Eine Deckungsgleichheit von Volljährigkeit und Wahlrecht ist nicht erforderlich und hat es in der Geschichte der Bundesrepublik auch ganz lange nicht gegeben. Bis 1970 lag das passive Wahlrechtsalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag bei 25 Jahren, während das aktive Wahlrechtsalter, auch die Volljährigkeit, erst mit Vollendung des 21. Lebensjahrs gegeben war. Erst mit Wirkung vom 6. August 1970 wurde das aktive Wahlrechtsalter auf 18 gesenkt und das passive Wahlrechtsalter an das Volljährigkeitsalter gekoppelt, das damals noch bei 21 lag. Erst zum 1. Januar 1975 wurde das Volljährigkeitsalter und damit auch das Alter für passives Wahlrecht auf 18 Jahre gesenkt, sodass wir erst seit 1975 den Gleichklang zwischen Volljährigkeit und Wahlalter haben.
Die Beschränkung – darauf hat der Kollege Dr. Kuhn schon hingewiesen – von Wahlrecht als urdemokratisches Recht eines Menschen im politischen System bedarf immer einer verfassungsrechtlichen Legitimation. Diese verfassungsrechtlichen Legitimationen für Altersgrenzen gehören immer wieder auf den Prüfstand: Sind sie eigentlich noch angemessen? Sie haben gesehen, wie der Prozess in den Siebzigerjahren gewesen ist, als man gesagt hat, 25 Jahre musst du nicht werden, um dich in den Deutschen Bundestag wählen zu lassen, sondern 21 Jahre reichen, und ein paar Jahre später hat man festgestellt, 18 Jahre sind eigentlich auch in Ordnung.
Es bestehen zurzeit – das können Sie auch nicht wegdiskutieren, gerade weil sich Jugendliche verändert haben – erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, ob im Kommunalwahlrecht ein starres Festhalten an 18 Jahren überhaupt noch zulässig ist. Deshalb hat inzwischen die Mehrzahl der Flächenländer ihre Kommunalwahlrechtsbestimmungen dahin
Im Hinblick auf die Einräumung eines kommunalen Wahlrechts ab 16 Jahren besteht im Übrigen ein völlig breiter Konsens. Der Kollege Dr. Möllenstädt, der in vielem anderen ja noch eine andere Meinung vertreten hat, hat das auch für die FDP erklärt. Das geht von der FDP, über die Grünen, über die SPD bis hin zur Linkspartei, dass man sagt, kommunal sollen die Leute mit 16 Jahren wählen dürfen. Nach der Auffassung der SPD-Fraktion muss man sich doch aber jetzt einmal die Situation hier im ZweiStädte-Staat anschauen und sich fragen, wozu denn die Einführung eines reinen Kommunalwahlrechts führen würde. Es würde dazu führen, dass die Realunion zwischen Stadtbürgerschaft und den stadtbremischen Vertretern im Landtag weiter aufgelöst wird. Vor diesem Hintergrund kann man sich für zwei Dinge entscheiden. Die FDP hat sich dafür entschieden zu sagen, wir limitieren es darauf, dass das Wahlrecht nur für die Stadtverordnetenversammlung abgesenkt werden soll. Wir sind der Meinung, der logischere Schluss ist eigentlich, dass das Landtagswahlrecht ab 16 Jahren die einzig konsequente Antwort auf diese Fragestellung gewesen ist.
Frau Winther, diese Qualitätsdiskussion über Wahlentscheidungen ist mir schon im Ausschuss ein wenig unter die Haut gegangen. Die Gruppe der 16-Jährigen bis 17-Jährigen ist genauso bunt und heterogen wie die Gruppe der über 18-Jährigen und auch der über 80-Jährigen.
Parteien und Politikern ist es zu Recht verwehrt, über die Qualität eines Erkenntnisprozesses Einschätzungen abzugeben oder sie zu hinterfragen. Die These, die Sie in den Raum stellen, dass mit dem Erreichen des achtzehnten Lebensjahrs eine Art Reifegen im Kopf anfängt, Botenstoffe auszusenden, die politisch total reif machen, habe ich nie nachvollziehen können. Wissen Sie auch, warum? Mir sind in diesem Hause schon so viele Leute begegnet, an deren politischer Reife ich auch zweifle, und wenn das bei über 18-Jährigen so ist, ist es auch völlig klar, dass es keine Altersfrage sein kann.
Ich glaube, statt unsinnige Qualitätsdiskussionen über die Wahlentscheidung und die entsprechende Vorbe
reitung von Menschen zu führen, sollten wir uns darum kümmern, wie man Menschen frühzeitig für unser demokratisches System gewinnen kann.
Folgendes vielleicht an die Adresse der FDP: Es ist völlig unstrittig, man kann in Deutschland mit 14 Jahren sich entscheiden, dass man Buddhist werden möchte. Ich persönlich finde, das ist eine eher exotische Entscheidung, wir sind aber dafür, dass man auch mit 16 Jahren die FDP in den Landtag wählen darf, das empfinde ich zwar genauso exotisch, meine aber, dieses Recht sollten die Bürger haben.
Der zweite Punkt, über den wir diskutiert haben, kommunales Wahlrecht für Drittstaatler! Die hier lebenden Ausländer, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, unterliegen weitestgehend denselben Pflichten wie die Deutschen. Sie haben in vielen Bereichen auch vergleichbare Rechte, auch bei Wahlen. Sie dürfen völlig unstrittig teilnehmen an Betriebsratswahlen, an Sozialwahlen, an Kammerwahlen.
Kein Mensch kommt darauf, diese Rechte an das Staatsangehörigkeitsrecht zu schließen. Wir verlangen unseres Erachtens auch zu Recht, dass Ausländer, die hier leben, sich an unsere im Grundgesetz niedergelegten Werte und Normen halten und sich hiernach auch entsprechend verhalten.
Die Kehrseite dieser Medaille muss aber konsequenterweise sein, dass dauerhaft hier lebende Menschen, welche sich auch entsprechend integrieren wollen, die Möglichkeit haben, auf kommunaler Ebene an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Wer die Integration von Ausländern aus Drittstaaten möchte, muss ihnen auch das Kommunalwahlrecht geben.
Um das jenseits von Rhetorik vielleicht einmal plastisch zu machen: Mir fällt es unglaublich schwer, einem türkischen oder kroatischen Arbeiter der Stahlwerke Bremen, der hier seit 30 Jahren lebt, erklären zu müssen, warum er nicht an Beiratswahlen in Gröpelingen oder der Vahr teilnehmen kann, während ein Belgier, der hierherkommt und drei Monate hier wohnt, die Stadtbürgerschaft wählen kann. Diese Erklärung kann ich ihm nicht geben.
Dann der Dreiklang von Volk, Nation und Staat! Ist das nicht vielleicht ein wenig altbacken? Ist es europäisch? Ich glaube nicht!
Es ist nicht europäisch. Ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger, Herr Dr. Kuhn hat es in einem Nachsatz gesagt, es machen doch ein paar andere.
Ich habe noch einmal recherchiert, ich möchte darstellen, wer das alles in der Europäischen Union, völlig unstrittig, völlig akzeptiert macht, weil er sieht, dass es ein wirksames Instrument von Integration ist. Die EU-Länder sind Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Niederlande, Schweden, Estland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Ungarn, und – das fand ich besonders interessant – auch die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und Island gewähren Drittstaatlern ohne Probleme Kommunalwahlrechte.
Lassen Sie uns diesen Zopf abschneiden, dass auf kommunaler Ebene nun alles an dem allein selig machenden Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit hängt. Es geht darum, dass Leute hier lange leben, wir wollen, dass sie sich in unsere Gesellschaft integrieren, also müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, sich hier zu integrieren und mitzubestimmen.
Letzter Punkt, Frau Winther, und das fand ich dann schon hinreichend absurd: Wahlrecht der EU-Bürger für den Landtag, warum soll das eigentlich nicht gehen? Ein Wahlrecht auf teilstaatlicher Ebene für EUAusländer besteht bereits in Schottland, in Polen und in Dänemark. Durch die Besonderheiten des ZweiStädte-Staats mit der weitgehenden Personenidentität von Stadtbürgerschaftsmitgliedern und stadtbremischen Landtagsabgeordneten scheint uns das bisher ausschließliche Kommunalwahlrecht für EU-Bürger ein eigentlich gar nicht zur Bremer Verfassungsgeschichte passendes Element zu sein, denn alle, die in Bremen für die Stadtbürgerschaft wahlberechtigt sind, müssen eigentlich auch für den Landtag wahlberechtigt sein. Diese Krücke, die wir hier haben, dass wir einzelne Mitglieder in der Stadtbürgerschaft haben, für die wir einzelne Gesetze machen müssen, die einzelne Stimmzettel haben, ist doch etwas, das unserem Staatsaufbau total widerspricht. Da gilt es doch
jetzt eigentlich, konsequent einen einheitlichen Staatsaufbau mit einheitlichen Rechten für alle zu schaffen.
Außenstehenden außerhalb dieses Hauses ist es sowieso kaum zu vermitteln, warum ein EU-Ausländer in der Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven über die Angelegenheiten der Ortspolizeibehörde Bremerhaven mitbestimmen kann, ein EU-Ausländer in der Stadt Bremen aber nicht.
Ein EU-Bürger in der Stadt Bremen aber nicht über die Angelegenheiten der Polizei in Bremen! Die Polizei in Bremen ist nach einer langen Geschichte hier als Landespolizei aufgestellt. Diese Besonderheiten und Petitessen des Bremer Staatsaufbaus kann man Außenstehenden nicht erklären.
Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Wir meinen, dass Bremen in diesem Punkt eine Prise Schottland guttun würde. – Ich danke Ihnen, und ich hoffe, dass wir an dieser Stelle weiterkommen!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist hier viel gesagt worden, viel Richtiges auch vonseiten der CDU. Sie wollen also das Wahlrecht auf 16 Jahre herabsetzen, darüber kann man streiten. Meines Erachtens ist es der falsche Weg. Anstatt das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken, sind eine bessere Bildung und politischer Einsatz für mehr Lehrstellen dringender erforderlich.
Wenn Sie unsere Jugendlichen geistig für reif halten, mit 16 Jahren solche Entscheidungen treffen zu können, muss ich Ihnen sagen, plädiere ich auch dafür, das Erwachsenenstrafrecht auf 16 Jahre herabzusenken. Wenn sie die geistige Reife haben, mit 16 Jahren wählen zu dürfen oder wählen zu wollen, müssen sie mit 16 Jahren auch ihre Konsequenzen daraus ziehen, was sie als Jugendliche in der Gesellschaft tun, und Verantwortung dafür tragen, was sie machen. Gerade im Hinblick auf die Straftaten von gewaltbereiten Jugendlichen, über die wir ja immer überall täglich lesen können, ist es meines Erachtens dringend erforderlich, wenn Sie das in der Konsequenz durchziehen wollen, auch ganz konsequent zu sein und das Erwachsenenstrafrecht auf 16 Jahre abzusenken.
Sie wollen das Ausländerwahlrecht ausweiten, schön und gut, das wollten Sie ja schon immer, jetzt auf Drittstaaten. Ich muss Ihnen sagen, Sie wollen das Ausländerwahlrecht ausweiten, weil Ihnen – die letzte Wahl hat es ja gezeigt – die Wählerinnen und Wähler in Scharen davonlaufen, weil man den etablierten Parteien nicht mehr glaubt.
Über 30 Prozent Nichtwähler, das sagt schon einiges, Tendenz steigend! Herr Tschöpe, als SPD-Abgeordneter würde ich an Ihrer Stelle bei diesem Thema ganz ruhig sein, ich würde mich schämen und in die Ecke stellen, nach Ihrem Wahlergebnis würde ich weinen und nicht lachen!
Der Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde in Bremerhaven ist ein eindeutiger weiterer Meilenstein der Rechtsprechung einer wahren Demokratie und daher sehr zu begrüßen. Ansonsten wünsche ich Ihnen bei der nächsten Wahl viel Erfolg, Herr Tschöpe, Sie werden es gebrauchen können, wie auch viel Kraft und Mut! – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Abschluss der Debatte erlaube ich mir vier kurze Anmerkungen. Ich möchte es nicht versäumen, dem Ausschuss für diese sehr konstruktive Zusammenarbeit mit unseren Verwaltungen zu danken. Sie haben Verständnis gezeigt, insbesondere wenn es darum ging, praktische Regelungen in das Wahlrecht aufzunehmen, die einen sicheren Verlauf des Wahlprozesses sicherstellen. Insofern bin ich mit diesem Ergebnis sehr zufrieden.
Nicht ganz einigen konnten wir uns bei der Frage, wie ausgezählt wird. Ich gestehe es offen, ich glaube, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen erst die Personenstimmen zu zählen sind, dann die Listenstimmen.
(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Herr Senator, wir zählen immer eine nach der anderen!)
Ich vereinfache das jetzt etwas, wenn es um die Frage der Sitzverteilung geht, bin ich mit Prof. Morlock einer Meinung.