Nicht jede Form von seelischem Unbehagen bedeutet gleich Einschränkungen, und nicht jede Form seelischer Einschränkung bedeutet gleich Krankheit. Leider kann auch nicht jede seelische Krankheit durch Prävention verhindert werden. Psychische Störungen und Erkrankungen rücken aber zu Recht immer mehr in den Fokus der Betrachtung. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in den Medien über die Zunahme seelischer Störungen in der Bevölkerung berichtet wird. Sicherlich sind wir inzwischen alle sensibler für seelische Aspekte, als das noch vor vielen Jahren der Fall war. Auch in der Ärzteschaft hat die Bereitschaft, seelisches Leid wahrzunehmen und als solches zu diagnostizieren, zugenommen. Ich finde es auch richtig so. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)
Wir haben es also auch mit einem statistischen Effekt zu tun, und doch, die Fachwelt ist sich darin einig, insbesondere Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen nehmen zu. Woran liegt das?
Seelische Erkrankungen werden immer durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt, genetische, biografische, familiäre Faktoren und auch politisch beeinflussbare Faktoren wie Bildung und Arbeitsbedingungen. Lebensbedingungen haben eben einen Einfluss auf die seelische Gesundheit eines jeden Menschen. Genau da kommen wir ja hier ins Spiel. Es müssen günstige Rahmenbedingungen entwickelt werden. Wie wir unser Zusammenleben gestalten, unter welchen Bedingungen Kinder aufwachsen, wie und welche Bildung sie erwerben, wie Arbeitsprozesse organisiert sind, all das sind Faktoren, die erheblich auf die Fähigkeit einwirken, mit Belastungen umzugehen, und seelische Gesundheit fördern oder negativ beeinflussen können.
Unsere Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass in den Bereichen, die politisch beeinflussbar sind, Belastungsfaktoren reduziert und Bedingungen, die günstig sind, gefördert werden.
In der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Grünen mit dem Titel „Seelische Erkrankung besser vorbeugen durch umfassende Gesundheitsförde
rung und Prävention“ wird deutlich, dass sich zur gezielten Förderung – und da muss man ja hinschauen, was man wirklich gezielt tun kann – der seelischen Gesundheit im Land Bremen zunächst die Bereiche Arbeit und Bildung anbieten. In beiden Bereichen können Belastungen gezielter reduziert und gesundheitsfördernde Maßnahmen weiter verstärkt werden. Wir Grünen meinen, dass Bremen die Chance ergreifen sollte, sich als Land um eine Förderung der seelischen Gesundheit jeder Bremerin und jedes Bremers verdient zu machen. Das käme dem Einzelnen und, wenn wir noch einmal an die Definition der WHO von seelischer Gesundheit denken, auch dem Gemeinwohl zugute.
Die Förderung seelischer Gesundheit ist eine Querschnittsaufgabe über alle Bereiche gesellschaftlichen Miteinanders hinweg. Wir sollten dafür zunächst in vier Bereichen Konzepte und Strategien entwickeln. Erstens sollten wir in den Kitas, Kindergärten und Schulen die Bildungsinhalte ausbauen, die der Förderung einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung dienen.
Das sind unter anderem Angebote zur Bewegungsförderung, zur kulturellen Bildung, zum Naturerleben und im Bereich des sozialen Interaktionslernens.
Zweitens, wir sollten bei den Strukturen am Arbeitsplatz stärker darauf achten, dass Bedingungen, die seelische Belastungen verursachen, reduziert werden – denken Sie nur an die ganze Burn-out-Debatte! – und Bedingungen, die günstig sind, ausgebaut werden! Einen guten Beginn sehen wir bereits im öffentlichen Dienst in Bremen. Gesundheitsförderung wird inzwischen sehr ernst genommen. Nun müssen natürlich die guten Ideen auch entsprechend umgesetzt werden!
Drittens, in allen öffentlichen Bereichen, sei es Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, Kulturförderung und so weiter, sollten wir dafür sorgen, das zu fördern, was sich günstig auf die Gesundheit und dann natürlich auch auf die seelische Gesundheit auswirkt, zum Beispiel die Förderung des Fußverkehrs, der Zugang zur Kunst und vieles mehr, und negative Faktoren wie zum Beispiel Lärm zu reduzieren!
Viertens, last but not least, bei der Versorgung seelisch Kranker in Bremen und Bremerhaven sollten wir immerzu weiter an einer guten Vernetzung und qualitativen Weiterentwicklung passgenauer Angebote arbeiten! – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Bündnis 90/Die Grünen sehr dankbar, dass dieses Thema, das in der Mitte der Gesellschaft längst einen Platz gefunden hat, nun auch Platz im Parlament bekommt. Vielen Dank! Sie haben die CDU an Ihrer Seite, wenn es darum geht, das Thema Gesundheitsförderung weiter voranzubringen, meine Damen und Herren.
Gesundheit ist eben mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. Wer eben genau zugehört hat, hat auch die Definition bekommen. Gesundheitsförderung bedeutet vor allem die Vermehrung von Gesundheit und Wohlbefinden. Es gibt einen wissenschaftlichen Begriff, Sense of coherence, das heißt, diese Selbstwirksamkeit sozusagen zu verinnerlichen und zu wissen, was ich mit meinem Verhalten auch bewirken kann und welche Erfolge ich erzielen kann, wenn mein Verhalten von der Wiege über den Kindergarten, Grundschule et cetera die Grundlage dafür schafft.
Wenn ich dort etwas lerne, erfahre und verinnerlichen kann und dann Erfolgserlebnisse kommen, dann haben wir die Grundlage dafür geschaffen, dass wir eben nicht die grausamen Kennzahlen haben, die uns auch wirtschaftlich bedrohen, nämlich seit 15 Jahren eine Vermehrung von psychischen Krankheiten, seit 15 Jahren ein deutlicher Anstieg der Frühverrentungen. Alles das kostet – wer sich nicht nur für Gesundheit, sondern auch für Zahlen und Geld interessiert – die Gesellschaft etwa 27 Milliarden Euro jährlich, und damit muss Schluss gemacht werden.
Frau Dr. Kappert-Gonther, die Große Anfrage ist wohlgemerkt nur vom Bündnis 90/Die Grünen und nicht von der Koalition. Wenn Sie einen Vorstoß machen und sagen, Ihr Wunsch wäre es, ein Bremen und Bremerhaven zu entwickeln, das eine Art Vorreiterrolle hätte, und wir kümmern uns um alle, nicht nur um die Kleinen, auch um die Großen und nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern wir schauen wirklich, wo die Politik Rahmenbedingungen setzen und vielleicht auch mit bescheidenen Ressourcen Großes bewirken kann, dann, glaube ich, werden Sie das Parlament als Ganzes an Ihrer Seite haben.
Die CDU ist sehr gespannt darauf, was die Koalition liefern wird. Wir schauen uns das kritisch an, aber Sie hören es schon heraus: Ich kann hier eine sehr positive Grundeinstellung der CDU verkünden! Ich freue mich darauf, dieses Thema weiter voranzubringen. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Wir brauchen natürlich keine Strategie des NichtHandelns, aber wer mit einem solch speziellen und auch sensiblen Thema den Sprung ins Parlament wagt, wird garantiert auch noch mehr liefern. Wir freuen uns darauf. Wir als CDU wollen auch Bremen und Bremerhaven dadurch voranbringen, dass wir die Gesundheitsförderung voranbringen. – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dass wir nicht unter der Großen Anfrage stehen, hatte organisatorische Gründe. Wir hatten noch Fragen zur Privatwirtschaft, dass diese noch mehr verankert werden, also es hat keine inhaltlichen Differenzen gegeben. Wir unterstützen natürlich dieses Thema, denn dieses Thema ist eines der brisanten Themen, die wir im Gesundheitsbereich momentan haben.
Wie Sie schon gesagt haben, vergeht keine Woche ohne mediale Beiträge zum Thema seelische Erkrankungen oder Burn-out. Häufig steckt hinter diesem Modewort die Diagnose Depression, oft verursacht durch zu viel Arbeit oder das Gefühl, nicht mehr Herr oder Frau seines Lebens zu sein. Schon Schüler beklagen, sie kämen mit all den Dingen, die von ihnen verlangt werden, nicht mehr zurande. Eltern schreien ihre Kinder an, Abteilungsleiter stehen hilflos vor überforderten Mitarbeitern, die Bundesanstalt für Arbeit versorgt immer mehr Frührentner. So klappt es nicht. Unser längeres Leben nützt uns nichts, wenn wir uns die letzten drei Jahrzehnte mit hohlem Blick vom Wahnsinn der Jahre zwischen 30 und 50 erholen.
Das postmoderne Management hat einen neuen Menschen hervorgebracht, den hundertprozentigen Büroangestellten. Für ihn ist das Büro nicht nur der Arbeitsplatz, sondern inzwischen der Lebensraum. Inzwischen gibt es zu dem Thema viele Untersuchungen. Es gibt auch, wie uns die Große Anfrage und die Antwort des Senats zeigen, diverse Hilfsmöglichkeiten und Vernetzungen in Bremen: Es gibt den Gesundheitsbericht öffentlicher Dienst, konkrete Angebote bei Essstörungen, Depressionen, Psychosen oder Selbsthilfe, auch im Kindergarten gibt es inzwischen einen Gesundheitsschutz, und es gibt, wie gesagt, auch das Aktionsbündnis „Alkohol“, das man auch noch hinzurechnen kann. In den Schulen gibt es curriculare Ausarbeitungen in den Fächern Psycho
logie und Biologie. Vieles steckt allerdings noch in den Anfängen. Es wird angegangen, es wird verbessert, denn inzwischen ist auch bekannt, dass ein Euro in die Prävention gesteckt eine Ersparnis von vier bis zehn Euro ergibt,
so auch wegen der unnötigen Abwesenheit vom Arbeitsplatz! Häufig sind Mitarbeiter lediglich anwesend und nicht produktiv. Das ist der sogenannte Präsentismus, der, wie man berechnet hat, dreimal so teuer ist wie die Abwesenheit.
Was ist also zu tun? Es gibt auch hier positive Beispiele aus der Wirtschaft, denn die Wirtschaft muss darauf reagieren. Der demografische Wandel erfordert hier Aktionen. Es gibt das Beispiel bei SAP, dort gibt es eine 20-köpfige Abteilung, die sich mit Prävention und Gesundheitsförderung beschäftigt. Sie bietet regelmäßige Untersuchungen und Workshops an. Berufs- und Privatleben sind dort Themen, aber die Stressfaktoren durch Mobilität und Flexibilität nehmen trotzdem zu. Sie sind letztlich nur begrenzt beeinflussbar, deshalb wird dort auch mehr auf Ressourcen wie Freude an der Arbeit, Anerkennung und Wertschätzung durch Vorgesetzte sowie die Schaffung von Freiräumen Wert gelegt.
Im letzten Jahr gab es vom DGB eine Untersuchung, den sogenannten Fehlzeitenreport, dort wurde festgestellt – man muss sich das einmal anhören –, dass 50 Prozent der Arbeitnehmer nie oder nur ganz selten für ihre Arbeit gelobt wurden. Das bedeutet letztlich für uns, Fortbildungen wie zum Beispiel eine Rückenschule oder Anti-Stress-Kurse helfen nicht bei Problemen, die durch einen falschen Führungsstil verursacht werden. Deshalb ist für uns wichtig, dass Maßnahmen am Führungsverhalten, an der Unternehmenskultur und der Förderung der sozialen Beziehungen innerhalb der Belegschaft ansetzen müssen. Insgesamt ist es aber auch notwendig, dass wir gesamtgesellschaftlich sehen, dass die soziale Ungleichheit beseitigt wird und wieder mehr Sicherheit für die Beschäftigten im Arbeitsleben herrscht.
Es wird weiterhin auch unsere Daueraufgabe in der Politik sein, dass wir hier die Rahmenbedingungen schaffen, damit eben die Gesellschaft auf dem Gebiet wieder etwas zufriedener und glücklicher wird. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Dr. Kappert-Gonther und, ich sage einmal, die neuen wilden Grünen, ich finde Ihre Anträge immer wirklich – da kann ich mich den Vorrednern eigentlich nur anschließen – sehr erfrischend. Ich finde es gut, dass so etwas wie Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge tatsächlich auch den Weg ins Parlament findet, das finde ich wunderbar.
In Ziffer 6 der Großen Anfrage war gefragt worden, welche gesundheitsfördernde Maßnahmen unter welchen Überschriften und mit welchem Selbstverständnis durchgeführt werden. Ich möchte gern der Antwort des Senats dazu zitieren: „Die Aktivitäten folgen einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und setzen sowohl auf der Ebene der Verhaltensals auch der Verhältnisprävention an. Sie richten sich auf die Verbesserung des Wohlbefindens, auf die Reduzierung von psychischen und physischen Belastungen und auf den Erhalt und die Förderung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit aller Beschäftigten.“ Da sage ich, prima, richtig gut, wenn man solche Ziele hat, dafür lohnt es sich zu streiten! Dabei unterstütze ich Sie wiederum auch besonders gern und zu jeder Zeit.
Aber – Sie können sich natürlich vorstellen, dass jetzt ein Aber kommt –, ich finde, das Ganze wird reichlich schief, wenn man gleichzeitig den „WeserKurier“ vom 12. September 2012 liest. Da schreibt Herr Gerling vom „Weser-Kurier“ einen Bericht, in dem es heißt: „Es sei geplant gewesen, in den drei Jahren bis Ende 2012 auf einen Anteil von 550 der insgesamt 950 einzusparenden Stellen zu kommen, aber die Bilanz mit 484 Positionen zeige, dass ‚Bremen auf einem guten Weg’ sei, sagte der Staatsrat“ – damit ist Herr Staatsrat Lühr gemeint – „im Haus des Reichs, wo die politische Verantwortung für den öffentlichen Dienst liegt.“ Wenn man das dann dagegen sieht, wissen Sie, dann kann ich einfach einmal sagen, da wird mir schlecht. Da wird mir einfach schlicht und ergreifend schlecht.
Wenn man diese wunderbaren Ziele, die der Senat in seiner Antwort genannt hat und die natürlich in der Tat in einem richtig verstandenen Gesundheitsmanagement und einem Gesundheitsprogramm stecken, gleichzeitig konterkariert, indem man sich darüber freut und sagt, prima, wir haben immerhin 484 Stellen im öffentlichen Dienst wieder abgebaut, dann sage ich, müssen Sie Ihre Gesundheitsförderung einsetzen, damit die Kollegen, die noch da sind, es überhaupt aushalten können und überhaupt noch damit ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
klarkommen, dass sie mit weniger Kollegen immer mehr Arbeit machen sollen. Sie haben dann meistens auch noch selbst den Anspruch zu schauen, dass sie für den Bürger auch etwas Bürger- und Kundenfreundliches hinbekommen. Das ist ja die Intention der meisten Menschen – die jedenfalls ich da erlebt habe –, die arbeiten. Sie schaffen es dann aber einfach nicht, und damit sie es aushalten, machen wir dann Gesundheitsförderung. Das finde ich einfach sehr schlecht.
Herr Brumma, Sie reden auch wieder so salbungsvoll daher, aber damals, als die Gesundheit Nord privatisiert worden ist, waren Sie es, der auf unsere Ansprache, in der wir gesagt haben, die Dienstvereinbarung „Sucht“ soll nicht mehr gelten, die haben Sie uns zusammengestrichen, in der wir gesagt haben Frauenbeauftragte, haben Sie uns das zusammengestrichen, als wir an Sie herangetreten sind und gesagt haben, Herr Brumma, das kann doch nicht wahr sein, dass solche Dinge jetzt zusammengestrichen werden, Instrumente, die durchaus in diese Richtung gehen und gut funktioniert haben, weil wir privatisiert worden sind, aber immer noch zu 100 Prozent zur Stadt gehören und von einer Senatorin geführt werden, die zum Beispiel bei den Frauenbeauftragten auch noch Senatorin für Jugend, Gesundheit und Frauen heißt!
Ich finde, es ist ein guter Vorschlag, und wir werden den auch sicherlich immer unterstützen, aber bitte dann, wenn wirklich auch eine materielle Realität dahintersteckt, und das werden wir als LINKE hier immer wieder einfordern. – Danke!