Protocol of the Session on September 14, 2006

Ich eröffne die 66. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Meine Damen und Herren, ich begrüße die anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse. Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Gruppe von „Wissen und Beruf“.

(Beifall)

„Wissen und Beruf“ ist seit 2000 als Bildungsträger für die Arbeitsagentur Bremen tätig. Herzlich willkommen!

Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Delmenhorst

Antrag (Entschließung) der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der CDU, der SPD sowie des Abgeordneten Wedler (FDP) vom 5. September 2006 (Drucksache 16/1129)

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Böhrnsen.

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erster erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bremische Bürgerschaft befasst sich heute Morgen mit dem inzwischen weltweit bekannten Fall, dass ein leer stehendes Hotel in unserer Nachbargemeinde Delmenhorst von einem bekennenden Neonazi, Herrn Rieger, gekauft und in ein Schulungszentrum der NPD, der Rechtsextremen insgesamt, umgewandelt werden soll.

Vielleicht hat sich der eine oder andere gefragt, warum sich Bremen und das bremische Parlament mit dieser Angelegenheit beschäftigen, ob das nicht Sache Delmenhorsts ist und wir hier nicht darüber hinwegsehen könnten. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall, und ich bin sehr froh, dass die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordnete Wedler der FDP diesen Antrag hier gemeinsam einbringen, denn wer glaubt denn wirklich, dass, wenn direkt an unserer Stadtgrenze – die Städte grenzen aneinander – in Delmenhorst ein so großes Schulungszentrum der Neonazis installiert wird, es keine Auswirkungen für uns hier in Bremen und Bremerhaven haben könnte? Selbstverständlich hat das ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sogar ganz massive Auswirkungen, und darüber wollen wir heute reden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Natürlich haben Rechtsextreme in den großen Städten, vor allen Dingen in Westdeutschland, bisher relativ große Schwierigkeiten, Fuß zu fassen. Hier in Bremen haben wir es anlässlich der Debatte der geplanten NPD-Demo in Gröpelingen erlebt, dass alle demokratischen Kräfte, weit über das Spektrum dieses Hauses hinaus bis hinein in die ganze Stadt, zusammenstehen, um dies zu verhindern. Also, was ist die Strategie? Man versucht, sich auf dem Land – Delmenhorst ist zwar auch eine Stadt, aber etwas kleiner als Bremen –, im Umland von Bremen festzusetzen, um von dort aus – und das ist schon seit längerem zu beobachten – nicht nur dieses Umland zu bearbeiten, sondern auch in die Stadt Bremen, nach Bremerhaven hineinzuwirken. Es ist doch klar, dass wir hier in Bremen vor allen Dingen bei der sehr aggressiven Propaganda, die von dieser Seite gemacht wird, um Jugendliche zu gewinnen, äußerst wachsam sein und diesem von Anfang an einen Riegel vorschieben müssen, dass ein solcher Stützpunkt der Rechtsextremen ganz direkt in der Nachbarschaft von Bremen entsteht, meine Damen und Herren.

Ich hatte gesagt, weltweite Aufmerksamkeit. Wenn Sie sich einmal die Internetseite des Bündnisses in Delmenhorst anschauen, können Sie dort auch Presseund Fernsehberichte aus Singapur, Malaysia, Kanada und den USA ansehen. Die ganze Welt schaut auf Delmenhorst, aber es wird auch immer gesagt, Delmenhorst bei Bremen, denn Bremen ist in der Welt natürlich durch den Handel und viele andere Dinge – Werder Bremen wahrscheinlich auch – ein bekannter Name, und deswegen sind wir in dieser ganzen negativen Öffentlichkeit, die dieser Fall hervorgerufen hat, in Bremen direkt mit betroffen. Heute soll hier aus diesem Parlament ein Zeichen kommen, dass wir uns, zusammen mit den Menschen in Delmenhorst, ganz entschieden gegen diese Versuche wehren, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Das Gute an dem, was dort in Delmenhorst passiert – Sie kennen die Einzelheiten, die sich um diesen Kauf ranken, weil sie in der Presse ja sehr ausführlich beschrieben worden sind –, ist, dass die ganze Stadt Delmenhorst, nicht etwa nur die politischen Parteien, sondern wenn Sie sich einmal die Liste der Unterstützer anschauen, die Malerinnung, der Kleingartenverein, die Sportvereine, es ist wirklich so, dass es keine politische Veranstaltung ist, sondern tatsächlich die ganze Stadt Delmenhorst sich gegen den Versuch der Rechtsextremen, diese Stadt zu missbrau

chen, wehrt. Das ist ganz hervorragend, weil wir so eine sehr gute Chance haben, diese Versuche auch zurückzuweisen, meine Damen und Herren.

Es ist nicht so, dass wir nicht noch einen anderen Bezugspunkt zu diesen Vorgängen hätten, und der sitzt hier im Parlament, leider schon relativ lange. Es ist der Abgeordnete Tittmann der DVU, der hier manchmal so tut, als ob er mit all diesen Dingen nichts zu tun hätte. Er redet über viele Themen, versucht sich hier so ein bisschen als Anwalt der kleinen Leute und Rechtspopulist und tut so, als ob er mit der NPD, mit den Neonazis nicht zu tun hätte. Deswegen möchte ich gern, mit Genehmigung des Präsidenten, auf etwas hinweisen und auch zitieren.

Herr Tittmann ist am 5. August dieses Jahres in Dresden bei der größten Veranstaltung der Neonazis, die es überhaupt gibt, nämlich das Pressefest der NPD, aufgetreten. Neben dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, dem sächsischen Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel und eben jenem Neonazi Rieger, der jetzt in die NPD eingetreten ist und das Hotel in Delmenhorst kaufen will, ist Herr Tittmann von der DVU als der Hauptredner auf dieser Veranstaltung der Neonazis aufgetreten, und ich glaube, das ist ein weiterer Grund, um uns hier sehr deutlich gegen diese Bestrebungen und auch gegen seine Rolle in dieser ganzen neonazistischen Szene auszusprechen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Damit Sie einen Eindruck haben, auf welchen Veranstaltungen Herr Tittmann von der DVU denn so auftritt und wo er vielleicht ein bisschen anders redet als hier manchmal im Parlament – obwohl es hier natürlich auch manchmal zum Vorschein kommt –, darf ich mit Genehmigung des Präsidenten einige Zitate aus dem Bericht von dieser Veranstaltung zitieren. Da heißt es unter anderem, der Hauptredner ist, wie gesagt, Herr Tittmann: „Im geistigen Zentrum der Veranstaltung stand auch diesmal der Wille, über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg in deutschen Landen eine starke Opposition zu schaffen, Abkehr von Schurkenstaaten wie die USA und Israel, Austritt aus Völker verachtenden Gemeinschaften wie Nato und EU.“ Man höre und staune!

Da waren unter anderem die spanische Falange und die französische Front National vertreten, und auch, jetzt kommt ein weiteres Zitat, „Herbert Schweiger aus der neutralen Ostmark“ – für diejenigen, die es nicht wissen, damit ist Österreich gemeint – „war wiederum als ein Vertreter der Erlebnisgeneration erschienen“. So nennen sie die Menschen, die sich im Dritten Reich schuldig gemacht haben. „Sein freiwilliger Eintritt in die Waffen-SS steht für seinen Idealismus.“ Auch das kann man dort nachlesen.

Lassen Sie mich ein letztes Zitat von dieser Veranstaltung bringen, weil wir hier auch immer über

die ganz wichtige Aufgabe der Bildung von Kleinkindern, Kindergarten, Schule, gute Ausbildung und unsere Sorge um die Zukunft der jungen Menschen reden! Lassen Sie mich zitieren, was dort auf dieser Veranstaltung darüber gesagt wurde – Herr Tittmann wird hier vielleicht nachher noch einmal sagen, welche Rolle er dabei gespielt hat –, wie die Erziehung der jungen Menschen gesehen wird: „Im Gegensatz zum derzeitigen liberalkapitalistischen System, in dem Kleine, Heranwachsende möglichst ab drei Jahren mit Vorschule, Computertechnik und Fremdsprachen überfrachtet und so frühzeitig auf Sklavendienste für die Globalisten vorbereitet werden, steht das nationale Lager weiter für den ewig gültigen Wert einer kindgerechten Erziehung.“

Das ist der Geist, den auch Herr Tittmann predigt – auch wenn er hier manchmal ein bisschen anders tut, auch wenn er in Bremerhaven sehr volkstümlich auftritt –, das ist der neonazistische Geist, den Herr Rieger in Delmenhorst predigen will, den Sie in Bremen und Bremerhaven predigen, und ich kann Ihnen sagen, wir werden diesmal noch verstärkter mit allen politischen Kräften in der Wahl im nächsten Mai dafür sorgen, dass Sie dies hier in Bremen und Bremerhaven nicht mehr verbreiten können, Herr Tittmann!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Herr Tittmann ist, was viele Leute in Bremerhaven und in Bremen nicht wissen, ein führendes Mitglied – er hat es hier wieder bei dieser Veranstaltung gezeigt – einer Szene, die sich radikalisiert und immer aggressiver wird, die in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin Wahlkampfstände der demokratischen Parteien überfällt, die Menschen zusammenschlägt, die auf der Straße Wahlkampf machen wollen, die menschenverachtenden Ideologien nachhängt und die den Nationalsozialismus wiederhaben möchte. Es wird uns, hoffe ich, dieses Mal gelingen, Herrn Tittmann und seinen Wählern vor Augen zu führen, dass derjenige, der Herrn Tittmann wählt, Neonazis, Aggressionen und Rückschritt wählt und dass er und seine Freunde, die in Delmenhorst mit dem Versuch, sich dort festzusetzen, auch scheitern werden, dem geballten Widerstand aller demokratischen Kräfte entgegensehen werden.

Ich glaube, dass diese Resolution der Bremischen Bürgerschaft heute, hinter der alle Abgeordneten der drei Fraktionen und Herr Wedler stehen, ein sehr gutes Zeichen ist. Wenn Sie auf die Liste der Unterstützer schauen, sind dort Bürgermeister, Senatoren, viele Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende, da sind sehr viele Menschen aus Bremen, aber auch viele einfache Bürger, die sich mit Delmenhorst solidarisieren. Die Bremische Bürgerschaft tut sehr gut daran, dies heute auch zu tun, und ich glaube, dass, wenn so viele Menschen zusammenstehen, es gelingen wird, die

sen Versuch von Herrn Rieger und der neonazistischen Szene, hier in der Region Fuß zu fassen, zu verhindern. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Focke.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei diesem Thema, bei dem wir uns ja alle einig sind – jedenfalls die demokratischen Parteien hier in diesem Hause –, wird es jetzt natürlich auch das eine oder andere Mal zu Wiederholungen oder Überschneidungen kommen, und ich möchte nicht all das wiederholen, was Herr Dr. Güldner gesagt hat.

Mit dieser Entschließung wollen wir uns mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Nachbarstadt Delmenhorst solidarisch erklären, und mit dieser Entschließung und mit diesen Bürgerinnen und Bürgern sind wir der Meinung, dass Rechtsextreme keinen Platz in unseren beiden Städten haben dürfen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir wollen nicht, dass die Nationalsozialisten ein Hotel in Delmenhorst kaufen, um ein rechtsextremistisches Schulungszentrum zu errichten. Was ist das wohl für ein Schulungszentrum, das da entstehen soll? Gerade in den letzten Tagen erleben wir in den Wahlkämpfen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, was in diesen Kaderschmieden gelernt wird. Pöbeleien, Einschüchterungsversuche mit Gewaltandrohung, Gewalt an Personen und Sachen, dies ist dort in den letzten Tagen alles verübt worden und vorgekommen – Herr Dr. Güldner hat es schon gesagt –, und das, meine Damen und Herren, verurteilen wir aufs Schärfste! Diese Aktionen zeigen, dass diese Leute kein Interesse an einer demokratischen Auseinandersetzung haben.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Im Gegenteil, sie wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung zerstören und abschaffen, und das können und dürfen wir uns nicht gefallen lassen und wollen es deswegen auch nicht hinnehmen!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Wir begrüßen es daher sehr, dass sich in Delmenhorst ein breites Bündnis aller gesellschaftlichen Gruppen gebildet hat und Maßnahmen eingeleitet wurden, um den Verkauf des Hotels zu verhindern. Ich muss sagen, ich bin persönlich sehr beeindruckt davon, wie viele Leute sich dort zusammengefunden haben und wie schnell sie auch praktisch reagiert haben, als die Stadt nicht weiterkam oder nicht mehr wusste, was sie machen sollte, mit 800 000 Euro oder jetzt sogar noch mehr, in kürzester Zeit gesammelt, um eben der Stadt zu helfen, dieses Objekt zu erwerben, um zu verhindern, dass es in rechtsradikale Hände gerät. Also, ich bin sehr beeindruckt, und ich finde, wir sollten auch von dieser Stelle noch einmal an den Hotelbesitzer appellieren, dass er auf keinen Fall auf die Machenschaften dieser Leute hereinfällt und jetzt weiter mit ihnen verhandelt, sondern dass er versucht, mit der Stadt eine anständige Lösung zu finden. (Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Delmenhorster stehen auch überhaupt nicht allein. Es haben in der ganzen Region Bremen/Oldenburg mittlerweile über 30 Bürgermeister auch ein breites Bündnis gegen die Rechtsextremisten gebildet und haben sich an den Hoteleigentümer gewandt, haben ihn gebeten, von einem solchen Verkauf abzusehen. Es ist über die Region hinaus übergreifend eine Solidarität entstanden, die ist angesprochen worden, Herr Dr. Güldner hat sogar gesagt weltweit, das ist wahrscheinlich nicht ganz so,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Doch, doch!)

gut, es sind wahrscheinlich Klicks gekommen. Weltweit wird das Interesse nicht so groß sein, aber national ist das Interesse bestimmt groß. Wir können uns solche Diskussionen auf Dauer, über lange Zeit nicht leisten, weil sie imageschädigend sind und weil wir es auch verhindern müssen, dass sich solche Leute hier niederlassen können.

Wir geben mit dieser Entschließung jetzt praktisch unsere Solidarität zum Ausdruck. Wir können nicht viel Praktisches machen, wir können uns nur solidarisch erklären, einen Appell richten und hoffen, dass eine Lösung gefunden wird, die diese Art von Schulungszentren in Delmenhorst verhindert. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Sieling.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! 5500 Menschen ha

ben mittlerweile diesen Aufruf in Delmenhorst unterschrieben. Ich glaube, was noch wichtiger ist, 900 000 Euro sind durch die Spenden zusammengekommen, um zu gewährleisten, dass ein solcher Verkauf dieses Hotels nicht stattfinden kann.

Ich finde, wenn wir heute hier nahezu einstimmig diese Resolution beschließen werden, dann bringen wir einen Stolz zum Ausdruck. Ich will sagen, wir können gerade als Bremerinnen und Bremer stolz darauf sein, wie sich die Delmenhorster organisieren und wie es hier auch unterstützt worden ist, denn das ist der zentrale Punkt in der Auseinandersetzung mit diesen neonazistischen Kräften, dass man Zivilcourage zeigt, dass man die Sachen in die Hand nimmt, sich nicht scheut, sein Gesicht zu zeigen, dagegen aufzutreten und eben am Ende sogar, und das haben viele Menschen gemacht, mit Geld hier einzutreten.

Diese Region Bremen, wir hier in Bremen, aber vor allem die Delmenhorster wollen nicht, dass dort solche Schulungszentren entstehen. Dafür stehen wir hier in der Bremischen Bürgerschaft. Wir sind stolz auf das, was dort an bürgerschaftlichem Engagement stattfindet, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde, das ist die erste Bedingung, wenn man diesen Kräften entgegentritt, diese Frage von Zivilcourage und bürgerschaftlichem und politischem Engagement.