Protocol of the Session on February 21, 2008

Ich eröffne die 17. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.

Meine Damen und Herren, auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine 9. Klasse des Gymnasiums Horn, eine 7. Klasse des Schulzentrums Ronzelenstraße, eine 9. Klasse des Kippenberg-Gymnasiums und Mitglieder eines Integrationskurses Alphabetisierung.

Seien Sie alle heute Morgen ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Herrn Rupp zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichen Glückwünsche des Hauses aussprechen. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag, Herr Kollege Rupp!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Bildung und Ausbildung für Kinder und Jugendliche ohne gesicherten Aufenthaltsstatus

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 4. Dezember 2007 (Drucksache 17/161)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Lemke.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildung und Ausbildung sind in der heutigen Zeit ein wichtiger Baustein für die Zukunftschancen junger Menschen. Wenn es um diese Zukunftschancen geht, dann spreche ich hier ganz ausdrücklich von jungen Menschen und nicht von jungen Deutschen. Bildung und Ausbildung, meine Damen und Herren, betrachten wir Grünen als Grundrecht, das nicht haltmacht vor Nationalität und Herkunftsfragen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

In diesem Sinne ist auch unser heutiger Antrag zu verstehen. In Bremen lebt immer noch eine Vielzahl junger Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und quasi täglich abgeschoben werden können, mindestens aber damit rechnen müssen, dass am Ende des Duldungszeitraums keine Verlängerung ihres Status hier in Deutschland erfolgt.

Nun frage ich Sie: Welche Perspektive hat eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der eben nicht weiß, ob sie/er überhaupt hier in Bremen den Bildungsgang beenden kann? Welchen Einsatz und welches Interesse in und an unserem Bildungssystem können wir von jungen Menschen erwarten, denen wir kein klares Ziel vor Augen führen können?

Die rot-grüne Koalition will diesen Zustand ändern. Wir wollen jungen Menschen, die sich auf dem Boden unserer Gesellschaft und unserer Gesetze bewegen, eine Perspektive geben. Integration, meine Damen und Herren, darf man nicht nur in Sonntagsreden einfordern, man muss sie auch ermöglichen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir fordern daher den Senat mit diesem Antrag auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um jungen ausländischen Menschen die Chance zu geben, ihren Bildungsgang in Bremen abschließen zu können und ihnen so unabhängig von ihrer Herkunft die Chance auf Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Schulabschluss, Ausbildungsgang, Hochschulstudium sind elementare Grundlagen auch zur Entlastung unseres Gemeinwesens. Wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger unseres Bundeslandes allein unterhalten kann. Wie unlogisch und volkswirtschaftlich unsinnig ist die bisherige Praxis, ihnen das Arbeiten zu verbieten und sie stattdessen vom Staat alimentieren zu lassen. Das können wir uns auch finanziell gar nicht leisten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der Linken)

Ich will nicht verhehlen, dass dieser Antrag heute hier auch ein deutliches Zeichen dafür ist, dass sich die Machtverhältnisse in Bremen deutlich verschoben haben. Das Ziel unserer Koalition ist die Integration und nicht die Ausgrenzung von Menschen anderer Herkunft. Innensenator Willi Lemke und sein Ressort arbeiten mit Nachdruck daran, die Ausländerbehörde organisatorisch bürger- und serviceorientiert aufzustellen. Allein der Umstand, dass das Innenressort bereits Erlasse herausgegeben hat, die in die Stoßrichtung dieses Antrags gehen, zeigt, dass es allen Beteiligten damit ernst ist. Wir wollen aber nicht nur das Haus von außen neu streichen, nein,

wir arbeiten als rot-grüne Koalition auch daran, dass das Innenleben, also die politische Ausrichtung, geändert wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bitte unterstützen Sie unseren Antrag! – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die OECD warnte im Juni 2007 vor einem zukünftigen Fachkräftemangel in Deutschland. Die Zahl der Erwerbstätigen soll bis zum Jahr 2025 in Deutschland um 6 Prozent sinken. Welche Konsequenzen das für unsere sozialen Sicherungssysteme, die umlagefinanziert sind, haben wird, kann sich eigentlich jeder ohne weitere statistische Überlegungen selbst ausrechnen.

Der EU-Innen- und Justizkommissar Fratini stellte am 13. September 2007 das Konzept einer Bluecard vor. Hiermit sollte die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte erleichtert werden. Der größte Teil der Migranten, die nach Europa kommen, sei beruflich nicht qualifiziert, und zwar nicht weniger als 85 Prozent von ihnen. In den USA sei das ganz anders. Die Migranten, die in die USA kämen, seien ausgebildet. Mehr als die Hälfte der ausgebildeten Migranten ginge in die USA, in die EU kämen dagegen nur 5 Prozent von ihnen. Mit anderen Worten, die meisten Einwanderer, die in die USA kommen, stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, und zwar als qualifizierte oder hoch qualifizierte Arbeitskräfte, in der EU hingegen nicht.

Ohne auf das wirklichkeitswidrige Mantra, Deutschland sei kein Einwanderungsland, beziehungsweise auf die Mär vom leergefegten Fachkräftemarkt eingehen zu wollen, kommt der Qualifizierung der bislang Zugewanderten im Lichte der gerade zitierten Aussagen von Fratini und der OECD besondere Bedeutung zu. Dauerhaft hier lebende Menschen müssen in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen und nicht auf Dauer von staatlichen Transferleistungen abhängig zu sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Hierfür ist eine fundierte schulische Ausbildung und eine daran anschließende berufliche Ausbildung Grundvoraussetzung. Volkswirtschaftlich sinnvoll und

rational geboten sind deshalb alle Maßnahmen, die bestehende Barrieren für den Erwerb einer entsprechenden Qualifikation abbauen.

Die im vorliegenden Antrag angesprochenen geduldeten Kinder und Jugendlichen stellen eine Gruppe von bereits langfristig in Deutschland lebenden Menschen dar, welche wir durch vielfältige bürokratische Hindernisse daran hindern, eine arbeitsmarktrelevante Qualifikation zu erlangen. Als Beschreibung: Eine Duldung erhält, wer zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Das ist oft nach dem endgültig negativen Abschluss des Asylverfahrens der Fall. Auch Flüchtlinge, die ohne Visum nach Deutschland kommen oder nach Ablauf des Visums in Deutschland bleiben und kein Asyl beantragen, erhalten eine Duldung, wenn eine Abschiebung nicht möglich ist. Eine Duldung kann auch angeordnet oder verlängert werden, weil das Innenministerium des Landes für eine bestimmte Flüchtlingsgruppe oder für Flüchtlinge aus einem bestimmten Land einen Abschiebungsstopp angeordnet hat.

Eine Duldung gilt immer nur für wenige Wochen oder Monate. Sie wird jedoch verlängert, wenn eine Abschiebung weiterhin nicht möglich ist. Auf diese Weise kann es sein, dass ein geduldeter Aufenthalt viele Jahre dauert. Wenn man sich die Fälle anschaut, dauert es im Regelfall für immer, die Leute bleiben nämlich hier. Der vorliegende Antrag will ausschließlich für die betroffene Personengruppe Kinder und Jugendliche Perspektiven eröffnen, ein weitergehendes Bleiberecht für gegebenenfalls auch geduldete Familienangehörige soll hierdurch nicht konstruiert werden.

Wenn man über abstrakte Normen oder Erlasse redet, ist es eigentlich immer ganz hilfreich, sich einmal zu verdeutlichen, um welche Menschen es dabei eigentlich geht. Es geht zum Beispiel um die achtzehnjährige Armenierin, die Anfang der Neunzigerjahre im Alter von zwei Jahren mit ihrer Mutter aus BergKarabach nach Bremen gekommen ist. Die Mutter hat einen Asylantrag gestellt, der naturgegeben abgelehnt worden ist. Passlos waren sie aber sowieso, weil Aserbaidschan keinerlei Interesse daran hat, Leuten aus Berg-Karabach wieder Pässe auszustellen. Sie waren erst einmal hier. Abgeschoben werden konnten sie nicht, weil sie passlos waren. Was macht man mit den Kindern? Sie gehen zur Schule. Dieses Mädchen hat ausgezeichnet Deutsch gelernt, und sie hat ihr Abitur mit dem Notendurchschnitt von 1,2 abgeschlossen. Perfekte Integration, würde ich sagen, aber dann kam es!

Wenn man geduldet ist, kann man aufgrund der bisherigen Erlasslage leider kein Hochschulstudium beginnen, auch wenn man ein Abitur von 1,2 hat. Mit beruflicher Ausbildung kann man nur dann beginnen, wenn der zukünftige Arbeitgeber nachweist, dass kein anderer gleich qualifizierter Deutscher oder EUBewerber vorhanden ist. Welcher Arbeitgeber wird sich dieser Prozedur unterziehen? Für das Mädchen

gab es eigentlich nur die Möglichkeit, sich dazu zu entscheiden auszuwandern. Das hat sie dann auch gemacht und einen Antrag nach Australien gestellt. Die Australier haben sich sehr gefreut und gesagt, wir brauchen qualifizierte Leute. Sie haben dem Mädchen auch ein Visum erteilt.

Dann hat sie allerdings in Bremen ihren zukünftigen Mann kennengelernt, hat der Liebe wegen geheiratet und ist jetzt hier. Sie hat zwischenzeitlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und ist ein Mitglied unserer Gesellschaft, das aller Voraussicht nach nie wieder auf soziale Transferleistungen angewiesen sein wird, weil sie eine hoch qualifizierte Wissenschaftlerin geworden ist.

Wenn Sie das auf sich wirken lassen, dann kann das Ergebnis eigentlich nur sein: Lassen Sie uns diesen volkswirtschaftlichen Unsinn der kurzen Duldung stoppen, und lassen Sie uns die Leute hier sinnvoll beschäftigen! Das ist für die Menschen gut, und es ist vor allen Dingen für unsere sozialen Transfersysteme gut. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der Linken)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich haben auch wir ein Interesse daran, dass sich alle Einwohner unseres Landes soweit wie möglich selbst unterhalten können. Herr Fecker, Sie haben davon gesprochen, dass Sie die Machtverhältnisse geändert haben und dass Sie jetzt die Integration ernst nehmen, aber schon zu Zeiten der Großen Koalition, das kann ich Ihnen versichern, ist Integration ernst genommen worden.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD – Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen)

Eigentlich müssen Sie jetzt auch klopfen.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Da waren Sie ja noch nicht dabei!)

Aber vielleicht habe ich etwas davon mitbekommen. Der vorliegende Antrag der Koalition bezieht sich aber auf ein gesellschaftspolitisch komplexes und sensibles Thema, nämlich wie wir mit den Kindern derjenigen umgehen, die vor Jahren in Bremen, teilweise unter Angabe falscher Identitäten und Staatsangehörigkeiten, Asylanträge gestellt haben, die jedoch wegen fehlender Anerkennungsgründe abgelehnt worden sind, und deren Abschiebung aus ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

humanitären, rechtlichen oder politischen Gründen bisher nicht erlaubt oder möglich war.

Herr Tschöpe hat eben davon gesprochen: Größtenteils, das ist auch richtig, sind diese Kinder in Deutschland geboren worden. Diese sogenannten Defacto-Flüchtlinge erhalten als Aufenthaltstitel eine Duldung, die in der Regel jährlich neu zu beantragen ist. Bei Straftätern wird allerdings von dieser Regel abgewichen und ein sehr viel kürzerer Zeitraum für die Duldung ausgesprochen. In Bremen besteht dieser Kreis aus circa 3000 Personen, darunter zum größten Teil Kinder und Jugendliche. Wir verkennen das Problem also keineswegs.

Für diesen Personenkreis sollen nun nach dem Antrag von Rot-Grün Chancen eröffnet werden, einen erfolgreichen Schul- oder Ausbildungsabschluss zu erlangen, um, wie es in dem Antrag heißt, bei einem weiteren Aufenthalt dauerhafte Abhängigkeit von sozialen Transferleistungen des deutschen Staates zu vermeiden. Das ist eindeutig richtig! An dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass auch bei der bestehenden Regelung auf einen Schulabschluss in der Regel schon Rücksicht genommen wird. Auch das hat Herr Tschöpe eben schon deutlich gemacht.

Meine Damen und Herren, nach Ansicht der CDUFraktion kann die Aufenthaltserlaubnis zur weiteren Berufsausbildung allerdings nur auf Jugendliche Anwendung finden, die bisher nicht straffällig geworden sind und bei denen klare Integrationsbemühungen erkennbar sind.