Protocol of the Session on February 24, 2011

Dementsprechend, lieber Herr Tschöpe, glaube ich, wäre es etwas vernünftiger, wenn Sie auch einmal ein bisschen Maß und Mitte hier erkennen lassen würden. Dieser Beitrag, den Sie hier geleistet haben, ist vielleicht ein Beitrag zu einer Wahlkampfrede gewesen, hilft aber diesem Land in seinen strukturellen Problemen und den Menschen – und das unterstelle ich Ihnen ja, für die Sie Gutes wollen, für die ich auch Gutes will – doch kein Stück weiter. Es führt nur zu Verzerrungen in einem ohnehin sehr komplizierten Wirtschaftsleben. Es führt nur dazu, dass Bremen an der falschen Stelle wieder zusätzlich mit Kosten belastet wird.

Schaffen Sie Erleichterung dafür, dass mehr Menschen auch mit geringer Qualifikation wieder einen Job im ersten Arbeitsmarkt finden können! Die Vorschläge dafür haben wir hier mehrfach diskutiert. Damit hätten Sie diesen Menschen geholfen. Mit dieser Politik werden Sie sich zum Opfer derjenigen machen, die dort ganz links außen sitzen, weil die Sie treiben werden. Die werden Sie vor jeder Wahl wieder treiben, und es wird jedes Mal der Steuerzahler bezahlen. Das will ich Ihnen in aller Klarheit sagen. Ich glaube, diese ernsthaften Argumente gehören hier auch ernsthaft diskutiert, aber nicht so, wie Sie es gemacht haben.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Die Steuerzahler zahlen doch den Aufstocker! Das ist doch genau umgekehrt!)

Herr Dr. Güldner, wenn Sie mir bei meinem ersten Redebeitrag zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass ein großer Teil der Aufstocker durch das, was Sie vorschlagen, doch überhaupt nicht aus der Situation herauskommt, weil das Problem ein anderes ist. Deshalb biete ich Ihnen an, dass wir dies durchaus auch gern einmal in aller Sorgfalt in Ruhe diskutieren. Wir werden feststellen, dass das, was Sie hier vorschlagen, den wenigsten wirklich aus ihrer Lage hilft. Dabei bleibe ich, und dementsprechend bleiben wir auch bei unserer ablehnenden Haltung

zu dem, was Sie hier beantragt haben. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP – Abg. Ts c h ö p e [SPD]: Das hätte ich auch nicht anders erwartet!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Müller.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mich eigentlich nicht zu Wort melden, aber was von der FDP heute herüberkommt, ist einfach unerträglich. Sie erklären, der Mindestlohn gefährde Arbeitsplätze. Das ist unsinnig, Herr Dr. Möllenstädt. Deutschland ist einer der wenigen Staaten, der sich bisher nicht daran beteiligt hat und erhebliche Probleme damit hat. Allein in unserem Land haben wir über 18 000 Aufstocker, von denen über 4 000 vollzeitbeschäftigt sind. Herr Dr. Möllenstädt, Sie sind fern jeglicher Realität. Ich weiß nicht, was Sie studiert haben.

(Beifall bei der SPD)

In der letzten, uns allen zugegangenen „Böckler Impuls“ ist auf Seite 6 ganz klar dargestellt – Herr Dr. Möllenstädt, wenn Sie sie gelesen hätten, würden Sie es auch sehen, denn ich denke, hier ist eine Erhebung gemacht worden, der wir glauben können –, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt wurden. Eine 45 prozentige Gewinnsteigerung von 2000 auf 2010, und die Lohnempfänger haben gerade einmal 16 Prozent davon abbekommen! Das heißt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehren die Gewinne der Unternehmen, und dann erwarte ich auch, dass sie zu einer gerechten Entlohnung kommen. Das, was Sie da fordern, ist eigentlich eine Verarmung unserer Volkswirtschaft. Sie wollen eigentlich immer wieder in die Richtung gehen, dass die Unternehmer immer weiter ihre Gewinne mehren können. Es ist so, dass Unternehmen Gewinne machen müssen, um existieren zu können.

(Abg. Frau A l l e r s [CDU]: Sie tragen das Risiko!)

Frau Allers, die Unternehmen tragen nicht allein das Risiko, denn wenn Sie sich einem Unternehmen als Arbeitnehmer anschließen, dann tragen Sie auch das Risiko. Sie bringen Ihre Arbeitskraft ein und erwarten eigentlich, dass Ihre Arbeit zu Gewinnen führt, damit Sie dann auch wieder von der Arbeit leben können. Wenn Sie aber von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden, nach dem Motto, die Unternehmen müssen ihre Gewinne mehren, weil es uns nur dann gut geht, dann sind

Sie falsch aufgehängt, dann geht es uns nicht gut. Das zeigt eben das, was hier im Land Bremen und auch in der Bundesrepublik zu sehen ist. Deswegen ist der Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen und der SPD richtig.

(Beifall bei der SPD)

Es ist so, dass wir hier eine Anpassungsmaßnahme machen müssen. Wir müssen von den 7,50 Euro Mindestlohn weg, und wir müssen ihn steigern. Natürlich ist die Forderung der LINKEN auch gerechtfertigt, dass sie dann sagt, dann hebt ihn auf zehn Euro an. Darüber würde ich auch eher abstimmen wollen, das muss ich ehrlich sagen, dem werde ich auch zustimmen. Ich werde aber auch den 8,50 Euro Mindestlohn schon zustimmen, denn dies ist ja auch die Forderung des DGB-Vorsitzenden Sommer. Er forderte am 24. Februar dieses Jahres einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich zitiere aus dem Antrag: „Die Bürgerschaft (Landtag) bittet den Senat, mit den Gewerkschaften und den Interessenvertretungen Gespräche aufzunehmen mit dem Ziel, gemeinsam die Selbstverpflichtung einzugehen, allen Beschäftigten, die für die öffentliche Hand im Lande Bremen tätig sind, einen Mindestlohn zu zahlen, auf 8,50 Euro pro Stunde anzuheben“. Ich denke, bei den Gewerkschaften werden wir keine Probleme haben, diese Forderung umzusetzen. Daher, denke ich, werden die 8,50 Euro schon ein Mehr in den Portemonnaies der Arbeitnehmer sein, wenn wir sie hier beschließen.

Ich bin aber auch gespannt auf die Bundesratinitiative, die ja im Unterpunkt zwei steht. Ich hoffe, es wird uns gelingen, diesen Mindestlohn auf Bundesebene einzuführen, weil wir dann auch dem Europäischen Gerichtshof entgegentreten können. Über das Rüffert-Urteil sind nämlich unsere ganzen Tariftreueregelungen gekippt worden. Wenn wir es hinbekommen, auf Bundesebene einen Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen, dann sage ich Ihnen heute voraus, dass das für unsere Volkswirtschaft kein negatives Ergebnis sein wird, sondern positiv sein wird. Daher bitte ich, mehrheitlich diesen Antrag zu unterstützen! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Nestler.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde es kurz machen! Herr Tschöpe, drehen Sie doch nicht einfach Aussagen, die hier vorn getroffen werden, so hin –

(Abg. Ts c h ö p e [SPD]: Spielchen!)

ja, ich komme damit! –, wie Sie sie gerade gern hätten. Mit den Spielchen habe ich weiß Gott nicht die Menschen gemeint,

(Abg. Ts c h ö p e [SPD]: Den Mindest- lohn!)

sondern die Widersprüchlichkeit Ihrer beiden Anträge.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Im ersten Antrag sagen Sie ganz klar, dass hier mit den Interessenvertretern Gespräche aufgenommen werden sollen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Zehn Sekunden später sagen Sie im zweiten Dringlichkeitsantrag, wir setzen diese 8,50 Euro fest. Warum sollen denn dann überhaupt noch Gespräche geführt werden? Das müssen Sie uns einmal erklären.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Kuhn?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Dr. Kuhn!

Herr Kollege Nestler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es in dem einen Punkt darum geht, für die Beschäftigten, die für die öffentliche Hand im Land Bremen tätig sind, diesen Lohn zu zahlen? Im anderen Antrag geht es um das Vergabewesen. Das sind doch offensichtlich zwei verschiedene Dinge, und deswegen macht es auch Sinn, beides zu beschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Jetzt frage ich Sie einmal, Herr Dr. Kuhn: Die Beschäftigten, die für den öffentlichen Dienst tätig sind, bekommen die das über das Vergabegesetz geregelt, oder worüber? Das Vergabegesetz sagt doch, dass die Anbieter ihren Beschäftigten mindestens 8,50 Euro bezahlen sollen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Bei Vergaben! Und das andere sind unsere eigenen Mitarbeiter!)

Dann habe ich es falsch verstanden.

(Lachen bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das gebe ich ja zu, aber ich bin sehr erstaunt, dass Ihre eigenen Mitarbeiter unter 8,50 Euro bekommen!

(Beifall bei der CDU)

Darüber könnte man wirklich einmal sprechen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das wissen Sie doch schon lange!)

Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen, aber es ist eine gute Idee seitens der Grünen, das einmal zur Diskussion zu stellen.

Das Zweite ist: Wenn Sie das Entsendegesetz ansprechen, sollten Sie es richtig ansprechen. Weder Bulgarien noch Rumänien werden daran teilnehmen. Die Dinge, die am 1. Mai auf uns zukommen, betreffen Polen, Tschechien und Ungarn, aber Rumänien und Bulgarien sind davon immer noch ausgeschlossen. Wenn Sie das hier ansprechen, liegen Sie da vollständig falsch. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nestler, ich freue mich, dass Sie jetzt auch unseren Antrag verstanden haben, nachdem Herr Dr. Kuhn Ihnen den erläutert hat. Daher muss ich auf diese angebliche Widersprüchlichkeit nicht mehr eingehen. Ich möchte trotzdem noch ein paar Sätze zu dieser Doppelmoral, die Sie an den Tag legen, hier erläutern! Wir wissen, dass es, als wir in die Koalition gegangen sind, durchaus einige Bereiche gab, in denen nicht 7,50 Euro gezahlt worden sind. Das Wachgewerbe ist ein solches Beispiel. Wir haben das geändert, weil es uns wichtig ist, dass Menschen von ihrem Gehalt leben können, und jetzt werden wir in diesem Bereich wieder schauen, ob es Bereiche gibt, die unter 8,50 Euro liegen, damit wir es dementsprechend anheben. Daher hat das eine nichts mit dem anderen, dem Vergabegesetz, zu tun. Da werden wir uns um beide Bereiche kümmern.

Genauso ist es uns auf Bundesebene wichtig, Herr Nestler, einen allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro zu haben, der dann durch eine Mindestlohnkommission festgesetzt werden soll. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass in diesen ganzen Hartz-IVVerhandlungen in den letzten Wochen mehr in Sachen Mindestlohn herausgekommen wäre, als es die Koalition aus CDU und FDP zugestehen wollte. Dann wären wir in der Republik ein ganzes Stück ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

weiter, dann müssten wir es nicht nur allein bremisch diskutieren, so wie wir es im Moment tun müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zu Herrn Dr. Möllenstädt! Herr Dr. Möllenstädt, es tut mir leid, Ihre Arbeitsmarktpolitik verstehe ich eigentlich nicht, darin ist null Komma null Konsistenz. Welche Vorschläge Sie gemacht haben, Niedrigqualifizierte in Arbeit zu bekommen, dazu habe ich von Ihnen in der Tat noch nichts gehört. Wenn Sie das einmal erläutern könnten, wäre das auch einmal etwas Feines! Ich nehme von Ihnen nur wahr, dass die anderen alles falsch machen und Sie alles richtig machen, wobei sich mir nicht erschließt, was Sie überhaupt tun. Ich habe noch in Erinnerung, gestern haben Sie gesagt, dass die Bundesregierung 22 Millionen Euro in der Arbeitsmarktpolitik für Bremen und Bremerhaven gekürzt hat. Das finden Sie eigentlich auch richtig, weil die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, nur in Bremen und Bremerhaven nicht. Daran können ja nur wir schuld sein und nicht Sie, und daher ist es auch richtig, dass da gekürzt worden ist.

Dann schwadronieren Sie ohne Ende über Steuerentlastung, weil man den Bürger und die Unternehmen und wen auch immer noch alles entlasten muss. Dann finden Sie es auf der anderen Ebene völlig normal, dass kein Mindestlohn gezahlt werden soll und dass die öffentliche Hand wie hier in Bremen einmal 35 Millionen Euro für Aufstocker bezahlen muss, weil Unternehmen nicht in der Lage oder nicht willens sind, die Menschen adäquat zu bezahlen. Das, finde ich, ist keine konsistente Arbeitsmarktpolitik. Damit machen Sie sich hier in Wirklichkeit lächerlich, und Sie können es draußen im Land auch überhaupt nicht erklären. Den Menschen hier im Land haben Sie wieder einmal gezeigt, dass sie sich nicht auf Sie verlassen können, dass Sie nicht an der Seite der Menschen sind, sondern vielleicht bei den Unternehmen, aber jedenfalls nicht bei den Menschen. Das haben die Menschen hier im Land auch nicht verdient.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Lühr.