Protocol of the Session on September 30, 2010

gewiesene Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene als unbestechliche Zahl. Hieran bestehen vielfältige Zweifel. Ich möchte dazu nur die „Financial Times Deutschland“ von heute zitieren: „Das Arbeitsministerium stiftet im Gesetzentwurf für die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze mit seinem Zahlenwerk Verwirrung. Dort finden sich unterschiedliche Werte etwa für die Position ,Nachrichtenübermittlung’. Einmal sind dafür 31,96 Euro, an anderer Stelle 39,96 Euro aufgeführt. Unter dem Strich ergibt sich aus dem 74 Seiten starken Zahlenwerk ein Regelsatz von entweder 353,81 Euro, von 364 Euro oder von 359,81 Euro.“ Sorgfältige Arbeit! Wie könnte man dem entgegentreten? Mit Transparenz und Offenheit! Aber offensichtlich hat die Koalition keinerlei Interesse daran, Transparenz und sozialen Frieden herzustellen. Im Arbeits- und Sozialausschuss des Deutschen Bundestages lehnte sie gestern ab, Alternativrechnungen oder Rohdaten vorzulegen. Augenscheinlich sind die statistischen Bezugsgruppen so klein gewählt, dass ihre statistische Relevanz infrage steht. Willkürliche Reduzierung der Vergleichsgruppen, Unklarheiten über eingeflossene Zirkelschlüsse! Die Schwarz-Gelben sehen jedoch für sich keine Verpflichtung darzulegen, ob sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts überhaupt in Ansätzen eingehalten haben. Ich sage dazu: Wer nichts zu verbergen hat, muss Transparenz nicht fürchten!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Solange unabhängige Sachverständige wie der DPWV zu einem wesentlich höheren Satz kommen, die Bundesregierung aber Aufklärung verweigert, besteht der dringende Tatverdacht der Manipulation aus Haushaltsgründen. Es liegt nun an SchwarzGelb, diesen zu zerstreuen.

Aber ist das der Kern der Auseinandersetzung? Ich meine, nein! Der eigentliche Skandal – und das ist das, was mich persönlich richtig sauer macht – ist, dass angesichts der genehmigten Boni-Zahlungen für HRE-Banker für rund 1,7 Millionen Kinder in Armut zehn Euro monatlich für Kultur- und Bildungspartizipation ausgegeben werden sollen, und das empfinde ich als Skandal.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Damit kann nicht eine einzige monatliche Nachhilfestunde in Englisch oder Mathematik bezahlt werden, aber wer von Geigen- und Reitunterricht spricht und nicht einmal Bildungsgrundbedürfnisse befriedigt, dem geht es um die Zementierung der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Vielleicht lassen Sie mich damit abschließen: Als ich Bildung, Reitunterricht und Geige gelesen habe, und dann kommen zehn Euro heraus, hat mich das fatal an einen Spruch erinnert, der Marie Antoinette zugeschrieben wird: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen! – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erschreckenden und unsozialen Auswirkungen der von der SPD beschlossenen Hartz-IV-Gesetze sowie die in allen Bereichen gescheiterte Gesundheitsreform sind gerade in Bremerhaven durch eine ansteigende Armutsstatistik deutlich spürbar und erkennbar. Dazu aber brauchen wir keine nichts bringende Aktuelle Stunde, weil das Thema soziale Ungerechtigkeit und grausame Auswirkungen durch die gescheiterten HartzIV-Gesetze unsere Bürgerinnen und Bürger schon viel zu lange in einer dramatischen und unsozialen Art und Weise verfolgten und finanziell unerträglich belasteten. Hier helfen schon lange keine eingebrachten Alibi-Aktuelle-Stunden mit unendlichen belanglosen Schönwetterreden, wobei sich die Parteien gegenseitig die Schuld zuschieben, hier ist endlich effektives politisches Handeln dringend erforderlich und angesagt!

Es ist ein politischer Skandal sondergleichen, dass bei uns die Krankenkassenbeiträge laufend erhöht werden, dass unsere Bürgerinnen und Bürger unsoziale Praxisgebühren bezahlen müssen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger immer höhere Zuzahlungen leisten und vermehrt andere unsoziale Leistungskürzungen hinnehmen müssen, während auf der anderen Seite Milliarden und Abermilliarden Euro Krankenkassenbeiträge ins Ausland fließen, zum Beispiel für die ärztliche Versorgung der Angehörigen hier lebender Ausländer in deren Heimatländern, und das alles zulasten und auf Kosten unserer Versicherten – nun, hören Sie ganz genau zu! –, und zwar unabhängig davon, ob diese hier Beiträge bezahlen oder Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe erhalten und damit pflichtversichert sind.

Das ist bei Weitem noch nicht alles, aber wenn Sie mir nicht glauben, können Sie bei mir gern kostenlos das diesbezügliche beweisbare Bundesgesetzblatt Nummer 35 von 1965 – so lange geht das schon – anfordern. Kurzum gesagt, Wohltaten für alle Welt, doch zu Hause fehlt das Geld, und unsere Bürgerinnen und Bürger werden auch weiterhin unsozial und ungerecht brutal abgezockt.

Da stellt sich doch tatsächlich unser Gesundheitsminister Rösler mit einem schaurigen und weinerlichen Gesicht hin und behauptet, ohne dabei rot zu

werden, die Krankenkassenbeiträge müssten erhöht werden, weil angeblich kein Geld mehr da ist. Ich aber sage Ihnen: Es ist genug Geld da, die Bundesregierung – und das hat ja auch Auswirkungen auf Bremen – muss mit den eben von mir benannten Geldverschwendungen endlich Schluss machen. Der Gesundheitsminister Rösler muss endlich die Pharmaindustrie mit ihren Milliarden Euro Gewinnen finanziell viel mehr in die solidarische Verantwortung nehmen, da müssen aber auch die Privatversicherten und die Apotheken einbezogen werden. Tatsache ist, es müssen die gesetzlich Versicherten spürbar deutlich mehr entlastet werden. Das hätte dann endlich auch einmal eine positive und sozial gerechte Auswirkung auf unsere Menschen im Land Bremen. Über die schrecklichen und grausamen Auswirkungen der unerträglichen Hartz-IV-Gesetze habe ich mich hier schon des Öfteren ausführlich geäußert. Eines ist klar: Hartz IV muss weg, weil es unsozial und ungerecht ist. Menschen in Bremen und Bremerhaven brauchen Arbeit, die sich auch lohnt, von der sie leben können, das ist ja nicht immer so, im Gegenteil! Während Deutschland andere bankrotte EU-Staaten mit Milliarden Euro finanziell unterstützt und dort die Bevölkerung meines Wissens, wie zum Beispiel in Griechenland, schon ab 53 Jahren einen Rentenanspruch hat, ist es für mich einfach unerträglich, dass unsere Bürger dafür bis 67 beziehungsweise 70 Jahre hart arbeiten und schuften sollen. Das sehe ich nicht ein, das ist eine Schweinerei und an sozialer Ungerechtigkeit nicht mehr zu überbieten. – Ich danke Ihnen!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, mit welchen Nebelkerzen Sie uns hier zu früher Stunde schon begrüßen. Lieber Herr Erlanson, ich glaube, Sie haben eine Sache sehr grundsätzlich missverstanden: Niemand will Menschen verbieten – –. Jetzt ist er gerade auch gar nicht da, das ist schade!

(Abg. Frau T r o e d e l [DIE LINKE]: Wir hören zu!)

Es wäre durchaus nur dem Respekt vor den übrigen Rednern zuträglich, wenn Ihr Redner bei der Aktuellen Stunde, die Sie beantragt haben, dann auch im Raum bliebe, aber gut, das müssen Sie selbst wissen!

(Beifall bei der FDP)

Es ist – um das auch ganz klarzustellen – uns, den politisch Verantwortlichen auf Bundesebene, vom ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Bundesverfassungsgericht aufgetragen worden, eine Neuregelung der Bemessungsgrundlage für die Leistungsempfänger im Bereich Hartz IV zu regeln. Wenn man dieses Urteil genau liest, steht eigentlich nichts anderes darin, als dass das konkret in einer nachvollziehbaren Art und Weise berechnet werden muss. Das ist ein Fehler, den SPD und Grüne in der Zeit, als sie im Bund die Verantwortung hatten, bei diesen Gesetzen gemacht haben. Ich glaube, das bestreitet auch niemand, aber das darf man ja einmal vorwegschicken.

(Beifall bei der FDP)

Zum Zweiten: Das hat die Bundesregierung jetzt in kurzer Frist gemacht, ich finde auch, sehr sorgfältig, auf einem statistischen Modell, das auch von niemandem angezweifelt werden kann.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das konnte man ja heute lesen!)

Deshalb ist die Aufregung, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, aber auch die Kollegen von der SPD versuchen über dieses Thema zu verbreiten, völlig unangebracht, denn es ist genau das gemacht worden, was das Verfassungsgericht gefordert hat, nämlich eine vernünftige Berechnungsgrundlage zu schaffen. Die Spielräume dafür sind eben nicht so, wie Sie es hier darstellen. Es ist eben kein Wünsch-dir-Was zu sagen – DIE LINKE hat es ja gemacht –, bei 500 Euro fängt das dann an, was wir uns vorstellen können. Das Bundesverfassungsgericht schließt explizit aus, dass es so gehen soll.

(Beifall bei der FDP)

Dazu müssen Sie im Zweifelsfall – dazu wird Gelegenheit sein – auch einmal sagen, was Sie denn zusätzlich in den Regelsatz aufgenommen haben wollen, aber bitte an den Positionen, die dort in dem Statistikmodell enthalten sind. Von Alkohol, von Zigaretten war schon die Rede, ich glaube, da sind wir relativ schnell einer Meinung, dass es natürlich jedem freisteht, sich zu entscheiden, so etwas zu konsumieren, aber dass es nicht Aufgabe der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sein kann, so etwas auch noch zu finanzieren. Wohin kommen wir denn da? Was sind das für Vorstellungen?

(Beifall bei der FDP – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Schreiben Sie auch noch vor, was ge- gessen werden darf?)

Wir können dann gern noch darüber reden, was man alternativ aufnehmen kann: Schnittblumen, Flugreisen, exklusive Bekleidung? Sie müssen dann schon einmal sagen, was Ihnen in dieser Berechnung konkret fehlt. Das habe ich hier heute noch nicht wahrnehmen können.

Ich will hier eines noch sehr deutlich sagen: Ich habe hohe Anerkennung dafür, dass diese Bundesregierung innerhalb so kurzer Zeit ein wirklich fundiertes Konzept auf den Weg gebracht hat

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Legen Sie das doch einmal offen!)

und mehrere 100 Millionen Euro zusätzlich in den nächsten Jahren, nicht als Almosen, sondern als Rechtsanspruch, für die Bildung von Kindern ausgibt, die in solchen schwierigen Situationen unter den Bedingungen einer Bedarfsgemeinschaft aufwachsen. Ich glaube, das verdient unsere Anerkennung an diesem Tag und nicht dieses Herumgejammere, was Sie uns hier bieten. Was auch noch dazu kommt, Herr Kollege Tschöpe: Wenn man schon die Tippfehler des Ministeriums hier zur Grundlage seines Redebeitrags macht, dann sollte man auch still sein, wenn es um die tatsächlichen Fakten geht.

(Beifall bei der FDP)

Lieber Herr Tschöpe, da Sie ja ein Freund der Demoskopie sind: Die Mehrheit der Deutschen findet es ausgesprochen richtig, dass wir jetzt nicht einfach gesagt haben, wir müssen jetzt unbedingt eine Erhöhung der Regelsätze haben. Das muss man doch auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Es geht darum, dass Sie ein ordentliches statistisches Mo- dell nehmen!)

Gestern haben Sie uns in einer anderen Debatte vorgeworfen, es müsse nach der Mehrheit der Bevölkerung gehen. Die Mehrheit der Bevölkerung findet es richtig, dass da genau hingeschaut wird.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Legen Sie die Zahlen offen!)

Fragen Sie doch einmal diejenigen, die das erwirtschaften müssen! Da werden Sie sehr eindeutige Antworten dazu bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Davon reden Sie nie, wenn Sie über die Spaltung der Gesellschaft reden. Sie reden immer nur von denjenigen, die Geld bekommen, aber nicht von denjenigen, die das Geld erwirtschaften sollen.

(Beifall bei der FDP)

Diese ganzen Plattitüden, die Sie hier vorgebracht haben, dann werden wieder die Boni für die Manager bemüht, dafür tragen Sie die Verantwortung und Ihre Sozialdemokratische Partei! Ihr Finanzminister

Peer Steinbrück hat die Hauptverantwortung für diesen Skandal auch mit getragen. Das war nicht zu verhindern.

(Beifall bei der FDP – Abg. Frau B u s c h [SPD]: So nicht! Sie können das Fehlverhal- ten von Bankern nicht der Politik anlasten!)

Sie dürfen einmal davon ausgehen, dass es mir genauso wenig passt wie Ihnen, dass diese Boni gezahlt werden, aber das hat in der Sache nichts, aber auch überhaupt gar nichts mit dem Thema zu tun, über das wir heute hier reden.

Damit das auch einmal klar ist, vielleicht zum Thema Gesundheitsreform, da wird überhaupt nichts zulasten einer Gruppe gemacht, wie es hier unterstellt worden ist. 11 Milliarden Euro Defizit hat Frau Schmidt der neuen Bundesregierung hinterlassen, 8 Milliarden Euro im letzten Jahr, 11 Milliarden Euro in diesem Jahr. Davon tragen 3 Milliarden Euro die Arbeitnehmer, 3 Milliarden Euro die Arbeitgeber, 2 Milliarden Euro die Steuerzahler und 3,5 Milliarden Euro die Leistungserbringer, darunter auch, bevor das wiederkommt, Apotheker, Ärzte, Pharmaunternehmen. Alle werden an diesen Kosten beteiligt, die zu Ihrer Regierungszeit entstanden und verantwortet worden sind.

Sie müssen den Menschen auch einmal erklären, wie Sie das alles finanzieren wollen, ohne dass die Beitragssätze immer weiter steigen. Es gab frühere Zeiten, daran kann ich mich auch gut erinnern, da war es auch die Position der SPD, dass man auch zu einer Entkoppelung des Faktors Arbeit von den Gesundheitskosten kommen wollte, und deshalb ist das auch richtig.

(Beifall bei der FDP)

Wir als FDP bleiben da auch bei Gegenwind standfest. Das muss erreicht werden in den nächsten Jahren, weil wir es uns nicht leisten können, immer weiter den Faktor Arbeit zu belasten. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn Sie in einen Supermarkt gehen und sich einen Apfel kaufen, da gibt Ihnen der Staat auch nicht die Hälfte dazu, und genauso ist das mit den Gesundheitsleistungen eben auch.

Im Übrigen müssten Sie als Sozialdemokrat eigentlich wissen, dass so etwas, wenn es dort eine Systemveränderung gibt und tatsächlich auch Mehrkosten auf die Menschen zukommen würden, dann automatisch natürlich Gegenstand von Tarifverhandlungen werden würde, das ist doch ganz sonnenklar. Entscheidend ist aber doch, dass nicht mehr der Staat derjenige ist, der hier die Beitragssätze festsetzt und sich dann immer entscheiden darf, ob er dann wahlweise dem Wunsch der Arbeitgeber nach niedrigen Beiträgen oder dem Wunsch der Versicherten nach