Protocol of the Session on January 24, 2013

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und der LINKEN)

Als zweites Bundesland – nach Hamburg, wir haben es bereits gehört – hat Bremen einen Vertrag unterschrieben, der die freundschaftlichen und respektvollen Beziehungen zwischen dem Staat, hier dem Land Bremen, und den Muslimen verlässlicher gestaltet. Ich bin sicher, andere Bundesländer werden folgen. Andere Bundesländer müssen folgen, wenn sie die Pluralität unserer Gesellschaft anerkennen und sich des Wertes eines gegenseitigen Austausches und der Chance, die im Lernen voneinander liegt, bewusst sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist gut, dass Bremen hier vorangeht. Dieser Vertrag ist aber keine Beendigung eines Prozesses, nach dessen Unterzeichnung sich nun alle bequem und freudig zurücklehnen können. Der Vertrag ist ein wichtiger und guter Meilenstein, und nun geht die Aufgabe für die Vertragspartner und für uns alle weiter. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der kanadische Philosoph Charles Taylor formuliert so einfach wie treffend – ich zitiere –: „Der Umgang mit moralischer und religiöser Vielfalt ist eine der größten Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaften gegenwärtig konfrontiert sind.“

Jeden Tag – in den Schulen, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz – sind wir mit dieser Vielfalt konfrontiert. Wir leben, arbeiten und lernen gemeinsam in Bremen, Menschen christlichen, muslimischen, jüdischen Glaubens, Menschen anderer Glaubensrichtungen, Menschen mit säkularem Weltbild und Menschen mit esoterisch begründeten Vorstellungen. Bei aller Gemeinsamkeit gibt es natürlich immer wieder Konflikte und Spannungen, und das kann ja auch gar nicht anders sein. Unsere gesellschaftliche und politische Aufgabe ist es, die Achtung der moralischen Gleichheit der Individuen, religiöser und nicht religiöser Personen, und den Schutz der Gewissens- und Religionsfreiheit sicherzustellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist notwendig und entscheidend, dass sich eine Gesellschaft auf gemeinsame moralische Grundwerte einigt. Diese können aber durchaus aus unterschiedlichen Perspektiven und Überzeugungen hergeleitet werden. Dazu noch einmal ein Zitat von Charles Taylor, den ich sehr schätze, das merken Sie, weil ich ihn dauernd zitiere: „Historisch gesehen ist es noch nicht allzu lange her, dass sich das Modell einer politischen Gesellschaft durchgesetzt hat, das in der Zustimmung zu den politischen Grundprinzipien einerseits und in der Achtung der Pluralität der philosophischen, religiösen und moralischen Perspektiven der Bürger andererseits begründet ist und das am ehesten geeignet scheint, zu einem gerechten und hinlänglich harmonischen Zusammenleben zu führen.“

Dieses Zitat gefällt mir deshalb besonders gut, weil es das Ziel des hinlänglich harmonischen Zusammenlebens formuliert. Wir möchten uns doch auch nicht einbilden, dass irgendwann einmal alles Friede, Freude, Eierkuchen sein wird und dass es keine Konflikte auszutragen und auszuhalten gäbe. Einen Prozess weiter zu gestalten, der zu einem hinlänglich guten Miteinander in einer Gesellschaft führt, die zugleich egalitär und durch Vielfalt gekennzeichnet ist, das ist unsere Aufgabe als Bürgerinnen und Bürger und als Politikerinnen und Politiker.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir müssen die Chancen des Gesprächs, des Austausches und der Begegnung überall dort nutzen, wo sie sich herstellen lassen, so auch in den Schulen, wo

aus Sicht der Grünen der Religionsunterricht wieder eine größere Rolle spielen und gemeinsam für alle Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden sollte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Den Vorschlag der CDU-Fraktion, einen konfessionellen Unterricht in Bremen einzuführen, lehnen wir entschieden ab, auch weil das durch die Besonderheit unserer bremischen Verfassung, das ist Ihnen ja bekannt, gar nicht gedeckt wäre, aber vor allem, weil wir Grüne Ihren Vorschlag inhaltlich falsch finden. Richtig ist es, gerade im Fach Religion den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu eröffnen, gemeinsam Wissen zu erwerben und dann in einen Austausch über die eigenen Überzeugungen, Gewohnheiten und Rituale einzutreten. Das ist gelebter, interreligiöser Dialog. Solch ein gemeinsamer Unterricht gibt den Heranwachsenden ein Rüstzeug für das Leben in einer Welt der Pluralität mit, einer Welt, in der Menschen mit verschiedenartigen Identitätsprofilen ganz selbstverständlich zusammenleben und miteinander in Beziehung treten und lernen müssen, miteinander zu kooperieren, auch und gerade, wenn man nicht derselben Auffassung ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es bleibt noch vieles für uns gemeinsam zu entwickeln. Ein wichtiger Schritt für das Zusammenleben mit den Muslimen in Bremen ist getan. Jetzt sind wir alle gefragt, unseren Lernprozess fortzusetzen und einen gemeinsamen Alltag weiter zu gestalten, der von der Ethik des gegenseitigen Respekts gegenüber unterschiedlichen moralischen und spirituellen Optionen geprägt ist.

Wir begrüßen den geschlossenen Vertrag und sind freudig entschlossen, diesen Weg gemeinsam fortzusetzen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Motschmann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Abstimmungsverhalten zum Vertrag mit den Muslimen ist in unserer Fraktion freigegeben worden, wofür ich sehr dankbar bin. Ich möchte hier die Begründung für diejenigen geben, die zum derzeitigen Zeitpunkt dem Vertrag noch nicht zustimmen können.

Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, und es fällt mir auch nicht leicht, diese Rede hier zu halten, weil, Herr Tschöpe, sofort der Vorwurf kommt, wir würden spalten statt versöhnen, schon

bei Herrn Röwekamp, der ja dem Vertrag zustimmt. Nein, Herr Tschöpe, hier will niemand spalten, denn auch diejenigen, die hier noch Fragen und Probleme haben, möchten nicht spalten, sondern auch sie wollen versöhnen.

(Beifall bei der CDU)

Unterschiedliche Meinungen innerhalb einer Fraktion dürfen nicht als Streit missverstanden werden. Wir streiten nicht, sondern wir sind unterschiedlicher Meinung im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten, das ist der Unterschied. Die Ablehnung heute ist nicht Ausdruck dafür, dass wir grundsätzlich gegen vertragliche Regelungen mit den Muslimen wären. Es hat einzig mit den Inhalten zu tun und mit dem Verfahren, das Herr Röwekamp zu Recht kritisiert. Wir hatten an keiner Stelle, Herr Tschöpe, eine Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen, wie es zum Beispiel im parlamentarischen Raum eigentlich möglich sein müsste, und insofern verstehe ich nicht, warum Sie bei dem Entstehen dieses Vertrages über drei Jahre nicht irgendwann auch einmal die Opposition beteiligt haben.

Herr Bürgermeister Böhrnsen, das enttäuscht mich, denn von Ihnen habe ich etwas anderes erwartet. Ich habe von Ihnen erwartet, dass Sie offener mit dem Vertrag umgehen und auch uns hier einbeziehen können. Ich will die Begründung, warum wir nicht zustimmen können, in Fragen kleiden, damit sie nicht missverstanden werden können.

Natürlich haben wir Frauen schon Grund, hier genau zu hinterfragen, ob denn der Widerspruch, der sich durch den Vertrag mit dem Koran und der Scharia ergibt, aufgelöst worden ist. Ich bin an den Gesprächen nicht beteiligt worden.

(Abg. Frau D r. M o h a m m a d z a d e h [Bündnis 90/Die Grünen]: Frau Motschmann, ich bin auch eine Frau!)

Natürlich gibt es im Islam ein anderes Zeugenrecht, ein anderes Erbrecht. Ich freue mich ja, wenn das offenbar keine Rolle mehr spielt, sondern hier unsere Regelungen gelten.

Es fehlen bei den drei Vertragspartnern eine Reihe von islamischen Gruppierungen und Gemeinschaften. Es fehlen die Aleviten. Was ist mit denen? Sind sie nicht beteiligt? Sollen sie künftig beteiligt werden?

Das sind übrigens alles Fragen, die Sie wahrscheinlich in den drei Jahren auch gestellt haben, die aber nicht beantwortet sind.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Doch!)

Sie nennen die Vertragspartner Religionsgemeinschaften. Ein Kulturverein ist keine Religionsgemeinschaft, und ein eingetragener Verein ist nicht auto

matisch eine Religionsgemeinschaft. Auch da habe ich die Frage, das werden Sie sicher auch gefragt haben, ob es hier wirklich um Religionsgemeinschaften geht, aber wo bleiben die Aleviten und andere?

Dann haben wir auch die Frage nach dem Körperschaftsrecht. Sie schreiben hier eine Absichtserklärung, die islamischen Religionsgemeinschaften streben im Rahmen ihrer Entwicklung die Erlangung der Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts und so weiter an. Darüber muss man doch einmal reden können! Eine Absichtserklärung in einem Vertrag ist für mich ziemlich ungewöhnlich. Beschließe ich die jetzt schon mit? Beschließe ich an dieser Stelle, dass sie dieses Recht bekommen werden? Herr Dr. Güldner nickt; darüber wird man diskutieren dürfen! Ich finde, das ist legitim.

Bei den Feiertagen frage ich mich, warum hier nicht nur die drei genannt werden, die jetzt religiöse Feiertage werden, sondern auch sechs andere, die besondere Bedeutung für den Islam haben. Es findet sich in keinem Vertragswerk der Bundesrepublik Deutschland ein Passus darüber, was uns als Christen bedeutsam ist. Welche Aussage treffen Sie damit, dass diese Tage besondere Bedeutung haben? Sollen das in Zukunft auch religiöse Feiertage werden? Was heißt das?

Schließlich der Religionsunterricht! Herr Röwekamp hat das ja gesagt, dieser Passus ist so unverbindlich und so unverständlich, dass die Muslime das Recht haben, Stellung zu nehmen zum biblischen Geschichtsunterricht. Was heißt das, Stellung nehmen? Heißt das auch, dass sie künftig – auch diese Frage muss erlaubt sein – Einfluss nehmen auf einen Religionsunterricht, der am Boden liegt, der fast gar nicht mehr existiert? 80 Prozent des Religionsunterrichts fallen aus, 90 Prozent werden fachfremd unterrichtet. Wie will man eigentlich einen Unterricht weiterentwickeln, den es kaum noch gibt, der so verwahrlost ist wie hier in Bremen? Da entstehen Fragen!

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! Herr Tschöpe, Sie haben darauf verwiesen, dass auch in der Bibel Positionen zu den Frauen stehen: Ihr Frauen seid den Männern untertan, Epheserbrief, Haustafel, ja, das steht da, aber das Christentum ist durch die Aufklärung gegangen. Das Christentum wird jede Aussage historisch, kritisch exegieren, und das ist der Unterschied.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das erzählen Sie einmal dem Papst!)

Der Islam ist nicht durch die Aufklärung gegangen. Im Übrigen, Herr Dr. Kuhn, lesen Sie dann bitte weiter! Das steht dort, ja, aber es steht dann gleich weiter, dass die Männer ihre Frauen lieben sollen, gleich wie Christus die Gemeinde geliebt hat, und er ist sehr gut mit seiner Gemeinde umgegangen, und

da ist nicht von Bevorteilung oder Unterdrückung die Rede.

Ich schließe und sage, es gibt hier viele Fragen, diese Fragen müssen zulässig sein, und da erwarte ich, Herr Tschöpe – der nicht zuhört –, so viel Toleranz, dass Sie zumindest einer Rede zuhören, die hier an der Stelle noch Probleme hat, die Sie offenbar gar nicht mehr ernst nehmen können oder die Ihnen egal sind.

(Beifall bei der CDU)

Das kann ich nur bedauern, und ich kann nur hoffen, dass umgekehrt die Toleranz, die Sie Andersgläubigen entgegenbringen, auch uns gewähren.

Frau Dr. Mohammadzadeh meint, wir würden hier irgendjemand als nicht dazugehörig erklären. Doch! Alle gehören dazu, das ist überhaupt nicht die Frage. Wir wären auch bereit, einen gemeinsamen Vertrag zu verfassen, aber daran hatten Sie kein Interesse, und das bedauere ich sehr. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Sie hätten ja einmal Interesse bekun- den können!)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist noch nicht sehr lange her, da haben wir in Bremen und bundesweit etwas ganz Besonderes gefeiert und erinnert, nämlich 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei. Wir haben uns daran erinnert, dass seitdem Hunderttausende nach Deutschland gekommen sind und mitgeholfen haben, eine so erfolgreich wirtschaftende Bundesrepublik aufzubauen. Wir haben uns daran erinnert, dass sie als Gastarbeiter gerufen wurden, und Sie kennen den Satz: Wir riefen Gastarbeiter, und es kamen Menschen. Es sind Familien nach Deutschland gekommen, Hunderttausende. Es war nicht einfach, die Heimat zu verlassen und sich in einem Land, das ja zu der Zeit wahrlich nicht besonders durch Gastfreundschaft ausgezeichnet war und das sehr lange gebraucht hat, um überhaupt zu erkennen, dass es ein Einwanderungsland ist, heimisch zu fühlen.

Viel zu lange haben wir auch nicht zur Kenntnis genommen, dass Menschen etwas mitbringen, nämlich Wurzeln ihrer Herkunft, ihre Kultur und eben auch ihre Religion. Diese Religion ist der Islam, und es wird allerhöchste Zeit, dass wir, nachdem die Freie Hansestadt Bremen den anderen Religionen gegenüber den Respekt entgegengebracht hat, der ihnen gebührt, jetzt auch dem Islam diesen Respekt entgegenbringen. Das ist der Kern des Vertrags.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)