Protocol of the Session on February 22, 2012

Nein, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sie haben den Menschen eine ganze Menge weggenommen, die Sie ihnen eigentlich zurückgeben müssten!

Da sind wir genau bei der Zukunft, bei der ich sage, wir möchten diesen Weg umdrehen. Dazu gehört eine kritische Aufarbeitung der letzten zehn Jahre, und dazu gehört zu sagen, wo wir in Zukunft wirklich faktisch etwas gegen diese soziale Spaltung machen. Das möchte ich gern sehen, und das möchte ich ganz gern von Ihnen Schritt für Schritt eingelöst haben. Das wäre einmal eine richtige Propaganda, wenn wir schon diesen Begriff hier verwenden wollen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächsten Redner hat das Wort Herr Senator Günthner.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Er könnte jetzt noch einmal die versammelte Linke wieder zusammenbringen!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Teilen des Hauses ausgesprochen dankbar für die sachlichen Beiträge zu dieser Diskussion, weil die nach meiner Auffassung notwendig sind, vor allem da, wo es darum geht, nach vorn zu schauen. Ich bin dem Haus insgesamt dafür dankbar, dass man auch das, was in diesem Antrag in – und da stimme ich Herrn Möhle ausdrücklich zu – sehr platter Weise dargestellt wird, in anderer Weise diskutieren muss.

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass vor den Reformen, die die rot-grüne Regierung mit der Unterstützung der CDU angestoßen hat, das gleiche galt, was bei der Politik der Großen Koalition im Land Bremen galt: Als sozialdemokratischer Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen distanziere ich mich weder von der Politik der Großen Koalition, noch distanziere ich mich als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei von der Politik der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es notwendig war, diese Reformen anzugehen.

Es war notwendig, diese Diskussion zu führen. Es war notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir den Sozialstaat wehrhaft machen müssen, wenn wir ihn erhalten wollen. Wenn wir Menschen eine Perspektive in der Gesellschaft geben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt finden können. Ich bin dem Kollegen Reinken für die historische Einordnung dankbar, aber da muss man im Setting auch ganz deutlich sagen, dass es auch etwas damit zu tun hatte, dass man eine deutliche Abkehr von dem, was Industriestaaten ausmacht, nämlich einer starken Arbeitnehmerschaft, vorher diskutiert hat.

Wir haben mit diesen Reformen, die wir als rotgrüne Regierung mit Unterstützung der CDU angestoßen haben, bei all den Härten, die das innerhalb unseres Landes bedeutet hat, auch dazu beigetragen, Deutschland insgesamt wettbewerbsfähig zu machen. Ich finde, man muss das auch mit dieser Klarheit und Offenheit so darstellen, und das kann man auch gut zehn Jahre danach, nach einer schweren Wirtschaftskrise mit einem vorangegangenen Aufschwung in einem starken Wirtschaftsaufschwung mit exzellenten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man das auf Bremen herunterbricht, stellt es sich mit einigen Nuancierungen ähnlich dar.

Ich will aber nicht verhehlen, dass es eine ganze Reihe von Punkten gegeben hat, die man im Nachhinein kritisch sehen muss. Dazu gehört insbesondere, dass es nach unserer Auffassung notwendig ist, die Leiharbeit wieder zu re-regulieren, weil sie nach unserer festen Überzeugung in ihrer Kernfunktion ein sinnvoller Beitrag sein kann, um den nötigen Flexibilitätspuffer – man sieht das in Bremen besonders gut bei Daimler, bei ArcelorMittal und auch bei einer Reihe anderer Unternehmen – für die Unternehmen darstellen zu können.

Gleichzeitig sind wir der festen Überzeugung, dass es ein Fehler gewesen ist, dass große Belegschaften in bestimmten Bereichen in die Leiharbeit hineingedrängt worden sind, damit keine Perspektive in den Unternehmen und damit auch keine Aufstiegsperspektive in dieser Gesellschaft gehabt haben. Ich finde, das muss man immer in besonderer Weise betonen, dass es uns darum gehen muss, Menschen in dieser Gesellschaft eine Aufstiegsperspektive zu geben, und dass dazu entsprechend gute Bedingungen am Arbeitsmarkt und Bildungschancen gehören sowie eine entsprechende Entlohnung und vor allem die Chance, am Arbeitmarkt eine Perspektive für sich zu finden.

Dann muss man zur Kenntnis nehmen – auch das gehört nach meiner Auffassung zur Wahrheit dazu, die ist nicht so plakativ wie Ihre Wahrheit, aber es ist eben unsere Wahrheit –, dass geringfügige Beschäftigung in der Weise, wie wir sie in Deutschland sehen, sonst in Europa nicht zu beobachten ist. Ich habe vorhin eine Journalistin einer französischen Zeitung zu Gast gehabt, die sich einmal ansehen wollte, wo

her eigentlich dieses Wirtschaftswunder, woher dieses Beschäftigungswunder in Deutschland kommt, nachdem eigentlich alle große Probleme haben und sich immer die Frage stellen, was wir in unseren Ländern machen müssen, um dahin zu kommen. Sie hat explizit nach diesem Punkt gefragt. Ich habe ihr ganz deutlich gesagt, dass nach meiner festen Überzeugung die Stärke der deutschen Wirtschaft, die wir aktuell beobachten können, vor allem etwas damit zu tun hat, dass es uns gelungen ist, unsere Industrie durch Kompetenz, durch Innovation, durch Know-how weltweit wettbewerbsfähig zu machen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Aber auch durch Leiharbeit!)

Es hat nichts mit geringfügiger Beschäftigung zu tun, das ist nicht das Erfolgsrezept, um eine Nation als Industrienation weiter stark aufzustellen, sondern es hat insbesondere damit zu tun, dass wir auf starke Belegschaften gesetzt haben und an den Stellen, wo es notwendig ist, die Puffer unterstützt haben. Was an geringfügiger Beschäftigung da ist, darf aber auch nach unserer Auffassung nicht dazu führen, dass damit Perspektiven am Arbeitsmarkt insgesamt vernichtet werden, und muss deswegen auch zurückgedrängt werden. Wir brauchen – auch das ist meine feste Überzeugung – eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung als vorrangiges System der sozialen Sicherung, weil natürlich zu viele Arbeitslose mit durchlöcherten Erwerbsbiografien keine oder zu geringe Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung erwerben und damit entsprechend schnell an dass SGB II weitergereicht werden. Auch das ist eine Aufgabe, die wir nach meiner festen Überzeugung gemeinsam angehen müssen und der wir uns gemeinsam stellen müssen. Insofern: Wenn man sich die Gesamtlage anschaut, ist es so, dass die Reformen dazu beigetragen haben, unser Land wettbewerbsfähiger zu machen, es aber im Zusammenhang mit den Reformen eine ganze Reihe von großen Problemen gegeben hat, die angesprochen worden sind. Ich will noch einmal, weil ich aus einer Facharbeiterfamilie komme, und wenn ich auf die Erwerbsbiografie meines Vaters schaue, der 49 Jahre lang am Stück gearbeitet hat, Folgendes sagen – das hat der Abgeordnete Reinken, finde ich, wunderbar deutlich gemacht –: Die Perspektive für einen Arbeitnehmer, der sein Leben lang gearbeitet hat, früh angefangen hat, der dann aus welchen Gründen auch immer nach 20, 30 oder nach 35 Jahren arbeitslos wird und dann nach einem Jahr finanziell genauso gestellt wird wie jemand, der sein Leben lang noch nicht gearbeitet hat, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Das bedeutet nicht nur sozialen Abstieg in der Perspektive, weil die Durchlässigkeit des Systems von

der einen Richtung in die andere Richtung so nicht gegeben ist, sondern weil es auch die Entwertung von Biografien mit sich bringt und weil wir meiner festen Überzeugung damit einen falschen Begriff von Arbeit in die Diskussion einführen.

Insofern ist klar geworden, welche Punkte nach unserer Auffassung geändert werden müssen. Darüber hinaus wünsche ich mir aber – bei dem einen oder anderen Debattenbeitrag konnte man das hier schon sehen –, dass wir eine sachliche Diskussion darüber führen, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen soll, wie wir uns Beschäftigung in diesem Land vorstellen, wie wir uns vor allem vorstellen, als Industrieund Wirtschaftsstandort auch weiter bestehen zu können, und das ist die Einordnung in den großen Zusammenhang. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/244 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen (Untersuchungsausschussgesetz)

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 31. Januar 2012 (Drucksache 18/219) 1. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bremische Bürgerschaft ist ein Teilzeitparlament, das ist immer wieder so festgestellt worden, und das ist die Grundlage der Festlegungen zur Arbeitsweise, die hier getroffen wurden. Das ist das, worauf sich Abgeordnete einstellen. In den letzten Wochen und Monaten hat es aber heftige Diskussionen darüber gegeben, ob das plötzlich außer Kraft gesetzt wird, und zwar genau dann, wenn ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Dabei war die Auffassung der Regierungskoalition, wenn es einen Untersuchungsausschuss gibt, gelten die Regeln zum Teilzeitparlament und zur Arbeitsweise nicht mehr.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist die Auffassung der Bürgerschafts- kanzlei!)

Der Untersuchungsausschuss soll gegebenenfalls mit Mehrheit beschließen können, dass er so oft tagt, wie er will, und dass die Abgeordneten, die im Untersuchungsausschuss sitzen, zusehen müssen, wie sie klarkommen. Was heißt denn das für die berufliche Tätigkeit von Abgeordneten? Was heißt denn das für die berufliche Tätigkeit derjenigen, die im Untersuchungsausschuss tätig sind? Darüber gab es widersprüchliche Mitteilungen aus diesem Haus. Zuerst hat die Bürgerschaftsverwaltung die Rechtsauffassung vertreten, wenn die parlamentarische Tätigkeit eines Abgeordneten deutlich über das Halbtagsparlament hinausgeht – das geht sie bei ganztätigen Sitzungen, wenn er im Untersuchungsausschuss sitzt –, muss er entsprechend von seinem Arbeitgeber freigestellt werden.

Dann ist der Untersuchungsausschuss eingesetzt worden, und dann ist diese Rechtsauffassung widerrufen worden; es hieß dann, nein, wir sehen das jetzt anders, freigestellt wird nicht. Wer in einem Untersuchungsausschuss sitzt, muss sich eben das Gehalt kürzen lassen oder die Unterstunden nacharbeiten. Der Untersuchungsausschuss ist also besetzt worden unter Voraussetzungen, die nachträglich geändert worden sind. Die Abgeordneten, die in den Ausschuss gewählt wurden, wussten nicht, was das für ihre berufliche Tätigkeit heißen wird, und das gilt nicht nur für unsere Fraktion, das gilt für alle. Es hat nämlich schon reichlich Umbesetzungen in diesem Untersuchungsausschuss gegeben.

Wir haben also die Situation, dass die Abgeordnete oder der Abgeordnete es sich leisten können muss, in einen Untersuchungsausschuss zu gehen. Es kann ihm passieren, dass der Ausschuss mit Mehrheit beschließt, wir tagen jeden Tag, wir tagen ganztags, und der Abgeordnete muss dann entweder seinen Job reduzieren, ihn im Zweifelsfall einstellen, oder er hat entsprechende Rücklagen und kann das einfach hin––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

nehmen. Es hängt auch dann davon ab, was seine berufliche Tätigkeit überhaupt ist. Der eine kann es am Wochenende nacharbeiten, die andere kann es nicht, weil sie in einem Beruf arbeitet, bei dem man regelmäßige Öffnungszeiten wahrzunehmen hat oder weil der Arbeitgeber das Geschäft oder das Amt nicht einfach am Sonntag öffnen kann, nur weil der Abgeordnete gerade an dem Tag Zeit hat.

Kurz und gut, es entsteht eine Situation, dass man es sich als Abgeordnete oder Abgeordneter leisten können muss, in einen Untersuchungsausschuss zu gehen. Das finden wir nicht hinnehmbar. Das ist nicht mit der Gleichheit der Abgeordneten vereinbar. Oppositionsfraktionen, zumal kleinere, werden dann nicht mehr fragen, ob sie politisch einen Untersuchungsausschuss für nötig halten, sondern sie werden sich fragen, ob sie überhaupt Abgeordnete haben, die sich leisten können, in einen Untersuchungsausschuss zu gehen. Das ist vielleicht bequem für die Regierung, aber ein Schaden für die Demokratie.

Unser Antrag ist deswegen auch ganz einfach. Zunächst einmal hält sich auch ein Untersuchungsausschuss an die Arbeitsweise eines Halbtagsparlaments. Wenn der Untersuchungsausschuss darüber hinausgehen will, kann er das machen, das geht aber nur, wenn alle Mitglieder sich darauf einigen. Das ist eine faire Lösung. Der Ausschuss kann schneller arbeiten, wenn er das für richtig und notwendig hält. Er kann das aber nicht mit Mehrheit durchsetzen, denn die Mehrheit im Untersuchungsausschuss – das darf man nicht vergessen – hat immer die Regierungskoalition, und es kann nicht sein, dass Regierungsfraktionen mit Mehrheit entscheiden, wie ein Ausschuss arbeitet.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Doch, das ist sogar ausgeurteilt!)

Wenn es weiteren Beratungsbedarf gibt, sind wir selbstverständlich auch mit einer Überweisung einverstanden. Wenn unser Antrag hier aber einfach abgelehnt wird, bestätigt er genau den Grund, weshalb wir ihn stellen: Die parlamentarische Mehrheit schafft sich Bedingungen, die es der parlamentarischen Opposition so schwer wie möglich machen, sie zu kontrollieren. Die Rechte der Opposition sind ein hohes demokratisches Gut. Wir möchten mit diesem Antrag sicherstellen, dass diese Rechte auch wahrgenommen werden können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Zunächst ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

einmal, die praktischen Probleme, die Sie beschreiben, Frau Kollegin Vogt, existieren durch das Zusammentreffen unserer Parlamentsreform und der Tatsache, dass es Untersuchungsausschüsse gibt. Gegen Letzteres kann man eigentlich nichts haben, weder als Regierung noch als Oppositionsfraktion. Ich würde nur die vollkommen umgekehrten Schlüsse daraus ziehen, als Sie sie jetzt gerade hier gezogen haben.

Mich verwundert schon sehr, dass Sie eine Unterdrückung von Oppositionsrechten vermuten, wo sie selbst einen Antrag einbringen, dem ich, der die meiste Zeit in der Opposition war, und die grüne Fraktion war die meiste Zeit in der Opposition, auch als Opposition niemals zustimmen könnte. Ich mache heute auch in der Regierung so Politik, dass ich immer berücksichtigte, dass eine Fraktion in der Regierung oder in der Opposition sein könnte. Da würde ich doch im Leben niemals als Opposition einem Antrag zustimmen, wie Sie ihn vorgelegt haben, dass sich ein Untersuchungsausschuss darauf beschränkt, an zwei Tagen in der Woche von 14.30 Uhr bis 14.35 Uhr – Entschuldigung, das ist jetzt ein bisschen ironisch gemeint – zu tagen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)