Protocol of the Session on December 9, 2010

Wir wollen, dass es wirklich eine freie Wahl von Betreuungsmöglichkeiten gibt. Das heißt aber, es muss erst einmal auch genügend Betreuungsmöglichkei

ten geben. Im Moment ist die freie Wahl nicht gegeben, da der Bedarf größer als die angebotenen Betreuungsmöglichkeiten ist. Deswegen sind wir der Meinung, dass man diesen Weg gehen muss. Es geht um die Bildung der Kinder und nicht um Geld für deren Eltern. Wir müssen auch sicherstellen, dass bildungsferne Schichten ihre Kinder in die Krippen bringen. Deswegen müssen wir diesen auch Krippenangebote und nicht Geldangebote machen. Das ist, glaube ich, der richtige Ansatz. Deswegen bitte ich um Unterstützung. Wir wollen, dass der Ausbau vorrangig gemacht werden kann. Deswegen hier unser Vorschlag! Das ist, glaube ich, auch der Redlichkeit geschuldet, wenn man in einem Notlageland wie Bremen argumentieren muss und überlegt, wie man dann auch solche Sachen finanziert bekommt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der FDP und bei der SPD – Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Da werden Sie Ihre Bundespartei schon um- stimmen!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Öztürk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal vorsichtig anfangen. Das Betreuungsgeld unterliegt im Hinblick auf den Grundsatz der Wahlfreiheit sehr starken verfassungsrechtlichen Bedenken, denn der Gleichheitssatz des Grundgesetzes gebietet es, Gleiches auch gleich zu behandeln. Davon sind wir Grüne überzeugt. Um es einmal bildhaft zu formulieren: Eltern, die ihre Kinder nicht in einer Kita betreuen lassen, sollen laut CDU und FDP im Bund staatliche Zahlungen in Höhe von 150 Euro im Monat erhalten, während Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen, diese Zahlung nicht erhalten. Dies ist im Hinblick auf den Gleichheitssatz jedenfalls so lange bedenklich, wie Eltern für die Kinderbetreuung auch in staatlich unterstützten Einrichtungen Geld aufwenden müssen. Die Entscheidung, die diese Eltern für die Erziehung ihrer Kinder getroffen haben, wird damit vom Staat nicht in gleicher Weise anerkannt. Dies ist aber nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 im Hinblick auf Artikel 6 des Grundgesetzes – der Familienförderung – erforderlich.

Das hat mich an eines erinnert. Wir hatten heute Mittag die Debatte zu den Regelsätzen der Kinder. Da hat Herr Kollege Bensch, der gerade auch aufmerksam zuhört, gesagt, wir würden die Verfassung missachten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie haben hier gesagt, Herr Bensch: Arbeit statt Alimentation. Bei dieser Herdprämie drehen Sie den Spieß um und sagen: Alimentation statt Arbeit. Die Eltern sollen mit 150 Euro im Monat belohnt werden, obwohl es dazu ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 gibt. Ich bin seit heute

Mittag der festen Überzeugung, die CDU ist einfach darin geübt, Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu missachten und zu ignorieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Letztlich sitzen Sie ja nicht allein im Boot. Ihre Schwesterpartei, die CSU, sitzt mit Ihnen zusammen im Boot. Sie ist für diese ideologische Alimentation für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine öffentliche Kindertagesstätte geben, dort betreuen lassen und Monat für Monat die 150 Euro erhalten sollen. Nicht zuletzt hat die ehemalige Familienministerin von der Leyen, um auch einmal sie zu zitieren, es einmal als bundespolitische Katastrophe bezeichnet. Natürlich! Recht hatte die Frau. Das hat sie aber nicht daran gehindert, es trotzdem im Gesetz festzuschreiben. Erst vorgestern haben wir an dieser Stelle über PISA gesprochen, als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden. Ein Land, in dem der Schulerfolg eines Kindes so stark von der familiären Herkunft abhängt, wie Deutschland mit all den bekannten Problemen und negativen Folgen sollte doch ein Interesse daran haben, Kinder früh zu fördern. Gerade aber für bildungsferne und einkommensschwache Eltern würde dieses Betreuungsgeld, diese Herdprämie, den starken Anreiz geben, ihre Kinder nicht in die frühkindlichen Förderangebote zu schicken, diese ihnen vorzuenthalten und stattdessen das Geld zu kassieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf der Abg. Frau M o t s c h m a n n [CDU])

Die grüne Bundestagsfraktion hat dazu einen Gesetzesentwurf eingebracht.

(Abg. Frau M o t s c h m a n n [CDU]: Die Mehrheit der Eltern verprasst das Geld nicht, sie handelt verantwortungsvoll!)

Zur Bekämpfung von Kinderarmut und zum Ausbau von Kita-Plätzen im quantitativen wie auch im qualitativen Bereich kann man dieses Geld verwenden. Wir in Bremen wissen doch nur zu genau, wo die Probleme in dieser Stadt sind und wo wir ausbauen müssen. Der CDU ist das an dieser Stelle aber völlig egal, das sieht man an der Herdprämie. Ihnen sind Ampeln und die Verkehrspolitik wichtiger. Der Bereich ist total ideologisiert.

(Unruhe bei der CDU)

Letztlich kann man eines betonen: Es reicht aus, wenn ein Viertel der Mitglieder im Bundestag eine Normenkontrollklage einlegt, da hier ein klarer Verstoß gegen das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom

November 1998 vorliegt. Das heißt, sollte SchwarzGelb den Fehler begehen und das durchbringen, muss man kein Heiliger sein, um das Ergebnis vorahnen zu können, wie das Bundesverfassungsgericht auf diesen Verfassungsbruch, den Sie begehen, reagieren wird.

Wir sind gegen die Herdprämie. Sie widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft. Das konterkariert die Familienpolitik der jüngsten Vergangenheit. Mit der Einführung des Elterngeldes und dem geplanten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren wurde endlich Abschied genommen vom Leitbild der Einverdienerehe, Frau Motschmann. Das scheint aber bei der CDU nicht angekommen zu sein, weil Sie mich gerade so nett anschauen, Frau Kollegin. Auch wenn insbesondere das Angebot an hochwertigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten noch viel zu große Lücken aufweist, so waren dies doch sehr wichtige Schritte hin zu einer Familienpolitik, die sich am Leitbild einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung orientiert, wie sie sich viele junge Ehepaare wünschen. Das, was die Herdprämie beabsichtigt, ist ein Rollback etlicher Schritte zurück in die Vergangenheit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn wir auch – an dieser Stelle sei es gesagt – den Antrag der FDP unterstützen, komme ich nicht darum herum, hier auch noch einmal die FDP zu erwähnen. Seit Monaten windet sich die FDP um das Betreuungsgeld im Bund. Die scharfe Ablehnung des Betreuungsgeldes in Oppositionszeiten – das sollte hier nicht vergessen werden – ist einer scheinheiligen Zustimmung im Koalitionsvertrag gewichen. Angesichts der augenblicklichen Spardebatten mehren sich auch in der FDP die Stimmen, die das Betreuungsgeld abschaffen wollen. Mit Grund, denn die Kosten – Herr Dr. Buhlert hat sie erwähnt – zur Einführung dieser Herdprämie belaufen sich zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro. Wir möchten, dass dieses Geld in solch einer Haushaltslage, die wir im Bund und die wir hier im Land haben, nicht für bildungspolitisch unsinnige Projekte verausgabt wird.

Für uns Grüne ist und bleibt klar – und ich komme damit zum Schluss –, egal, ob als Gutschein oder als Cash-Zahlung, die Herdprämie birgt die Gefahr, dass mit ihr Kinder aus der Kindertagesbetreuung und den frühkindlichen Bildungseinrichtungen ferngehalten werden. Das widerspricht meinem und dem grünen Staatsverständnis. Unsere Prioritäten sind hier klar und in der Familienpolitik eindeutig. Zentral sind der zügige und der qualitative Ausbau auf der einen Seite und eine komplette Neuordnung der Familienleistungen mit dem Fokus auf eine tatsächliche Bekämpfung der Kinderarmut auf der anderen Seite.

Deshalb freut es uns, dass die FDP in Bremen an dieser Stelle aufgewacht ist. Wir werden diesen Antrag unterstützen. In der kommenden Woche tagt der

Familienausschuss des Bundestags. Dort wird man vermutlich keine Einigung erzielen. Die einzige Einigung wird darin bestehen, dass man im Frühjahr 2011 eine Anhörung zu dem Thema machen wird. Am Ende dieser Anhörung wünsche ich mir, dass sich die CDU endlich auch von dieser CSU-Forderung löst und nicht mehr gegen das Grundgesetz und ein Verfassungsgerichtsurteil verstößt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Garling.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich schiebe gleich einmal voraus, auch wir werden diesem Antrag zustimmen, weil er wirklich sehr vernünftig ist.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

Ich weiß gar nicht, wann wir das letzte Mal einem Antrag der FDP zugestimmt haben. Das tun wir in diesem Fall aber wirklich gern, weil wir Ihre Auffassung teilen.

(Zuruf des Abg. D r. M ö l l e n s t ä d t [FDP])

Das Betreuungsgeld ist wirklich ein Weg in die falsche Richtung, wenn wir uns anschauen – es ist auch schon erwähnt worden –, welche Anforderungen wir gesellschaftspolitisch und sozialpolitisch an Kinderbetreuung, insbesondere im Bereich der unter Dreijährigen, und auch an Integration haben. Kleine Kinder, die einen Migrationshintergrund haben, sind in besonderer Weise darauf angewiesen, dass sie möglichst früh in die Sprachförderung kommen. Es ist einfach absolut absurd, Eltern Geld dafür zu geben, damit sie ihre Kinder von Bildung ausschließen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das kann einfach nicht sein, so etwas geht nicht. Herr Dr. Buhlert hat es gesagt, es gehört in die Infrastruktur. Dort haben wir auch die größten Probleme, was den Ausbau betrifft. Dort sind wir als Bundesland auch nicht allein. Wir geben uns größte Mühe im Ausbau der Kinderbetreuung, insbesondere bei der Betreuung der unter Dreijährigen, schnell voranzukommen. Dieses Geld würde sich sehr gut eignen. Herr Dr. Buhlert hat 20 Millionen Euro für Bremen ausgerechnet. Mit dem Geld könnten wir eine ganze Menge machen. Wie gesagt, die Anforderun––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

gen an den Kita-Ausbau sind groß. Wir freuen uns sehr über den Antrag, auch für Kinder, die keinen Migrationshintergrund haben und die einfach aus, ich sage einmal, ärmeren Familien kommen. Für die ist es auch besonders wichtig, möglichst früh in die Tageseinrichtung zu kommen, um auch von Bildung profitieren zu können und geregelte Tagesabläufe zu haben. Wir unterstützen diesen Antrag gern, und ich bin einmal gespannt, was die CDU hier gleich zu dem Antrag sagt. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Nitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das in der Öffentlichkeit als Herdprämie bekannt gewordene Betreuungsgeld, über das wir gerade sprechen, wurde 2008 von der Großen Koalition auf Bundesebene beschlossen. Eingeführt werden sollte es dann aber doch nicht so schnell. Erst ab August 2013 sollen Eltern, die ihr Kind lieber zu Hause betreuen, anstatt es in eine Kita zu geben, ein Betreuungsgeld von 150 Euro im Monat erhalten. Die damalige Einigung richtet sich unserer Meinung nach letztendlich gegen die Kinder.

(Abg. Frau T r o e d e l [DIE LINKE]: Und gegen Frauen!)

Ungeachtet aller Studien, die die frühkindliche Bildung und Betreuung beinhalten und sie als förderlich für die kindliche Entwicklung einschätzen, besonders wenn es um den Ausgleich von Nachteilen aufgrund der sozialen Herkunft geht, sollen Eltern nun auch noch belohnt werden, wenn sie ihren Kindern diese Förderung nicht zuteilwerden lassen.

Ganz so einfach war es auf Bundesebene dann doch nicht. Es wurde gestritten und gerungen. Die CSU wollte unbedingt. Die CDU wusste erst nicht ganz so recht, dann wollte sie aber doch. Die SPD auf Bundesebene ist anfangs wider besseren Wissens auf die CDU zugegangen und hat ein Betreuungsgeld in Aussicht gestellt. In Niedersachsen fordert sie nun mittlerweile – ein Glück kann ich dazu auch sagen – den Verzicht. Die FDP war eigentlich dagegen, konnte sich dann aber in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU doch nicht durchsetzen. Also, ganz viel hin und her, ganz viel Bewegung, und dann kann man schon fast wieder sagen: Zum Glück sollte es nun erst im Jahr 2013 kommen, denn deswegen haben wir jetzt noch die Möglichkeit, darüber zu sprechen und eventuell auch dahingehend zu wirken, dass dieses Gesetz eben nicht in die Tat umgesetzt wird, wie es derzeit angedacht ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch innerhalb der LINKEN gab es eine große und sehr umfangreiche öffentlich geführte Debatte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch das Betreuungsgeld, welche speziell durch die Vorstellung einer exponierten Vertreterin hohe Wellen geschlagen hat, das will ich nicht verhehlen. Dennoch bestand aber bei den LINKEN mit wenigen Ausnahmen Konsens, dass der LINKEN im Gegensatz zur damaligen und auch im Gegensatz zur jetzigen Bundesregierung die Kinder und vor allem ihre Bedürfnisse nicht egal sind. Alle Kinder würden von einer frühzeitigen Bildung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen profitieren.

Ob nun Erziehungsgehalt oder Betreuungsgeld, die Verfechter propagieren die freie Wahl der Eltern, um sich dem Verdacht zu entziehen, sie wollten Frauen in ihre traditionelle Rolle weisen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die mit zu den Verfechtern zählen, vor allem auch Kolleginnen und Kollegen der CDU, Wahlfreiheit hat aber für Frauen und Männer eine völlig unterschiedliche Bedeutung. Oder können Sie sich vorstellen, dass sich für 150 Euro Betreuungsgeld der männliche Ernährer ebenso an den Wickeltisch begeben oder für ein Erziehungsgehalt von 1 000 Euro zu Hause bleiben würde?

(Beifall bei der LINKEN – Abg. S t r o h - m a n n [CDU]: Es gibt doch Kindergeld!)

Eine echte Wahlfreiheit kann es unserer Ansicht nach nur geben, wenn Arbeitsplätze und Kinderbetreuungseinrichtungen in ausreichender Zahl und vor allem in sehr guter Qualität vorhanden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau das wäre das Signal für Frauen, das wäre das Signal für Kinder, und das wäre ein Signal für die Familien. Da wir hier keine Antragsbegründungen beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, unterstützen auch wir Ihren Antrag. – Herzlichen Dank! (Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ahrens.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss Ihnen schon sagen, ich fand diese Debatte relativ schwer auszuhalten. Ich verwahre mich gegen diese pauschale Diffamierung von Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Früher gab es den Begriff und die Definition der Rabenmutter – die gibt es übrigens nur in Deutsch

land –: Das war die Frau, die arbeiten ging und ihr Kind in eine Krippe oder eine andere Form der Betreuung gab. Heute ist die Rabenmutter diejenige, die tatsächlich es noch wagt, für das erste oder zweite Lebensjahr ihres Kindes zu Hause zu sein. Warum müssen es übrigens immer nur die Mütter sein, wenn es auch der Vater machen kann? Wer es tut, ist eine Rabenmutter oder ein Rabenvater, und das bauen Sie hier als Popanz auf.

(Beifall bei der CDU)