Protocol of the Session on April 24, 2007

Bildungspolitik, meine Damen und Herren, ist ganz wichtig, hat absolute Priorität. Ich habe es hier oft zitiert, und so steht es im Koalitionsvertrag, der für die laufende Legislaturperiode gilt. Die Bildungsdeputierten der SPD-Fraktion haben zielbewusst und mit, manche Leute schon nervender, Beharrlichkeit daran gearbeitet, diesem Ziel gerecht zu werden. Dafür möchte ich mich ausdrücklich an dieser Stelle bei meinen Kollegen und bei Rainer Nalazek bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Der Stellenwert des Politikfeldes hat sich in den letzten Jahren entscheidend verändert, und ich kann nur sagen, endlich! Nicht nur Pisa, auch die demografische Entwicklung hat die Debatte kinder- und familienfreundlicher werden lassen. Die gerade zu Ende gegangene Themenwoche „Kinder sind Zu––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

kunft“ zeigt den gesellschaftlichen Wandel ganz selbstbewusst, kann ich Ihnen hier sagen. Die Bildungsdeputierten der SPD-Fraktion haben immer und konsequent für eine größere Wertschätzung des Bildungsbereichs gearbeitet und gekämpft, also, das trägt jetzt ganz offensichtlich Früchte.

Wenn ich kurz zurückblicke, dann sind die Einführung der verlässlichen Grundschule ebenso wie der bundesweit beachtete Aufbau der Ganztagsschulen in dem umfangreichen Reformkanon für mich besonders wichtige und richtige Schritte, wobei, Herr Rohmeyer, das muss man doch der Fairness halber sagen, es diesen Quantensprung bei den Ganztagsschulen nie gegeben hätte, wenn es nicht das Sonderprogramm der Bundesregierung, und sei sie rotgrün gewesen, gegeben hätte. Die Kommunen hätten das Geld woanders eingesetzt. Dieses gezielte Einsetzen und dieser gezielte Schwerpunkt und dieses absolut gezielte und gewollte politische und bildungspolitische Signal kann man auch mit der größten Rhetorik hier nicht wegreden.

(Beifall bei der SPD)

Bei einer problematischen Ausgangslage, ich möchte nur die Stichworte nennen, weil sie in Stadt und Land und bundesweit diskutiert worden sind: Pisa, extreme Haushaltsnotlage, unterschiedliche Herangehensweise von SPD und CDU ich verfalle hier nicht sozusagen den Lockungen des Wahlkampfes und begebe mich jetzt in die Niederungen von ewig gestrigen ideologischen Debatten –, des Weiteren Stadtstaatenproblematik, meine Damen und Herren, Kinder in Armut und Kinder, die die deutsche Sprache nicht sprechen, gerade bei uns in Bremen in einem sehr hohen Maße zu finden. Trotz dieser schwierigen Ausgangslage ist es gelungen, die Grundschulen spürbar zu stärken, das bedeutet nicht nur eine Erhöhung der Unterrichtsstunden.

Kinder haben in unseren Grundschulen mittlerweile die Möglichkeit, flächendeckend Englisch zu lernen, auch die Zusammenarbeit zwischen dem Elementarbereich und den Schulen ist deutlich verbessert worden. Hier könnte ich mir eine Bilanz, ich muss ja ehrlich sein und plädiere immer für Ehrlichkeit in der Politik, hier kann ich mir noch sehr viel mehr vorstellen.

An Bremer Schulen wird heute intensiver, gezielter und viel verbindlicher gefördert und gefordert. Kinder, die nicht die deutsche Sprache sprechen können, werden frühzeitig und aufwendig vorbereitet, im Unterricht folgen zu können. Das Gleiche gilt für das Lesen, das mir gelegentlich besonders am Herzen liegt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir reden mittlerweile in den Schulen stolz über erzielte Leistungen. Die Motivation dafür kann sich übrigens

Senator Lemke persönlich in seine Leistungs- und Erfolgsbilanz schreiben.

(Beifall bei der SPD – Abg. F o c k e [CDU]: Das war er aber nicht!)

Manche Vorhaben waren nicht ohne zum Teil auch erheblichen Widerstand durchzusetzen. Ich erinnere mich hier besonders deutlich an die Novellierung des Schulgesetzes. Nicht jeder war gleich davon zu überzeugen, dass die Stärkung der Schulleiterinnen und Schulleiter und die damit verbundene und auch notwendige Zuordnung von Verantwortlichkeiten der richtige Weg gewesen sind. Aber durch geduldige Überzeugungsarbeit und wirklich zahllose Beratungsgespräche ist die Novellierung des Schulgesetzes eine Grundlage für die Schulreform geworden. Es war also ein lohnender, wenn auch zum Teil ein persönlich kräftezehrender Prozess.

Als Sozialdemokratin erinnere ich Sie ganz besonders gern an die Verdopplung der Plätze für integrative Beschulung, für integrative Schulen. Übrigens, auf Elternwunsch! Auch das ist eine große Veränderung, die sowieso eine große Rolle spielt. Ich erinnere mich daran, dass wir es nicht hinbekommen haben, die Zensuren in der Grundschule ganz abzuschaffen, sondern einer wirklich der politischen Unvernunft geschuldeten Regelung zustimmen mussten, dass wir sowohl Noten- als auch Ziffernzeugnisse haben werden. Ich bin ganz sicher, dass das in der nächsten Legislatur anders werden wird, denn das ist wirklich eine Sache, an der noch gearbeitet werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, alle Schulen werden mittlerweile von innen und von außen auf ihre Leistungsfähigkeit überprüft. Zentrale Abschlussprüfungen sind meiner festen Überzeugung nach genauso normal wie die solide Vorbereitung auf den Beruf. Vielleicht, lieber Kollege Rohmeyer, bei der Gelegenheit eine kurze Bemerkung zu Ihrer doch sehr polemisch gehaltenen Rede, herzlichen Dank für die freundlichen Worte an mich! Aber ich hatte den Eindruck, man hätte es auch überschreiben dürfen mit dem Motto „Wenn die liebe Sonne lacht, hat es die CDU gemacht“.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich glaube, es glaubt Ihnen in der ganzen Stadt kein Mensch, dass Sie die Aspekte oder die Schwerpunkte in der Bildungspolitik in der Form, wie Sie das heute so vehement vorgetragen haben, initiiert haben.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich weiß, dass wir uns im Bereich der Förderkinder noch mehr anstrengen müssen. Ich weiß aber auch, dass

mittlerweile Eltern nach Bremen ziehen, um von unserem politisch klaren Bekenntnis zur integrativen und kooperativen Beschulung von Kindern mit Behinderungen Gebrauch zu machen. Sie kommen nach Bremen, weil wir in diesem Bereich vorbildlich sind. Auch das darf man hier erwähnen, es war ein harter Weg durchzusetzen, dass wir diese Schwerpunkte so gesetzt haben. Wir haben bei der Einrichtung von Ganztagsschulen immer gesagt: Lieber eine Ganztagsschule weniger, aber nie eine Ganztagsschule, an der Kinder mit Behinderungen Kinder zweiter Klasse sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben das durchgesetzt, und das, denke ich, ist ganz gut. Ich habe gestern meinen neuen Job geübt als Tombolaschreierin, deshalb muss ich mal eben einen kleinen Schluck nehmen, Entschuldigung!

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bevor ich zu einem Resümee und einem Ausblick komme, möchte ich Ihnen mit Nachdruck auch noch ein nicht gelöstes dringendes Problem unserer Schulen ans Herz legen. Ich sage ganz selbstbewusst, immer noch ist allen Anstrengungen zum Trotz der Bildungsweg von Kindern aus sozial schwierigen Lagen und schwieriger Herkunft oder Herkunft aus anderen Ländern kompliziert. Das ist ein riesiger gesellschaftspolitischer Skandal! Er muss beendet werden, und zwar nicht nur mit Worten, auch mit Taten. Ich habe das in der SPD-Fraktion hier im Haus immer wieder verlangt. Wir haben die Weichen gestellt, aber ich sage Ihnen aus voller Überzeugung, da muss in den nächsten Jahren noch sehr viel mehr passieren, und das geht nicht ohne Einsatz finanzieller Mittel.

(Beifall bei der SPD)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erfolgreiche Bildungspolitik muss sich einzig und allein am bestmöglichen Lernerfolg unserer Kinder messen lassen. Sie fällt nicht vom Himmel, sie wird auch nur ganz selten ausschließlich in parteipolitischen Zirkelchen erreicht. Erfolgreiche Bildungspolitik braucht einen gesellschaftlichen Dialog, der intensiv und engagiert zu Ergebnissen führen muss. Sie braucht neben guten Ansätzen gute Lehrer, engagierte Eltern und leistungsfreudige, geachtete und geliebte Kinder. Sie braucht auch Zeit zum Lernen über die 13-Uhr Grenze hinweg. Ich bin sicher, dass die Ganztagsschule nicht eine Anwahlschule, sondern das verbindliche Modell der Zukunft ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, sie braucht eine verlässliche und verantwortungsbewusste Finanzierung. In der auslaufenden Legislaturperiode haben wir viele Weichen in die richtige Richtung gestellt. Die nächsten

Tests, auch davon bin ich überzeugt, werden das belegen. Frau Präsidentin, mit Löwengebrüll, das haben wir hier eben gehört, bringt man keinen Springbrunnen zum sprudeln. Wie im richtigen Leben, zählen bei einer ehrlichen Bilanz auch in der Politik die Taten. Diese können sich, auch die zähl- und zielgerichtete und den Kindern verpflichtete Arbeit von Willi Lemke und der SPD-Fraktion, sehen lassen. Auch wenn das bei der Opposition und dem Koalitionspartner gelegentlich leichtes Sodbrennen verursacht hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Bremen wollte in dieser Legislaturperiode Kulturhauptstadt werden. Das hat leider nicht geklappt, und mancher Euro ist nun weg. Ich wünsche mir zum Ende meiner Rede für unsere Kinder in der kommenden Legislaturperiode eine erfolgreiche Kampagne des gesamten Hauses unter dem Motto „Bremen Bildungshauptstadt Europas“. Dann, meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, kann ich ganz beruhigt und zufrieden auf dem Marktplatz mit dem einem oder der anderen von Ihnen einen leckeren Espresso trinken. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Stahmann.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Ulrike Hövelmann gleich noch einmal einen Redebeitrag halten wird, wenn ich gesprochen habe. Vielleicht auch der Senator, Herr Rohmeyer meldet sich sicherlich auch gleich aufgrund meines Redebeitrags noch einmal.

(Abg. K l e e n [SPD]: Hättest du ge- schwiegen, Anja!)

Was findet die grüne Opposition zu Beginn dieser Rede vor? Nicht weniger als drei bemerkenswerte Dinge, nämlich erstens einen Bildungssenator, der von seinen eigenen Genossen ungehemmt demontiert wird, zweitens einen Bürgermeister, der die Bildung als wichtiges Thema entdeckt und eigene Beschlüsse der letzten Jahre öffentlich leugnet oder sich putzigerweise nicht mehr so gern an diese erinnern will – ich sage: Gründung einer Bildungs-GmbH, Abbau von Lehrerstellen et cetera –, drittens eine Koalition von CDU und SPD, die sich mit der 45-seitigen Antwort des Senats gern feiern will, ironisch gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermutlich für das unübersichtlichste Schulsystem von ganz Deutschland.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. (A) (C)

Ich finde aber, die CDU kann sich feiern für ihre in den letzten vier Jahren perfektionierte Klientelpolitik. In der Antwort des Senats steht: Pisa war nicht der Anfang, sondern hat zu einer Beschleunigung der Modernisierung verholfen. Modernisierung ist für die Wiederbelebung des Schulsystems der fünfziger Jahre, finde ich, ein ziemlich gewagter Begriff.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für mich bleibt das, Herr Rohmeyer, der Griff in die bildungspolitische Mottenkiste, nämlich die frühe Einsortierung der Kinder in sogenannte Begabungsschubladen: Da gehörst du hinein, da kommst du nicht mehr heraus, aber vielleicht hast du Glück und kommst noch einmal heraus, weil deine Eltern Geld haben für Nachhilfe. Das uns hier als Modernisierung unterzujubeln, das, finde ich, ist und bleibt ein starkes Stück. Die sogenannte neue Bremer Schule ist doch ein alter Hut, ein alter Zopf, und ich finde eigentlich, weg damit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Experten sind sich einig, das schert Herrn Rohmeyer und die CDU aber wenig, das frühe Sortieren der Kinder bereits nach dem vierten Schuljahr geht von einem falschen Verständnis der Lernentwicklung aus. Talente werden so en gros verschenkt und nicht gefördert, Kinder mit Migrationshintergrund und Spätentwickler werden benachteiligt.

Wir haben im Jahr 2010 rund 50 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. Der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz hat einen Bericht abgeliefert und gesagt, Deutschland muss aufpassen, dass es nicht ganze Bevölkerungsgruppen benachteiligt. Herr Rohmeyer hat gesagt, die Grünen sind Herrn Muñoz verfallen, ich sage: Man muss das, was ein Sonderberichterstatter zum Thema Bildung sagt, ernst nehmen und muss auch das Bildungssystem auf den Prüfstand stellen und kann nicht sagen, nichts hören, nichts sehen und überhaupt nichts mehr entscheiden an dieser Stelle.

Zu behaupten, die soziale Kopplung sei nun Dank der Großen Koalition am Bröckeln oder gar durchbrochen wurden, ist gewagt. Immer noch hängt der Bildungserfolg vom Portemonnaie der Eltern ab.

Liebe Große Koalition, folgende Bilanzpunkte sollten Sie nicht vergessen, Herr Rohmeyer hat sie sehr positiv dargestellt, deswegen werde ich jetzt einmal in die andere Richtung gehen. Erstens, der Bereich der frühkindlichen Bildung wurde von der Großen Koalition gekürzt statt ausgebaut in ihrer Regierungsära. Seit 1999 sind 500 Ganztagsplätze im Kindergarten gestrichen worden. Kinder von arbeitslosen Eltern haben heute kaum noch Chancen auf Betreuung über 4 Stunden hinaus. Kindergarten- und Hort

beiträge sind seit 1995 mehrfach erhöht worden, Personal wurde abgebaut statt aufgestockt, und das Thema Zweitkräfte hat die Große Koalition nicht bewegen können.

Der nächste Punkt ist, einen gemeinsamen Bildungsplan von Kindergarten und Grundschule hat der Senat in all den Jahren nicht hinbekommen. Nächster Punkt, das Bremer Schulsystem ist so selektiv und unübersichtlich wie noch nie, und Eltern blicken nicht mehr durch.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Ach, das stimmt doch nicht!)

Doch! Tausende Bedenken von Eltern, Lehrern und Experten gegen die Änderung des Schulgesetzes wurden unter den Tisch gekehrt. Unter dem Strich finden wir viele faule Koalitionskompromisse auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Eltern, aber wenige Verbesserungen. Ganztagsschulen, Ostercamps, Sommercamps, es gibt eine Reihe, darüber können wir auch noch sprechen, da bin ich gern bereit, darüber zu reden.

Seit Beginn des Sanierungsprogramms hat der Senat bei gestiegener Schülerzahl beständig Lehrerstellen abgebaut. Die Große Koalition hat in den letzten 10 Jahren über 800 Lehrerstellen in Bremen gestrichen, bei gleichbleibenden Schülerzahlen, auch in Bremerhaven ist an Lehrern gespart worden. Die Folgen sieht jeder, Unterrichtsausfall ist an der Tagesordnung und in Folge fallen auch Förderstunden aus, Herr Rohmeyer. Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist wirklich Schrott!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie wissen doch ganz genau, dass Unterricht ausfällt, dass Klassen zusammengelegt werden, und Sie selbst haben doch auf diesen ganzen Podiumsdiskussionen in den letzten Wochen gesagt, es gibt in Bremen einen viel höheren Unterrichtsausfall, als zugegeben wird vom Ressort.