Protocol of the Session on December 13, 2006

Die dritte Anfrage trägt den Titel „Überlastanzeigen von Lehrerinnen und Lehrern“. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Frau Stah

mann, Frau Linnert und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bitte, Frau Stahmann!

Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie viele Überlastanzeigen mit welchen Hauptbelastungen sind in den Jahren 2005 und 2006 an den Senator für Bildung gerichtet worden?

Zweitens: In welcher Weise begegnet der Senat mit welcher Bewertung diesen Überlastanzeigen?

Drittens: Inwieweit trifft es zu, dass angehende Beamte oder kurz vor der Verbeamtung stehende Lehrerinnen und Lehrer in Gesprächen mit dem Senator für Bildung aufgefordert wurden, ihre Überlastanzeigen zurückzuziehen?

Die Anfrage wird beantwortet von Herrn Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Der Personalrat Schulen hat dem Senator für Bildung und Wissenschaft am 21. Juni 2006 348 auswertbare „Überlastungsanzeigen“ und am 26. September 2006 weitere 218 Anzeigen überreicht. Bei den als Überlastungsanzeigen bezeichneten Erklärungen handelt es sich um Formblätter, die auf dem Briefbogen des Personalrats Schulen abgedruckt wurden. Mit diesen Erklärungen zeigen beamtete und angestellte Lehrkräfte an, dass „die von mir geforderte Arbeitsleistung die beamtenrechtlich beziehungsweise arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung in bedeutendem Umfang übersteigt“.

33 vorformulierte sogenannte Faktoren als Verursacher der Überlastung können auf dem Formblatt angekreuzt werden plus Ergänzungsmöglichkeit für individuelle Angaben. Die vorformulierten Faktoren einer Überlastung beginnen bei den zusätzlichen Lernstandsuntersuchungen und reichen über die Implementierung neuer Bildungspläne bis zur angeblich mangelnden Wertschätzung der Arbeit durch die Bildungsbehörde. Eine Einzelauszählung der im Formblatt zugelassenen Mehrfachnennungen von Belastungsgründen und deren Auswertung ist nicht erfolgt.

Im Jahre 2005 sind keine „Überlastungsanzeigen“ an den Senator für Bildung und Wissenschaft gerichtet worden.

Zu Frage 2: Es gehört zur Fürsorgepflicht des Senats gegenüber den Beschäftigten, auf angezeigte Störungen bei der Erbringung der Arbeitsverpflichtung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beziehungsweise des Dienstes durch Beamtinnen und Beamte zu reagieren. Alle Lehrkräfte, die eine „Überlastungsanzeige“ eingereicht haben, wurden daher vom Senator für Bildung und Wissenschaft in einem

persönlichen Anschreiben um Mitteilung gebeten, ob die Anzeige angesichts des formularmäßigen Vorbringens als kollektive Meinungsäußerung gewertet werden solle. Für die Bewertung einer individuellen Überlastung sind konkret auf den Arbeitsplatz bezogen ergänzende Angaben notwendig.

Nach Eingang der konkreten Angaben wird in einem persönlichen Gespräch durch die Schulleitung und die Schulaufsicht mit der jeweiligen Lehrkraft geklärt, ob und wie tatsächlich vorhandenen Überlastungen durch organisatorische oder individuelle Maßnahmen begegnet werden kann.

Zu Frage 3: Es trifft nicht zu, dass angehende Beamte oder kurz vor der Verbeamtung auf Lebenszeit stehende Lehrerinnen und Lehrer aufgefordert wurden, ihre Überlastungsanzeige zurückzuziehen.

10 Anzeigen wurden von Beamtinnen und Beamten auf Probe abgegeben. In diesen gleichlautenden „Überlastanzeigen“ haben sie erklärt, dass es ihnen nicht möglich sei, „die geforderten Aufgaben im erwarteten Umfang beziehungsweise in der erwarteten Qualität auszuführen“. Eine solche Aussage eines Beamten auf Probe weckt Zweifel, ob die Bewährung als Voraussetzung zur Verbeamtung auf Lebenszeit festgestellt werden kann. Zur Vermeidung der Rechtsfolge des Paragrafen 6 Absatz 5 der Bremischen Laufbahnverordnung – Entlassung aus dem Beamtenverhältnis wegen Nichtfeststellung der Bewährung – waren daher mit den Anzeigenden Gespräche zu führen, wie die von ihnen vorgebrachten Aussagen zu werten sind.

In allen Fällen haben sich die Beamtinnen und Beamten dahin gehend korrigiert, dass ihr Vorbringen bezogen auf ihre Person nicht richtig sei und sie sich nicht überlastet fühlten. Sie hätten mit ihrer Unterschrift eine bildungspolitische Erklärung des Personalrats Schulen unterstützen wollen. Die „Überlastanzeigen“ wurden zurückgezogen und die Beamten auf Probe – soweit die vom Gesetz vorgesehenen Fristen bereits abgelaufen waren – aufgrund der vorliegenden positiven Bewährungsberichte in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen. Der Aspekt einer fahrlässigen oder bewussten Falschaussage gegenüber dem Dienstherrn wurde nicht weiter verfolgt. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Kollegin, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator Lemke, wie bewertet der Senat, dass rund 10 Prozent der Bremer Lehrkräfte eine „Überlastanzeige“ abgegeben haben? Aus der Antwort des Senats kann ich entnehmen, dass der Senat sagt, das ist eine kollektive Unmutsäußerung gewesen. Warum wertet der Senat das in dieser Frage so?

Bitte, Herr Senator!

Weil das unsere Interpretation ist! Wenn am Schluss einer Personalversammlung – ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal auf einer Personalversammlung waren, dort geht es ganz schön ab – Formblätter verteilt werden, wo man ankreuzen kann, was einem an den Schulen alles nicht gefällt, dann ist es so, dass die meisten der dort Anwesenden diese mit unterzeichnet haben. Das ist deren Recht, und das können sie bei uns abgeben, aber es führt nicht dazu, dass wir dann automatisch mit jedem Einzelnen sprechen.

Wir haben jeden Einzelnen, das war übrigens der ausdrückliche Wunsch des Personalrats, angeschrieben und darum gebeten, dass er zu einem persönlichen Gespräch zu uns kommt beziehungsweise zur Schulleitung, mit der Schulaufsicht seine einzelnen Probleme jeweils konkret bespricht und wir dann versuchen, Abhilfe zu schaffen. Ich finde, das ist eine große Leistung gewesen, dass wir das so gemacht haben. Leider haben sich aber nicht einmal 20 Lehrkräfte daraufhin bei uns gemeldet. Das ist auch ein kleines Zeichen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, wie bewerten Sie die zunehmenden Arbeitsbelastungen? Die Lehrer klagen bei diesen „Überlastanzeigen“ über zunehmende Bürokratie. Wie bewerten Sie infolge des Schulgesetzes die veränderte Arbeitssituation an den Schulen, und was unternimmt der Senat, um auch der berechtigten Kritik der Lehrer an dieser Stelle Folge zu leisten und dort auch für Entlastung zu sorgen?

Bitte, Herr Senator!

Ich muss zunächst sagen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die Lehrkräfte jetzt mehr arbeiten müssen, als sie es vor einigen Jahren mussten, das ist richtig. Ich denke einmal an die Förderpläne, an die Dokumentationspflichten, dass ein Lehrer zu Beginn des Schuljahres aufschreibt, wo ein Schüler steht, dass das wirklich auch dokumentiert werden muss, damit die Diagnose genauer passiert, als es in den früheren Jahren bei uns geschehen ist. Wir sind dort von den Wissenschaftlern heftig kritisiert worden, dass unsere Diagnosekompetenz bei den Lehrkräften nicht besonders gut ist, dass wir dort sagen, ihr müsst dokumentieren, damit ihr das auch besser in einen Lernentwicklungsbericht einbringen könnt. Das wird zum Beispiel kritisiert.

Viele andere Dinge werden hier auch kritisiert, aber ich kann nur sagen, wenn es darum geht, Kinder zu

fördern, dann müssen Förderpläne geschrieben werden,

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Das verlangen die Grünen auch!)

das wird auch kritisiert in dieser Fragebogenaktion. Wenn ich aber will, dass Schülerinnen und Schüler zu besseren Leistungen kommen, dann muss die Diagnosefähigkeit der Lehrer unterstützt und gestärkt werden. Vor allen Dingen müssen die Kinder Förderpläne bekommen, und es muss auch darauf hingewiesen werden, dass diese Fördermaßnahmen konkret umgesetzt werden. Dort sind wir einen guten Schritt nach vorn gekommen, aber Sie haben recht, es führt zu einer zusätzlichen Belastung der Lehrkräfte, das ist richtig!

Wenn ich jetzt sagen würde, dafür muss ich neue Lehrkräfte einstellen, dann sage ich: Dafür haben wir das Geld nicht, dann müssen wir die Ärmel aufkrempeln. Ich kenne eine Vielzahl von ähnlichen Berufsgruppen, die in den letzten Jahren auch ganz kräftig zusätzliche Arbeit erbringen müssen. Ich kann die Lehrkräfte davon nicht freistellen, sondern ich sage, wir müssen hier im Sinne der verbesserten Leistung der Schülerinnen und Schüler gemeinsam, auch mit dem Haus, die Sachen anpacken. Ich weiß, dass ich viele Lehrkräfte damit belaste, gerade die älteren Lehrkräfte. Sie wissen wie ich, dass wir sehr viele ältere Lehrkräfte haben, dort ist es besonders dramatisch, aber deshalb habe ich auch gesagt: Kommen Sie bitte zu uns, und wir bereden Ihre persönliche Situation und versuchen, jedem Einzelnen zu helfen.

Frau Kollegin Stahmann, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich wollte noch einmal zurückkommen auf die 10 jungen Lehrkräfte, die Beamte auf Probe sind und vor der Verbeamtung standen. Dort haben Sie darauf hingewiesen, Herr Senator Lemke, dass es dort Gespräche gegeben hat, wo man mit denjenigen gesprochen und darum gebeten hat, die „Überlastanzeigen“ zurückzuziehen und dies als kollektive Meinungsäußerungen zu werten. Warum wertet man das als eine persönliche Unfähigkeit von jungen Lehrkräften, an der Schule zu arbeiten? Wertet der Senat es nicht so, dass gerade junge Lehrkräfte sehr motiviert sind, ihren Job gut zu machen, und dass man dann eigentlich als Dienstherr konstruktiv mit dieser Kritik auch umgehen muss?

Bitte, Herr Senator!

Ich habe aber die Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler in diesem Land, und ich weiß, dass ich eine Reihe von Lehrerinnen und

Lehrern eingestellt habe – meine Vorgänger haben das gemacht, vielleicht passiert es mir auch bisweilen –, die nicht den Qualifikationen entsprechen, die wir als Bürgerinnen und Bürger von den Lehrerinnen und Lehrern erwarten. Ich muss höllisch darauf aufpassen, dass niemand, der nicht der Aufgabe gewachsen ist, auch in einem verbeamteten Status in unsere Schulen kommt und die Kinder unterrichtet.

Wenn mir in dem wunderbaren Alter von 29, 30, 31 Jahren ein junger Mensch sagt, das, was du mir zumutest in meiner Grundschule oder in meiner SEK I, schaffe ich nicht, ich bin total überlastet, weil die Orientierungsstufe abgeschafft worden ist – das war auch so ein Punkt, weil die Orientierungsstufe abgeschafft wird, fühle ich mich überlastet –, wenn mir das ein junger Lehrer sagt, er unterschreibt das mit seinem Namen, gibt es bei mir ab und sagt, bitte helfen Sie mir, ich bin überlastet, dann muss ich sagen: Haben Sie den richtigen Beruf gewählt? Ist das der richtige Beruf für Sie, oder war das eine politische Meinungsäußerung? Dann haben alle gesagt, Herr Lemke, das war der Personalrat, der hat uns gesagt, das sollen wir einmal unterschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss jeden Einzelnen fragen: Bist Du bereit dazu zu arbeiten? Dann ist es auch in Ordnung! Ich habe niemanden auffordern lassen, seine Unterschrift zurückzuziehen, sondern wir haben gefragt: Was war das? Wie sind Sie dazu gekommen? Das ist aufgeklärt worden, und ich finde, es ist mein gutes Recht, mich so zu verhalten. Jeder Chef in jedem Betrieb in Deutschland würde sich absolut genauso verhalten!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Frau Kollegin Stahmann, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, jeder Chef in Deutschland muss ein Interesse daran haben, dass die Zahl der Langzeiterkrankungen und die Krankheitsrate nicht in die Höhe schnellen. Wird der Senat in den nächsten Jahren weiterhin Stellen bei Lehrern abbauen? Gestern haben wir in der Bürgerschaft debattiert, dass wir in den letzten 10 Jahren von 5100 Lehrkräften jetzt bei 4300 Lehrern im Land Bremen angelangt sind. Will der Senat weiter die Kürzungsquoten, die er für 2007 anvisiert hat, umsetzen?

Bitte, Herr Senator!

Wir werden im Jahr 2007 sehr genau anschauen müssen, wo wir noch etwas verändern können. Es ist in den letzten Wochen und Monaten sehr viel über den Knochen diskutiert wor

den, über den wir jetzt reden, so abgenagt ist das Fleisch bereits vom Knochen, dass wir jetzt über den Knochen diskutieren. Ich sage Ihnen: Ich sehe im Augenblick ganz wenig Realisierungschancen, dass wir die von uns verlangten Einsparungen zu erbringen haben, aber wir haben einen gültigen Haushalt, wir haben Beschlüsse dieses Hauses übrigens, die ich umzusetzen habe. Dort werde ich mir allergrößte Mühe geben, das hinzubekommen.

Es kann aber durchaus sein, dass ich dem Senat berichten muss, dass es vielleicht irgendwann 2007 nicht mehr geht, ohne dass wir hier noch zu einer Korrektur kommen oder einer Umlastung. Aufgrund meiner sehr dezidierten Kenntnisnahme der Situation an Schulen weiß ich, dass ich 53 Lehrerinnen und Lehrer, das ist das Programm für 2007, nicht mehr aus dem Unterricht entziehen kann, weil sonst ein ordnungsgemäßer Unterricht nicht mehr möglich ist.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Danke!)

Eine weitere Zusatzfrage durch die Abgeordnete Frau Schmidtke! – Frau Kollegin, bitte sehr!

Herr Senator, ist Ihnen bekannt, dass trotz der eben geschilderten und diskutierten Schwierigkeiten der Lehrerinnen und Lehrer an Schulen, die ja überhaupt nicht strittig sind, es aber auch Lehrerinnen und Lehrer gibt, die sagen: Im Interesse der Schülerinnen und Schüler nehmen wir mehr Arbeit auf uns, weil wir die Interessen der Schülerinnen und Schüler so hochhalten, und sagen zum Beispiel, aus unserer offenen Ganztagsschule machen wir jetzt trotz zu erwartender Mehrarbeit eine gebundene Ganztagsschule? Ist Ihnen dies so bekannt?