Aber ich finde, damit führen wir auch Debatten, die wir hier über Eigenständigkeit von Schule geführt haben, ad absurdum und nehmen uns selbst nicht mit unseren Beschlüssen ernst.
Meinen die Verfasser der Fragen, dass man festlegen kann, welche Inhalte eine Persönlichkeit bilden, habe ich mir notiert! Meinen wir wirklich, definieren zu können, welche Inhalte sich bei allen gleich zur Persönlichkeitsbildung eignen? Diese Idee liegt
ja dem Kanon zugrunde, dass man schulartbezogen Inhalte definiert. Heißt das dann, dass ein Hauptschüler nichts von Berthold Brecht oder eben nur die Kalendergeschichten und nicht die Dreigroschenoper und überhaupt gar nichts von Gottfried Benn wissen sollte? Das fände ich nämlich sehr schade, denn Gottfried Benn, finde ich, hat tolle Gedichte geschrieben, die sich auch für Jugendliche prima eignen, egal, ob sie nun in der Hauptschule, in der Realschule oder auf dem Gymnasium sind.
Was, wenn gerade der gute Berthold Brecht bei dem Hauptschüler mit der Dreigroschenoper, mit dem Mackie Messer zur Bildung der Persönlichkeit wichtig ist und er mit dem „Fänger im Roggen“ so wie ich überhaupt nichts anfangen kann? Also, bei diesem Buch habe ich mich in der Schule zu Tode gelangweilt.
Es kommt darauf an, dass Jugendliche motiviert werden zum Lesen. Das ist nicht nur Sache des Deutschunterrichts, das muss auch Sache vom Politikunterricht sein. Den Senat, der sich hier in dieser Anfrage auch ein bisschen lobt und sagt, Politik ist wichtig, möchte ich doch daran erinnern, dass Politikunterricht in Bremen in der Sekundarstufe I leider sehr selten stattfindet. Das wäre ein Punkt, bei dem nach meiner Meinung der Senat mehr machen kann. Wenn wir wollen, dass junge Menschen sich engagieren, etwas lernen über Demokratie, wie funktioniert ein Parlament, wie funktioniert ein Staatswesen, dann muss es doch auch möglich sein, dass der Politikunterricht in der Sekundarstufe I in Klasse sieben, acht, neun und zehn durchgeführt wird. Das ist bisher nicht der Fall.
Dann lobt sich der Senat und sagt, Sport ist wichtig. Da fasse ich mir auch ein bisschen an den Kopf. Zurzeit gibt es eine große Diskussion im Bundesland Bremen, dass der Senat und auch die Universität sagen, keiner will es so richtig gewesen sein, auf den Sportstudiengang werden wir in Zukunft verzichten.
Das hat sehr viel damit zu tun, Kollege Strohmann. Wir brauchen doch gut ausgebildete Sportlehrer, wenn wir sagen, dieses Fach ist wichtig, um jungen Menschen etwas anderes beizubringen, als stumpf Wissen herunterzubeten. Sport ist das einzige Bewegungsfach in der Schule, bei dem Jugendliche mehr lernen, als Wissen zu reproduzieren, wo sie mit ihrem Körper und ihrem ganzen Wesen Erfahrungen machen. Wenn das wichtig ist, müssen wir doch auch sagen, dann brauchen wir eine wichtige Lehrerausbildung in diesem Bereich. Dann muss der Senat einmal eine schlüssige Position an dieser Stelle ha
ben, und das hat er eben nicht. Ich finde, da redet der Senat an dieser Stelle auch ein bisschen mit gespaltener Zunge.
Das ist kein Wahlkampfthema! Frau Busch, ich bin Mutter von zwei Töchtern. Wenn diese in der Schule künftig keine gut ausgebildeten Sportlehrer mehr haben, dann werden sich viele Eltern auch Gedanken darüber machen, was an Qualität an dieser Stelle angeboten wird.
Herr Rohmeyer, Ihre Initiative eignet sich nicht, die Rahmenpläne an Schulen weiterzuentwickeln. Die Initiative eignet sich nicht, eine gemeinsame Verständigung über Bildungsinhalte zu definieren. Herr Senator, das mit den Sportlehrern, das sage ich gern gleich auch noch einmal in einer zweiten Runde, halte ich für einen ganz großen Fehler. Wenn wir über Persönlichkeitsbildung reden, und von Ihnen habe ich einige schöne Zitate, warum Sport wichtig ist und warum wir gut ausgebildete Sportlehrer brauchen, dann kann ich diese hier gern auch noch einmal an dieser Stelle vorbringen. Der Senat sagt ja selbst, Sport ist wichtig, und da würde ich gern wissen, was denn nun? Wichtig oder nicht wichtig? – Danke schön!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kauertz, so leid es mir tut, mit Ihnen kann ich nicht streiten, weil Sie hier nichts gesagt haben!
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Aber das bleibt wenigstens haften!)
Wer auch immer Ihnen das aufgeschrieben hat, ich verstehe mittlerweile, warum Sie nicht beigetreten sind. Sie haben über die Inhalte von Bildung über––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
haupt nicht gesprochen. Das ist leider so! Alles das, was Sie über die sozialen Kompetenzen gesagt haben und was im Bremer Schulgesetz steht, das ist selbstverständlich, das wird in wirklich ausgeprägter Form an den Schulen praktiziert. Es geht aber darum, das ist doch kein Geheimnis, dass wir Defizite in der Allgemeinbildung haben, die in Bremen zum Himmel schreien, meine Damen und Herren!
Wenn Sie das hier verleugnen, dann reden Sie doch einmal mit Ihrem Kollegen Nalazek, der ist bei der Handelskammer! Wir haben vorhin die Kammer, der Kollege Ravens hat das gemacht, ordentlich zur Brust genommen. Reden Sie einmal mit den Kammern, was da für Bewerber kommen, welche gravierenden Defizite diese in wirklich grundlegenden Fragen allgemeiner Bildung haben! Dagegen müssen wir etwas tun, und darum ist ein Bildungskanon notwendig, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Notwendig ist eine sechsjährige Grundschule, das ist not- wendig!)
Es geht nicht darum, dass wir uns darüber streiten, ob Sokrates oder welche Literatur von Goethe und Heine in der Sekundarschule – so heißt sie übrigens, Frau Stahmann – vermittelt wird, sondern es geht um grundlegende Kenntnisse, die wir doch einmal festlegen müssen. Das Problem der Rahmenlehrpläne ist doch, dass das alles noch nicht verbindlich genug ist, meine Damen und Herren! Genau die Fragen der Verbindlichkeit sind etwas, bei dem wir in Bremen einen eigenen Weg gehen müssen. Ich bin dagegen, dass wir hier den bayerischen Bildungskanon übernehmen. Da ist jedes Wort genau geregelt, und zwar vom Kindergarten bis zum Abitur. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Bayern so erfolgreich sind, aber wir Bremer sind ja immer etwas liberaler und freier.
Ich glaube, dass wir das so genau nicht regeln müssen, aber wir müssen zumindest grundlegende Regelungen treffen, was an den Schulen vermittelt werden muss. Da können wir uns zumindest mit den Grünen streiten. Die Grünen haben die Dimension der Thematik erkannt, das ist gut. Wir müssen politisch nicht auf denselben Nenner kommen, das wäre langweilig, wenn das immer häufiger passieren müsste oder würde. Ich halte es nicht für eine verstaubte Debatte gerade vor dem Hintergrund der großen Bildungsdefizite. Gerade vor dem Hintergrund, dass wir Schüler in der Sekundarstufe I haben, die aus der Grundschule kommen, die nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können, ist es doch notwendig, dass wir sagen, was am Ende der vierten Klasse erreicht
werden muss, dass wir sagen, was am Ende der neunten oder zehnten Klasse erreicht werden muss, und dass wir sagen, was beim Zentralabitur erreicht sein muss. Wir haben zentrale Abschlussprüfungen, das muss doch irgendwie mit Leben gefüllt werden, meine Damen und Herren! Oder wollen Sie sagen, wir machen eine zentrale Abschlussprüfung, und jeder macht irgendetwas für sich?
Natürlich haben wir gute Lehrerinnen und Lehrer in Bremen, und natürlich haben wir viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Kinder im Deutschunterricht mit verschiedener Literatur auch anregen und stimulieren können, dass sie weiterlesen, privat lesen. Natürlich haben wir das! Aber es geht doch darum, dass wir zumindest bei allen Schülern voraussetzen müssen, dass sie wissen, dass Goethe ein Dichter war, der einmal in Deutschland gelebt hat, und zumindest ein, zwei Werke von ihm kennen, und wenn es der Zauberlehrling ist, der einmal in der Schule vorgekommen sein muss, und zwar bei allen verbindlich und nicht nach Belieben des Lehrers, was er sich gerade aussucht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU – Abg. Frau S t a h - m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Steht doch im Lehrplan!)
Wir haben einen kulturellen Grundbestand in diesem Land, den wir doch irgendwie forttragen müssen. Auch das ist ein wichtiger Punkt dieser Debatte, den zumindest unser Koalitionspartner noch nicht erkannt hat. Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir diese Debatte führen, und ich halte es für gut, dass wir sie streitig führen, weil es ja langweilig wäre, wenn wir alles immer auf Zuruf sofort regeln würden. Nur so können wir die Bildung auch fortentwickeln.
Wenn Sie einfach verleugnen, meine Damen und Herren von der SPD, dass wir hier in Bremen Defizite im Bildungssystem haben, dann holen Sie Ihren Henning Scherf zurück, der hat Ihnen 2002 gesagt, was da passiert ist! Das war nämlich Ihre Bildungspolitik, die schlicht zur Beliebigkeit geführt hat, alle Inhalte hinausdrängt, nur auf soziale Kompetenzen setzt. Am Ende ist dabei herausgekommen, dass wir hier 15 Prozent Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss haben, und die mit Abschluss hatten im bundesweiten Vergleich die schlechtesten Werte, meine Damen und Herren!
Das ist vielleicht allgemein, aber das ist richtig, Frau Hövelmann! Es gibt doch viele Ansätze, wie man einen solchen Bildungskanon eben nicht in verstaubter Form, wie Frau Stahmann das hier sagte, machen kann. Schauen Sie sich an, was in anderen Ländern passiert! Sie schauen doch auch nach Finnland, auch da
ist festgelegt, welche Inhalte zum Beispiel vermittelt werden sollen. Sie können nicht immer nur sagen, hurra, wir importieren die Gesamtschule aus Finnland. Schauen Sie sich doch lieber an, was wirklich die inhaltlichen Fragen der Bildungspolitik sind!
Wir haben in Bremen erste Ansätze. Uns geht es darum, dass wir auch den zweiten Schritt tun. Wir können nicht nur ein Zentralabitur machen, zentrale Abschlussprüfung in der Sekundarschule, ohne zu sagen, was dahinter steht und welche Inhalte verbindlich sein sollen.
Ich halte es für verbindlich, dass wir die Grundlagen unserer kulturellen Geschichte in Deutschland und in Europa den Schülerinnen und Schülern vermitteln. Am Montag war Herr Verheugen hier. Er hat sich so gefreut, dass wir hier alles lauter junge Europäer in den Schulen haben, eine heranwachsende Generation! Das hat er am Hermann-Böse-Gymnasium gesagt, er war auch in Burgdamm.
Ich sagte ja gerade, er war in Burgdamm, Frau Schmidtke. Er war in zwei Schulen. Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir dann auch solche Fragen zumindest in einem verbindlichen Punkt festhalten. Es kann nicht alles immer, und dort liegt es bis heute noch, im Belieben des Lehrers sein, welchen Inhalt er sich jetzt genau heraussucht.
(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das stimmt nicht! – Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Das stimmt doch nicht!)
Alle Schülerinnen und Schüler brauchen die gleichen Voraussetzungen, was die inhaltliche Vermittlung angeht, und dann kann man in einem Themenkomplex immer noch Lehrern und Schülern die Freiheit geben, sich frei zu entfalten. So genau wollen wir es nicht regeln, aber wir müssen eine gemeinsame Grundlage schaffen, und wenn wir darüber einmal ernsthaft reden könnten, zumindest mit den Grünen können wir das, wären wir sehr erfreut. – Vielen Dank!
Kollege Rohmeyer, Lehrer sind doch keine Atome, die durch eine Schule schweben und sich nach Belieben ihren Unterrichtsstoff zusammenstellen. Sie sind doch Teil eines Kollegiums, die bekommen einen Rahmenplan. Mit dem könnten sie die Wände der Bremischen Bürgerschaft tapezieren. Deutschland hat die dicksten Lehrpläne, wenn man sich das einmal in Europa anschaut. Das sind solche „Oschis“, die man da bekommt. Darin steht, daran kann ich mich noch erinnern, auch als Schulsprecherin später in der Oberstufe, welche Themen in den Leistungskursen gelehrt werden müssen, dass man in der 13. Klasse Marxismus im Leistungskurs Gemeinschaftskunde machen muss,