Protocol of the Session on January 24, 2013

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich will hier ganz ausdrücklich sagen, es empört und bedrückt mich gleichzeitig auch, dass es Menschen gibt, zudem auch noch Amtsträger innerhalb der Freien Hansestadt Bremen, die glauben, nach über 50 Jahren Erfahrung mit mittlerweile über 40 000 Muslimen in Bremen und Bremerhaven behaupten zu sollen, dass jemand, der Muslim ist, nicht loyal zum Grundgesetz stehen kann. Das ist eine unerhörte Behauptung, und ich schäme mich fast dafür, dass ein Amtsträger in Bremen so etwas sagen kann!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Liebe Frau Motschmann, wir können beide gemeinsam in die Bibel schauen, und dort finden wir genauso wie im Koran die eine oder andere Formulierung – ich bin sicher, wir werden fündig werden –, die wir mit den Grundrechten unseres Grundgesetzes so nicht in Einklang bringen können.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Aber eine zweitausendjährige Schrift oder eine 1 300 Jahre alte Schrift wie den Koran gewissermaßen neben das Grundgesetz zu legen und, das ist ja der entscheidende Punkt, nicht einen Text, sondern das Verhalten von Menschen beurteilen zu wollen, das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich jedenfalls stelle für mich und für den Senat fest, dass wir mit den Muslimen in Bremen und Bremerhaven eine wichtige gemeinsame Erfahrung gemacht haben, dass wir nämlich gemeinsam auf dem Boden des Grundgesetzes, der Landesverfassung Bremens stehen und dass es sich insgesamt um gesetzestreue Menschen handelt, die in unserem Vertrag, wie wir ihn erarbeitet haben – und das ist auch ein Unterschied zu dem, was wir in den anderen Verträgen festgelegt haben –, sich ausdrücklich mit uns gemeinsam zu den Werten einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie bekannt haben, und da danke ich den muslimischen Religionsgemeinschaften ganz herzlich!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, hinter der Kritik am Verfahren wollen Sie etwas anderes verbergen.

(Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Genauso ist es!)

Deswegen möchte ich gern den Vorhang beiseite ziehen, der da Verfahren heißt. Wir haben uns im Senat streng an das Verfahren gehalten, das wir auch bei den Verträgen mit dem Heiligen Stuhl/der Katholischen Kirche, mit den evangelischen Kirchen und Gemeinden in Bremen und mit der Jüdischen Gemeinde angewandt haben, übrigens drei Verträge, die wir zu Zeiten der Koalition aus SPD und CDU geschlossen haben!

Es ist jeweils genau das identische Verfahren. Wir haben uns auf einen Vertrag verständigt, wir haben diesen Vertrag der Bürgerschaft zugeleitet, und die Bürgerschaft hat darüber beschlossen. Wir haben in allen drei Verträgen einen Satz stehen, der übrigens nicht verpflichtend ist. Der Senat kann die Freie Hansestadt vertreten, wir können ohne Zustimmung der Bürgerschaft einen solchen Vertrag schließen, aber wir haben in allen, mittlerweile jetzt vier Verträgen, in einem Paragrafen geregelt, dass dieser Vertrag in Kraft treten soll, wenn die Bürgerschaft ihm zustimmt. Die Überlegung dabei ist eine ganz schlichte, weil wir nicht etwas Bürokratisches vereinbaren wollen, sondern weil wir einen Vertrag mit Inhalt, mit Leben erfüllen wollen, der möglichst von vielen hier im Haus, aber auch in der Gesellschaft Bremens und Bremerhavens getragen wird. Das ist die Überlegung!

Wenn Sie nach Beteiligung fragen: Ich könnte Ihnen hier jetzt eine Kette von Zusammenkünften nennen, sowohl im Rathaus als auch außerhalb des Rathauses, und ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Mails hier verlesen, die zeigen, dass wir seit Monaten, seit Jahren im Gespräch sind. Ich habe schon in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit den integrationspolitischen Sprechern aller Fraktionen – auch Ihrer Fraktion – im Rathaus darüber gesprochen.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Ein Mal!)

Es ist hier schon verlesen worden, welche Erklärung Ihr Fraktionsvorsitzender im Oktober abgegeben hat, nachdem ihm der Vertragsentwurf vorlag. Aber ich bitte Sie, wir sprechen in einem wirklich vertrauten – nicht vertraulichen, aber vertrauten – Dialog mit den muslimischen Religionsgemeinschaften, und wir haben den Anspruch, diesen Dialog auch so zu Ende zu bringen, wie wir ihn geführt haben, nämlich in gegenseitigem Vertrauen, und das setzte voraus, dass wir eine bestimmte Form der Kommunikation untereinander gewählt haben. Berufen Sie sich nicht darauf, sondern schauen Sie in den Vertrag, ob Sie ihn mittragen können oder wollen!

Da bin ich bei einigen Argumenten! Das Wort Staatsvertrag oder Vertrag, Herr Röwekamp, Sie sind, wenn ich das einmal etwas kritisch sagen darf, nicht auf der Höhe der juristischen Diskussion! Es gibt keine Legaldefinition des Begriffs Staatsvertrag. Gemeinhin sagt man, das ist ein Vertrag zwischen Staaten, ein völkerrechtlicher Vertrag. Staatsvertrag nennt man auch das, was zwischen Bundesländern geschlos

sen wird, Rundfunkstaatsvertrag, ZDF-Staatsvertrag, Glücksspielstaatsvertrag und was es nicht alles gibt. Es gibt Verträge zwischen dem Staat und nicht nur den Kirchen, sondern den Religionsgemeinschaften, und diese nennt man gemeinsam Staatskirchenverträge, abgekürzt aber auch Staatsverträge. Über allen unseren Verträgen, die wir heute schließen und die wir in der Vergangenheit geschlossen haben, steht lediglich das Wort Vertrag, auch in dem Vertrag mit dem Heiligen Stuhl.

Die Frage, ob Sie mit einer Körperschaft öffentlichen Rechts einen solchen Vertrag schließen oder nicht, ist völlig unbedeutend. Frau Motschmann, die Frage Körperschaft des öffentlichen Rechts, das liegt an einer Religionsgemeinschaft, ob sie einen solchen Antrag stellt, und – Überraschung, Überraschung – wer entscheidet denn über den Antrag? Nicht der Senat, nicht die Körperschaft, sondern die Bremische Bürgerschaft entscheidet über den Antrag! Sie haben doch die Debatte um den Antrag der Zeugen Jehovas erlebt, der jetzt beim Bundesverfassungsgericht liegt. Das ist eine Frage, die die Bremische Bürgerschaft entscheidet. Die demokratische Beteiligung ist völlig sichergestellt.

Lassen Sie mich auf das Argument mit dem Verhältnis von Religion und Staat eingehen! Ja, ich finde es richtig, dass wir darüber nachdenken.Der Staat muss keine Verträge mit Religionen schließen, die Frage ist, ob er es tun sollte. Unser Grundgesetz und unsere Landesverfassung haben eine klare Trennung von Staat und Religion, aber wir sind kein laizistischer Staat, um das deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir sind kein laizistischer Staat. Der Staat schützt die Religionsfreiheit, und der Staat hat auch ein Interesse daran, dass sich die Religionsgemeinschaft an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt. Deswegen sage ich immer wieder, ist zum Beispiel das Rathaus immer offen, auch für die Religionsgemeinschaften in Bremen.

Daraus folgt, dass wir solche Verträge miteinander schließen, weil wir verlässlich die Religionsausübung sicherstellen wollen und weil wir gemeinsam mit den Religionen die Gesellschaft gestalten wollen. Das ist auch Gegenstand dieses Vertrags.

Was die Feiertage angeht: Ja, man muss sich, wenn man einen solchen Vertrag schließt, darüber Gedanken machen, welches aus Sicht der Religionsgemeinschaft die Feiertage sind, die für sie eine besondere Bedeutung haben.

Liebe Frau Motschmann, wir haben hier, da waren wir beide schon Abgeordnete, zum Beispiel die Debatte über den Buß- und Bettag geführt, Sie erinnern sich. Das war ja auch eine Debatte, die im Bereich der christlichen Religion mit einem bestimmten Ergebnis geführt worden ist. Welche Tage als Ergebnis die

ses Vertragsschlusses dann letztlich im Gesetz stehen, ist eine Angelegenheit der Bürgerschaft. Ich kündige hier schon einmal an, dass der Senat einen Entwurf zur Änderung des Sonn- und Feiertagsgesetzes vorlegen wird, der vorsieht, das die Feiertage, die hier im Vertrag genannt sind, in das Gesetz aufgenommen werden, und dann obliegt es dem Parlament, ob es das umsetzt oder nicht.

Zur Frage der anderen Religionsgemeinschaften! Ja, die Aleviten sind ein Thema. Ich habe angekündigt, und ich werde mich auch daran halten, dass wir auch mit den Aleviten in Gespräche eintreten werden, um einen solchen Vertrag zu schließen. Im Übrigen analog zu Hamburg, auch dort ist das so geschehen!

Ein Wort zum Religionsunterricht! Mich erstaunt Ihr Antrag. Ich kenne ein Grundsatzprogramm der CDU, das noch nicht so alt ist, ich glaube, drei Jahre! Darin steht, dass für Sie der Artikel 32 Absatz 1 unserer Bremischen Landesverfassung, der einen Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage vorsieht, unverzichtbar sei. Nun machen Sie einen Schwenk, und der lautet, das wollen wir nicht mehr, jetzt wollen wir einen konfessionell gebundenen Unterricht haben.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Ja, weil das sauberer ist!)

Ich würde Sie einfach bitten, diese Haltung noch einmal zu überdenken.

Es bietet sich an, einmal in die bremische Geschichte zu schauen. Wir haben seit ungefähr 200 Jahren eine solche Tradition des gemeinsamen Unterrichts der Religionen. Es gab im Jahr 1905 einen richtigen bremischen Schulstreit über diese Frage, im Übrigen innerhalb der christlichen Kirchen weitgehend ausgetragen zwischen „Orthodoxen“ und „reformatorisch Orientierten“. Das Grundgesetz hat in Artikel 141 eine Bremer Klausel, die das, was wir hier haben, einen gemeinsamen Unterricht auf allgemein christlicher Grundlage, schützt, stützt und möglich macht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Frau M o t s c h - m a n n [CDU]: Hat sich aber nicht be- währt?)

Ich bitte Sie, einfach einmal zu überlegen, ob es nicht ein kultureller Schatz ist, was wir hier haben, nämlich einen solchen Unterricht, und ob wir nicht gerade in Zeiten, in denen wir – die Zahlen sind genannt worden – eine andere konfessionelle religionsausgerichtete Gesellschaft haben, als das vor 50 oder 100 Jahren der Fall war, deswegen den Biblischen Geschichtsunterricht nutzen sollten, um das gemeinsame Lernen, um den gemeinsamen Respekt, aber auch um die gemeinsame Möglichkeit, sich mit Religion auseinanderzusetzen, zu erhalten. Ich möchte

Ihnen das noch einmal mit auf den Weg geben, dass Sie sich darum kümmern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Liebe Frau Motschmann, wenn Sie mir noch einmal zuhören würden, beide christlichen Kirchen, die Bremische Evangelische Kirche und die Katholische Kirche, sind mit uns, aber nicht nur mit uns, sondern auch mit den muslimischen Religionsgemeinschaften im Gespräch, im Dialog, wie wir diesen Biblischen Geschichtsunterricht in diesem Sinne erweitern, fortentwickeln können. Ich halte es für eine große Leistung, dass in unserem Vertrag steht, dass die muslimischen Religionsgemeinschaften sich an diesem Prozess, der, wie gesagt, von der Katholischen und der Bremischen Evangelischen Kirche mit großer Überzeugung getragen wird, auch beteiligen wollen. Machen Sie diesen Prozess mit, begleiten Sie ihn, ich glaube, das tut uns allen gut, was das Zusammenleben angeht.

Eine letzte Bemerkung! Zu Recht ist gesagt worden, dass ein Vertrag nicht nur ein Stück Papier ist, ein Vertrag muss gelebt werden. Wir sind auch nicht am Anfang der Gespräche mit den muslimischen Religionsgemeinschaften, wir hatten schon vor über einem Jahrzehnt Islam-Wochen in Bremen, Integrationswochen und -gipfel, wir führen ständig Gespräche. Ich mache einen Ramadan-Empfang im Rathaus, und das schon seit einigen Jahren. Wir wollen das als weiteren Schritt auf noch bessere Verständigung untereinander, noch mehr Normalität im Leben der verschiedenen Religionen in unserer Stadt sehen, auch dass wir die Religionen und ihre Beteiligung an unserer Gesellschaft als Bereicherung und Unterstützung unserer Gesellschaft sehen können.

In diesem Sinne bitte ich Sie um sehr breite Unterstützung dieses Vertrags. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin ehrlicherweise ein bisschen erschüttert, wenn ich im Verlaufe des heutigen Tages erfahre, wie die zugegebenerweise breite Mehrheit dieses Parlaments inhaltlich mit Kritik an ihrem politischen Vorhaben umgeht.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie denn?)

Herr Tschöpe und Frau Dr. Mohammadzadeh, Sie haben noch einmal die Verbindung zur Debatte zur Veränderung des bremischen Wahlrechts heute Mor

gen hergestellt. Ich will ausdrücklich sagen, nicht jeder, der gegen Ihr neues rot-grünes Wahlrecht ist, ist das aus völkischen Gründen, nicht jedem geht es um die Reinerhaltung des deutschen Volkes, wie es Herr Tschöpe vorhin in der Debatte gesagt hat, und nicht jeder, der Zweifel und Fragen zu dem uns vorliegenden Vertrag hat, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist rückschrittlich. Lernen Sie bitte wieder neu, mit inhaltlichen Argumenten und sachlicher Kritik von politischen Wettbewerbern umzugehen, anstatt mit einer solchen Autorität und Arroganz sich hier im Parlament zu verhalten!

(Beifall bei der CDU)

Ich beziehe ausdrücklich auch den hier vorhin mehrfach zitierten Amtsträger mit ein.

Ich will es auch noch einmal ganz deutlich sagen, ich habe vorhin in meinem ersten Wortbeitrag gesagt, warum wir der Auffassung sind, dass vieles von dem, was uns als Gesellschaft in unseren Werten verbindet, natürlich christlich-jüdische Wurzeln hat, dass daraus im zweiten Schritt auch die Toleranz gegenüber anderen Religionen herrscht und wir sie auch leben müssen.

Meine Damen und Herren, der Unterschied ist aber doch wirklich in der Realität heute, dass viele den Islam mit seinen politischen Überzeugungen, den radikalen Islam, auch als Bedrohung unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung wahrnehmen, und das im Übrigen, wenn man sich die Verfassungsschutzberichte vom Bund und von allen Ländern anschaut, auch nicht zu Unrecht. Es gibt innerhalb der radikalen Islame immer noch Menschen, die unsere Gesellschaft verändern wollen, und davor haben andere Menschen Sorge und Befürchtungen. Wenn man einen solchen Vertrag leben will, dann muss man versuchen, solche Sorgen und Befürchtungen auch auszuräumen, meine Damen und Herren, und sie nicht nur einfach zu ignorieren.

(Beifall bei der CDU)

Ja, es stimmt, die ganz überwiegende, überwältigende Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen islamischen Glaubens ist friedlich und akzeptiert unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, aber es gibt eben auch diesen anderen, wenn auch kleinen Anteil, und das unterscheidet diesen Glauben eben vom Christentum. Es gibt keine Kreuzzüge mehr in Deutschland und Menschen, die unser System aus religiösen Überzeugungen verändern wollen, aber es gibt von den Islamisten solche Bestrebungen. Es gibt Anschläge in Deutschland aus religiösen Motiven, meine Damen und Herren, und deswegen gibt es Vorbehalte dagegen, dass wir als Staat solche Debatten eben nicht oberflächlich, sondern gründlich führen müssen. Das ist unsere Auf

fassung, und nichts anderes haben wir in dieser Debatte deutlich gemacht.