Protocol of the Session on December 12, 2012

(Glocke)

Ich komme in der ersten Runde zum letzten Beschluss mit den Mindestklassenfrequenzen, den Sie am 25. November 2012 gefasst haben. Wir haben schon gemerkt, was das bedeutet. Wir hatten am letzten Freitag die neue Kapazitätsrichtlinie, und da konnte man lesen, die Grundschule an der Melanchthonstraße hat 19 Schülerinnen und Schüler, die zur Fischerhuder Straße gehen sollen, nicht weil dort kein Platz vorhanden wäre, die Schule ist groß, nicht weil die Räumlichkeiten vorhanden wären, nein, sondern weil die Mindestklassengröße in den Grundschulen jetzt 20 sein soll, und das ist eben eine Schülerin oder ein Schüler zu wenig.

Der direkte Schulweg – man kann das bei Google Maps sehen – von Schule zu Schule sind 3,9 Kilometer. Da aber viele Schülerinnen und Schüler in der Melanchthonstraße weiter südlich wohnen kann man sagen, sie haben einen Schulweg von fünf Kilometern. Das sind Sechsjährige! Das ist, ehrlich gesagt, niemandem mehr zu vermitteln, weil es nicht fünf Schülerinnen und Schüler sind, die an dieser Schule zu viel wären, es ist ein Klassenverband. Nur weil er um eine Schülerin oder einen Schüler unterschritten wird, mutet man den sechsjährigen Schülerinnen und Schülern zu, vier bis fünf Kilometer an eine andere Grundschule zu gehen.

Man verhindert damit, dass diese Schülerinnen und Schüler in ihrer Nähe – und das ist uns allen klar – ein soziales Umfeld aufbauen können. Man macht ihnen das Leben schwer, sie haben weitere Schulwege, sie können ihre Freunde, die sie vor Ort hatten, vielleicht weniger sehen, und sie haben es auch schwer, andere Angebote außerhalb der Schule wahrzunehmen, weil sie eigentlich in einem ganz anderen Zusammenhang groß werden. Wie gesagt, wir sprechen hier nicht von Zehntklässlern oder Fünftklässlern, wir sprechen von Grundschülern. Das ist die Folge dessen, was Sie hier am 25. November beschlossen haben. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildungspolitik hat sich zu einem zentralen Politikfeld überall in der Bundesrepublik entwickelt, weil man die Bedeutung für die Zukunft unseres Landes erkannt hat, und deshalb wird allerorten an Verbesserungen gearbeitet. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Bei uns hat es sich auch zu einem prominenten Thema entwickelt, aber eher deshalb, weil es ein Politikfeld des kleinmütigen Zwistes und des ständig wiederholten Versagens ist, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Der Koalitionsausschuss hat getagt. Man möchte sagen, der Berg kreißte und gebar eine Maus.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die Maus ist auch noch weg übrigens!)

Alle unsere Befürchtungen und Voraussagen haben sich bewahrheitet, und nicht nur das. Sie haben in den letzten Wochen nichts Konstruktives bewegt, nein, im Gegenteil, Sie legten bei den Negativbotschaften nach und haben die Situation weiter verschlimmert. Einen prominenten Rücktritt unter Protest haben Sie provoziert, überziehen sich untereinander kaum noch verhohlen mit gegenseitigen Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Mit Ihrem Nichtstun in der Sache hinterlassen Sie einmal mehr ein Bild der Ratlosigkeit und der Hilflosigkeit!

(Beifall bei der CDU)

Immerhin ist man geneigt zu sagen, Sie gestehen ein, dass Sie sich verhoben haben. Sie gestehen ein, dass die Parallelität der Reformen, insbesondere aber die Geschwindigkeit ihrer Umsetzung ein Fehler war. Sie räumen ein, dass das deshalb ein Fehler war, weil Sie zu keiner Zeit die notwendigen Ressourcen und Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt haben. Sie hinterlassen einen Scherbenhaufen in der Bildungspolitik, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Sie bekennen, dass Ihre unrealistischen Annahmen nichts als Worthülsen und Luftbuchungen sind. Dieses schöne Wort der demografischen Rendite zum Beispiel, eine Art haushalterische Wunderwaffe, die immer dann herhalten muss, wenn Sie nicht mehr weiterwissen, eine Schimäre, von der wir von Anfang an gesagt haben, es gibt sie gar nicht! Die Zahl der Neueinschulungen steigt eher, als dass sie fällt, und wir freuen uns darüber, und Sie ergehen sich einen Streit unter Koalitionären.

Der Vorrat Ihrer bildungspolitischen Gemeinsamkeiten ist aufgebraucht. Sie haben sich aber nicht nur konzeptionell völlig verstrickt, das Verhältnis zwischen Bildungs- und Finanzressort ist offenkundig komplett zerrüttet. Von Zusammenarbeit keine Spur, außer Njet ist aus dem Haus des Reichs nichts zu hören, und der Senat, an der Spitze der Bürgermeister, kultiviert die

drei Affen als bildungspolitisches Konzept: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!

(Beifall bei der CDU und bei der LINKEN)

Die Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft und die neuen koalitionären Vereinbarungen sind eineinhalb Jahre her, und wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Legislaturperiode erreicht. Ihre Bilanz ist schon jetzt: Verwirrung und Enttäuschung! Ganztagsschulen: Weiterentwicklung zumindest auf Eis gelegt! Qualität: Bremen ist in der ersten IQB-Studie hauptsächlich aus selbst gemachten Gründen erneut auf dem letzten Platz und muss sich herbe Kritik auch der Wissenschaftler vorhalten lassen. Inklusion: in einer schwierigen Phase, vorsichtig formuliert, weil insbesondere die personellen Ressourcen fehlen! Unterrichtsausfall: Alltag in den Schulen, weil inzwischen selbst Vertretungsreserven zur Unterrichtsabdeckung eingesetzt werden müssen! Integration: Die dringend notwendigen Stundenkontingente sind nicht vorhanden.

Schon jetzt steht für uns fest, ein politischer Schwerpunkt sieht anders aus. Ihre Bildungspolitik grenzt an Wahlbetrug, und das merken die Menschen. Deshalb unterstützen wir die Forderungen des Bremer Bündnisses für Bildung nachdrücklich!

(Beifall bei der CDU)

Sie können aber noch besser! Im Bildungshaushalt fehlen nach wie vor mindestens 1,5 Millionen Euro für Heizkosten, die jetzt aus dem Senatorenbudget unter Rückgriff auf den Wissenschaftshaushalt erbracht werden sollen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Da ist ja Geld genug!)

Im Frühjahr soll dann diese, O-Ton aus der Vorlage, „Leihgabe“ aus dem Bildungshaushalt in den Wissenschaftsbereich zurückgeführt werden. Wie das finanziert werden soll? Ich glaube, Sie haben noch nicht einmal den Ansatz einer Idee, aber das Problem ist erst einmal verschoben, denn Vertagen ist ein weiteres Merkmal Ihrer strategischen Künste. Wir werden Sie aber daran erinnern, wir werden Sie damit nicht durchlassen. Für eine ausreichende Zahl von Hypotheken für die neue Senatorin ist jetzt schon gesorgt, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Obwohl wir das nicht wollen!)

Die Botschaft des Koalitionsausschusses? Von Hilfe und Unterstützung für den Bildungsbereich gibt es keine Spur. Der zentrale Inhalt der zwei Seiten Prosa, zu deren Erarbeitung Sie zwei lange Sitzungen gebraucht haben, lässt sich sehr knapp zusam

menfassen. Er lautet: Liebes Bildungsressort, löse deine Probleme selbst! Die Folge ist die Verschlechterung von Standards, wo eine Qualitätsoffensive notwendig wäre. Zwei Beispiele Ihrer kreativen Beschlüsse: Eine Offensive des Gesundheitsmanagements im Bildungsbereich soll Langzeiterkrankte wieder auf die Beine bringen nach dem Motto: Seid weniger krank, dann wird es schon reichen!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist doch nicht schlecht, wenn man weniger krank ist! Das verstehe ich jetzt nicht!)

Das Zweite: Zwei Prozent Kürzungen bei den Privatschulen, damit es am Ende allen gleich schlecht geht. In welchen größenordnungsbezogenen Relationen zu den Problemen das steht, bleibt völlig offen. In den Ohren der Betroffenen klingt das wie Zynismus. Sie setzen unverdrossen die Politik der Flickschusterei fort, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Als Zynismus kommt es tatsächlich an. Das zeigen nicht nur die Demonstrationen der Schüler, Lehrer und Eltern, die berechtigterweise mehr Personal in den Schulen fordern, das zeigt auch der Rücktritt der Bildungssenatorin, denn dieser Rücktritt ist kein gewöhnlicher. Es ist ein Rücktritt, hinter dem Protest, Frustration und Resignation stehen, ein Rücktritt, Herr Kollege Tschöpe, von dem Sie nach meiner Einschätzung sehr bewusst vorher nicht informiert wurden. Auch die Tatsache, dass Sie sich geärgert haben, war durchaus gewollt. Eine Senatorin, die von Ihnen, Herr Bürgermeister, bereits im letzten Sommer mit der Ankündigung eigener Gespräche ohne Ihre Senatskollegin desavouiert wurde! Eine Senatorin, die mit ihren objektiven Problemen von Ihnen, meine Damen und Herren auf der linken Seite des Saals, völlig allein gelassen wurde! Ein Rücktritt, der sagt, es gibt Grenzen der Zumutbarkeit und des Vertretbaren! Ihre Bildungspolitik kommentiert sich von ganz allein durch die Abstimmung Ihrer Hauptverantwortlichen mit den Füßen! (Beifall bei der CDU)

Wir haben Ihnen unsere Alternativen immer aufgezeigt. Wir brauchen schnellstmöglich einen Nachtragshaushalt, nicht nur um endlich zusätzliche Mittel für den Bildungsbereich zu mobilisieren. Wir brauchen endlich wieder Haushaltsklarheit und -wahrheit, die Ihnen, ganz nebenbei gesagt, auch verloren gegangen ist. Wir brauchen eine bedarfsgerechte Ausstattung der Schulen, und zwar transparent und planbar. Wir brauchen eine Qualitätsoffensive, für die und in den Bereichen der Schulen als oberste Priorität. Dazu brauchen wir ein pädagogisch strukturiertes Ganztagsschulkonzept, das kontinuierlich aufge

baut ist und ausgebaut wird. Wir brauchen einen bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsschule auch schon deshalb, weil es mit den Betreuungsangeboten im Zusammenhang steht.

Wir brauchen eine weitere Individualisierung der Förderung einschließlich einer schrittweisen Weiterentwicklung der Inklusion. Wir brauchen mehr Unterstützung und Chancengerechtigkeit insbesondere in regional und sozial schwierigen Bereichen. Wir brauchen eine profilierende Weiterentwicklung aller Schularten, der Oberschulen und der Gymnasien. Wir brauchen einen Masterplan für Bildung, der prioritäre Ziele formuliert, Reformmaßnahmen benennt und in eine stimmige Abfolge bringt, Konsens und Transparenz schafft und eine Übereinstimmung der Ressourcen herstellt. Immerhin kommen Sie in der Analyse langsam mit der Wahrheit heraus und bestätigen das, was wir schon seit geraumer Zeit wiederholt gesagt haben. Wir brauchen deshalb endlich einen bildungspolitischen Neuanfang, und wir sind sicher, Sie werden sich auch in den Konsequenzen noch auf uns zu bewegen.

(Beifall bei der CDU)

Genau daran werden wir die neue Senatorin messen. Sie tritt ein schwieriges Erbe an: eine zerrüttete Kommunikation zu den Beteiligten, eine unzureichende Ausstattung, angefangene und wieder gebremste oder faktisch gar zurückgenommene Reformen, ein Knäuel von Problemen, das ohne Unterstützung objektiv nicht zu bewältigen ist. Ihre wichtigste Aufgabe wird jedoch sein, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Im Sinne unserer Kinder wünschen wir Ihnen dabei Erfolg. Die kritisch konstruktive Unterstützung der Opposition ist Ihnen sicher.

Ich möchte aber nicht enden, ohne der scheidenden Amtsinhaberin meinen Respekt auszudrücken. Ohne unsere Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit beschönigen zu wollen, danke ich Ihnen für Ihren Einsatz, das offene Visier und die Konsequenz, mit der Sie das Amt geführt und mit der Sie schließlich dieses Amt auch verlassen haben. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Aktuelle Stunde kurz dazu nutzen, einige Worte zum Rücktritt beziehungsweise zur Amtszeit von Frau JürgensPieper zu sagen. Ich bedauere ihren Rücktritt. Es ist ein Verlust für Bremen.

(Beifall bei der SPD) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Viele sagen bei ihren Respektbekundungen und Anmerkungen zum Rücktritt, wir waren nicht immer einer Meinung. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, wir waren sehr oft einer Meinung! Frau Jürgens-Pieper hat immer mit hohem Sachverstand und Fachwissen ihre Linie verteidigt, hatte dabei immer ein offenes Ohr für andere Meinungen, für die Beiräte, für die Eltern vor Ort und für die Schulen. Ich habe in den letzten fünf Jahren Menschen getroffen, die sich kritisch über unsere Bildungssenatorin geäußert haben, doch sobald diese Kritiker Frau JürgensPieper persönlich kennengelernt oder erlebt haben, haben sie ihre Meinung schnell geändert. Frau Jürgens-Pieper hat sich immer mit voller Energie und ganzem Herzen für die Schulen, die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte eingesetzt. Frau Jürgens-Pieper hat mit mutigen Schritten eine Schulreform auf den Weg gebracht, die bundesweit viel positive Beachtung gefunden hat. Sie hat die CDU für einen Schulkonsens gewonnen, der inzwischen Nachahmer in anderen Bundesländern gefunden hat. (Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Amnesie nennt man so etwas wohl! Die Senatorin war doch die Getriebene!)

Herr Kastendiek, reden Sie den Schulkonsens jetzt doch nicht schlecht! Sie saßen doch mit am Konsenstisch, und lassen Sie uns doch diesen verabredeten Konsens auch – –.

(Zurufe von der CDU)

Es ist doch völlig egal, ob Sie jetzt an erster Stelle stehen oder nicht. Nehmen Sie doch einmal positiv auf, dass wir hier einen Schulkonsens und einen Bremer Schulfrieden gefunden haben und nicht wie andere Bundesländer über Schulstrukturen streiten, sondern eine breite Akzeptanz für die Schulreform haben.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Nehmen Sie es an der Stelle auch nicht so genau, was Sie sagen?)

Es gibt Kritik, was die konkrete Umsetzung und das Tempo betrifft. Die lautstarken Proteste und die Forderungen lassen aber außen vor, was in den letzten Jahren auf dem Feld der Bildung erreicht wurde und wie viel Geld trotz schwieriger Haushaltslage eben auch in die Hand genommen wurde, um die Schulreform umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben vielfältige Sprachfördermaßnahmen im Elementar- und Grundschulbereich eingeführt. Wir haben in Bremen heute ein zweigliedriges Schulsystem mit zwei gleichwertigen Säulen. In der Oberschule

werden Schülerinnen und Schüler in kleineren Klassen länger gemeinsam unterrichtet, individuell gefördert, und sie können alle Abschlüsse erwerben. Wir haben das Angebot an Ganztagsschulen auch massiv ausgebaut und viel Geld in den Bau und die Sanierung von Schulen investiert. Frau Jürgens-Pieper hat dabei die qualitative Weiterentwicklung der Schulreformen maßgeblich bestimmt.

Wie sehr sie fachlich versiert und politisch engagiert war, durften wir alle erleben, wenn sie hier im Parlament ihr Redemanuskript zur Seite gelegt hat und mit fundierten Argumenten ihre Position vertreten hat. Ich möchte Frau Jürgens-Pieper im Namen der SPD-Fraktion und auch persönlich für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit danken!