unternehmen, die sie verliehen haben, wird gesagt: Das wird uns jetzt aber unter Equal-Pay-Gesichtspunkten zu teuer, Sie können morgen dieselbe Aufgabe bei uns erfüllen, aber bitte nur mit einem Werkvertrag. Das ist die Realität in einigen Branchen und Bereichen, und da nützt ein Verbot der Leiharbeit, der Arbeitnehmerüberlassung gar nichts.