Aus diesem Grund möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir sowohl in unserem Antragstext als auch jetzt in den von mir folgenden Ausführungen weitestgehend auf Polemik und andere Sachen verzichtet haben, und ich hoffe, dass wir dabei eine gute und konstruktive Diskussion haben werden.
Meinen Ausführungen möchte ich des Weiteren mit Genehmigung des Präsidenten ein Zitat aus dem Armutsbericht der Arbeitnehmerkammer voranstellen. Da heißt es: „Mit Einzelmaßnahmen sind die Segregationsprozesse in unseren Städten nicht aufzuhalten. Sie fordern ein abgestimmtes Handeln zwischen den Ressorts und vor allem eine sehr nahe an den Menschen und ihren Problemlagen orientierte (Stadteil-) Politik“. Unterzeichnet ist dieses Zitat von Dr. Hans L. Endl und Hans Driemel im November 2007.
Heute, fast ein Jahr später, fordert DIE LINKE ein, was Endl und Driemel damals schon angerissen haben: ein integriertes, ein ressortübergreifendes und vor allem auch beteiligungsorientiertes Gesamtkonzept mit einem klar definierten strategischen Ziel. Das entsprechende Instrumentarium für die LINKE ist dabei der sogenannte Masterplan, das strategische Ziel ist die Armutsbekämpfung.
Ich möchte zunächst zur Armutsbekämpfung einige Bemerkungen machen! Wir haben, angeregt durch den soeben zitierten Bericht der Arbeitnehmerkammer mit dem Untertitel „Die soziale Spaltung der Stadt“ und auch durch die konkrete Zusammenarbeit mit Organisationen und Initiativen der Agenda2010-Geschädigten in dieser Stadt, im Juni 2008 zu einer Armutskonferenz geladen. Viele Initiativen und viele Bürgerinnen und Bürger sind diesem Aufruf gefolgt. Wir haben neben den Podiumsdiskussionen in Workshops gearbeitet, und in diesen Workshops wurden die Themen Armut und Beschäftigung, Armut und Arbeitslosigkeit, Armut und Sozialraum, Armut und Bildung, Armut und Flüchtlinge, Armut und Alter, Armut und Frauen, Armut und Gesundheit, Armut und Reichtum theoretisch besprochen, aber von den Beteiligten auch sehr praktisch beraten und diskutiert.
Die oft sehr persönlichen Berichte haben im Wesentlichen die Forschungsergebnisse des Berichts der Arbeitnehmerkammer über die soziale Spaltung der
Stadt bestätigt. Es stellt sich heraus, dass es sich hier nicht mehr um Einzelschicksale handelt, sondern um einen im System begründeten fast schon massenhaft wirksamen Mechanismus: Reichtum produziert Armut, das ist ein vergleichbar einfacher Prozess. In den Ländern des Kapitalismus, den sogenannten Wohlfahrtsstaaten, wurden diese vom Kapitalismus verursachten Ungleichheiten durch soziale Transferleistungen, wie wir sie alle kennen, repariert.
Die Zeiten haben sich allerdings geändert. In Zeiten des neoliberal verschlankten Staates werden nicht nur die sozialen Transferleistungen durch die HartzIV-Gesetze zusammengestrichen, sondern auch die öffentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge privatisiert oder sogar kaputtgespart. Der Niedergang dieser Einrichtungen der Daseinsvorsorge über Kitas bis Schulen bis Bibliotheken, Universitäten und vieles mehr erfolgt allerdings nicht gleichzeitig in allen Stadtteilen. Aus diesen verschiedenen Wechselwirkungen entstehen dann in der realen Stadtgesellschaft wie Bremen oder Bremerhaven systematische Rückkopplungsschleifen der Armutsentwicklung, die sich auch noch selbst reproduzieren und gegenseitig verstärken. Armut ist damit nicht mehr weiter nur ein monetäres Problem, sondern es tritt hier eine neue Dimension auf den Plan, nämlich Armut als Lebenslage.
Was bedeutet Armut als Lebenslage ganz konkret? Auch hier möchte ich mit Genehmigung des Präsidenten zitieren: Es bedeutet, „dass Menschen in bestimmten Quartieren gegenüber anderen benachteiligt sind oder werden, ist nicht nur das Ergebnis objektiver Verhältnisse. Es ist vielmehr so, dass negative Grundvoraussetzungen, also etwa ein geringes Einkommen oder die Abhängigkeit von staatlichen Hilfen, dafür sorgen, dass weitere Nachteile sich einstellen. Stadtteile, in denen sich die materielle Armut konzentriert, bieten für Kinder und Jugendliche weniger Chancen als die durchschnittlich wohlhabenderen Stadtteile.“ Die Tatsache ist so schlicht wie aufrüttelnd: „Wer das ‚Glück’ hat, in einem der situierten Stadtteile aufzuwachsen, hat eine teils viermal größere Chance, auf eine weiterführende Schule zu gelangen als ein Kind, das das ‚Pech’ hatte, in einem benachteiligten Quartier geboren zu werden.“ Auch wiederum zitiert aus dem Vorwort der Arbeitnehmerkammer! Man muss dieser Beschreibung noch die statistische Kennzahl hinzufügen – und das finde ich immer sehr prekär –, dass Menschen außerdem in den weniger situierten Stadtteilen im Durchschnitt acht Jahre früher sterben als in den wohlhabenden Stadtteilen. Auch das ist mittlerweile in Bremen Realität.
Noch einmal: Es geht hier längst nicht mehr um die Größe des Autos oder die Anzahl der Urlaube oder das Eigenheim oder die Güte der Dolby-SurroundAnlage. Es geht um den Ausschluss von Kultur, Bildung, Ausbildung, Mobilität und vielen anderen Möglichkeiten der sozialen Teilhabe, und das nicht
nur für Einzelne, sondern für ganze Generationen, ganze Stadtteile. Wer etwas ändern will, braucht erstens den politischen Willen zu einem Konsens, zur Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen, zweitens eine ressortübergreifende integrierte Beschäftigungs-, Familien-, Bildungs- und Sozialpolitik mit sehr hoher Priorität und drittens insbesondere den Sachverstand der vor Ort Betroffenen und der realen Mitbestimmungsbedingungen. Viertens sind monetäre Transferleistungen in ausreichendem Umfang an Einzelne weiter bitter notwendig, aber, wie ich hoffe gezeigt zu haben, nicht mehr allein ausreichend. Neue Formen des selbstbestimmten Arbeitens und Lebens müssen sich entwickeln können.
Um ein solches Armutsbekämpfungsprogramm – und das hat zumindest für DIE LINKE eine sehr große Priorität – auf den Weg zu bringen, braucht man allerdings auch ein entsprechendes Planungs- und Kontrollinstrument. Ich denke, hier kann man auf das, was in Bremen bekannt ist, das Masterplansystem, also ein Metaplanungssystem, und auch ein Planungssystem, das mehrdimensional angelegt werden kann, zurückgreifen. Welche Kriterien ein solcher Masterplan erfüllen muss, dazu, denke ich, wird mein Kollege Klaus-Rainer Rupp in der nächsten Runde noch etwas berichten. Ich hoffe, dass die meisten von Ihnen unseren Antrag gelesen haben – die meisten Dinge stehen auch darin – und hoffe auf eine gute Diskussion. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! So, so! Da fordert ausgerechnet die linke Fraktion einen Masterplan Armutsbekämpfung. Das hört sich ganz sicher sehr lobenswert an, denn die konstant ansteigende Armut ist ja gerade in Bremerhaven an allen Ecken und Kanten unübersehbar, weil die Armut im Bundesland Bremen in den letzten Jahren sehr deutlich angestiegen ist.
In Deutschland leben insgesamt zwölf Millionen Menschen in Armut, die Tendenz dazu ist bei dieser Politik steigend. Das heißt aber auch unweigerlich, immer mehr Kinder, aber auch ältere Menschen – sprich ansteigende Altersarmut – leben in ärmlichen, man kann fast schon sagen erbärmlichen Verhältnissen. Das Weltkinderhilfswerk UNICEF weist darauf hin, dass gerade die Kinderarmut in Deutschland schon seit 1990 sehr viel stärker angestiegen ist als in den meisten anderen Industriestaaten. Das ist ein Armutszeugnis, das ist Ihr großes Armutszeugnis! Die schrecklichen Folgen für arme Kinder: Kinder ärmerer Familien haben unweigerlich deutlich niedrigere Bildungsabschlüsse als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das heißt wiederum: Je geringer der Bildungs
stand, desto höher das Risiko, auch zukünftig in Armut leben zu müssen, natürlich im Zuge der sehr teuren gescheiterten Gesundheitspolitik.
Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, als die Ministerin Schmidt, SPD, vollmundig verkündet hat, für die gesetzlich Versicherten werde der Versicherungsbeitrag niemals 13 Prozent übersteigen. Jetzt, meine Damen und Herren, sind wir bei fast 16 Prozent, also wieder einmal eine glatte Lüge der Ministerin! Tatsache ist doch: Durch die unsoziale Praxisgebühr gehen immer weniger ärmere Menschen zum Arzt, sind öfter krank und sterben früher. Immer mehr Menschen können sich die überteuerten Zuzahlungen, zum Beispiel für brauchbare Hörgeräte, Medikamente, Zahnersatz oder andere medizinisch dringend erforderliche Behandlungen, nicht mehr erlauben.
Sie sehen, die Schere zwischen Arm und Reich geht durch eine unsoziale Politik immer weiter auseinander. Ein Ende ist noch lange nicht abzusehen, ganz im Gegenteil, sehr viele Menschen aller Altersschichten kommen aus der Armut nicht mehr heraus. Sie ist und bleibt ein ewiger qualvoller Dauerzustand. Das ist für die betroffenen Menschen ein elendiger Teufelskreis, aus dem sie allein niemals herauskommen werden. Die Politik ist schon seit Jahrzehnten gefragt, denn erstens ist die Arbeitslosigkeit das größte Armutsrisiko überhaupt, und zweitens gibt es auch unter den ärmeren Menschen sehr viele Erwerbstätige, die mit ihrem sehr geringen Lohn nicht einmal das Existenzminimum ihrer Familie absichern können. Gerechte Löhne und mehr Arbeitsplätze sind das Gebot der Stunde, um die anwachsende Armut bekämpfen zu können.
Ich glaube aber nicht, dass Sie ausgerechnet mit der neuen und alten SPD-Chaostruppe Steinmeier/ Müntefering, also ausgerechnet mit den verantwortlichen Architekten und Gründungsvätern der unsozialen und ungerechten Agenda 2010, Hartz IV, Rente ab 67 und so weiter, zukünftig jemals eine wirkungsvolle und spürbare – das ist ja das Wichtige: spürbare! – Armutsbekämpfung hinbekommen werden. Das glauben Sie selbst nicht!
Nun noch einmal zu der LINKEN! Ihr groß angekündigtes Sozialprogramm beträgt meines Wissens circa 50 Milliarden Euro. Woher das Geld kommen soll, sagen Sie nicht. Wo Sie die 50 Milliarden Euro einsparen wollen, sagen Sie natürlich auch nicht, aber irgendwie und mit irgendetwas müssen Sie diese 50 Milliarden Euro abdecken und finanzieren. Wo also wollen Sie diese Einsparungen vornehmen? Im Bereich Sport, im Bereich Bildung, Schule, Kultur? Im Bereich Altenpflege, Kindergärten, Kinderbetreuung, im Gesundheitswesen? In welchen sozialen Bereichen wollen Sie drastische Kürzungen vornehmen, denn irgendwo müssen Sie sie ja einsparen? Sagen Sie es uns, wir sind alle sehr darauf gespannt! Sie werden es aber nicht tun, denn Sie betreiben eine populisti
sche und unehrliche Politik nach dem Motto „Freibier für alle“, und am Ende bedeutet es „Armut für alle“.
Im Übrigen sage ich hier ganz deutlich: Vielleicht sollte Ihre Salonkommunistin Sahra Wagenknecht nicht heimlich so viel Hummer und Champagner verputzen,
um diese peinlichen Fotos dann verbieten zu lassen, oder vielleicht sollte gerade die Linkspartei laut einem TV-Bericht in „Extra 3“
nicht Ihr Werbe-T-Shirt im Billiglohnland Bangladesch, vielleicht sogar durch Kinderhändearbeit, herstellen lassen. Dann wären Ihre Anfragen vielleicht – aber auch nur dann vielleicht! – ein bisschen glaubwürdiger, aber nur dann!
Im Übrigen glaube ich nicht, dass man die Armut gerade in Bremerhaven, wie gesehen, unter Mithilfe zahlreicher Medienvertreter werbewirksam mit einer Handvoll Euros bekämpfen kann, denn auch ärmere Menschen – gerade ärmere Menschen – haben Achtung, Würde und ein Gewissen, die man ihnen auch nicht für 20 Euro abkaufen kann, um sie dann anschließend im Fernsehen vorzuführen oder sogar populistisch zu missbrauchen. Das haben diese Menschen in Bremerhaven nicht verdient, das klappt nicht, und das haben schon die Grünen mit einigen Brotkrümeln, sprich Brotsuppe, versucht. Der Bürger glaubt das nicht mehr.
Meine Damen und Herren, mir geht es darum, die Armut im Bundesland Bremen und Bremerhaven wirkungsvoll insgesamt zu bekämpfen. Das haben diese Menschen verdient, das ist unsere Aufgabe, und im Übrigen sollte das Thema Armutsbekämpfung nicht dazu dienen – dazu ist es auch einfach zu wichtig –, als Einmannshow populistisch und werbewirksam missbraucht zu werden. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Tittmann, wir haben hier heute Morgen ein bisschen etwas von politischer Kultur erlebt.
Die Fraktion DIE LINKE bringt heute erneut das Thema Armut und soziale Benachteiligung in die Bürgerschaft. Ich muss Ihnen sagen: Wir finden es gut, wenn dieses Thema diskutiert wird, weil es eine zentrale Bedeutung für die Menschen in unseren beiden Städten hat.
Auch für uns ist die sich zuspitzende soziale Spaltung in unserer Stadtgesellschaft ein ernstes Problem und zugleich eine große politische Herausforderung. Diese Herausforderung wird umso größer, wenn einem gleichzeitig die dramatische Haushaltslage unseres Landes bewusst ist. Diese Herausforderung hat die rot-grüne Landesregierung aber angenommen. Die Stärkung des sozialen Zusammenhalts ist der Kernpunkt unserer Politik und in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen, und, meine Damen und Herren, bei uns kann man nicht nur schöne Worte nachlesen, sondern sich auch von der Umsetzung in praktische Politik überzeugen, eine Politik, die die Lebenssituation im Alltag spürbar verbessert.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen! Gleich zu Beginn der Legislaturperiode haben wir die Koalitionsabsprache über die drastische Reduzierung der Umzugsaufforderungen für Menschen im Sozialhilfe- oder ALG-II-Bezug umgesetzt. Seit dem 1. November 2007 gelten neue Mietobergrenzen für Bremerinnen und Bremer im Bezug von ALG II, Sozialgeld, Sozialhilfe und Altersgrundsicherung. Dies hat die rot-grüne Regierung in Bremen durchgesetzt. Damit wurde bereits ein Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in Bremen geleistet, und viele Menschen wurden von der Angst um den Verlust ihres soziales Umfeldes entlastet.
Zudem haben wir mit millionenschweren Umschichtungen im Haushalt den Weg begonnen, die Kindertagesbetreuung schrittweise auf sechs Stunden auszubauen, die Betreuungskapazitäten für unter Dreijährige aufzubauen und im Kindergarten und Schul
Von ersten wichtigen Schritten in die richtige Richtung kann sich jeder überzeugen. Wie dies beispielsweise in den Kitas ankommt, davon konnten sich alle gestern persönlich auch in diesem Hause überzeugen, als sich die evangelischen Kitas mit vielen selbstgemalten Bildern für diese ersten Schritte bedankt haben.
Ein weiterer finanzieller Kraftakt war die Bereitstellung von Mitteln für den Schutz von Kindern vor Vernachlässigung. Dazu zählt unter anderem eine Verstärkung der Personalausstattung in den sozialen Diensten und im Gesundheitsamt, die flächendeckende Einrichtung eines verbindlichen Einladungswesens zur Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder sowie das Kinder- und Jugendschutztelefon mit entsprechenden Kinder- und Jugendnotdiensten.
Uns ist sehr bewusst, dass in Bremen ein Drittel aller Kinder auf Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern XII und II angewiesen sind, in Bremerhaven sind es sogar vier von zehn Kindern. Der rot-grüne Senat hat auf Bundesebene eine Initiative angeschoben, die zum Ziel hat, die Regelsätze für Kinder, die Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe beziehungsweise der ALGII-Regelung erhalten, zu verbessern. Eltern erhalten zurzeit für die Versorgung ihrer Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr 211 Euro und vom vierzehnten bis zum siebzehnten Lebensjahr 281 Euro. Das ist bei weitem nicht ausreichend. Uns ist klar, dass den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen damit nicht ausreichend Rechung getragen werden kann. Daher setzt sich der rot-grüne Senat für die Überprüfung dieser Regelsätze sowie die Wiedereinführung von einmaligen Leistungen für Kinder und Jugendliche ein.
Bereits in unseren Koalitionsgesprächen war klar, dass eine differenzierte Armutsbekämpfung auch eine differenzierte Datenlage erfordert. Dazu braucht es eine Gesamtschau auf alle Bereiche unserer Städte. Wir brauchen einen Armuts- und Reichtumsbericht, dies ist in unserer Koalitionsvereinbarung festgehalten, und wir haben über die Verwaltung am 26. Juni den Bericht auf den Weg gebracht. Dieser wird derzeit ressortübergreifend erarbeitet und unter anderem folgende Punkte beinhalten – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus der Deputationsvorlage –: „Dar