Protocol of the Session on June 17, 2009

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich gebe Ihnen jetzt das Ergebnis der Wahl für die Präsidentin/des Präsidenten des Rechnungshofs bekannt: Ausgegebene Stimmzettel: 79, abgegebene Stimmzettel: 79, ungültige Stimmen: zwei.

Prof. Dr. Werner Müller: fünf Jastimmen.

Bettina Sokol: 67 Jastimmen, eine Neinstimme, vier Enthaltungen.

Ich stelle fest, dass Frau Bettina Sokol die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht hat.

(Beifall)

Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Bestimmungen

Mitteilung des Senats vom 12. Mai 2009 (Drucksache 17/778) 2. Lesung

D a z u

Änderungsantrag der Fraktion der CDU vom 26. Mai 2009

(Drucksache 17/798)

u n d

Mitteilung des Senats vom 16. Juni 2009

(Drucksache 17/837)

u n d

Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Juni 2009

(Neufassung der Drucksache 17/845 vom 17. Juni 2009) (Drucksache 17/847)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Jürgens-Pieper, ihr beigeordnet Herr Staatsrat Othmer.

Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf des Senats in ihrer 45. Sitzung am 27. Mai 2009 in erster Lesung beschlossen und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Bildung überwiesen. Diese Deputation legt mit der Drucksachen-Nummer 17/837 ihren Bericht dazu vor.

Wir kommen zur zweiten Lesung.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben bereits in der ersten Lesung das Schulgesetz umfangreich debattiert und erörtert. Daher möchte ich mich heute hier auf den eingebrachten Änderungsantrag konzentrieren. Der Inhalt und die meisten Änderungen, die wir hier gemeinsam einbringen wollen, sind lediglich redaktioneller Natur, doch drei wesentliche Punkte möchte ich kurz erläutern:

Punkt 1: Mit Artikel 1 Nummer 4 wollen wir die Verpflichtung des Landes und der Stadtgemeinden, Schulentwicklungspläne zu erstellen, wieder entsprechend dem derzeit gültigen Schulgesetz einführen. Ein Schulentwicklungsplan wurde ja im vergangenen Jahr unter Einbeziehung von Experten in einem von einer breiten Öffentlichkeit getragenen Prozess verabschiedet. Wir sind jedoch der Auffassung, dass diese Arbeit damit nicht ein für allemal erledigt ist. Vielmehr müssen Schulentwicklungspläne der künftigen demografischen Entwicklung oder möglichen neuen finanziellen und räumlichen Erfordernissen Rechnung tragen und fortgeschrieben werden.

(Vizepräsident R a v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Punkt 2: Vielfältige Gespräche, die wir zwischenzeitlich führten, haben uns wieder bestätigt, wie gut sich die Berufsschulen im Land Bremen entwickelt ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

haben und welchen hervorragenden Ruf sie auch bundesweit genießen. Mit Artikel 1 Nummer 5 wollen wir verhindern, dass das bewährte System ausgehöhlt wird. An den Oberschulen sollen deshalb künftig keine berufsbildenden Bildungsgänge eingeführt werden. Zum einen stehen an den Berufsschulen die personellen, materiellen und räumlichen Möglichkeiten bereits zur Verfügung, und zum anderen würde die dezentrale Bereitstellung berufsbildender Bildungsgänge an den Oberschulen einen unverhältnismäßig hohen finanziellen Aufwand nach sich ziehen. Schaut man genauer hin, bringt die Vermischung allgemeinbildender mit berufsbildenden Gängen nach unserer Ansicht auch keine Vorteile hervor, denn Berufsschulen sind nicht regional orientiert, sondern nach Berufen. Kooperationen dort, wo sie sinnvoll und nötig sind, sind natürlich trotzdem möglich. Punkt 3: Bremen wird mit seinem neuen Schulgesetz eine Vorreiterrolle spielen, was die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern anbelangt. Vor dem Hintergrund der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention ist Bremen das erste Bundesland, das sich in seinem Schulgesetz das Ziel setzt, sein Schulsystem zu einem inklusiven Schulsystem zu entwickeln. Damit sollen in Bremen künftig behinderte und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler zunehmend gemeinsam in den allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden. Die früheren Förderzentren werden sukzessive ersetzt durch die neuen Zentren für unterstützende Pädagogik, die in die allgemeinbildenden Schulen eingegliedert werden und diese bei der inklusiven Unterrichtung unterstützen sollen. Sobald diese bedarfsdeckend eingeführt worden sind, werden die Zentren für unterstützende Pädagogik ihre Schülerinnen und Schüler nur noch in Fällen auch unterrichten, wenn auf die jeweilige Behinderung bezogene spezielle Fertigkeiten und Kompetenzen vermittelt werden sollen. Die derzeitige Formulierung im vorliegenden Gesetzentwurf ist unserer Ansicht nach noch missverständlich, daher schlagen wir eine entsprechende Präzisierung in Artikel 1 Nummer 6 vor. Mit dem neuen Schulgesetz wird die Schullandschaft Schritt für Schritt auch übersichtlicher, und wir geben den Schulen die nötige Zeit, sich umzugestalten und weiterzuentwickeln. Positiv zu erwähnen ist auch, dass wir bereits beschlossen haben, zum Beispiel in den Grundschulen die Klassengrößen zu senken. Aus aktuellem Anlass, der Demonstration, ist es auch nötig zu erwähnen, dass wir mit dem Abitur, das nach 12 und 13 Jahren möglich ist, den richtigen Weg gehen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Eltern und Schüler haben ein verlässliches Schulsystem und haben Planungssicherheit, was durch den Parteienkonsens politisch gestützt ist. Lassen Sie uns gemeinsam die qualitative Umgestaltung der Schu

len voranbringen! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich das letzte Mal schon dazu hinreißen lassen, meine Rede mit der Aussage zu beginnen: Es ist vollbracht! Heute, denke ich, wird mir die Senatorin recht geben, dass wir am Ende hier ein vernünftiges Gesetz beschlossen haben. Zu den Inhalten des Gesetzes habe ich, glaube ich, in der ersten Lesung ausreichende Ausführungen gemacht. Es gibt eine Weisheit, dass kein wichtiges Gesetz ein Parlament so verlässt, wie es hineingekommen ist. Ich glaube, dass wir mit unseren Änderungsanträgen auf der richtige Linie sind. Wir haben diverse redaktionelle Änderungen – Herr Güngör hat gerade darauf hingewiesen –, dass wir als Koalition gesagt haben, das ist ja lieb, liebe Behörde, dass ihr den Schulentwicklungsplan nicht darin haben wollt. Wir als Parlament legen weiterhin Wert darauf, dass Schulentwicklung fortgeschrieben wird. Ich glaube, das hatte die Behörde auch nicht im Sinn, als sie es gestrichen hat, aber ich denke, dass es sinnvoll ist, es auch weiter im Gesetz zu behalten. Auch dem Wunsch der Berufsschulen nachzukommen, bei den Oberschulen keine beruflichen Bildungsgänge anzuschließen, ist auf offene Ohren bei uns gestoßen. Ganz wichtig finde ich die Klarstellung, die wir im Bereich der Inklusion erreicht haben. Sie wissen, dass ist das bundesweit am meisten beachtete Projekt dieses Schulgesetzes. Ich glaube, es ist uns gelungen, den Spagat zwischen den Ängsten derjenigen, dass wir es zu schnell machen, und den Ängsten derjenigen, dass wir mit dem ganzen Prozess gar nicht anfangen, hinzubekommen, die Ängste aufzufangen und nun einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen. Wir haben einen ganz klaren Beginn definiert, gesetzlich beginnt es ab dem Schuljahr 2010. Wir haben darin eine klare Prozessbeschreibung mit einem Schulentwicklungsplan, mit Maßnahmen, mit einem Zeitfenster hinterlegt, dessen Erstellung nun gemeinsam mit allen Akteuren nach der Sommerpause beginnen wird. Der Begründung entnehmen Sie außerdem, dass sich die Koalition das Ziel gesetzt hat, das Schuljahr 2019/2020 als Ende dieser Übergangsphase hinzubekommen, um dann am Ende zu sehen, ob das, was wir heute entschieden haben, auch wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Ich glaube, das ist in der Tat ein sehr tragfähiger Kompromiss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Ich möchte auch gleich auf den Änderungsantrag der CDU eingehen, den wir in der Bildungsdeputation inhaltlich auch schon beraten haben. Es gibt für die grüne Fraktion zwei Gründe, warum sie ihn ablehnt: Der eine ist der rechtssystematische Grund, dass wir sagen, derlei präzise Festlegungen, wie sie die CDU-Bürgerschaftsfraktion gern hätte, hätten wir ungern in einem Gesetz. (Abg. R o h m e y e r [CDU]: Bloß nichts präzise machen!)

Herr Rohmeyer, regen Sie sich nicht auf, ich habe ja noch gar nicht angefangen, Sie zu beschimpfen!

Das Zweite ist, dass wir als grüne Fraktion aber auch ganz klar sagen, das, was die CDU fordert, halten wir inhaltlich für falsch, weil die grüne Fraktion auch weiterhin für ein möglichst langes gemeinsames Lernen steht und das zusammen mit der SPD in Bremen auch so umsetzen möchte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Schulgesetz ist ein zentraler Bestandteil der rot-grünen Koalition. Lassen Sie mich das ruhig selbstbewusst sagen: Ich glaube, es ist uns insgesamt gut gelungen, es ist uns auch gelungen, viele Anregungen der Menschen mitzunehmen, der Stadtteilbeiräte, der Interessenvertretungen, all das hat Eingang gefunden in dieses Gesetz.

Am Ende der Debatte haben wir heute ein Gesetz, und das heißt es, mit Leben zu füllen, das ist in der Tat die spannende Frage. Mit all diesen Dingen werden wir uns nach der Sommerpause befassen, und ich darf schon jetzt ankündigen, dass die grüne Fraktion diesen Prozess der Umgestaltung unserer Schulen ganz eng begleiten wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Beilken.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich mache es kurz mit dem Antrag der CDU: Rückwärtsgewandt, noch mehr Trennung innerhalb der nun verbleibenden gemeinsamen Schulen ist der eine Inhalt, beim Sportunterricht hat sich das ja erledigt, indem unser aller Intention weitgehend übernommen worden ist und der weiteren Beobachtung bedarf, aber keiner weiteren Änderung.

Ich komme zu den interessanteren Änderungsanträgen, wenn ich das so sagen darf, liebe Kollegin––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

nen und Kollegen von der CDU! Die sozialdemokratische Fraktion hat tatsächlich ein Stück weit dazugelernt und sich in Sachen Zeitschiene etwas sagen lassen. Bei der Umsetzung der Inklusion sehe ich ganz klare Fortschritte, das begrüße ich natürlich, das sind sicherlich nicht in erster Linie wir gewesen, sondern insbesondere der Behindertenbeauftragte, der in vielfältiger Weise immer wieder darauf gedrungen hat, und auch viele betroffene Eltern. Hier sehe ich einen richtigen Weg, obwohl die Festschreibung, dass die auf die Behinderung bezogenen Fertigkeiten und Kompetenzen vermittelt werden, indem sie außerhalb unterrichtet werden, auch nicht in Stein gemeißelt sein soll. Ich glaube, dass alle Fachleute sagen, man kann viel mehr unter einem Dach und in einem Klassenverband unterrichten, als man sich offenbar zunächst einmal vorstellen kann, und das gilt auch für solche speziellen Fertigkeiten. Da gibt es Vorbilder und Möglichkeiten. Wir sind alle von den Bildungsexperten hier in Bremen ganz gut informiert worden, man braucht allerdings eine räumliche Ausstattung der Schulen dafür. Da komme ich zu einem großen Pferdefuß: Wir hatten im Gesetz an mehreren Stellen aufgeführt, dass die Ausstattung ins Gesetz verpflichtet geschrieben wird, und zwar nach Heterogenität, die bewältigt werden muss, danach, wie viel Gemeinsamkeiten es beim Lernen gibt, wie viel Inklusion geleistet wird und danach, welcher soziale Ausgleich geleistet wird, also – drastischer gesagt – wo Bildungsarmut und Armut bekämpft wird. Dahin wollten wir gezielt die Mittel einsetzen. Als notwendige Förderung und als Anreiz wollten wir das auch ins Gesetz schreiben, das haben Sie nicht gemacht. Solange Sie sich hier als Mangelverwalter verstehen, haben Sie auch nicht den Spielraum für Reformen, selbst wenn Sie ihn wollen. Der Zusammenhang ist mir in letzter Zeit verstärkt aufgefallen, denn die Eltern und Schüler wollen keine Reform, wenn nicht zusätzlich auch entsprechende Mittel eingesetzt werden. Das gilt sogar für die Ganztagsschule, wie ich letzte Woche bei einer Versammlung im Ortsamt feststellen konnte. Wenn die Ganztagsschule so ist, dass die betroffenen Eltern sie als „Billigmodell“ bezeichnen, wollen sie lieber bis mittags wissen, woran sie sind, aber nicht einen Flickenteppich von einer Ganztagsschule, nur als Beispiel, das gilt für alle anderen Reformen auch. Sie fallen natürlich nicht auf fruchtbaren Boden, wenn nicht die Ressourcen dazu in die Hand genommen werden. Da müssten Sie auch noch gewaltig zulegen, da müssen wir in Deutschland insgesamt zulegen, und da sehe ich bei Ihnen zu viel Mangelverwaltung und unter anderem deswegen auch zu wenig Reform. Wo es direkt zurückgeht – da komme ich auf den Änderungsantrag der sozialdemokratischen Seite –, ist, wenn die Gymnasien durch eine Leistungsauswahl, die stärker und klarer auf Leistung orientiert ist als vorher, homogener werden. Das ist natürlich ein Rückschritt gegen längeres gemeinsames Lernen.

Die Gymnasien sollen gerade heterogener werden, um an dem Prozess beteiligt zu sein, sagen wir. Ich denke, das wurde auch von den Experten vom pädagogischen Fortschritt so gesagt, das müsste eigentlich von der CDU auch gesehen werden. Wenn Sie tatsächlich die Homogenität befürworten, sind Sie eben nicht vorn, was die pädagogische und auch menschlich-soziale Entwicklung betrifft. Eigentlich ist es auch sonst in der Gesellschaft eher ein fließender Übergang, auch in den Betrieben, was das Gebot der Stunde ist, und nicht diese noch aus der Kaiserzeit stammende Trennung und Absetzung. Letztlich ist dies wirtschaftlich genauso wie sozial kein Fortschritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Selektion wird stärker werden, im Gymnasium wird man homogener unter sich sein, aber vor allem an den Grundschulen.

Sie haben hier im Änderungsantrag, dass schon nach dreieinhalb Schuljahren rechtsverbindliche Beurteilungen der Schülerinnen und Schüler gefertigt werden, die dann ein Stück weit über den weiteren Lebensweg entscheiden werden, nämlich wer auf das Gymnasium darf und wer nicht. Jedenfalls wird dies eine große und wachsende Bedeutung haben, und Sie wollen, dass schon in der dritten Klasse in dieser Richtung Punkte gesammelt werden. Ich unterstelle Ihnen grundsätzlich guten Willen, aber da haben Sie sich gewaltig vergaloppiert, das geht nach meiner Prognose nach hinten los, das werden Sie wohl noch einmal korrigieren müssen. Elternwille und Losverfahren waren problematisch, aber was Sie jetzt hier versuchen zu verbessern, ist eher eine Verschlimmbesserung, die im Endeffekt in die falsche Richtung gehen wird. Mehr Druck in den Grundschulen wird von den Lehrerinnen und Lehrern und den Eltern befürchtet, und das bestätigt uns natürlich darin, diesen Gesetzentwurf leider sehr klar abzulehnen. – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Beilken, Sie haben recht. Es werden Ressourcen benötigt, gleichzeitig müssen Ressourcen auch vorhanden sein, und insofern muss man das abgewogen betrachten und immer schauen, welche Ressourcen denn zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang gilt es dann auch, die vorhandenen Ressourcen effektiv einzusetzen, und da müssen wir auch hinsehen und beispielsweise schauen, dass nicht an anderer Stelle im Lande 55 Millionen Euro mehr für schöne Traumwelten ausgegeben werden, die sicherlich hilfreich sind, aber diese Millionen sind einfach zu viel. Damit muss man

verantwortlich umgehen, das hatten wir heute Morgen. (Beifall bei der FDP)