Ich habe mir aber andererseits auch nicht vorstellen können, wie viele Personen es gibt, die sehr fachlich kompetent die Interessen ihres Hobbys vertreten. Für diese politische Erfahrung bin ich dankbar. Neben der Dankbarkeit, die ich für die politische Erfahrung empfinde, sage ich ganz ehrlich: Wenn diese Diskussion dazu geführt hat, dass eine einzige Waffe in Bremen besser verschlossen ist und sich damit Ereignisse wie in Memmingen und in Winnenden nicht wiederholen, dann hat sich die Diskussion gelohnt. – Ich danke Ihnen!
Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Besuchergruppe der SPD-Abgeordnetengemeinschaft aus Bremerhaven.
Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 7. Februar 2012 (Drucksache 18/229) 2. Lesung
Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrer 15. Sitzung am 23. Februar 2012 in erster Lesung beschlossen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten im Februar in erster Lesung das Mindestlohngesetz für das Land Bremen eingebracht.
Uns war klar, wir betreten damit Neuland. Wir begeben uns auf ein Feld, das durch ein bundeseinheitliches Gesetz geregelt werden müsste, durch einen einheitlichen, für alle Arbeitsverhältnisse geltenden gesetzlichen Mindestlohn, so wie es in vielen Ländern Europas und Nordamerikas möglich ist und so wie es in vielen Ländern Europas als sozial richtig und auch als wirtschaftspolitisch vernünftig angesehen wird und sich bewiesen hat.
Klar ist, dass wir in der Bundesrepublik einen gesellschaftlichen Skandal mit einem Niedriglohnsektor haben, der mittlerweile auf fast 25 Prozent angewachsen ist. Klar ist, dass die Auswirkungen dieses Niedriglohnsektors besorgniserregend sind. Nicht zuletzt die OECD hat gestern oder heute festgestellt, dass das Auseinanderklaffen der Entgelte in Deutschland ein Problem ist. Bei uns ist aber bekanntlich alles anders: Bei uns werden gegenwärtig bundespolitisch die Weichen immer noch in eine andere Richtung gestellt, und gegen jede Initiative in Richtung Regelung eines Mindestlohns gibt es Blockaden. Statt einer einheitlichen gesetzlichen Regelung haben wir verquere Vorstellungen über branchenbezogene Mindestlöhne, die selbst die Arbeitgeber und Gewerkschaften ablehnen.
Gerade jetzt erleben wir eine Ausweitung des Minilohnsektors auf 450 Euro. Dies wird nicht dazu beitragen, dass das Institut sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung weiter gestärkt wird, sondern es wird weiter dazu beitragen, dass der Arbeitsmarkt ausfransen wird, und zwar in Richtung Niedriglohnsektor. (Beifall bei der SPD)
Interessanterweise gibt es selbst zu dieser Frage in der CDU erhebliche Differenzen. Am Wochenende konnte man lesen, dass zumindest der Arbeitnehmerflügel in dieser erneuten Ausweitung des Minilohnsektors überhaupt keine Perspektive sieht, aber was macht man nicht alles für seinen Koalitionspartner in unsicheren Zeiten! Wir subventionieren dafür lieber die Aufstocker, wir subventionieren letztlich Niedriglohnarbeitsverhältnisse lieber durch den Steuerzahler. Gleichwohl sind die Gegner eines Mindestlohns nach meiner Einschätzung ziemlich allein. Es gibt nur wenige Themen, bei denen man in der Bevölkerung eine so große Zustimmung ernten kann, die sich in einem einfachen Satz zusammenfassen lässt, nämlich: Man muss von seiner Arbeit leben können.
Ich bin fest davon überzeugt, wir bekommen irgendwann eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung, wenn vielleicht auch erst im Jahr 2013.
lichkeiten auszuschöpfen. Unser Ansatz ist, wir machen regional das, was regional möglich ist, und das machen wir im Wissen, Neuland zu betreten, und daraus folgt auch ein hoher Anspruch an Gründlichkeit. Nach der ersten Lesung hatten wir, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, zu einer Anhörung geladen, wir haben uns über die rege Teilnahme gefreut. Viele Vertreter von Verbänden, Kammern, Gewerkschaften und aus der Politik haben die Gelegenheit genutzt zu diskutieren, ihre Befürwortung und auch ihre Gegnerschaft vorzutragen. Die Anhörung wurde dokumentiert, und auch diejenigen, die sich dort nicht auf Diskussionen einlassen wollten, können ja diese Meinungen einmal an sich heranlassen. Die gründliche Arbeit in den Fraktionen der Koalition führt dazu, dass man zu Erkenntnissen kommt und neuen Erfahrungen in der Frage der Arbeitsmarktpolitik, in den Auswirkungen auf die Sozialpolitik, zu Erkenntnissen, die jetzt in dem Gesetzesentwurf in dem Änderungsantrag ihren Niederschlag gefunden haben. Wir sind selbstverständlich bei unserem Ziel geblieben, wir wollen das beeinflussen, was wir beeinflussen können. Das bekräftigt unseren Grundsatz: Wer Zuwendungen vom Bremer Steuerzahler bekommt, muss seinen Beschäftigten einen Mindestlohn zahlen. Zu einigen Änderungspunkten, die wir neu aufgenommen haben! Wir haben im Gesetz den Arbeitnehmerbegriff klar und unmissverständlich geregelt, es geht uns um die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wir haben den Begriff der Zuwendungsempfänger klar definiert und hier auch die Abgrenzung zu den Entgeltvereinbarungen im Sozialrecht beschrieben in der Weise, in der es uns möglich war. Wir haben die Landesmindestlohnkommission mit den Vertretern der Tarifvertragsparteien so zusammengesetzt, dass sie kompetent und nahe an der tarifpolitischen Realität arbeiten kann. Ich will noch etwas zu einem zentralen Gegenargument sagen. Uns wird vorgeworfen, die Tarifautonomie sei in Gefahr, wenn wir so etwas machen. Die Gewerkschaften als Teil der Tarifautonomie waren und sind dafür, dass wir dieses Gesetz einbringen. Die Arbeitgeberverbände als der andere Teil der Tarifautonomie waren und sind dagegen und haben das auch in der Anhörung deutlich gemacht, allerdings mit Unterschieden, auf die ich hinweisen möchte: Die Arbeitgeber im Handwerk haben sehr wohl die Sorge geäußert, dass durch Unterschreitung existierender Tarifverträge gerade bei öffentlichen Aufträgen Verdrängungskonkurrenz betrieben wird, also eher ein Argument für mehr Verbindlichkeit. Die Tarifautonomie wird nicht dadurch eingeschränkt, dass wir Regelungen schaffen, die Tarifverträge unterhalb des Existenzminimums nicht zulassen, im Gegenteil, sie wird gestärkt.
Sie wird gestärkt, weil sie die Chance auf Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe verbessert. Im Übrigen sehen wir ja gerade in den diesjährigen Verhandlungen zum Thema Leiharbeit, wie sehr sich die Tarifautonomie dann bewährt, wenn sie sich auch in einem bestimmten gesetzlichen Rahmen bewegen muss.
Ich persönlich habe fast 40 Jahre Erfahrung in der betrieblichen und tarifpolitischen Interessenvertretung, gestatten Sie mir das einmal als abschließende persönliche Bemerkung! Ich habe harte Auseinandersetzungen in Betrieben und in der Tarifpolitik erlebt, und ich habe Kompromisse erlebt, die geschlossen wurden, mit denen dann am Ende von Kämpfen die Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe wiederhergestellt wurde, aber ich habe mir früher nie vorstellen können, dass wir eine Situation erleben werden, in der wir eine derartige Zunahme von inakzeptablen Zuständen in der Arbeitswelt haben, die den gesamten sozialen Zusammenhang in der Arbeitswelt und letztlich unsere Gesellschaft im Kern treffen, wenn wir sie nicht politisch beseitigen. Die Prekarisierung von Arbeit ist keine unvermeidliche Folge des Wirkens von Märkten, sondern sie ist etwas, das wir politisch regulieren müssen.
Ich bin stolz darauf, dass wir hier in Bremen jetzt einen zugegebenermaßen kleinen Pflock eingeschlagen haben, das ist ein Signal, und ich bin sicher, das wird Folgen haben.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag, und ich bitte um Ablehnung des Antrags der LINKEN, weil wir uns über diese Frage, glaube ich, schon lange genug auseinandergesetzt haben. Ich glaube, wir liegen mit unserer Position hier richtig und würden uns freuen, wenn wir eine breite Zustimmung erhalten und dann auch ein entsprechendes Signal aussenden könnten. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik, das habe ich mit den Jahren gelernt, lebt auch davon, dass man Dinge, die richtig sind, möglichst oft und möglichst häufig sagt, dann sickern bestimmte Erkenntnisse auch in Gegenden, in denen man sie zunächst nicht vermutet hat. Dehalb will ich einmal ganz deutlich sagen, DIE LINKE begrüßt es, dass wir über den Mindestlohn und dieses Gesetz diskutieren und dass jetzt ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Diese Entwicklung, dass es heute so weit gekommen ist, hätte ich in der Geschwindigkeit kaum zu hoffen gewagt. Vor vier oder fünf Jahren sind wir auf die Straße gegangen und haben gesagt, wir brauchen in Deutschland einen Mindestlohn. Da haben uns alle noch angeschaut nach dem Motto: Was wollen die denn?
Es hat eine Weile gedauert, aber ich bin froh, dass die Diskussion so gelaufen ist, wie sie jetzt gelaufen ist. Ich bin auch sehr froh, dass Bremen in diesem Punkt tatsächlich sagt, wir werden einmal versuchen, hier zu machen, was hier zu machen ist, das ist nicht selbstverständlich. Ich kenne viele andere Bereiche in diesem Haus, in denen wir diesen Mut bisher noch nicht haben und in denen wir dafür werben, ihn auch zu haben, aber in diesem Fall finden wir es richtig, dass man versucht, das auf lokaler Ebene durchzusetzen.
Es ist eine Reihe neuer Regelungen eingeführt worden, von denen wir die meisten richtig finden, die Präzisierung des Arbeitnehmerbegriffs und anderes. Nicht so gut finden wir, dass die Anpassung des Mindestlohns jetzt auf zwei Jahre festgelegt werden soll, man könnte noch einmal darüber sprechen, warum das jetzt eigentlich so ist.
Bei einer wichtigen Frage werden wir natürlich nicht locker lassen. 8,50 Euro waren vor drei, vier oder fünf Jahren okay, 8,50 Euro sind heute nicht mehr okay. Wir laufen Gefahr, ein Mindestlohngesetz zu verabschieden, das ein wesentliches Ziel, nämlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabhängig von Transferleistungen zu machen, deswegen nicht erreicht, weil wir einen zu niedrigen Stundenlohn eintragen. Es gibt jetzt unterschiedliche Berechnungen. Die Berechnungen des Senats sehen so aus, dass man mit 8,50 Euro mit ein bisschen Glück und durchschnittlichen Mieten gerade so hinkommt. Wir sagen, man kann nicht mit Durchschnitten rechnen, man muss auf die sichere Seite und sagen, mindestens zehn Euro, das sind ungefähr 1 600 Euro brutto im Monat. Das ist die Summe, die wir brauchen, um Menschen halbwegs armutsfest zu machen und so zu organisieren, dass sie eine anständige Bezahlung für ihre Arbeit bekommen. Deswegen werden wir heute auch noch einmal beantragen, dass wir das Gesetz an dieser Stelle auf zehn Euro ändern.
Ich denke, es reicht auch nicht zu sagen, vielleicht haben wir in fünf oder sechs Jahren zehn Euro, das wird so nicht funktionieren. Wenn wir heute nicht einen Stundenlohn in das Gesetz hineinschreiben, der armutsfeste Löhne garantiert und Menschen von Transferleistungen – auf der sicheren Seite – vom SGB II
und Ähnlichem unabhängig macht, dann haben wir nicht alles getan, was wir heute tun können, denn zehn Euro sind meines Erachtens nicht zu viel, das ist kein Preis, der irgendwie weit über das Ziel hinausschießt. An dieser Stelle, finde ich, hätte man noch ein kleines bisschen mehr Mut beweisen und dies hineinrechnen können.