Protocol of the Session on January 27, 2011

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst ein zweifaches Dankeschön ausrichten. Zunächst möchte ich mich bei den Anfragern bedanken, sprich Bündnis 90/Die Grünen, und persönlich bei Herrn Frehe. Vielen Dank dafür, dass Sie dafür gesorgt haben, dass dieses so wichtige Thema, das auch ganz weite gesellschaftliche Kreise erreicht, hier im Parlament behandelt wird! Vielen Dank dafür!

(Beifall)

Das zweite Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung! Der Senat hat auf ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sage und schreibe sieben klein gedruckten Seiten sehr ausführlich dargestellt, wie vielfältig und vielschichtig dieses Problem Gewalt in der Pflege ist. Also, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Dankeschön für diese unwahrscheinliche Vielfalt an Erkenntnissen, die uns jetzt vorliegen!

Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche nicht nur im Namen der CDU-Fraktion, sondern im Namen von uns allen, unser oberstes Ziel muss sein, dass wir in ein paar Jahren hier vielleicht eine Anfrage mit dem Ergebnis haben, dass es keinerlei Gewalt mehr in der Pflege gibt, eine völlig gewaltfreie Pflege.

Die wichtigste Botschaft, die letztendlich von der Antwort des Senats ausgeht, ist, erstens, die Gewalt in der Pflege kann sehr vielfältig sein, und zweitens, es sind situationsgerechte Strategien und Konzepte erforderlich. Herr Frehe hat eben gesagt, wie schwierig es sein wird, die hohe Dunkelziffer in den familiären Beziehungen überhaupt zu erfassen und dann zu intervenieren. Freiheit ja, Kontrolle auch, aber wo ist das richtige Maß? Herr Frehe, ich glaube, auch da sind wir uns völlig einig, da müssen wir bei jeglicher Weiterentwicklung von Kontrollinstanzen, die es ja leider geben muss, sehr feinfühlig sein, dass wir nicht zu sehr ins Private gehen. Ich schließe mich aber Ihren Forderungen an. Wenn es erforderlich ist, müssen wir eingreifen.

Lassen Sie mich dann noch einmal kurz darauf eingehen, wer denn überhaupt diejenigen sind, die Gewalt in der Pflege ausüben! Es sind nicht nur die professionell Tätigen, es sind auch diejenigen, die zu Hause mit Pflegebedürftigen zusammenleben oder sie auch nur stundenweise betreuen. In der Antwort des Senats ist sehr ausführlich dargestellt, und es ist auch die Rede davon – manchmal sogar in Prozentzahlen, mit und ohne wissenschaftliche Studien –, dass dort sehr schnell die Hand ausrutscht. Ziel muss es sein, dass in der Aus-, Weiter- und Fortbildung dafür gesorgt wird, dass Pflegende mit Belastungssituationen umgehen können. Dort sind die 20 bis 40 Stunden pro Jahr in der Ausbildung von Alten- und Krankenpflege noch viel zu wenig.

Es muss vor allem Ziel der Träger und letztendlich auch der Krankenkassen sein, die auf pflegende Angehörige hinwirken, dass es eine ständige Fortbildung gibt. Mein Appell an die Beteiligten ist: Sorgt selbst durch innerbetriebliche Schulungen und durch niedrigschwellige Kursangebote dafür, dass die Menschen von sich aus kommen und sagen, ja, ich mache davon Gebrauch, ich möchte erkennen können, wo für mich sozusagen die Belastungsgrenze ist! Dann gibt es sicherlich ein Stück weit weniger Gewalt in der Pflege.

Lassen Sie mich abschließend sagen, diese Debatte, wenn auch nur jeder Redner fünf Minuten hat, kann durchaus dazu beitragen, dass wir alle ein Stück weit sensibler werden! Ich glaube, wir haben hier eine

große Mehrheit im Haus und werden wachsamen Auges Wächter der Patienten- und Bewohnerinteressen sein und bleiben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Arnold-Cramer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Anknüpfungspunkt für die heutige Diskussion wird ein etwas anderer sein, der sich auf den Einleitungstext dieser Großen Anfrage bezieht, in dem es heißt, dass das Thema Gewalt gesellschaftlich, aber ganz besonders auch in der Mediendebatte so gut wie gar nicht aufgegriffen wird. Es ist richtig, dass der Staat Menschen, die in bestimmten Situationen abhängig von der Versorgung und Betreuung Dritter in hierfür speziellen Wohnformen leben, besonders schützt. Ein Instrument ist die Heimaufsicht. Heimüberprüfungen finden statt, wenn Beschwerden an die Heimaufsicht herangetragen werden, aber auch wenn die Heimaufsicht regelmäßig hier Überprüfungen vornimmt.

Diese Beschwerden werden öffentlich sehr wohl wahrgenommen und in vielen Fällen auch gesellschaftlich unterstützt, was wiederum dazu beiträgt, dass die Hemmschwelle, Beschwerden einzureichen oder gar Anzeigen zu erstatten, zum Glück gesunken ist. Diese positive Entwicklung ist zu begrüßen und hat natürlich auch damit zu tun, dass die Heimträger juristische Personen sind beziehungsweise das Pflegepersonal zu den Beschwerdeführern zwar in Kontakt, aber in keinem persönlichen Verhältnis steht, also ein sehr distanziertes Verhältnis hat, dass es die Hürde einer Beschwerde oder Anzeige erleichtert. In der Presse, und das ist das Ärgernis, werden diese Fälle getreu dem Motto, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, meist ungewöhnlich reißerisch dargestellt. In der ambulanten Pflege stellt sich die Situation ähnlich dar.

Gewalt in der Pflege ist nicht nur – meine beiden Vorredner haben das bereits dargestellt – ein Problem für Pflegeheime und den ambulanten Bereich, vor allen Dingen aber für den häuslichen Bereich. Hier kommt es in der Berichterstattung zu einem großen Unterschied. Die Gewalt in der häuslichen Umgebung wird von allen regelrecht heute noch tabuisiert. Wir haben durch andere Debatten über häusliche Gewalt schon einen Schritt nach vorn getan, hier etwas aus der Tabuzone herauszutreten. Bei der häuslichen Pflege ist dies leider noch nicht geschehen.

Dabei ist es so, dass gerade im häuslichen Umfeld die Gewalt explodiert, auch stärker ist, oft sogar, muss man leider sagen, brutal. In die Öffentlichkeit, und genau das ist nämlich das Drama, gelangen diese ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Übergriffe eigentlich nicht. Der Grund ist, dass die häusliche Pflege durch Angehörige in der Gesellschaft immer noch grundsätzlich als eine moralische Verpflichtung angesehen wird und deswegen alle Beteiligten entweder leiden oder die, die es wissen, leider noch schweigen und wegschauen. Das ist das eigentliche Drama. Medienberichte von diesen Familienereignissen gibt es nur in ganz wenigen Ausnahmefällen, und sogar die Regenbogenpresse schweigt dieses Thema tot.

Das ist der eigentliche Grund, warum wir alle ein falsches Bild über die Gewalt in der Pflege von der Medienberichterstattung vermittelt bekommen, die kurz und knapp lautet: Alle Heime sind schlecht, nur zu Hause ist es gut. In die Gewaltsprache übersetzt, heißt dies: Wenn ich dein Pflegegeld für meine Autoraten nicht bekommen, musst du ins Heim, das Heim als Bedrohung. In diesem Fall, und da spreche jetzt einmal nur für mich, wäre das Heim für mich persönlich eine echte Alternative, ja sogar eine Befreiung.

Es sind viele Punkte, an denen wir alle zusammenarbeiten müssen, damit es um eine Gleichbehandlung aller Lebensformen in unserer Gesellschaft geht und eine Glorifizierung der häuslichen Pflege und des häuslichen Umfelds versachlicht wird. Insofern ist aus meiner Sicht die Aussage in dem Einleitungstext, dass die Medien die Gewalt in der Pflege tabuisieren, nicht so ganz richtig. Im Gegenteil, sie nehmen die Debatte auf, aber nicht so, wie wir es uns wünschen und für erforderlich halten, denn sie spalten mit ihrer Berichterstattung die Pflegewelt in Gut und Böse. Sie sorgen dafür, dass die häusliche Gewalt weiter vertuscht wird und diejenigen, die ein selbstbestimmtes Leben in einem Heim führen, aber auch die Menschen, die dort arbeiten, von unserer Gesellschaft diskriminiert werden.

Was können wir tun, damit sich etwas ändert? Meine beiden Kollegen haben es schon angeführt. In der Großen Anfrage hat der Senat entsprechende Punkte auch aufgeführt: gesetzliche Regelung, mehr Geld für Beratungsstellen oder, wie Bayern es gestern vorgemacht hat, eine Ombudsperson für Gewalt in der Pflege einzuführen.

Ich möchte Sie aber auf etwas ganz anderes hinweisen, Sie vielleicht auch für einen Gedanken gewinnen. Lassen Sie uns Schluss machen mit dem Satz, „ambulant vor stationär“, der dieses System zementiert! Lassen Sie uns in Zukunft einfach davon sprechen, dass alle ein selbstbestimmtes Leben führen! Aus meiner Sicht ist dies ein ganz kleiner Beitrag, Tabus zu brechen. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir haben mit Interesse die Antwort auf die Große Anfrage vom Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Gewalt in der Pflege zur Kenntnis genommen. Grundsätzlich ist die Thematik, die diese Anfrage adressiert, sicherlich eine richtige und wichtige, aber es ist auch in der Antwort auf die Große Anfrage deutlich geworden, dass dieses Thema sehr viele Facetten und unterschiedliche Sichtweisen zulässt. Ich bin bei der Lektüre auch an dem Satz kleben geblieben, den die Kollegin Arnold-Cramer soeben angesprochen hat. Ich glaube, dass man es in der Tat nicht so stehen lassen kann, dass dieses Thema öffentlich tabuisiert wird. Es ist die Frage, welchen Umgang man damit erwartet. Für den Bereich der Pflegeheime beispielsweise nehme ich durchaus wahr, dass dort eine hohe Sensibilität auch in der Öffentlichkeit – bei den Angehörigen der zu pflegenden Personen ohnehin – gegeben ist. Es gibt dort natürlich den anderen Bereich, den Bereich der häuslichen Pflege, in dem wahrscheinlich in der Tat eine große Dunkelziffer auch zu vermuten ist und der davon sicherlich sehr differenziert zu sehen ist. Ich möchte es aber unterstreichen, ich sehe es heutzutage nicht mehr, dass dieses Thema generell wirklich tabuisiert wird, sondern ganz im Gegenteil, ich sehe dort eine sehr wache und zu Recht auch aufmerksame Öffentlichkeit für diese Thematik. Insgesamt kann man sicherlich sagen, dass dieses Thema eher dazu verleitet, sehr schnell einfache Antworten finden zu wollen. Davor will ich an dieser Stelle ein Stückchen warnen. Auch die hier schon angesprochene Situation der Gewalt in der häuslichen Krankenpflege, die oftmals ja von Familienangehörigen geleistet wird, ist ein Thema, das sehr komplex ist und sehr komplizierte Muster mit sich bringt. Ganz oft sind gewalttätige Angehörige selbst ja in einer sehr schwierigen Situation, weil sie mit den Aufgaben, die sie in der Pflege zu leisten haben, überfordert sind. Deshalb will ich an der Stelle ein Stück davor warnen, dort einseitig zu argumentieren, denn oftmals sind die Beweggründe doch sehr viel komplizierter, was die Tat an sich – und es geht ja in der Regel um Straftaten, über die wir hier sprechen, das muss man hier auch sagen – dann nicht besser macht, aber ich glaube, es hilft ein Stück weit zu verstehen, wo das Problem liegt. In der Regel kann man davon ausgehen, dass Angehörige erst einmal ihren Angehörigen nichts Schlechtes tun wollen, sondern die meisten mit gutem Willen darangehen. Es trifft sicherlich auch für die überwiegende Zahl der pflegenden Angehörigen zu, dass sie ihren Eltern oder Großeltern dann auch eine vernünftige Pflege liebevoll angedeihen lassen. Das, denke ich, sollte man hier auch erst einmal grundsätzlich unterstellen.

Weiterhin muss man, glaube ich, in der Debatte darauf achtgeben, diesen Gedanken würde ich gern hier in der Debatte auch beitragen, dass die Möglichkeiten des Staats an vielen Stellen sehr begrenzt sind, gerade dann, wenn es um das häusliche Umfeld geht. Natürlich gibt es normale Maßnahmen des Strafrechts, polizeiliche Möglichkeiten, ganz klar, aber manchmal fehlt es eben auch im Umfeld an der nötigen Aufmerksamkeit, um auf tatsächliche Taten dann auch hinzuweisen. Außerdem ist mir bei der Lektüre der Antwort der Großen Anfrage auch aufgefallen, man sollte sich ein Stück weit davor hüten, ausschließlich in Strukturen zu denken. Sicherlich ist es gut, wenn es Ombudsleute gibt, an die man sich wenden kann. Sicherlich ist es gut, wenn es Rechtsvorschriften gibt, die es auch teilweise redundant als Problem thematisieren, nur muss man am Ende schon schauen, wie die Situation dann tatsächlich ist, und ich bin mir nicht so sicher, ob diese sehr formalen, auch strukturellen Dinge wirklich immer den substanziellen Beitrag leisten. Ich glaube, allgemein dieses Thema auch gesellschaftlich zu diskutieren, und ich habe das Gefühl, dass es in zunehmendem Maß passiert, leistet den größten Beitrag und auch die vielen Initiativen, die es gibt, die auch hier in der Anfrage ja noch einmal aufgelistet sind, woran sich auch pflegende Angehörige wenden können, wenn sie Fragen und Probleme haben in ihrer Situation zu Hause. Das hilft an vielen Stellen doch am meisten, und dafür kann man auch gar nicht genug Dank sagen. Ich kann es selbst unterstreichen, weil auch in meiner Familie viele ältere zu pflegende Personen gewesen sind. Ich kann Ihnen aus unserer Erfahrung sagen, es ist für die Familienangehörigen oftmals gar nicht so einfach, gerade dann, wenn sie selbst im Berufsleben stehen und dort rund um die Uhr praktisch auch zumindest Pflege organisieren sollen. Ich glaube, das muss man hier auch mit in Betracht ziehen. Insofern ist das Thema sicherlich ein gutes, ich glaube nur, dass man es in Zukunft auch etwas differenzierter in einzelnen Kapiteln behandeln muss, weil sich die Situation doch im stationären Bereich sehr stark von dem häuslichen Bereich unterscheidet. Ich danke auch für die Antwort des Senats auf die Anfrage. Ich fand insbesondere durchaus auch einmal die Auflistung derer, die sich mit dem Thema beschäftigen, sehr spannend. Das gibt auch deutliche Hinweise darauf, dass es eben ein Thema ist, das schon sehr intensiv und sehr richtig bearbeitet wird. Welche Beiträge wir als Freie Hansestadt Bremen dazu leisten können, dass die Situation vielleicht ein Stück weit verbessert wird, wird man diskutieren müssen. Wie gesagt, ich würde den Rat geben, vielleicht das eine oder andere lieber differenziert einer Debatte zuzuführen und nicht zu sehr in Strukturen zu denken, denn vieles Gutes gibt es ja in Ansätzen schon. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Dr. Möllenstädt, eine kurze Replik auf Sie, weil ich finde, Sie schwafeln da manchmal fürchterlich herum.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde, dieser Bericht ist ein gutes Beispiel, wie innerhalb der Verwaltung sehr differenziert auf eine Frage geantwortet wurde.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wirklich differenziert! Auf der einen Seite sagen Sie danke, danke, danke, und auf der anderen Seite sagen Sie, aber man müsste es wieder differenzierter darstellen. Ich weiß nicht, manchmal wissen Sie, glaube ich, nicht, was Sie reden.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das hat immer die Gefahr, dass es so ein bisschen zur Floskel verkommt. Aber ich möchte mich trotzdem noch einmal ganz artig bei der Verwaltung und auch bei dem Antragssteller bedanken, weil ich finde, es ist ein wichtiges Thema, das hiermit hervorgehoben ist und es wert ist, dass es auch im Parlament Beachtung findet. Ich finde, dass die Antwort sehr differenziert ist, wenn man sich genau anschaut, wie versucht wird, für den Begriff Gewalt in der Pflege überhaupt einmal eine Definition zu bekommen. Was ist denn das überhaupt? Das finde ich schon einmal vorzüglich, dass es überhaupt einmal angepackt wird, denn es ist in der Tat nicht so einfach. Auch die Unterscheidung zwischen dem, was in Heimen passiert und was in der häuslichen Pflege passiert, ist, finde ich, in der Antwort sehr gut dargestellt worden, ohne überall Antworten zu haben. Auch das ist richtig.

Unseren Beitrag als LINKE zu dem Thema sehe ich ein bisschen darin, dass ich glaube, wir haben da eine ganze Menge Probleme vor uns, denn aus dem Bericht und aus allem, was es bisher auch an Forschung gibt, wird relativ klar, dass Gewalt, in welcher Art auch immer, meistens oder zu einem großen Teil doch aus Überforderung entsteht. Überforderung ist sehr häufig wieder die alte Frage der Kapazitäten und der Ressourcen. Da stehen wir einfach vor einem großen gesellschaftlichen Problem. Das ist durchaus auch eine Kernkompetenz der LINKEN, einfach festzustellen, wir haben eine gesellschaftli––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

che Entwicklung, dass es immer mehr alte Menschen geben wird. Das wird aber auch bedeuten, dass es durchaus auch immer mehr Menschen geben wird, die Betreuung brauchen, die deswegen, so wollen wir es alle, ihr Leben möglichst selbst bestimmen können sollten.

Dann stellt sich nur immer die Frage, wer das bezahlt. Das ist so eine der alten Fragen, die sich dabei stellt. Da muss man in unserer Gesellschaft sagen, wir leben schließlich nicht im Schlaraffenland, sondern wir leben in einer – zumindest aus unserer Sicht – gespaltenen Klassengesellschaft. Da ist es einfach so, dass der eine Teil der Alten, die immer älter werden, durchaus in der Lage ist, sich auch private Angebote zur Pflege, zur Betreuung oder für ein selbstbestimmtes Leben heranzuholen, und ein anderer, größerer Teil kann das nicht so gut. Da werden immense Probleme, glaube ich, in Zukunft auf uns zukommen. Daraus werden sich diese Probleme der Gewalt sicherlich auch nicht so einfach lösen lassen, denn, wie gesagt, ich glaube, zumindest ein Großteil dieser Gewalt resultiert aus Überforderung, und Überforderung hat etwas mit Kapazitäten zu tun.

Das wird ein Punkt sein, über den wir in Zukunft noch sehr genau streiten müssen, nebenbei auch über den Punkt, den Herr Frehe sehr häufig einbringt – das ist immer wunderbar –, den Versuch, dass Menschen mit Handicap oder auch Pflegebedürftige ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das ist natürlich irgendwann auch immer eine Kostenfrage. Das muss man dazu sagen. Wenn man ungleich verteilte Ressourcen hat, wird das ein Problem in einer Gesellschaft. Das wird Sprengstoff für eine Gesellschaft. Ich denke, das war noch einmal ein Punkt, auf den ich hier auch noch einmal hinweisen wollte, weil auch das zu dem Thema Gewalt in der Pflege dazugehört. – Danke! (Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute mit der Großen Anfrage das sehr wichtige, aber oftmals verschwiegene Thema der Gewalt in der Pflege. Ich hoffe nur, dass dieses zunehmend aktuelle Thema, nämlich Gewalt in der Pflege, wie so oft von Ihnen nicht nur zerredet wird, nach dem Motto, gut, dass wir einmal wieder darüber gesprochen haben, wobei am Ende einer langen Diskussion wieder einmal wie gewöhnlich nichts Effektives und Gescheites dabei herauskommt. Das mache ich nicht mit! Hier muss nicht nur über eine erschreckende und brutal ansteigende Gewalt in der Pflege gesprochen werden, hier muss allerschnellstens politisch effektiv gehandelt werden.

Damit wir uns gleich richtig verstehen: Die Mehrzahl des Pflegepersonals macht überwiegend eine

vorbildliche, liebevolle und selbstlose, meistens über ihre Kräfte gehende, aufopferungsvolle Arbeit. Das steht hier außer Frage. Jetzt kommt das Aber. Auf Grundlage einer unverantwortlichen Gewinnmaximierung, von Sparmaßnahmen und dramatischem Personalabbau bei stationären und ambulanten Pflegediensten ist das Pflegepersonal einfach oftmals überfordert und überlastet. Das heißt, zu viele Patienten, zu wenig Zeit, zu viele Überstunden und zu wenig Lohn. Wer Missstände anprangert, wird entlassen. Beschwerden von Angehörigen werden oftmals lapidar ignoriert oder einfach überhört.

Da ist es natürlich für betroffene pflegebedürftige Menschen fast unmöglich, auf ihre besondere Notlage aufmerksam machen zu können. Das macht selbstverständlich schnelle präventive Maßnahmen dringend erforderlich, um der ansteigenden Gewalt in der Pflege bei den stationären Einrichtungen sowie bei den ambulanten Pflegediensten vorzubeugen. Präventive Maßnahmen sind natürlich nur ganz kleine, aber notwendige Schritte in die richtige Richtung. Was ich von Ihnen aber schnellstens erwarte, ist nicht, hier nichts bringende große Alibianfragen einzubringen, sondern ich erwarte von Ihnen schnellstens effektive und umsetzbare beschlussfähige Anträge, um die Gewalt in der Pflege endlich effektiv und wirkungsvoll bekämpfen zu können. Das ist das Gebot der Stunde.

Alle pflegebedürftigen Menschen müssen die Gewissheit haben, sie haben auch ein uneingeschränktes Anrecht darauf, dass sie zum Beispiel in einem Pflegeheim gut behütet und menschenwürdig gepflegt und behandelt werden und sorglos aufgehoben sind. Das haben alle pflegebedürftigen Menschen mehr als verdient. Also nicht nur reden, sondern auch handeln! Hierzu haben Sie immer meine volle uneingeschränkte Unterstützung. Es kann nicht angehen, und es darf nicht sein, dass zum Beispiel dementsprechende Kontrollen im Pflegeheim vorher angekündigt oder angemeldet werden. Vorher angemeldete Kontrollen sind keine Kontrollen, sie sind ein schlechter Witz und sonst gar nichts. – Ich danke Ihnen!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Frehe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mich ausdrücklich für die Beiträge von Herrn Bensch und Herrn Erlanson bedanken. Zu dem Beitrag von Herrn Dr. Möllenstädt, aber auch von Frau Arnold-Cramer habe ich einen gewissen Dissens, und zwar ist es so, dass auch in stationären Einrichtungen einfach durch die Struktur der Einrichtungen, durch den Dienstplan Gewalt erzeugt werden kann. Die Verabschiedung von dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ kann ich mir so nicht vorstellen. Ich kann es mir nur im Rahmen eines umfassenden Wahlrechts vorstellen. Um da bei Herrn Erlanson noch einmal anzuknüp

fen: Wenn Menschen möglichst viel Selbstbestimmung haben, ist das der beste Schutz vor Gewalt in der Pflege. Das heißt, Gewalt in der Pflege wird immer auch aus Abhängigkeitssituationen erzeugt.

Wenn wir es schaffen, Menschen, die auf Hilfeleistung angewiesen sind, so zu stellen und so den Prozess zu organisieren, dass sie ihre Hilfen möglichst weitgehend selbst bestimmen können und darüber verfügen können, haben wir die beste Prävention für Gewalt in der Pflege. Daher gibt es schon einen strukturellen Unterschied zwischen stationären Einrichtungen und ambulanter Pflege. Deswegen haben wir auch das Wohn- und Betreuungsgesetz geschaffen, das genau diesen Aspekt aufnimmt und dort auch verstärkt schauen will. Ich glaube, dass man die Situation in Einrichtungen verkennt, wenn man sagt, dass da schon alles enttabuisiert ist. Ich kenne viele Einrichtungen, in denen sehr wohl auch noch Gewalt passiert, trotz guter Heimaufsicht und trotz des Versuchs, dort mehr Licht und auch mehr Transparenz zu schaffen. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Dr. Schuster.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst freue ich mich über das Lob der Abgeordneten über die Beantwortung der Anfrage. Manches Mal gibt es mehr Kritik, aber ich finde sie auch gelungen, weil sie die starke Differenzierung zeigt, die notwendig ist, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und vor allen Dingen auch um Verbesserungen zu erreichen. Das zeigt die Antwort, glaube ich, wirklich sehr gut auf.