Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/419 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir fordern mit unserem Antrag die Erarbeitung eines Konzepts, in dem dargelegt wird, wie Menschen mit Behinderung in Bremen besser vor Gewalt und sexuellem Missbrauch geschützt werden können. Dabei haben wir uns bewusst auf den Schutz beider Geschlechter bezogen, doch wir wissen alle, dass es besonders Frauen sind, die Opfer von sexuell motivierter Gewalt und Missbrauch werden.
Unser Antrag war schon lange eingereicht, als Anfang Juli eine Mitteilung des Senats zum Thema „Hilfesystem für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder überprüfen“ herausgegeben wurde. In dieser Mitteilung steht unter anderem: „Spezielle Angebote für Frauen/Mädchen mit geistiger Beeinträchtigung/Behinderung gibt es kaum. Die Einrichtungen machen diese Angebote, soweit sie es im Rahmen ihrer Ressourcen umsetzen können. Aufwendungen für besondere Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sind in aller Regel nicht finanziert. Dies gilt zum Beispiel auch für notwendige Umbauarbeiten, die einen barrierefreien Zugang ermöglichen. Konzepte zur Erreichbarkeit von Frauen mit Behinderung/Beeinträchtigung, zum Beispiel für gehörlose oder blinde Frauen, die Gewalt in engen Beziehungen erleben, gibt es bislang im Land Bremen nicht.“
Um etwas zu verändern und zu verbessern, brauchen wir in Bremen solch ein politisch gewolltes Konzept. Das ist, denke ich, unbestritten so, und es wurde auch in der letzten Woche im Arbeitskreis, der den Aktionsplan zur UN-Behindertenrechtskonvention erarbeitet, so festgestellt. Wir fordern daher die Bürgerschaft auf, der Entwicklung eines so wichtigen Konzepts zuzustimmen! In ihm sollte unter anderem ausgearbeitet sein, wie in Bremen dauerhaft Angebote und Maßnahmen auch durch strukturelle Veränderungen geschaffen werden können, die dazu führen, dass feststellbar weniger Übergriffe auf Menschen mit Behinderung zu verzeichnen sind.
(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Des Weiteren wollen wir, dass Unterstützungsangebote von Beratungsstellen bedarfsgerecht weiterentwickelt oder auch neu entwickelt werden. Wichtig ist hier besonders, dass diese Angebote barrierefrei zu erreichen und auch zu nutzen sind. Alle Maßnahmen sollten natürlich sozusagen übergeordnet die Stärkung des Selbstbewusstseins von Menschen mit Behinderung im Blick haben, denn nur so werden sie in die Lage versetzt, ihre Grenzen selbst zu wahren. Wir sollten auch dafür eintreten, dass in den Bremer Behinderteneinrichtungen Ansprechpartnerinnen und, wenn nötig, auch Ansprechpartner eingesetzt werden, die Unterstützung in schwierigen Situationen gewährleisten und dafür Sorge tragen, dass betroffene Menschen lernen, sich selbst zu schützen. Da gibt es auch deutschlandweit schon einige gute Ideen und Beispiele, von denen wir Bremer in der Umsetzung profitieren könnten. Das alles sollte natürlich im Rahmen von Qualitätssicherung dann auch überprüfbar sein. Es gäbe noch viele Details, die bedacht werden müssten, doch sie alle hier jetzt aufzuzählen, würde leider den Rahmen sprengen. Nun läuft das Thema allerdings Gefahr, vorerst auf eine lange Bank geschoben zu werden, denn Sie, die Kollegen von der Koalition, möchten unseren Antrag in die Sozialdeputation überweisen. Diesem Umweg werden wir nur mit einigen Bauchschmerzen zustimmen, denn nach unserer Überzeugung braucht Bremen möglichst schnell ein Konzept, das klare Ziele benennt und konkrete Arbeitsschritte aufzeigt. Das Thema ist ja nicht neu, und die Akteure in diesem Bereich warten schon seit Jahren darauf, dass sich hier etwas tut. Heute wäre eine gute Gelegenheit, der Entwicklung eines solchen Konzepts geradewegs ohne Umwege zuzustimmen. – Vielen Dank! (Beifall bei der CDU)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Grönert, ich gehe keinen Umweg, und ich glaube, Sie werden nach meinem Vortrag ohne Bauchschmerzen mit mir gemeinsam den Weg gehen. Passen Sie einmal auf!
Menschen mit Behinderung sind Menschen wie Sie, Frau Grönert, Frau Garling, Herr Tuncel und ich, fröhlich, launisch, aggressiv, zärtlich, brummig oder freundlich, ganz menschlich!
Menschen mit Behinderung sind aber oft in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt, immer in besonderer ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Weise abhängig davon, zu den sie betreuenden Menschen uneingeschränktes Vertrauen haben zu dürfen und sich darauf verlassen zu dürfen, von ihnen verstanden und geschützt zu werden. Oft ist das Urvertrauen dieser Menschen mit Beeinträchtigung, die in Einrichtungen leben, schon erschüttert durch traumatische Erfahrungen und Erlebnisse in ihrer Kindheit, durch Misshandlungen und Missbrauch in der eigenen Familie oder dem Bekanntenkreis. Dort, wo Menschen mit Behinderung durch ihr Handicap hilflos sind, sind sie besonders schutzbedürftig.
Diesem Bedarf an Schutz gerecht zu werden, das Vertrauen nicht zu enttäuschen oder auszunutzen, beschädigtes Urvertrauen wieder aufzubauen, ist nicht nur die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen, Tages- und Werkstätten, sondern oberstes Gebot aller für das Wohlergehen unserer Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung Verantwortlichen. Wir als Politikerinnen und Politiker sind hier nicht ausgenommen, sondern besonders gefordert.
Der Antrag der CDU wird diesem auch ein Stück weit gerecht, und dafür danke ich Ihnen, Frau Grönert!
Gewalt und sexueller Missbrauch sind grundsätzlich schon verwerflich, Gewalt und sexueller Missbrauch an Menschen in Abhängigkeit sind nicht zu tolerieren, sondern fordern die ganze Härte des Gesetzes.
Schweigende und wegschauende Beobachter entsprechender Verfehlungen von Kolleginnen und Kollegen machen sich ebenso schuldig wie die Täter.
Gleichwohl sind die beantragten Lösungen lückenhaft und bei Weitem nicht wirklich hilfreich für alle. Sie erreichen allenfalls einen Teil der hilfsbedürftigen Menschen. Die Vorschläge erfassen die Menschen, die imstande sind, sich an Vertrauenspersonen wenden zu können, die der Sprache ausreichend mächtig sind und die sich verständlich machen können. Weiterhin hilflos und ausgeliefert würden aber all die Menschen bleiben, die diese Möglichkeit aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung nicht haben. Die Schwächsten sind hier wieder weiter die Hilflosesten, und das können wir als Koalition nicht hinnehmen.
Deshalb, liebe Frau Grönert, suchen wir nach anderen Lösungen – bitte mit Ihnen gemeinsam ohne Bauchschmerzen – und verfolgen damit natürlich das Ziel des Antrags. Wir werden aber nicht auf der Mitte des Wegs stehen bleiben, sondern fordern gleichen Schutz für alle Menschen mit Beeinträchtigung, unabhängig von Grad und Umfang ihrer Behinderung.
Die Pflege der Menschen mit Behinderung ist nicht nur eine sehr verantwortungsvolle, sondern auch eine sehr schwere und belastende Arbeit. Herr Bensch wird auch wissen, was ich meine, denke ich. Meine Anerkennung und unser Respekt gelten all den vielen in diesem Beruf tätigen Menschen, die Tag für Tag ihre Arbeit mit großem Engagement und Einsatz machen und die häufig bis an die eigenen Grenzen gehen, um ihren Schutzbefohlenen das Leben zu erleichtern. Ich bin im Laufe der Zeit vielen dieser Arbeitnehmer begegnet. Ich will nicht verhehlen, dass die Entlohnung dieser Arbeitnehmer und die Arbeitsbedingungen, unter denen sie täglich ihre Arbeit verrichten, nicht annähernd dem Wert ihrer Leistung entsprechen. Selbst die Beschäftigten, die nach Tarif bezahlt werden, gehören zu den Geringverdienenden.
Darüber hinaus gebietet der auch durch unsere Redebeiträge deutlich gewordene hohe Anspruch an die Pflege gerade auch der schwer- und mehrfach behinderten Menschen, dass für diese Tätigkeit eine hohe Kompetenz und Belastbarkeit der Pflegenden Voraussetzung ist, die nur durch eine intensive und anspruchsvolle Aus- und Weiterbildung zu erreichen ist.
Leider ist seit einigen Jahren zunehmend zu beobachten, dass Träger aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus auf weniger qualifizierte Kräfte zurückgreifen, die allein von ihrer mangelnden Qualifikation her weder der Belastung dieser Arbeit noch dem Qualitätsanspruch, den sowohl die Menschen mit Behinderung als auch deren Angehörige und nicht zuletzt auch wir haben, gerecht werden können. Auch nicht geeignete, weil überforderte Pflegekräfte oder Pflegekräfte, die zwar geeignet und ausgebildet sind, aber aufgrund zu hoher Belastung durch zu große Gruppen unter Stress geraten, können das Risiko für Gewalt an Patienten, sprich an den Menschen mit Behinderung, erhöhen.
Die Straftat des sexuellen Missbrauchs an Menschen mit Behinderung ist ebenfalls ein sehr ernstes Thema, das aber völlig andere Hintergründe hat. Das Thema muss umfassend und sensibel erarbeitet und breit diskutiert werden. Sexueller Missbrauch ist immer eine verwerfliche Straftat, die bei dem Opfer tiefe Wunden hinterlässt, Wunden, die oft ein Leben lang nicht heilen und das Opfer unendlich leiden lassen. Dies gilt zunächst für alle Menschen gleichermaßen.
Durch die Tatsache, dass hier das Opfer in einer besonderen, hilflosen und daher schutzbedürftigen Lage war – sowohl durch die Behinderung als auch durch das Abhängigkeitsverhältnis zum Täter oder zur Täterin –, wird die Unfassbarkeit noch gesteigert.
Es ist richtig, dass das Thema sexueller Missbrauch an Menschen mit Behinderung nicht tabuisiert wird, dass es auf den Tisch gebracht wird und dass nach Lösungen gesucht werden muss.
Es ist aber auch richtig, dass das Thema so wichtig ist, dass wir es hier in der Kürze der Zeit nicht angemessen beraten können. Ich halte jedoch eine überhastete Beratung nicht nur für unbefriedigend, sondern sogar für schädlich. Deshalb bitte ich darum, liebe Frau Grönert, diesen Antrag der CDU nicht hier zu beschließen, sondern unserem Antrag auf Überweisung zu folgen.
Wir beantragen die Überweisung dieses Antrags an die zuständige Deputation für Soziales mit der Empfehlung der Weiterleitung an den Arbeitskreis der UN-Behindertenrechtskonvention, die Abkürzung lautet TEEK, Temporärer Expertinnen- und Expertenkreis. Dort könnte das Thema kompetent und mit der notwendigen Intensität mit den Behindertenverbänden, den Menschen mit Behinderung und den Fachleuten vor Ort ausgiebig erörtert werden. Der Arbeitskreis hätte den großen Vorteil, dass nicht über, sondern mit den Fachleuten und mit den Betroffenen gesprochen werden würde und gemeinsame, tragende Lösungen gefunden würden. Sind die Bauchschmerzen weg? – Ich danke schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich spreche zu dem Thema sexueller Missbrauch von Behinderten. Wir hatten ja schon eine Große Anfrage der CDU, heute liegt uns der Antrag vor. Frau Schmidtke und auch Frau Grönert haben eigentlich genug in dieses Thema eingeführt. Allen ist bekannt, um was es geht. Ich will das jetzt nicht alles wiederholen.
Ich möchte nur noch einmal sagen, dass auch wir Grünen den sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen, sowohl an Kindern als auch an Behinderten, die in Abhängigkeit sind, auf das Schärfste missbilligen und für diese scheußlichen Verbrechen kein Ver––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
ständnis haben. Wie Frau Schmidtke es ausgedrückt hat, so finden auch wir, dass die volle Härte des Gesetzes diese Täter und Täterinnen treffen muss. Das setze ich erst einmal voraus.
Zum Antrag, Frau Grönert: Ihr Antrag ist gut! Wir tragen ihn ja auch insofern mit, als wir sagen, wir überweisen ihn, so wie Frau Schmidtke es ausgeführt hat, wie diese Überweisungskaskade dann ist. Auch wir sind der Meinung, dass er in diesem Arbeitskreis, TEEK, am besten aufgehoben ist, weil dort, wie Frau Schmidtke es auch schon ausgeführt hat, die Fachleute sitzen, weil dort nicht über, sondern mit den Behinderten und mit den Fachleuten gesprochen wird. Wir hoffen, dort zu besseren Lösungen zu kommen.
Des Weiteren – das hat auch Frau Schmidtke schon angesprochen – finden wir von den Grünen den Antrag ein bisschen einrichtungslastig. In der Bielefelder Studie ist natürlich auch das Thema angesprochen worden, worüber Frau Schmidtke schon gesprochen hat, dass sexueller Missbrauch oder überhaupt Missbrauch von Menschen mit Behinderung oder auch von Kindern am häufigsten leider – das muss man ja so feststellen, das ist durch mehrere Studien belegt – in der Familie oder im engeren Familienumkreis stattfindet. Es ist einfach auch wichtig, hierfür Lösungen zu erarbeiten.
Ich kann Ihnen gleich sagen, wenn Sie mich jetzt fragen, wie sie denn aussehen sollen, ich habe auch keine. Deswegen müssen wir unbedingt zu diesem Thema die Fachleute befragen. Es ist nämlich sehr wichtig, dass wir diesen Part nicht aussparen. Es ist sehr wichtig, dass wir uns um diese ganz wichtige Zone auch bemühen. In den Einrichtungen – alles, was Sie beschrieben haben, ist gut – kommen wir aber in diesem familiären Umfeld nicht weiter. Deswegen ist auch für uns angezeigt, diesen Antrag, so wie Frau Schmidtke beschrieben hat, zu überweisen. Daher werden wir Grünen auch einer Überweisung zustimmen. – Ich danke dafür, dass Sie mir zugehört haben!