Ich will zum Verfahren nur noch einen Satz sagen, Herr Bürgermeister. Sie haben sich drei Jahre Zeit genommen, diese Frage mit den Dachverbänden zu debattieren. Sie haben am 11. Dezember 2012 den Vertragsentwurf als Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft gegeben, im Übrigen, Herr Tschöpe, nicht mit der Ankündigung, dass wir ihm im Januar zustimmen sollen – ich habe mir die Drucksache noch einmal angeschaut, das steht nirgendwo darin – und auch nicht mit der Ankündigung, am 15. Januar 2013 unterzeichnen zu wollen.
Wir sind bis zum Erhalt der Einladung aus dem Rathaus davon ausgegangen, dass wir als Bürgerschaft in einer ersten Lesung diese Mitteilung des Senats nicht innerhalb von 24 Stunden beraten müssen. Wir haben am 12. Dezember getagt, am 11. Dezember haben Sie getagt und uns das zugeleitet. Herr Bürgermeister, sollen wir innerhalb von 24 Stunden zu solch einem Vertrag eine Parlamentsdebatte veranstalten? Welche Auffassung von Parlamentarismus haben Sie eigentlich, Herr Böhrnsen, seit Sie nicht mehr im Parlament, sondern im Senat sitzen? Das halte ich für einen Affront gegen das Parlament!
Dass wir in 24 Stunden Ihre Verträge absegnen, ist nicht mein Verständnis von Parlamentarismus, und dass Sie uns den Vertrag am 2. Oktober mit der Bitte um Vertraulichkeit zugeleitet haben, das ist ja wohl nicht die Eröffnung einer politischen Debatte.
Ich kann nur sagen, wir als CDU-Fraktion hatten uns vorgenommen, über die Inhalte dieses Vertrages innerhalb unserer Partei, aber eben auch mit den Menschen außerhalb unserer Partei in einen Dialog einzutreten, bevor wir unsere endgültige Auffassung, ob wir zustimmen oder nicht, festlegen. Wir hatten sogar schon einen Fahrplan dafür verabredet, wann wir zu diesem Thema in unserer Partei eine breite Debatte führen wollten. Dieses Verfahren ist durch die vorzeitige Unterzeichnung und das Verlangen an das Parlament, heute zuzustimmen, ehrlicherweise leider ad absurdum geführt worden. Wir hätten gern mehr Zeit gehabt, um über den Inhalt dieses Vertrags, die damit zusammenhängenden Fragen und auch die Vorbehalte gegen diesen Vertrag innerhalb und außerhalb unserer eigenen Partei eine Debatte zu führen, meine Damen und Herren, und das ist, glaube ich, nicht verwerflich.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass der Bürgermeister der Auffassung ist, dass unser biblischer Geschichtsunterricht ein seit Jahrhunderten verbrieftes hohes Gut ist. Ich frage mich aber, Herr Bürgermeister: Warum behandeln Sie es denn eigentlich in Bremen so sträflich, wenn es für Sie so wichtig ist? Warum lassen Sie zu, dass 80 Prozent dieses Unterrichts ausfallen? Warum lassen Sie zu, dass 90 Prozent dieses Unterrichts fachfremd erteilt werden? Meine Damen und Herren, wer das für ein solch hohes Gut hält, der muss sich auch persönlich dafür einsetzen, dass er tatsächlich erteilt wird, und das Gegenteil ist die Politik des Senats!
Ich bleibe dabei, man kann über Religionen, insbesondere auch über den Islam, nicht im Rahmen des Biblischen Geschichtsunterrichts, der auf allgemein christlicher Grundlage erteilt werden soll, ausreichend informieren. Wie wollen Sie denn über den Islam auf allgemein christlicher Grundlage Unterricht abhalten? Meine Damen und Herren, das funktioniert doch schon von allein nicht.
Deswegen sind wir im Übrigen auch nicht allein mit der Forderung, dass der Staat sich eben entscheiden muss, ob er statt Religionsunterricht einen allgemeinen Ethikunterricht will oder ob er statt des Biblischen Geschichtsunterrichts einen richtig erteilten, fachlich gebundenen, religiös orientieren Unterricht in den Schulen will. Wir haben diese Frage, Herr Bürgermeister Böhrnsen, lange in der Partei diskutiert, im Übrigen auch mit den Vertretern der christlichen Kirchen, den Vertretern der Vertragspartner Ihres Vertrages diskutiert.
Ich kann sagen, dass die ganz überwiegende Mehrheit unserer Gesprächspartner und auch in unserer Partei dafür ist, dass in Bremen das Wirklichkeit wird, was in 15 anderen Ländern auch funktioniert, ein toleranter, religiös geprägter Unterricht, der Weltoffenheit und Religionskunde vermittelt, der aber eben auch vermittelt, was unsere Gesellschaft an Werten verbindet und was die Menschen in unserer Gesellschaft leitet. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, ich bin nicht glücklich, wie diese Debatte läuft. Ich glaube, das Parlament täte gut daran, sich des Begriffes der staatlichen Neutralität bewusst zu werden, den unsere Verfas
sung im Umgang mit Religionen vorschreibt. Dieses Parlament sollte sich tunlichst enthalten – ich tue das! –, den Inhalt von Religionen zu bewerten.
Sie haben Ihr Bekenntnis hier sehr deutlich gemacht und gesagt, Sie sind gläubiger Christ. Ich bin Atheist. Ich habe Fragen an verschiedene Religionsgemeinschaften, die einen sind mir lieber, die anderen sind mir ferner. Das kann aber überhaupt nicht die Leitlinie sein, nach der ich heute hier entscheide. Die Leitlinie kann nur die sein, dass Gleiches gleich behandelt werden muss.
Vor dem Hintergrund ist vieles von dem, was hier sozusagen als Frage oder Exegese formuliert wird, kann man die eine oder andere religiöse Position denn eigentlich mit solch einer Zustimmung zu einem Vertrag vereinbaren – –. Ich sage Ihnen, darauf kommt es nicht an, weil das Primat unserer Verfassung ist, dass wir alle, auch die Religionsgesellschaften, auch die Gläubigen, die Ungläubigen oder wen es sonst in diesem Land gibt, unsere Verfassung zu achten haben. Das ist das gemeinsame Fundament.
Lassen Sie mich abschließend auch noch einmal sagen: Bei aller Distanz, die man zu einzelnen extremen Ausformungen von Religion im Islam oder im Christentum haben kann: Wenn Sie sich informieren, dann stellen Sie fest, dass wir mit ganz vielen islamischen Gemeinden hier heute einen Vertrag schließen, aber dass wir mit den beiden Gemeinden, über die wir uns in Verfassungsschutzangelegenheiten immer austauschen, ganz bewusst keinen Vertrag schließen. Das, was Sie versuchen zu suggerieren, dass man mit dem Schließen eines Vertrags auch in den Bereich kommt, wo man irgendwie Extremismus anerkennt, ist doch ersichtlicherweise falsch. Herr Röwekamp, ich glaube, es gehört zur Ehrlichkeit, wer heute diesem Staatsvertrag nicht zustimmen will, der hat Gründe dafür, die darf er hier in diesem Parlament auch nennen. Ich bewerte diese überhaupt nicht, aber ich finde, dieses Parlament sollte sehr deutlich machen, wer für was steht.
Ich kann für die SPD-Fraktion erklären, wir haben es diskutiert. Bei uns gibt es überhaupt kein Wackeln, wir werden einstimmig diesem Vertrag zustimmen, und ich glaube, das geht vielen anderen auch so, und wir akzeptieren, wenn eine hier im Parlament vertretene Partei ein anderes und gesplittetes Abstimmungsverhältnis an den Tag legt.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Motschmann, wenn ich mit irgendetwas keine Probleme habe – und deswegen wundert mich sehr, wie Sie zu dieser Aussage vorhin kommen –, dann ist es damit, dass es in Ihrer Fraktion unterschiedliche Meinungen zu diesem wirklich sehr schwierigen und tiefgehenden Thema gibt. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. In meiner Fraktion, in unserer Fraktion gibt es zu praktisch allen Themen eine Vielfalt von Meinungen, und bei uns wird gestritten und diskutiert. Wie Sie darauf kommen, dass uns das stören könnte, dass das bei Ihnen auch einmal so ist, das weiß ich wirklich nicht!
Im Gegenteil, ich glaube, es ist ein Beitrag zur politischen Kultur, dass Sie beide das heute in der Debatte transparent, demokratisch, in einem demokratischen Parlament öffentlich gemacht haben, Argumente geliefert haben für das eine und das andere, und ich wüsste nicht, wie Sie darauf kommen, dass irgendjemand in einem demokratisch gewählten Parlament dagegen etwas haben sollte. Es hat sich auch niemand dagegen ausgesprochen, sondern ich habe Ihnen beiden sehr aufmerksam zugehört und mir überlegt, welche Meinung ich zu den einzelnen Argumenten, die Sie vorgetragen haben, vertrete.
Ich möchte zu einigen Punkten doch noch einmal etwas sagen: Selbstverständlich, da draußen ist dieser Punkt, Herr Röwekamp, den Sie am Schluss angesprochen haben, die Gefahr durch den Islam. Ich glaube, das gilt als die schwierigste, heikelste und auch die problematischste Diskussion, die Sie natürlich jetzt versucht haben anhand dieser Debatte um den Vertrag hier noch einmal anzustoßen, weil es in der Tat diese Gefühle in der Bevölkerung gibt. Der 11. September 2001 hat nicht zuletzt dazu beigetragen, aber auch andere Vorgänge.
Was ich in der ganzen Debatte immer nicht verstanden habe, und ich habe es auch in Ihrem Beitrag heute nicht verstanden, natürlich sind entsetzliche Verbrechen begangen worden. Es werden täglich von verschiedenen Menschen auf dieser Welt entsetzliche Verbrechen begangen, die unterschiedlichen Staaten, Ethnien und unterschiedlichen Religionen angehören. In keinem anderen Fall, nehmen Sie doch ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
nur einmal die drei Mitglieder der NSU, sie haben keine türkischen oder arabischen Namen, sie heißen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus auf die Ethnie der Deutschen? Ich weiß gar nicht, ob sie irgendeiner Religion angehört haben, möglicherweise nicht, das ist mir auch egal, aber welche Schlussfolgerung ziehen Sie auf die Allgemeinheit, dass diese drei wahnsinnigen Menschen diese Terroranschläge ausgeübt haben?
Kämen Sie jedes Mal auf die Idee, das dann gleich der Gruppe, der großen Gruppe zuzuordnen, ich weiß nicht, der Thüringer, der Sachsen, der Frauen, der Männer, der Weißen, der Schwarzen? Auf diese Idee würde keiner kommen!
In diesem Zusammenhang ist es einfach unredlich, die vielen Muslime in Bremen, Bremerhaven und auf der ganzen Welt für kriminelle Aktionen verantwortlich zu machen, die im Namen des Islam begangen werden. Diese Menschen können genauso wenig für diese Aktionen wie Sie und ich und wir alle hier im Haus, und deswegen darf man sie auch nicht dafür verantwortlich machen, das andere solche Taten begehen.
Dass Sie auch nur teilweise bereit waren, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, hat mir noch einmal der Punkt mit den Aleviten gezeigt. Der Bürgermeister hat es gesagt, es macht absoluten Sinn, jetzt auch mit den Aleviten Gespräche aufzunehmen. Warum stehen sie nicht in diesem Vertrag? Einfach deswegen, weil sie sich selbst nicht als Muslime verstehen und weil sie in einem Vertrag mit muslimischen Gemeinschaften als Aleviten gar nicht vorkommen können und es auch nie verlangt haben!
Insofern ist es selbstverständlich, auch aus alevitischer Sicht, dass man einen eigenen Vertragsprozess mit den Aleviten macht, und wenn Sie sich darüber informiert hätten, dann wäre, glaube ich, dieser Aspekt aus Ihren Beiträgen auch schon gestrichen worden.
Ich finde, Sie haben bei dem Punkt zum Religionsunterricht gezeigt, dass Sie im Grunde dabei sind, einen Konsens, den man – und da ist die grüne Fraktion ganz vornweg gewesen – natürlich auch weiter
entwickeln muss im Lichte der Geschichte und auch angesichts der Zusammensetzung der Bürgerschaft in Bremen und Bremerhaven – –. Man muss diesen Konsens zum Biblischen Geschichtsunterricht mit Sicherheit auch weiterentwickeln und weiterdenken, weil heute andere Menschen in Bremen und Bremerhaven leben, als das in den Vierziger- oder Fünfzigerjahren der Fall war. Dass Ihre Konsequenz jedoch ist, dass eine Weiterentwicklung so aussieht, dass wir hinter die Vierziger- und Fünfzigerjahre noch zurückfallen und dass Sie das auch noch in dieser Bürgerschaft beantragen, das – und da müssen Sie sich leider nicht wundern – wird von dem Rest des Hauses einfach nicht geteilt. Wenn wir es voranentwickeln, dann nach vorn in die Zukunft gerichtet und nicht zurück in die Vierziger- oder Fünfzigerjahre, das kann es nicht sein!
Ich muss zugeben, auch ich habe kurz gezuckt, als mir klar wurde, dass die Unterzeichnung des Vertrags im Rathaus ein paar Tage vor der Verabschiedung des Vertrags hier in der Bremischen Bürgerschaft war. Ich bin aber dann trotzdem, weil ich noch einmal nachgedacht habe, voller Freude ins Rathaus gegangen und habe mich sehr über die Veranstaltung im Festsaal des Rathauses gefreut, habe den Reden gelauscht und habe mich sehr über die Unterschrift unter den Vertrag gefreut. Warum? Den ersten Grund hat der Bürgermeister genannt, weil es das Verfahren ist, das wir auch in allen anderen Verträgen, und zwar in unterschiedlichen politischen Konstellationen, so angewandt haben!
Der zweite Grund ist der, dass der Vertrag explizit darauf Bezug nimmt, dass er – und das haben wir ganz oft, denken Sie an die vielen anderen Staatsverträge! – überhaupt erst in Kraft treten kann, wenn es in diesem demokratisch gewählten Parlament eine Mehrheit gibt. Gäbe es sie nicht, würde auch dieser Vertrag nicht abgeschlossen. Gibt es sie so wie heute, kann er in Kraft treten als Zusammenwirken von Senat und Parlament. So ist das völlig in Ordnung, und ich freue mich, dass wir heute diesen Schritt gehen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich in dieser Debatte nicht auch noch zu Wort melden, aber der letzte Debattenbeitrag von Herrn Röwekamp hat mich dann dazu doch noch veranlasst. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Ich kann vorwegnehmen, was mein Kollege Erlanson gesagt hat, muss man vielleicht insofern erweitern, dass auch wir in unserer Partei viele Mitglieder haben, die überzeugte Christen oder Muslime oder auch jüdischen Glaubens sind. Insofern sind wir da auch sehr lebendig und diskutieren auch diese Fragen durchaus offen und auch zum Teil kontrovers.