Protocol of the Session on January 24, 2013

Ich kann vorwegnehmen, was mein Kollege Erlanson gesagt hat, muss man vielleicht insofern erweitern, dass auch wir in unserer Partei viele Mitglieder haben, die überzeugte Christen oder Muslime oder auch jüdischen Glaubens sind. Insofern sind wir da auch sehr lebendig und diskutieren auch diese Fragen durchaus offen und auch zum Teil kontrovers.

Ich habe mich aufgrund Ihrer letzten Äußerungen zu der Angst vor radikalem Islamismus gemeldet. Ja, das stimmt, muss ich sagen, diese Angst habe ich auch, aber ich habe genauso Furcht vor anderen radikalen klerikalen Entwicklungen. Ich habe auch Angst vor Entwicklungen, die zum Beispiel in den USA stattfinden, wo es die anglikanischen Religionsgemeinschaften sind, die völlig rückschrittlich und genauso militant dort zum Beispiel agieren wie einige andere Religionsgemeinschaften, und im Übrigen, die Gleichstellung von Mann und Frau akzeptieren sie auch nicht.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber das, finde ich, ist ja in unserem Staat ganz gut geregelt, denn wir haben ja die Trennung von Staat und Kirche, und das ist auch genau der Sinn und Zweck. Ich finde es ein bisschen erschreckend, dass Sie das eben bemüht haben, denn das läuft genau kontraproduktiv zu dem, was dieser Vertrag eigentlich bewirken soll. Er soll die Anerkennung unterschiedlicher Religionsgemeinschaften hier gesetzlich beziehungsweise vertraglich verankern und damit einen Dialog aufnehmen und öffnen.

Ganz viele dieser Debatten, die hier über Islam und Muslime geführt werden, sind von Ängsten und Vorurteilen sehr besetzt, wie ich selbst in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder erleben durfte. Ich habe Diskussionen mit Menschen geführt, die Angst hatten, weil eine Freundin von mir ein Kopftuch trägt. Diese Frau ist aber genauso gleichberechtigt und selbstbewusst wie Frauen ohne Kopftuch, egal ob sie nun muslimischen Glaubens, christlichen Glaubens sind oder Agnostikerinnen wie ich. Sie hat auch überhaupt gar keine Probleme, sich durchzusetzen. Das gehört zur Realität des Islam nämlich auch dazu, dass auch der Islam eine Religion ist, die sich wandelt und auch im Zuge von gesellschaftlichen Änderungen und veränderten Wertediskussionen diese auch annimmt und auch offen diskutiert. Ich glaube, das ist hier auch genau der Vorteil, den dieser Vertrag bietet, denn er legt ein Fundament dafür, dass das in Bremen auch von den Bürgerinnen und Bürgern nicht muslimischen Glaubens anerkannt wird.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Deswegen – und das ist der Grund, weshalb ich mich hier eben noch einmal gemeldet habe – hat mich Ihr letzter Redebeitrag etwas erschrocken, denn da

Ängste zu schüren, die man vor radikalen Formen von religiösem Fanatismus hat, ist genau das Gegenteil von dem, was mit dem Vertrag bezweckt werden soll. Das fand ich eben sehr bedenklich, und ich muss mich da meinem Kollegen Tschöpe anschließen, es ist eine Wendung in der Debatte, die ich nicht glücklich finde, muss ich ganz ehrlich sagen.

Ich möchte noch zwei Sätze zu dem Verfahren sagen. Ich muss Ihnen an einem Punkt recht geben und Herrn Tschöpe da widersprechen. Ich finde, eine vertrauliche Vorab-Mail, das wird diskutiert, ist etwas anderes als der Vertrag, der dann vom Senat als Entwurf den Fraktionen offiziell übergeben wird. Da muss ich ehrlich sagen, da hätte ich mir auch gewünscht, dass dieser Vertragsentwurf vielleicht eine Woche vor der Bürgerschaftssitzung gekommen wäre.

An einem anderen Punkt muss ich Ihnen widersprechen. Ich kann die Willensbildung in Ihrer Partei nachvollziehen, aber die Diskussionen über diese Vertragsunterzeichnung werden seit drei Jahren geführt. Unabhängig von dem Zeitpunkt des offiziellen Übersendens dieses Vertrags und der stattfindenden Sitzung der Bürgerschaft oder der Plenarwoche im Dezember hat unsere Partei zum Beispiel diese Diskussion in den letzten drei Jahren geführt. Ich habe auch gemerkt, wie schwierig es ist, solch eine Diskussion zu führen, gerade wenn man eher eine Partei ist, die, sagen wir einmal, einen Hang dazu hat, eher bei Agnostikern beliebt zu sein, und einen laizistischen Ansatz hat. Wir haben uns da sehr schwer getan: Wie stehen wir zu dem Vertrag? Wollen wir überhaupt Verträge mit religiösen Gemeinschaften?

Wir haben darüber grundsätzlich diskutiert. Wir haben aber durchaus den Entschluss gefasst, eben aufgrund der Tatsache, dass wir die Gleichbehandlung der religiösen Gemeinschaften haben und dass es die anderen drei Staatsverträge gibt, dass wir diesen Schritten und auch diesen Verhandlungen positiv gegenüberstehen. Es ist jetzt also nicht so, dass wir nicht Zeit genug gehabt hätten, in unseren jeweiligen Parteien diese Meinungsbildung herzustellen, denn im Grunde läuft sie seit drei Jahren, und wir haben alle in unseren Parteien die Möglichkeit gehabt, diese Willensbildung zu betreiben. Das hätte auch die CDU gekonnt, unabhängig von dem Zeitpunkt der Übersendung des offiziellen Entwurfs.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte eigentlich damit abschließen, dass ich hoffe – ich komme jetzt auch zum Schluss –, dass wir diese Debatte in Zukunft etwas sachlicher führen und auch etwas weniger mit Argumenten, die dann doch dazu führen könnten, dass hier mit Ängsten gearbeitet wird und eine Verständigung nicht möglich machen.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als erstes lasse ich über den Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den Islamischen Religionsgemeinschaften im Lande Bremen abstimmen.

Hier ist namentliche Abstimmung beantragt.

Wer dem Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den Islamischen Religionsgemeinschaften im Lande Bremen mit der Drucksachen-Nummer 18/727 seine Zustimmung, seine Stimmenthaltung oder sein Nein signalisieren möchte, möge sich dann deutlich mit Ja, Nein, Enthaltung zu Wort melden.

Ich rufe die Namen auf.

(Es folgt der Namensaufruf.)

Ich gebe das Ergebnis bekannt: Es haben 67 Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Es stimmten 58 Abgeordnete mit Ja, acht mit Nein, und es gab eine Stimmenthaltung.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Vertrag zu. (Beifall)

Jetzt lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU abstimmen.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/737 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! (Dafür CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Entschließungsantrag ab.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Mitteilung des Senats, Drucksache 18/693, Kenntnis.

Asylpolitik in Europa: Deutsche Blockade zugunsten von Menschenrechten und Harmonisierung beenden

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 5. Oktober 2012 (Drucksache 18/593)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Hiller.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich doch noch Ihre Aufmerksamkeit gewinnen kann für das Thema Asylsuchende, das nicht weniger wichtig ist als unser vorheriges Thema.

Die Europäische Union wurde Ende des Jahres für ihre Friedenspolitik ausgezeichnet. Führende Persönlichkeiten, darunter auch der Kommissionspräsident, Herr Barroso, und Frau Bundeskanzlerin Merkel reagierten sichtbar erfreut. Es gab aber nicht nur erfreute Reaktionen. Antikriegsorganisationen wiesen darauf hin, dass Aufrüstung ein Kernfaktor der EUPolitik ist. Flüchtlings- und Antirassismusgruppen bezeichneten die Preisverleihung als Zynismus; die Militarisierung der EU und ihre Abschottung gegenüber Flüchtlingen mit kriegerischen Mitteln seien alles andere als friedlich.

Leider muss man dem zustimmen, denn nicht überall in Europa entspricht der Umgang mit Flüchtlingen den Menschenrechten. Zum Beispiel werden Flüchtlinge und auch jugendliche Asylsuchende in Griechenland unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Italien ist ein Beispiel dafür, dass Asylsuchende nicht immer ein Dach über dem Kopf und auch keinen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung haben. In Ungarn werden Flüchtlinge teilweise sogar körperlich misshandelt oder mit Pharmaka ruhiggestellt. In manchen Flüchtlingslagern werden die Menschen, die Schutz vor Verfolgung und Misshandlung suchen, wiederum misshandelt.

Angesichts dieser Zustände reicht es einfach nicht aus, wenn der Bundesinnenminister, wie zum Beispiel Ende letzten Jahres geschehen, sagt, man solle doch die Menschen in den Herkunftsländern anständig behandeln, sonst brauche man sich nicht zu wundern, wenn die Visumsfreiheit wieder aufgehoben werde. Dabei haben wir auf europäischer Ebene bereits die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Asylrecht geschaffen. Wir haben eine Qualifizierungsrichtlinie, die eindeutige Kriterien für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus niederlegt, es gibt eine Verfahrensrichtlinie, in der die verschiedenen Phasen des Asylverfahrens geregelt werden. Es gibt eine Aufnahmerichtlinie, die Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden formuliert, und zwar unter Einschluss des Zugangs zum Arbeitsmarkt und im Notfall zu Sozialleistungen. Es gibt auch einen Richtlinienentwurf, der für die Mitgliedsländer Anreize schafft, sich im Rahmen der Neuansiedlungsprogramme des UNHCR zu engagieren.

Wenn solche Richtlinien also existieren, warum werden sie dann nicht unionsweit angewandt? Weil ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ihre Annahme von einigen Ländern blockiert wird, allen voran von der Bundesrepublik Deutschland! Wir wollen mit unserem Antrag nichts anderes, als das umsetzen, was die Europäischen Verträge auch vorsehen. Wir wollen erreichen, dass die Rechte der Flüchtlinge und Asylsuchenden und die Praxis der Asylpolitik in Deutschland an die bestehenden Richtlinien angeglichen werden. Seit zwölf Jahren arbeitet die EU an der Einrichtung des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Gut ein Jahr vor Ablauf der Frist ist noch kein einziger der fünf Gesetzestexte des sogenannten Asylpakets verabschiedet. Statistiken des Europarats und des Statistischen Amtes der Europäischen Union, EuroStat, zeigen, wie untragbar unterschiedlich die Mitgliedsländer mit Flüchtlingen umgehen. Zum Beispiel hat ein Asylsuchender in einem Land eine 95-prozentige Chance, anerkannt zu werden, in einem anderen Land hat derselbe Asylsuchende eine Chance von weniger als einem Prozent. Allein im Jahr 2010 lag die Spanne der Anerkennungsraten in der EU zwischen 1,6 Prozent und 44 Prozent. Die Widerspruchsfrist variiert zwischen zwei Tagen und 30 Tagen. Diese Ungleichheiten schreien nach Harmonisierung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Demgegenüber fordert unsere Bundesregierung, dass der Schwerpunkt der Asylentscheidungen weiterhin bei den Mitgliedsländern liegen soll. Sie hält an der Dublin-II-Verordnung fest, die von vielen Institutionen – vom UN-Flüchtlingskommissar über Amnesty International bis hin zum Bundesverfassungsgericht – als EU-rechtswidrig befunden wurde. Mein Appell lautet: Wir müssen weg von der Wahrnehmung des Asylsuchenden als Last hin zu den Chancen auf ein Leben in Frieden ohne Bedrohung kommen, die wir diesen Menschen in Not eröffnen wollen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Asyl ist keine Gnade, sondern ein Menschenrecht! Ich bitte um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, möchte ich auf dem Besucherrang ganz herzlich eine Gruppe der Bahnlärm-Initiative Bremen begrüßen. Seien Sie ganz herzlich willkommen! interjection: (Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Tuchel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nachdem wir in den letzten ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Tagen und Wochen oft über Asylpolitik auf teilweise sehr lokaler Ebene diskutiert haben, richtet sich nun der Blick auf das große Ganze in Europa. Niemand lebt auf einer Insel, weder in der Asylpolitik noch sonst irgendwo, und für Deutschland gilt dies in diesem Fall nicht nur geografisch.