Protocol of the Session on February 19, 2008

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stadt Bremerhaven hat sich zur Durchführung eines Modellprojekts entschieden,

bei dem ein Teil des Sozialmedizinischen Dienstes vom Gesundheitsamt in das Sozialamt verlagert wurde.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Daran wart Ihr auch beteiligt in Bremerhaven! – Abg. R ö - w e k a m p [CDU]: Aber wir wissen, dass nicht alles richtig ist, was wir machen! – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Du hast nur 5 Mi- nuten!)

Der Magistrat will mit diesem Modellprojekt eine Qualitätsverbesserung bei Begutachtungen und Beratungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege erzielen. Betroffen sind ausschließlich Begutachtungen und Beratungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege im Paragrafen 61 und fortlaufende des SGB VII. Dies ist der Teil des Sozialmedizinischen Dienstes, der Ansprüche von Leistungsberechtigten prüft. Die Fachaufsicht über diese Aufgaben liegt ausschließlich beim Magistrat der Stadt Bremerhaven. Es handelt sich also bei der Verlagerung dieses Teils des Sozialmedizinischen Dienstes um eine eindeutige Selbstverwaltungsangelegenheit der Kommune Bremerhaven, und es werden weder Bundes- noch Landesrecht missachtet.

Bundesweit gibt es ganz unterschiedliche Modelle, wie die Verfahren zur Begutachtung und Bedarfsfeststellung im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB erfolgen. Die Aufgaben werden zum Teil von Ärzten und von Pflegekräften und zum Teil von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern wahrgenommen. Organisatorisch angebunden sind diese Leistungen überwiegend bei den Gesundheitsämtern, teilweise aber auch direkt bei den Sozialämtern der Städte.

Wir wissen, dass der ganz überwiegende Teil der Begutachtungen des Sozialmedizinischen Dienstes durch Haus- und Heimbesuche stattfindet. So ist gesetzlich vorgegeben, sich über die häusliche Situation und das Wohnumfeld der Pflegebedürftigen ein Bild zu machen. Vielfach ist dieser Personenkreis wegen seiner gesundheitlichen Situation gar nicht mehr zu Behördengängen fähig. Die Hilfeanträge werden außerdem schwerpunktmäßig von den Angehörigen und den Pflegediensten in Vollmacht der Betroffenen beim Sozialamt eingereicht.

Das Bremerhavener Modellprojekt, das hier jetzt im Landtag diskutiert wird und als Modellprojekt weiterhin beschrieben ist, hat sich durch die Verlagerung eines Teils des Sozialmedizinischen Dienstes vom Gesundheitsamt in das Sozialamt nun zum Ziel gesetzt, Synergieeffekte zu erzielen, unter anderem durch interne Koordination von Prioritäten oder inhaltlich bessere Systematik durch gemeinsame Fallbesprechungen, sowie Verkürzung von Auftrags- und Gutachterlaufzeit.

Aus der Sicht des Landes sind Modellprojekte, die eine Qualitätsverbesserung ihrer Leistungen zur Ziel

setzung haben, grundsätzlich zu begrüßen. Modellprojekte, die von den Kommunen initiiert werden, haben häufig auch den Vorteil der Kenntnis der lokalen Situation. Insbesondere sind auch die Kompetenz und Fähigkeiten der örtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genau bekannt. So ist ein für Bremerhaven sinnvolles Projekt beispielsweise nicht eins zu eins auf andere Kommunen zu übertragen.

Es wäre wünschenswert, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn diese Details, die ich Ihnen vorgetragen haben, dort diskutiert werden, wo die fachliche Kompetenz vorhanden ist, nämlich in dem Sozialausschuss der Stadtgemeinde Bremerhaven. Es findet auch eine ausgiebige Diskussion statt, zumindest kann ich das den Protokollen des Sozialausschusses der Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven entnehmen.

Der Landtag ist ja nur betraut, weil die Frage aufgekommen ist, inwieweit hier die Fachaufsicht hätte handeln müssen oder nicht. Es wurde auch in der Deputation für Arbeit und Gesundheit ganz klar durch den zuständigen Staatsrat gesagt, dass dies eine Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung ist und in der Regelungskompetenz der Stadtgemeinde Bremerhaven liegt. Das heißt, es hätte eigentlich nach meiner Sicht gar keiner Debatte bedurft, denn es wird fachlich diskutiert.

(Beifall bei der SPD)

Es wird viel fachlicher diskutiert, als ich es Ihnen vermitteln kann, weil im Ausschuss in Bremerhaven die Kompetenz vor Ort ist, die nach zwei Jahren das Pilotprojekt begutachten und sagen kann, ob die geplanten Synergieeffekte eingetreten sind oder nicht. Ich glaube, dass bei diesem Verfahren in Bremerhaven die Chance gegeben werden sollte zu sehen, ob die Synergieeffekte, die man in Bremerhaven erreichen will, erreicht werden können. Ich bin guten Mutes und bin auch sehr nahe an meinen Kolleginnen und Kollegen im Stadtparlament in Bremerhaven, dass dort die richtigen Regelungen getroffen werden, damit es dann für alle Betroffenen zu einer guten Lösung kommt. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit der Umorganisation des Gesundheitsamts und der Verlagerung des Sozialmedizinischen Dienstes Bremerhaven beschäftigt sich die Deputation für Arbeit und Gesundheit schon seit April 2007. Auch der Gesundheitsund Sozialausschuss der Stadt Bremerhaven hat das ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

mehrmals zum Thema gemacht und sich damit auseinandergesetzt.

Für mich als Mitglied der Deputation, aber auch als Bremerhavenerin waren und sind folgende Punkte bei dem Thema immer noch wichtig. Erstens: Welche Umstrukturierung und Organisationsveränderung wurden dort vorgenommen? Zweitens: Bedurften diese Organisationsveränderungen der Zustimmung der Fachaufsicht der senatorischen Behörde, und sind diese Veränderungen mit dem ÖGD-Gesetz kompatibel? Drittens: Ist diese Umstrukturierung aus Qualitätsgründen sinnvoll und auch unter dem Aspekt für eine bessere Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Bremerhaven?

Bevor ich auf diese drei Fragestellungen eingehe, möchte ich noch einmal ein paar Anmerkungen voranstellen. Es war nicht ganz einfach, sich ein Bild über diese Thematik zu machen. Es war sozusagen ein Puzzlespiel, was wir uns über mehrere Monate zusammenlegen mussten.

Es war nicht ganz klar, ob dieses Puzzle aus 100 oder 1000 Teilen bestand, denn die Fragenkataloge, die nach Bremerhaven gegangen sind, um zu beantworten, um welche Organisationsveränderungen es sich dort handelt, wurden, ich drücke es einmal ein bisschen salopp aus, sehr schleppend beantwortet, sodass wir lange Zeit damit beschäftigt waren.

Nun zur Umorganisation: Im April 2007 wurde der Sozialmedizinische Dienst für chronisch kranke und behinderte Menschen, der bislang organisatorisch dem Gesundheitsamt zugeordnet war, an das Sozialamt angebunden. Eine Teilzeitstelle einer Ärztin, zwei Sozialarbeiterinnen, eine in Vollzeit, eine in Teilzeit, sowie anteilig der Schreibdienst des Gesundheitsamtes, das ist alles verlagert worden. Begründet wurde es damit, das hat mein Kollege bereits gesagt, dass es ein Modellprojekt mit angeblich guten Synergieeffekten sein sollte. Synergieeffekte sehe ich persönlich nicht in der Argumentation, und ich halte sie auch immer noch für fragwürdig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Folgende sollten es sein: Kostenersparnis, Kostensteuerung, ein klares Schnittstellenkonzept, Dokumentationskultur, ein runder Tisch „Pflegequalität“ sollte zusammen mit Pflegeverbänden et cetera eingerichtet werden und so weiter und so fort. Mit der Umorganisation, denke ich, ist das personell und auch inhaltlich nicht zu schaffen.

Nun zu der Frage, ob die Fachaufsicht der senatorischen Behörde die Zustimmung hätte geben müssen: Nach Zusammensetzen des Puzzles war klar, es bedurfte nicht der Zustimmung der Fachaufsicht der senatorischen Behörde, da es sich nur um Begutachtung und Beratung im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach Paragraf 61 SGB XII handelt. Hier liegt die Zuständigkeit beim Magistrat der Stadt Bremerhaven,

der diese Verantwortlichkeit natürlich auch wahrnehmen muss, indem dann auch geklärt werden muss, wer die Fachaufsicht über die Ärztin ausübt, die jetzt am Sozialamt tätig ist. Wir wissen inzwischen, dass diese Ärztin gekündigt hat.

Nun zu der letzten Frage: War die Umorganisation sinnvoll, und gibt es dadurch eine bessere Qualität? Die Meinung der Grünen in der Stadtverordnetenversammlung, die ich auch teile, lautet: Sie ist nicht sinnvoll, und es gibt keine bessere Qualität!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Beratungspflicht im Rahmen der Hilfe zur Pflege ist zeitlich eingeschränkter geworden. Es bestehen keine klaren Regelungen für Krankheit und Urlaub. Die Nähe zum Auftraggeber, dem Sozialamt, finde ich persönlich problematisch, ich denke, eine fachliche Unabhängigkeit wäre dort anzustreben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auch die Möglichkeit, eine fachliche Zweitmeinung einzuholen, ist durch diese räumliche Trennung erschwert.

Ich bin der Ansicht, ich habe klar und deutlich gemacht, dass der Ball jetzt trotzdem wieder im Spielfeld von Bremerhaven liegt, und da möchte ich Sie fragen: Sie haben doch auch Verantwortung in Bremerhaven. Warum sind Ihre Kollegen dort nicht in der Lage, das rückgängig zu machen, wenn Sie es für falsch halten? Das heißt doch, es ist ein Blick auf die Große Koalition, man sagt, gut, ich lasse dir das durchgehen, und du lässt mir das durchgehen. Das finde ich fachlich gesehen nicht richtig. Wenn irgendeiner auf dem Tisch tanzt, denke ich, muss man ihn auch wieder herunterholen, auch wenn man zur Not die Beine abnimmt, dann ist er auch wieder auf dem Boden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir würden Sie gern fachlich weiter unterstützen und sagen, das regeln wir in Bremerhaven vor Ort, dorthin gehört dann auch die Diskussion. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In Bremerhaven ist der Sozialmedizinische Dienst im April 2007 im Rahmen eines zweijährigen Modellprojekts aus der Zuständigkeit des Gesundheitsamtes herausgelöst und in die Zuständigkeit des Sozi

alamtes überführt worden, das haben wir jetzt mehrmals gehört. Wir hören immer wieder heraus, auch aus den Beiträgen meiner Vorredner, dass dies eine sehr fragwürdige Entscheidung war, die praktisch über die Koalitionen der SPD und CDU in Bremerhaven durchgesetzt und bisher immer noch für richtig gehalten wird. Deswegen bin ich auch ein bisschen befremdet, dass wir jetzt eigentlich von der CDU eine andere Meinung hören.

Wir können feststellen, dass über dieses Modellprojekt innerhalb kürzester Zeit organisatorische und qualitative Einschränkungen festzustellen sind. Wie kann man denn sonst das Problem sehen, das die zuständige Ärztin des Sozialmedizinischen Dienstes für sich gesehen hat? Vor dem Modellprojekt konnte sie ihre Kolleginnen und Kollegen um Rat fragen. Sie konnte schwierig gelagerte Untersuchungsergebnisse mit ihnen besprechen und deren Meinung einholen. Dies war mit sofortiger Wirkung nicht mehr möglich. Auch waren die Vertretungsregelungen vollkommen ungeklärt. Was passiert, wenn zum Beispiel die Ärztin im Außendienst ist? Was passiert, wenn die Vertreterin das Gleiche tut? Es war überhaupt nicht geklärt, wer sie vertritt. In Bremerhaven wurde zwar auf unsere Anfragen mitgeteilt, dass dies jederzeit möglich gewesen wäre, aber nun meine Fragen, meine Damen und Herren: Warum wurde denn nicht danach gehandelt? Warum wurde alles so lange verschleppt?

Jetzt haben wir schon zweimal gehört, und ich schließe mich dem an, dass der Sozialmedizinische Dienst keine Ärztin mehr hat. Ich gehe sogar weiter und stelle fest, er ist nicht mehr existent, dieser Dienst ist nur noch ein Name. Das ist das traurige Resultat dieses Modellprojekts! Es war einfach nicht mehr möglich, eine wirklich qualifizierte Arbeit zu leisten, und die Ärztin fühlte sich, auf deutsch gesagt, „an die Wand gefahren“ und hatte ihre Konsequenzen daraus gezogen.

Menschen, die nun zum Sozialmedizinischen Dienst gehen müssen, werden, sofern ich es richtig verstanden habe, jetzt wieder zum Gesundheitsamt geschickt, weil es überhaupt nicht mehr möglich ist, in diesem Sozialmedizinischen Dienst eine Entscheidung treffen zu können.

Noch im Bremerhavener Koalitionsvertrag von SPD und CDU wurde darauf hingewiesen, dass das Gesundheitswesen zu den Kernbereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört. Dies ist aber hier nicht feststellbar, ganz im Gegenteil, denn der Magistrat hat genau dagegen entschieden. Dies ist auch an einem anderen Beispiel, das vielleicht ein bisschen weit abführt, in Bremerhaven zu sehen: Meine Damen und Herren, wir haben eine rheumatologische Abteilung im Zentralkrankenhaus Bremerhaven, diese steht aber seit neuestem ohne Facharzt da. Denn auch hier gibt es die gleiche Problematik: Der Arzt wurde immer weiter mit Arbeiten und Zuständigkeiten über

häuft, bis er dann seine Konsequenzen daraus gezogen hat.

(Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Aber das ist eine andere Baustelle!)

Ja, ich weiß! Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass das Land Bremen sich zu Wort meldet, und zwar muss der Sozialmedizinische Dienst jetzt wieder zurückgeführt werden. Der Sozialmedizinische Dienst gehört wieder dahin, wo er war, denn wir brauchen für einen effektiven Sozialmedizinischen Dienst übergreifende Informationen des Gesundheitsamtes.

(Zuruf der Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grünen])

Ich habe das jetzt nicht verstanden, Frau Hoch.

(Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Dass sie das dann in Bremerhaven jetzt machen, weil die da zuständig sind!)

Ja, das werden wir!

(Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Da haben Sie unsere Unterstützung!)

Das ist nett! Wir fordern Frau Senatorin Rosenkötter dazu auf, sich endlich einzuschalten und feststellen zu lassen, was überhaupt noch möglich ist, denn in Bremerhaven wird es nicht automatisch zu einer Regelung kommen, wie wir sie fordern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der Linken)