Protocol of the Session on December 14, 2006

Herr Kleen, Sie sind auf das Schreiben von Herrn Dr. Steinbrück und auf die Frage der Behinderten eingegangen. Ein großes Problem ist auch, die Wahlzettel in der Länge so zu konzipieren, dass auch Behinderte an der Wahl teilnehmen können, ohne vor besonderen Hürden zu stehen. Aus dem Grund müssen wir uns sehr wohl Gedanken machen, wie das mit Wahlschablonen für Blinde gehen kann und wie wir Menschen mit Lernschwierigkeiten helfen können, für die wir bisher auch Hilfen hatten.

Wir wollen all diesen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Wahl auch unter dem veränderten System ermöglichen. Die hierfür notwendigen Vorbereitungen brauchen einfach Zeit. Wir wollen die Einführung des neuen Wahlsystems aus rein populistischen Gründen nicht auf Kosten dieser Menschen überstürzen. Das heißt, wir wollen kein Gesetz, das mit heißer Nadel genäht ist und am Ende anfechtbar ist. Wir wollen, dass alle Menschen gleichermaßen beteiligt werden können, und deswegen lehnen wir den Antrag der Grünen ab.

Noch ein Wort, Herr Wedler und auch Herr Dr. Güldner, zu den Unterstellungen, die Sie hier hervorgebracht haben! Ich finde, Herr Kleen hat sich da eindeutig und sehr gut positioniert. Ich kann mich diesen Worten nur anschließen. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort Herr Bürgermeister Röwekamp.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte für den Senat eindringlich darum bitten, dass das Parlament heute nicht den Gesetzesänderungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen und des Einzelabgeordenten Wedler beschließt, weil das im Hinblick auf eine Wahlanfechtung nachhaltig in der Lage ist, die Durchführung der Wahlen am 13. Mai 2007 zu behindern. Der Gesetzesänderungsantrag ist ja erst Anfang der Woche eingereicht worden, sodass wir noch nicht in der Lage gewesen sind, eine abschließende Stellungnahme auch in rechtlicher Hinsicht einzuholen.

Wir hätten uns natürlich gewünscht, Herr Dr. Güldner, dass man, bevor man ein Gesetz ändert, sich vielleicht mit den möglichen Folgen, die daraus entste

hen könnten, beschäftigt. Ich finde es auch wahlrechtlich nicht ganz einwandfrei, wenn Sie sagen, wir können es erst einmal beschließen und hinterher sehen, wie es geht. Normalerweise haben die Parlamente die Verantwortung, sich vorher zu überlegen, was geht, bevor sie beschließen, was sie machen, und darum möchte ich auch Sie heute bitten, dass wir entsprechend verfahren!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Sie versuchen, hier den Eindruck zu erwecken, als ob Sie jetzt die gestern beschlossene Änderung des Wahlrechts durch den heutigen Gesetzesänderungsantrag nur vorziehen würden.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Genauso ist es!)

Das Gegenteil ist der Fall!

Das, was Sie gestern beschlossen haben, ist mit Veröffentlichung im Gesetzesblatt bereits Gesetz. Es tritt nicht später in Kraft, sondern es findet das erste Mal seine Anwendung zu einer späteren Wahl. Wenn Sie heute noch einmal das Gleiche beschließen, wie Sie es beantragen, dann haben wir praktisch zwei identische Änderungen des gleichen Gesetzes mit gleichem Inhalt an zwei unterschiedlichen Tagen. Das ist so, als ob wir den Ladendiebstahl im Strafgesetzbuch regeln würden, indem wir hineinschreiben würden: Ladendiebstahl ist heute strafbar, Ladendiebstahl ist morgen strafbar und Ladendiebstahl ist übermorgen auch noch strafbar.

Meine Damen und Herren, ein solches Gesetz hat es in ganz Deutschland noch nicht ein einziges Mal gegeben, und ich möchte dringend davor warnen, dass wir unsere Gesetzeslage hier in Bremen nur aus populistischen Gründen irgendwelchen Taschenspielertricks vom Bündnis 90/Die Grünen anpassen. Ich kann nur entschieden davor warnen! Eine solche rechtliche Unsicherheit und Unklarheit hat es zumindest in Bremen noch nicht gegeben, und wir sind gut beraten, hier auf Recht und Gesetz zu achten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wirklich enttarnt hat sich Herr Wedler. Ich habe Ihre Partei bisher eigentlich immer so eingeschätzt, dass Sie bis zum Bundesverfassungsgericht gehen würden und zumindest so etwas wie eine rechtsstaatliche Grundüberzeugungen haben. Aber überlegen Sie es sich, vielleicht lesen Sie im Protokoll auch noch einmal, was Sie gesagt haben! Sie haben gesagt, jawohl, das ist rechtlich problematisch, wenn wir das heute beschließen, aber wenn man das politisch wirklich will, dann geht das. Mit anderen Worten, man kann das Recht brechen, wenn man es politisch wirklich will. Meine Damen und Herren, ich habe eine

andere Überzeugung und habe das im Studium auch anders gelernt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Deswegen ist meine Aufgabe, hier auch als Wahlbehörde darauf zu achten, dass wir das Recht einhalten. Wir haben eine Stellungnahme des Landeswahlleiters eingeholt in Vorbereitung der heutigen Debatte, ich möchte es nicht versäumen, Ihnen zu sagen, wie seine Einschätzung ist. Er schreibt, ich zitiere: „Selbstverständlich kann das Wahlgesetz auch zu diesem Zeitpunkt geändert werden, allerdings kann die kommende Bürgerschaftswahl am 13. Mai 2007 wohl kaum auf Grundlage eines zum heutigen Zeitpunkt geänderten Gesetzes stattfinden.“

Er begründet es im Nachhinein mit mehreren unterschiedlichen Punkten, er sagt nämlich: „Es ist noch völlig offen, welche Auswirkungen die Gesetzesänderung auf das Unionsbürgerwahlrecht haben.“ Die Parteien haben ja in unterschiedlichen Formationen, Sie im Übrigen auch vom Bündnis 90/Die Grünen, Unionswahlbürger für die Bürgerschaftswahl vorgeschlagen. Da wird zu prüfen sein, ob und inwieweit das mit dem neuen Wahlrecht, auch insbesondere bei Kumulieren und Panaschieren, möglich ist. Sie wissen, dass wir das schon im Wahlrechtsausschuss überprüft haben. Da könnte es sein, dass sich daraus noch zwingende gesetzliche Änderungsnotwendigkeiten ergeben, um das auch tatsächlich für die Zukunft zu ermöglichen.

Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass zur Vorbereitung der Wahl viele Parteien ihre Wahlvorschläge bereits eingereicht haben, unter anderen Sie ja auch, darüber haben wir gestern schon gesprochen. Sie haben Ihre Kandidaten nach dem alten Wahlrecht selbst aufgestellt, die FDP mehrfach. Dass wir jetzt sozusagen mit einem Alle-Manns-Manöver das nachträglich wieder heilen, das halte ich für unwahrscheinlich. Ich persönlich, Herr Dr. Güldner, kann mir auch nicht vorstellen, an einem Alle-Manns-Manöver mit der PDS und der DVU teilzunehmen, das will ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Im Übrigen – das mag jetzt formal klingen, aber so sind wir nun einmal, und Wahlen sind eben sehr formal, vor allen Dingen dann, wenn 60 Jahre lang nach einem gleichen Wahlrecht gewählt worden ist – müssen wir alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande, und zwar nicht nur die 65 000, die rechtsverbindlich unterschrieben haben, darauf vorbereiten, dass sie diesmal anders wählen müssen. Einer Änderung dieses Wahlrechts, das wir gestern miteinander verabredet haben, muss doch eine Informationskampagne vorausgehen, damit die Leute überhaupt wissen, was Kumulieren und Panaschieren ist.

Ich werbe zumindest dafür, dass wir nicht als einzige Auswirkung dieses Volksbegehrens am Ende haben, dass wir mehr ungültige Stimmen haben. Wir müssen die Leute davon überzeugen und sie darauf einstellen, dass sie anders wählen können und anders wählen dürfen, als sie es 60 Jahre lang getan haben. Das kann man nicht im Husarenritt machen, und das kann man eben auch nicht heute mit einem zwielichtigen Gesetzesantrag hier im Parlament machen. Das ist meine innere Überzeugung.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir haben einen festen Terminkalender, der allen bekannt ist, die an dieser Wahlvorbereitung teilgenommen haben. Er läuft schon seit Wochen, er läuft auch schon seit Monaten, und das geht bis zu der Frage, wann drucken wir eigentlich welche Stimmzettel, welche Stimmzettel müssen veröffentlicht werden. Dieses ganze Verfahren würde nicht mehr greifen, weil wir nicht mehr in der Lage wären, einen ordnungsgemäßen Ablauf sicherzustellen. So sieht es der Landeswahlleiter, und er sagt: „Es muss unter Umständen erwogen werden, die Wahl abzusagen.“

Herr Dr. Güldner, deswegen frage ich Sie an dieser Stelle: Wollen Sie die Bürgerschaftswahlen am 13. Mai 2007 wirklich einer solchen Gefährdung der Absage aussetzen? Ist es mehr Demokratie, dass man durch trickreiche Anträge versucht, einen Wahltag zu verschieben und Wahlen abzusagen? Ich glaube, das wäre der falsche Weg!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wer ist denn der Vorgesetzte des Landeswahlleiters?)

Deswegen sage ich, 65 000 Menschen haben in dieser Stadt dafür unterschrieben, dass das geänderte Wahlrecht das erste Mal nicht 2007 bei der Bürgerschaftswahl, sondern danach in Kraft treten soll. Wenn Sie gewollt hätten, dass das schon zur nächsten Bürgerschaftswahl gilt, dann hätten Sie gestern dafür plädieren müssen, dass wir das Volksbegehren nicht in identischer Fassung annehmen, dann hätten Sie zum Volksentscheid kommen und das Volk befragen müssen, wann es eigentlich das erste Mal diese Wahlen angewendet haben will.

Dann hätte man zwei unterschiedliche Anträge, nämlich dieses Volksbegehren und einen gegebenenfalls von Ihnen geänderten Antrag alternativ zur Abstimmung stellen müssen, wie das auch in Hamburg mit zwei unterschiedlichen Inkrafttretensregelungen gewesen ist. Dann hätten Sie gemerkt, zu wann die Menschen das wirklich wollen. Ich glaube, sie haben dafür unterschrieben, dass sie es das erste Mal 15 Monate nach dem Inkrafttreten diese Gesetzes wollen. Dafür haben 65 000 Menschen unterschrie

ben, nicht aber für irgendwelche trickreichen parteitaktischen Anträge von Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Wie nobel!)

Sie gefährden und infizieren die Wahlen, und Sie werden es am Ende auch zu verantworten haben. Selbstverständlich kann das Parlament das heute beschließen, das will ich auch ausdrücklich sagen. Ich sage nur, es besteht die rechtliche Gefährdung der nächsten Bürgerschaftswahlen hinsichtlich der Anfechtung, und ich möchte nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass irgendwelche extremen Parteien in der Lage sind, unsere demokratischen Wahlen am 13. Mai 2007 anzufechten. Wenn Sie das möchten, können Sie das machen, ich kann nur hoffen, dass Ihr Antrag hier im Parlament keine Mehrheit findet.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kleen, Sie haben hier eben großspurig behauptet, die SPD, unsere Sozialdemokraten, wir sind ehrlich, wir haben das den Wählerinnen vorher gesagt und so weiter. Hat Ihre Partei aber auch nicht vor der Wahl versprochen, mit uns eine Mehrwertsteuererhöhung niemals? So viel nur – jetzt wurde sie um drei Prozent auf 19 Prozent erhöht – zur Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und zu den leeren Versprechungen der SPD insgesamt, meine Damen und Herren!

65 000 Bürgerinnen und Bürger haben dieses Volksbegehren unterschrieben. Diese 65 000 Bürgerinnen und Bürger haben ein deutliches Votum abgegeben, ein Votum für mehr Demokratie. Die Deutsche Volksunion nimmt dieses Votum und die Interessen dieser Bürgerinnen und Bürger sehr ernst, darum werde ich auch im Namen der Deutschen Volksunion diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und Herrn Wedler überparteilich zustimmen.

Die Umsetzung des neuen Wahlrechts jetzt zur kommenden Wahl steht für mehr Demokratie, für mehr Bürgerwille, und dafür hat die Deutsche Volksunion schon seit Bestehen immer rigoros gekämpft. Sie aber, meine Damen und Herren, haben große Angst vor dem Willen der Bürgerinnen und Bürger. Sie haben Angst, und das zu Recht, vor dem zu erwartenden schlimmen Wahldesaster im kommenden Jahr, denn Tatsache ist doch, immer mehr Bürgerinnen und Bürger enthalten sich und gehen nicht zur Wahl. Die Wahlverdrossenheit nimmt zu, und das ist erschreckend! Nun fragen Sie sich doch einmal, warum das so ist. Weil die Bürgerinnen und Bürger in Bremen und Bremerhaven keine Lust mehr haben, sich lau

fend von den Etablierten belügen und betrügen zu lassen! Sie glauben Ihren leeren Versprechungen nicht mehr, und das zu Recht, und das ist auch gut so.

(Glocke)

Herr Abgeordneter Tittmann, die Begrifflichkeiten belügen und betrügen sind unparlamentarisch. Ich bitte Sie, das hier nicht zu erwähnen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Gut! Dass Sie da klatschen, das kann ich mir schon vorstellen. Aber wo ich recht habe, habe ich recht!

(Glocke)

Herr Abgeordneter Tittmann, Sie haben meine Bemerkungen nicht zu kommentieren!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Habe ich auch nicht! Ich habe nur das Geklatsche kommentiert!

Ich kann Ihnen nur raten, darum sollten Sie wirklich im Sinne und der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger eine bessere, sozialere, gerechtere Politik betreiben. Sie aber betreiben auf Kosten und zulasten der Bürgerinnen und Bürger des Landes Bremen eine schändliche Politik. Sie zocken unsere Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen skrupellos ab. Sie, ich darf es ja nicht mehr sagen, ich will es einmal ganz gelinde ausdrücken,

(Abg. C r u e g e r [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Jetzt vorsichtig! – Zurufe von der SPD und der CDU)

nehmen unseren älteren Bürgerinnen und Bürgern einen gerechten, sozial abgesicherten Lebensabend, und unserer Jugend nehmen Sie die Zukunft.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wie heißt das Thema?)