Protocol of the Session on December 14, 2006

Ich eröffne die 73. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und Vertreter der Presse.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich einen Politikkurs der 11. Klasse des Ökumenischen Gymnasiums, eine 9. Klasse der Humboldtschule aus Bremerhaven und eine Gruppe des Vereins Mehr Demokratie e. V. Wenn Sie alle da sind, seien Sie ganz herzlich begrüßt, und ich wünsche Ihnen einen spannenden Vormittag.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen noch mitteilen, dass nachträglich interfraktionell vereinbart wurde, den Tagesordnungspunkt 18, Europäische Strukturförderung, heute Nachmittag im Anschluss an Tagesordnungspunkt 47, Fidatas, aufzurufen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Gesetz zur Änderung des Bremischen Wahlgesetzes

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Abgeordneten Wedler (FDP) vom 12. Dezember 2006 (Drucksache 16/1246) 1. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Röwekamp.

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

(Abg. Frau S c h ö n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Der Bürgermeister mit einer grünen Krawatte! – Bürgermeister R ö w e k a m p : Das ist meine grünste Krawatte! Ich werde nur noch durch Herrn Tschöpe geschlagen! – Heiterkeit)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr verehrte Träger von grünen Krawatten, falls wir das auf diesem Wege wenigstens auch ins Protokoll bekommen, dass die Herren Tschöpe und Röwekamp ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

heute mit grünen Krawatten da sind! Aber eigentlich wollten wir über etwas anderes diskutieren.

Sie werden sich noch daran erinnern, wir hatten gestern eine kleine Meinungsverschiedenheit im Hinblick auf die Einführung des neuen Wahlrechts. Ich möchte es jetzt heute an dieser Stelle nicht noch einmal alles wiederholen, was wir gestern hier diskutiert haben, es war ja eine sehr interessante und lebendige Debatte, sondern mich darauf beschränken, den jetzt heute hier vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Abgeordneten Wedler von der FDP zu erklären.

Wir haben gestern, nachdem wir seit zwei bis drei Jahren über die Einführung eines neuen Wahlrechts in Bremen diskutieren, dieses neue Wahlrecht verabschiedet. Seit dem Krieg ist dies in Bremen zum ersten Mal geschehen. Aber ich nehme einmal an, auch überhaupt zum ersten Mal durch ein erfolgreiches Volksbegehren der Initiative Mehr Demokratie e. V., die es geschafft hat, über 65 000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern in Bremen und Bremerhaven zu sammeln, um das Wahlrecht im Land Bremen für die Bürgerschaftswahl zu ändern. Ich finde, wir in Bremen sollten sehr stolz darauf sein. Das kann man gar nicht oft genug sagen, dass es hier zum ersten Mal durch ein Volksbegehren, also durch die Menschen da draußen und nicht durch dies Parlament, gelungen ist, im Land Bremen ein so wichtiges Gesetz in diese Richtung nach vorn zu bringen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Gestern haben wir mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Abgeordneten von SPD und CDU aus Bremerhaven dieses im Volksbegehren vorgelegte Gesetz verabschiedet, das damit nach seiner Verkündung in Kraft tritt. Es sieht im Kern im Wesentlichen vor, neben einigen kleinen Nebenbestimmungen, dass bei der Bürgerschaftswahl die Menschen im Land Bremen statt einer Stimme für eine feste Parteiliste abzugeben, sie nun in Zukunft fünf Stimmen auf die Kandidaten der einzelnen Listen beziehungsweise auch auf Kandidaten von verschiedenen Listen verteilen können. Es ist also ein Element der Personenwahl in das bremische Wahlrecht eingeführt worden. Es ist gestern schon zur Sprache gekommen, durch dieses Gesetz wurde für den Bereich der Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven auch die Fünfprozenthürde abgeschafft. Das sind im Wesentlichen die Inhalte.

Das Gesetz, und das ist gestern auch gesagt worden, hat eine Inkrafttretensklausel, die sagt, dass nach einem Ablauf von 15 Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetz zum ersten Mal angewendet werden soll. Das bedeutet, wenn wir keine vorgezogenen Neuwahlen im Lande Bremen haben, dass dann die erste Wahl, die nach diesem neuen Gesetz stattfinden würde, voraussichtlich im Jahr 2011 sein würde.

Jetzt haben sowohl die Initiative Mehr Demokratie e. V. als auch die Grünen und die FDP gesagt, dass das natürlich ein sehr langer Zeitraum ist. Sie haben sich noch einmal zusammengesetzt, um zu schauen, ob es nicht doch möglich ist, dass bei der Wahl, die für den kommenden Mai vorgesehen ist, dieses Wahlrecht schon gilt und einen Vorstoß verabredet. Es ist gestern deutlich geworden, ich nehme einmal an, in den verschiedenen Fraktionen hier im Hause hat es auch intensive Debatten gegeben, dass das natürlich eine sehr schwierige Entscheidung ist, ich räume das gern ein. Es gibt sehr viele Argumente, dies zu tun. Es gibt auch gute Argumente, dies nicht zu tun. Wir haben das auch in der Fraktion der Grünen in einer sehr ausführlichen Diskussion gewürdigt.

Wir sind zu dem Entschluss und zu dem Beschluss gekommen, dass, im Unterschied zu Versuchen, wie es sie in Hamburg gegeben hat, auch wie sie gestern hier von SPD und CDU angekündigt worden sind, das Volksbegehrensgesetz nun in der Substanz zu ändern, eine Anwendung auf die schnellstmögliche Wahl zu erreichen, keine Änderung der Substanz des Volksbegehrens ist, sondern nur der Versuch, dieses durch den Willen der Bevölkerung, durch deren Unterschriften zustande gekommene Gesetz möglichst schnell gelten zu lassen. Wir haben lange überlegt, welche Möglichkeiten es gibt, dies noch zu erreichen, und haben Ihnen jetzt den heutigen Antrag vorgelegt.

Worin besteht dieser Antrag? Dieser Antrag sagt, das gestern aus dem Volksbegehren stammende Gesetz bleibt so unverändert in Kraft. Wir verabschieden heute aber quasi ein Interimsgesetz, das die Zeit für die 15 Monate, bis es dann angewendet werden kann, regelt. Dieses Interimsgesetz enthält einen Passus, der sagt, dass dieses Gesetz innerhalb dieser 15 Monate nach Verkündung in Kraft treten kann. Damit wäre es für die kommende Bürgerschaftswahl gültig, und nach 15 Monaten tritt es dann außer Kraft, sodass dann das gestern verabschiedete Wahlgesetz weiter gilt, was ja ansonsten identisch ist mit dem, was wir Ihnen heute vorlegen.

Sie können die Intention also relativ leicht erkennen. Die Intention ist, das Volksbegehren hatte einen so überwältigenden Erfolg, es gab so viele Unterschriften, insgesamt 72 000, die dann korrigiert durch Bereinigungen bei der Nachprüfung durch den Senator für Inneres auf über 65 000 gültige Unterschriften festgelegt worden sind, dass man alles versuchen muss, dieses Gesetz auch unter den rechtlichen Gegebenheiten schon im nächsten Jahr anzuwenden.

Nun sind gestern von Ihnen, SPD und CDU, verschiedene Gründe vorgebracht worden, warum dies so nicht möglich ist. Wir haben uns gestern schon damit relativ ausführlich auseinandergesetzt. Mir ist dabei noch einmal aufgefallen, dass Sie doch ganz anders als sonst an dieses Thema herangegangen sind. Wir hatten hier schon verschiedene Situationen, die auch relativ schwierig zu bewältigen waren, und dann ha

ben Sie sich hier vorn hingestellt und gesagt, ja, dann müssen wir einfach eine große Kraftanstrengung machen. Dabei hat man immer das Wort Alle-MannsManöver gehört, alle müssen sich zusammensetzen, wenn man das wirklich will, dann geht das doch, Aufforderung an die Opposition, nicht so destruktiv zu sein und sich nicht zu verweigern, und dann bekommen wir doch das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, politisch auch bewegt.

So ist es in diesem Fall auch, wenn Sie in diesem Geiste mit dem Volksbegehren, mit den Menschen, die diese Unterschriften geleistet haben, umgegangen wären, dann hätte es Möglichkeiten gegeben. Ich will nur ein paar der wichtigsten Bedenken nennen: sich mit dem Landeswahlleiter auf einen vernünftigen Vorbereitungsplan zu verständigen, sich mit den Parteien darauf zu verständigen, dass diejenigen, die Listen schon aufgestellt haben, möglicherweise das wiederholen, diejenigen, das sind ja eher die kleineren Parteien, die noch keine Listenaufstellung hatten, die würde es sowieso nicht betreffen, sie könnten nach dem neuen Wahlrecht Listen aufstellen. Man könnte sich mit den Landesbehindertenbeauftragten zusammensetzen und in einer dann etwas mit mehr Nachdruck betriebenen Vorbereitungsphase auch die Anwendbarkeit für Sehbehinderte klären, sodass es hier bei der Ausübung des Wahlrechts durch die Behinderten zu keinen Problemen kommt.

Die Probleme, die Sie aufgezählt haben, wären mit einem Alle-Manns-Manöver, mit einem großen Kraftakt zu bewältigen. Sie haben hier gestern gesagt, dass Sie dies nicht wollen, und das Ergebnis wäre dann, dass das neue Wahlrecht eben erst im Jahre 2011 zum ersten Mal angewendet werden kann. Wir legen Ihnen heute, damit die Bürgerschaft einfach eine Entscheidungsalternative hat, damit sie sieht, es gibt beide Möglichkeiten und beide wären gangbar, diesen Antrag vor. Wir bitten Sie, noch einmal in sich zu gehen und zu überlegen, ob Sie diesen Weg nicht mitgehen wollen. Er ist gangbar, er ist geprüft, er ist rechtlich so, wie dieser Antrag jetzt heute vorliegt, einwandfrei und könnte beschritten werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Damit möchte ich für heute die Ausführungen beenden, weil, wie gesagt, wir ja auch nicht eine reine Wiederholung der Debatte von gestern hören wollen und die geneigte Öffentlichkeit sich hier sicherlich langweilen würde.

Ich möchte Sie noch einmal auffordern, sich dies gut zu überlegen und zu überlegen, was Menschen in dieser großen Zahl wohl erstmalig in Bremen und in Bremerhaven bewogen hat, so zahlreich das Volksbegehren zu unterschreiben, welches Missfallen dahintersteckt, welche Emotionen, die bei Leuten im Zusammenhang mit der herrschenden Politik im Lande Bremen geweckt wurden. Ich möchte Sie noch ein

mal bitten, darüber nachzudenken, ob dies, nämlich den Willen der Bevölkerung so ernst zu nehmen, um ihn möglichst schnell umzusetzen, nicht ein Mittel wäre, auch und gerade um die immer mehr um sich greifende Politikverdrossenheit ein Stück weit zu bekämpfen und den Menschen einen Schritt entgegenzukommen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Wedler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte nur einige Ergänzungen aus unserer Sicht zu den Äußerungen von Herrn Dr. Güldner hier vortragen. Dem Lob für die Aktivitäten der Initiative im Hinblick auf das Volksbegehren möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Es ist ja sehr eindrucksvoll, dass sich über 65 000 anerkannte Unterstützer hinter das Volksbegehren gestellt haben, und es ist ja auch schon gestern festgestellt worden, dass es sich hier um die erstmalige Umsetzung eines solchen Gesetzentwurfs, dem ein Volksbegehren zugrunde gelegen hat, handelt. Das ist, denke ich, für dieses Haus und für das Land Bremen ein historischer Moment. Das sollte man hier ausdrücklich erwähnen, weil ich meine, das ist immerhin ein Punkt, den man bei allen weiteren Diskussionen, insbesondere auch bei dem Punkt, um den es uns heute hier geht, beachten muss.

Heute bringen wir, die Grünen und ich, gemeinsam einen Gesetzesantrag ein, der inhaltlich genau das widerspiegelt, was wir gestern beschlossen haben, der versucht, das Anliegen der Initiative und der über 65 000 Unterstützer für die nächste Bürgerschaftswahl im Mai nächsten Jahres doch noch anwendbar zu machen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Senator, dass Ihr Haus, Sie selbst oder auch hier die Koalitionsfraktionen sich die Mühe gemacht hätten, sich einmal zu überlegen, wie man es bewerkstelligen könnte, dieses Gesetz doch noch zur Anwendung zu bringen. Ich habe Sie gestern bei Ihrer Argumentation so verstanden, dass Sie eher nach Gründen gesucht haben, um das Anliegen eher zu verhindern und möglichst auf die lange Bank zu schieben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. F o c k e [CDU: Das ist doch Unsinn! Sie müssen endlich einmal zuhören!)

Das war leider nicht sehr konstruktiv und nicht sehr hilfreich, jedenfalls habe ich das so verstanden. Über den Inhalt, insbesondere die neue Inkraftsetzungsregelung unseres gemeinsamen Gesetzesentwurfes, ist eben schon etwas gesagt worden, das möchte ich hier nicht noch einmal erläutern. Es ist der Versuch, dieses Gesetzespaket, das gestern hier beschlossen

worden ist, das auch Grundlage bei der Initiative und bei dem Volksbegehren war, für die Bürgerschaftswahl zur Anwendung kommen zu lassen.

Es geht bei dieser Frage nach meiner Auffassung um eine politische Frage. Die Politik, das heißt wir hier, muss entscheiden, ob dieses Gesetz möglichst schnell und zügig umgesetzt oder auf die lange Bank geschoben werden soll. Das ist primär eine politische Frage, nicht so sehr eine rechtliche oder verfahrensrechtliche Frage. Natürlich wissen wir, dass es Probleme und Schwierigkeiten gibt, was die rechtliche und insbesondere die verfahrensmäßige Seite anbetrifft. Aber bei gutem Willen, bei einem, wie Sie eben gesagt haben, Alle-Manns-Manöver und mit großer Kraftanstrengung in diesem Hause müsste es möglich sein, diese Probleme zu lösen, um dann hier zu einer gemeinschaftlich getragenen Überlegung zu kommen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das sind wir, glaube ich, der Initiative und den 65 000 Unterstützern schuldig, dass wir diese gemeinsame Anstrengung hier unternehmen.

Ich glaube, es mangelt der Koalition am guten Willen, dies so zu tun. Sie wollen die Wahlrechtsänderung im Grunde genommen nicht, obwohl Sie gestern zugestimmt haben, und Sie fürchten, wenn Sie gestern Ihrem Willen entsprochen hätten, das Anliegen abgelehnt hätten, dann wäre es automatisch bei der nächsten Bürgerschaftswahl zur Volksabstimmung gekommen, und dann hätten Sie sicherlich Probleme bekommen, dies noch zu verhindern. So haben Sie immerhin einen Weg gefunden, diesen Gesetzentwurf doch noch auf die lange Bank zu schieben und dann vielleicht noch mit neuen Mehrheiten nach der nächsten Bürgerschaftswahl zu verändern.

(Abg. P e r s c h a u [CDU]: Ist Ihnen das nicht ein bisschen peinlich?)

Ich glaube, das ist eine Ignoranz des Willens des Bürgerbegehrens, und ich denke, das sollte man hier auch ausdrücklich feststellen.

Ich kann also nachdrücklich nur darum bitten, diesem Gesetzentwurf, dem Anliegen, das wir – die Grünen und ich – Ihnen hier heute unterbreitet haben, zu folgen. Inhaltlich gibt es da ja keine Unterscheidung. Die einzige Änderung betrifft das Inkrafttreten, und diese sollte man mit gemeinsamem Willen und gemeinsamer Kraftanstrengung dann auch bewältigen können. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Güldner, Herr Wedler, Sie sind ja so in freundlicher, gelassener Stimmung, ich bin es gar nicht! Ich kann Ihnen sagen, für dieses scheinheilige Parteimanöver, das Sie hier jetzt machen,

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen)

das Wort Alle-Manns-Manöver, was in Bremen so eine große Bedeutung hat, zu verwenden, das finde ich eine richtige Unverschämtheit! Was hier geleistet worden ist mit Alle-Manns-Manöver, das sind wohl andere Dinge gewesen als das, was Sie uns hier heute vorlegen.