Protocol of the Session on December 14, 2006

das Wort Alle-Manns-Manöver, was in Bremen so eine große Bedeutung hat, zu verwenden, das finde ich eine richtige Unverschämtheit! Was hier geleistet worden ist mit Alle-Manns-Manöver, das sind wohl andere Dinge gewesen als das, was Sie uns hier heute vorlegen.

Die zweite Geschichte: Herr Dr. Güldner, ich stelle die Frage, was diese 65 000 Menschen bewogen hat, sich so zu engagieren. Ich finde es auch wirklich toll, wie sie sich engagiert haben. Ich kann mir nur die Frage stellen, was sie bewogen hat. Einer zum Beispiel, der hier als Vertrauensperson unterschrieben hat, das ist Paul Tiefenbach, er war einmal Bürgerschaftsabgeordneter der Fraktion der Grünen hier, hat offensichtlich von gewissen Parteienkungeleien so die Nase voll gehabt, dass er das gemacht hat.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Herr Wedler, Sie haben es gestern versucht, Sie versuchen es heute, uns zu unterstellen, dass wir etwas auf die lange Bank hinausschieben wollen, damit wir in der nächsten Legislaturperiode an diese Substanz herangehen können. Das ist eine richtige Unverschämtheit! Das ist völliger Unsinn!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wir treten am 13. Mai als Sozialdemokraten an, wir wollen natürlich die Mehrheit hier in dieser Bürgerschaft haben, und wir sagen der Bevölkerung ganz klar: Dieses Wahlgesetz mit den Dingen, die die Menschen interessieren, Kumulieren, Panaschieren, bleibt genauso erhalten, wie wir es gestern beschlossen haben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU )

Wir haben aber auch genauso deutlich gemacht, das, was in Bremerhaven mit der Fünfprozenthürde passiert und damit eine andere Situation als in Bremen herstellt, wollen wir in der nächsten Legislaturperiode verändern, diesen einen Punkt, der ausschließlich die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven betrifft. Das sagen wir den Wählerinnen und Wählern vorher ganz eindeutig.

Uns zu unterstellen, wir spielen hier Spiele – und dann kommt Herr Dr. Güldner immer: Ja, wie in Ham––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

burg! –, das machen wir überhaupt nicht! Ich bin fest davon überzeugt,

(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Nein!)

dass die Menschen in Bremen und Bremerhaven unsere politische Glaubwürdigkeit höher einschätzen als die von manchem anderen, der hier dazu geredet hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir schieben auch nichts auf die lange Bank, sondern wir nehmen genau das, was vorgeschrieben ist, nämlich wir nehmen das Volksbegehren so, wie 65 000 Menschen es am Ende unterschrieben haben. Ich habe das gestern vorgelesen, und weil Herr Dr. Güldner das Fass nun gern heute noch einmal aufmachen wollte, muss ich es noch einmal vorlesen. Artikel 2 dieser Unterschriftensammlung heißt: „Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Es findet erstmals Anwendung auf die erste nach Ablauf einer Frist von 15 Monaten nach seinem Inkrafttreten stattfindende Wahl.“

Das haben die Initiatoren bewusst dort hineingeschrieben, und zwar nach meiner Überzeugung, weil sie sich Gedanken darüber gemacht haben, was sie eigentlich erreichen wollen. Sie wollen erreichen, dass man mit einem vernünftigen Informationsangebot an die Menschen herantreten kann, sie wollen erreichen, dass die Abgeordneten – es war ja einmal beabsichtigt, diesen Volksentscheid mit der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft zu verbinden – auch die Chance bekommen, mit dem neuen Wahlrecht ihr neues Mandat neu zu definieren und zu sagen, was sie auch erreichen wollen: Ich muss mich noch mehr, noch stärker – was bei der SPD ohnehin schon selbstverständlich ist – als Wahlkreisabgeordneten definieren und da herangehen.

(Beifall bei der SPD)

Das sollen sie 15 Monate beweisen können, und deshalb steht es auch darin.

Sie haben den Landesbehindertenbeauftragten zitiert, auch das muss ich wiederholen, weil Sie es wieder angeführt haben! Herr Dr. Steinbrück hat an den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft und dann in Durchschrift an die Fraktionsvorsitzenden geschrieben, Herr Präsident, ich darf zitieren:

„Bei einem Wahlverfahren mit 5 Stimmen und der Nennung aller Kandidaten auf dem Stimmzettel ist es nicht mehr ohne Weiteres möglich, Blinden und stark sehbehinderten Menschen die Stimmabgabe mit Hilfe einer Wahlschablone zu ermöglichen. Ohne die Möglichkeit der Verwendung einer Schablone wird aber die Abhängigkeit von fremder Hilfe bei der Stimmabgabe erheblich erhöht. Das komplexere Wahlverfahren mit mehreren Stimmen erschwert das Verständ

nis des Wahlverfahrens. Dies hat insbesondere Folgen für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Deshalb sollte meines Erachtens“ – das schreibt Herr Dr. Steinbrück – „die Wahlrechtsreform erst in Kraft gesetzt werden, wenn geklärt ist, ob und durch welche konkreten Maßnahmen die Entstehung neuer Barrieren für Menschen mit Behinderungen bei einer Änderung des Wahlrechts vermieden werden kann.

Eine Verschiebung des Inkrafttretens des neuen Wahlrechts bis zur übernächsten Bürgerschaftswahl wäre dabei schon deshalb gerechtfertigt, weil die Verpflichtung des Staates zur Förderung der gleichwertigen Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und zur Hinwirkung auf die Beseitigung bestehender Nachteile für Menschen mit Behinderungen Verfassungsrang genießen – Artikel 2 Absatz 3 der Bremischen Landesverfassung!“

Wir nehmen diesen Brief sehr ernst und sagen nicht: Ja, jetzt setzt euch doch einmal zusammen. Wie können wir das denn ganz schnell einmal regeln? Nein, wir werden uns mit Herrn Dr. Steinbrück zusammensetzen und schauen, dass man die nächste Wahl – und wenn sie denn in 15 Monaten ist, dann ist sie in 15 Monaten, aber dass man dann vorbereitet ist – auch für Menschen mit Behinderungen ordentlich sauber durchführen kann.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Güldner, ich habe es nicht verstanden: Sie haben gesagt, es sei gangbar und auch geprüft worden. Ich weiß gar nicht, von wem das eigentlich geprüft worden ist mit dem positiven Ergebnis, jawohl, es gibt keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn wir das heute hier so beschließen.

Wir haben gestern ein Gesetz beschlossen, und zwar anstelle des Volkes. Das machen wir sonst auch, aber hier haben wir es einmal ganz definitiv beschlossen. Wir haben gesagt: Du Volk hast eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die wird am 13. Mai entschieden. Wir nehmen dir das wieder weg. Wir beschließen das für dich und beschließen es selbst, weil wir das so vorgesehen haben.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Und dann ändert ihr das in der nächsten Legislaturperiode, habt ihr gesagt! – Bürgermeister R ö w e k a m p : Und ihr ändert das jetzt!)

Wir, dieser Gesetzgeber, der hier sitzt, hat das beschlossen. Am Tag danach kommt derselbe Gesetzgeber – nicht ein neuer, der am 13. Mai 2007 gewählt wird mit völlig anderer Zusammensetzung – und sagt: Jetzt nehmen wir aber einen Teil dieses Gesetzes zurück.

Das soll mir einmal jemand erzählen, dass die Verlässlichkeit eines Gesetzgebers an der Stelle verfas

sungsrechtlich nicht berührt wird. Das soll mir einmal jemand erzählen, dass das heute geprüft ist, und zwar positiv geprüft ist. Ich halte das für ausgesprochen bedenklich. So darf ein Gesetzgeber sich schon normalerweise nicht verhalten, wenn wir als Gesetzgeber gestern ein Gesetz beschlossen hätten, und heute beschließen wir das Gegenteil oder etwas anderes davon. Wenn wir aber auch noch dem Volk das dezidiert wegnehmen aus den Elementen der direkten Demokratie, die wir jetzt haben, das dann am nächsten Tag zu ändern, halte ich für verfassungsrechtlich überhaupt nicht gangbar, und wenn Sie sagen, das ist geprüft, dann möchte ich gern diese Prüfung sehen, die zu diesem positiven Ergebnis gekommen ist. Ich glaube, dass das nicht geht.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich glaube, alles andere, als das hier heute von Ihnen Eingebrachte abzulehnen, ist nicht richtig. Sie haben gesagt, es gibt gute Argumente, es nicht zu tun. Ich finde, das stimmt, und deshalb werden wir das auch nicht machen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Winther.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, sehr geehrter Herr Dr. Güldner, ist keineswegs rechtlich so abgesichert, wie Sie es hier vorgetragen haben. Insofern hat Herr Kleen völlig recht, und das, was Sie hier machen, ist ein Taschenspielertrick.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Gestern ein Gesetz zu beschließen und es heute zu ändern, gegen so ein Verfahren haben wir erhebliche verfassungsrechtliche, politische und auch organisatorische Bedenken.

Ich kann nur wiederholen: Wir haben gestern hier das Bürgerbegehren Punkt für Punkt beschlossen,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Volksbegehren!)

in diesem Volksbegehren steht die Frist von 15 Monaten. Diese 15 Monate ergeben sich aus Paragraf 19 Absatz 3 des Wahlgesetzes, und diese Frist wollen Sie hier indirekt ändern. So geht das nicht! Sie können auch die Verfassung nicht mit einem AlleManns-Manöver verändern.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir ändern keine Verfassung! Wir ändern nicht die Verfassung!)

Natürlich! Sie haben eben von einem Alle-MannsManöver geredet, wie man einen Weg finden sollte, aber auch ein Alle-Manns-Manöver an der Verfassung vorbei, das kann es ja wohl nicht sein, und ich werde Ihnen auch sagen, warum!

In Artikel 70 Absatz 2 der Landesverfassung in Verbindung mit Paragraf 21 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren beim Volksentscheid muss der Gesetzentwurf binnen 2 Monaten unverändert angenommen werden, das heißt, auch unverändert im Gesetzblatt erscheinen, ansonsten kommt es eben zu einem Volksentscheid. Durch den heutigen Gesetzentwurf der Grünen würde aber das gestern angenommene Gesetz de facto wieder außer Kraft gesetzt, und es ist ein reines Wortspiel, hier zu sagen, das gestern beschlossene Gesetz träte ja unverändert in Kraft, wenn heute ein Gesetz beschlossen wird, das dem gestrigen inhaltlich widerspricht.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Inhaltlich?)

Ja sicher inhaltlich, wenn Sie Fristen ändern! Das ist ein ganz durchsichtiger Versuch,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Es geht doch darum, dass es über- haupt angewendet wird!)

die Vorgaben der Landesverfassung zu umgehen.

Sämtliche großen Parteien haben ihre Listenaufstellungen zur Bürgerschaftswahl 2007 bereits abgeschlossen. Das neue Wahlrecht hätte aber Ausstrahlungswirkungen auf die Zusammensetzung der Listen, und es ist – da gebe ich Herrn Kleen recht – verfassungsrechtlich bedenklich, nachträglich, rückwirkend in die gewählten Listen einzugreifen. Wir würden eine Anfechtungsklage riskieren, und die können wir uns nicht leisten. Stellen Sie sich vor, was das für Folgen hätte für das Ansehen Bremens, aber auch die rein praktischen bei der Haushaltsaufstellung zum Beispiel!

Lieber Herr Dr. Güldner, ich bin immer davon ausgegangen, dass Sie die Landesverfassung kennen. Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie sie nicht verstanden haben, aber das, was Sie hier machen, ist blanker Populismus. Wir nehmen unsere Verfassung ernst und wollen deswegen auch in Ruhe die Umsetzung des Volksbegehrens auf den Weg bringen.

Organisatorisch gibt es eine Vielzahl von Fragen zu bewältigen. Es sind umfassende organisatorische Maßnahmen nötig, und diese sind gerade im Interesse der Bürger. Sie müssen einerseits ausreichend Zeit haben, um sich mit diesem veränderten und komplizierten Wahlmodus auseinandersetzen zu können, um dessen Möglichkeiten auch ausschöpfen zu können, ohne Gefahr zu laufen, dass wir eine Vielzahl

von ungültigen Stimmzetteln bekommen. Aber auch rein praktisch haben wir ein Riesenproblem zu bewältigen, denn wenn Sie sich einmal ausrechnen, wie viele Felder auf so einem Stimmzettel mit dem neuen Wahlmodus entstehen können, dann kann ich Ihnen sagen, es sind 1280. Das heißt, wir müssen ein ganzes Wahlbuch konzipieren, und mit diesem dann auch noch umzugehen, ist sicherlich nicht ganz einfach, ein Wahlzettel soll dennoch so ausfallen, dass man ihn auch überschauen und entsprechend wählen kann.

Herr Kleen, Sie sind auf das Schreiben von Herrn Dr. Steinbrück und auf die Frage der Behinderten eingegangen. Ein großes Problem ist auch, die Wahlzettel in der Länge so zu konzipieren, dass auch Behinderte an der Wahl teilnehmen können, ohne vor besonderen Hürden zu stehen. Aus dem Grund müssen wir uns sehr wohl Gedanken machen, wie das mit Wahlschablonen für Blinde gehen kann und wie wir Menschen mit Lernschwierigkeiten helfen können, für die wir bisher auch Hilfen hatten.