Carsten Sieling
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Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte diese Aktuelle Stunde nutzen, ein weiteres Mal für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und eine aktive Rolle unseres Bundeslandes hierbei zu werben. Ich weiß, uns Sozialdemokraten wird unterstellt, wir hätten das Thema erfunden, um Wahlkampf zu machen.
Richtig aber ist, Herr Perschau, das Thema braucht doch überhaupt nicht erfunden zu werden. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es in vielen europäischen Ländern, in den USA und auch anderswo. Richtig ist ebenso, mehr als zweieinhalb Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für Armutslöhne, für zwei, drei Euro die Stunde. Jedes zweite Kind lebt in Deutschland in einer solchen sogenannten Working-poor-Familie. Das zerstört Bildungschancen, ja, Lebenschancen dieser jungen Menschen. Das ist unwürdig, und das ist unmoralisch für ein so reiches Land wie Deutschland.
Das wollen wir ändern, meine Damen und Herren! Darum haben auch wir hier in Bremen in einem Bundesland die Aufgabe, eine Initiative zu ergreifen, übrigens zu einem Thema, das in Deutschland seit vielen Monaten diskutiert wird, wo allerdings die politische Lage verstellt ist: Gewerkschaften gegen Arbeitgeber, SPD gegen CDU. In dieser Situation hat Bürgermeister Böhrnsen
eine Bundesratsinitiative vorgeschlagen, um an dieser Stelle dieses soziale Problem anzugehen und eine aktive Rolle des Landes Bremen zu ergreifen. Ich finde, wir sind ein selbstständiges Bundesland, und wir haben ein gutes Recht, und wir sollten diese Aufgabe wahrnehmen, aktiv in solchen Dingen vorzugehen, weil das wichtig ist auch dafür, welches Renommee wir haben als aktives, soziales Bremen und auch als echtes, aktives, soziales Bremerhaven, meine Damen und Herren.
Diese Initiative hat ja aufgebaut, und von daher gab es eine gewisse Erwartung, denn einige Tage vorher hatte Senator Röwekamp ein Gespräch, wie wir jetzt alle in diesen Tagen haben, mit einer Reihe, ich glaube, von 40 Betriebsräten, und man liest hoffnungsfroh, am 14. März war das, ein Öffnungssignal. Man las
ein Öffnungssignal, muss ich sagen, denn ich rede hier über die Vergangenheit. In der CDU-Presseerklärung steht: Arbeit muss sich wieder lohnen, sagt Herr Röwekamp. Wer arbeitet, muss mehr erhalten als staatliche Transferleistungen. Es ist legitim, über einen gesetzlichen Mindestlohn zu diskutieren, und genau das machen wir, aber wir wollen ihn auch anstreben.
Dann kam die Stunde der Wahrheit, die Senatssitzung, und die war eher geprägt von Enttäuschung. Herr Röwekamp, Sie und Ihre CDU-Kollegen im Senat haben an der Stelle schlicht und einfach gekniffen! Weg war das soziale Mäntelchen, das Sie sich seit Monaten umlegen. Der Ladenhüter Kombilohn wurde präsentiert, dann gab es neue Etiketten für das Thema Mindestlohn, und stattdessen heißt es dann Mindesteinkommen. Meine Damen und Herren, wenn man Wohlstand und Gerechtigkeit will in Deutschland und wenn man das will auch für Bremen und Bremerhaven, dann ist dies der falsche Weg. Ich erwarte, dass Sie hier sich läutern und dem, was Sie an Worten sagen, auch Taten folgen lassen!
Nun gibt es Gegenargumente, und ich will hier in dieser Aktuellen Stunde auf drei eingehen. Das erste ist, dass die CDU sagt, der Mindestlohn ist ein Eingriff in die Tarifautonomie. Richtig aber ist, es gelten natürlich weiter in erster Linie tarifliche Lösungen. Wo es aber keine Tarifverträge gibt, da haben wir doch Handlungsbedarf, und wo wir mittlerweile Tarifverträge haben, in denen geradezu sittenwidrige Abschlüsse getätigt wurden, da hat doch ein sozialer Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland Handlungsbedarf. Ich weise darauf hin, allein in Westdeutschland sind nur 68 Prozent der Beschäftigten in einem Tarifvertragsbereich tätig, in Ostdeutschland sind es nur 53 Prozent. Wer darauf pocht, dies sei ein Verstoß gegen oder ein Eingriff in die Tarifautonomie, der hat die soziale Wirklichkeit nicht erkannt, und der glaubt nicht, dass man hier anfassen muss. Wir sind der Auffassung, hier muss man aktiv werden.
Das zweite Argument, das ich höre: Der Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze! Richtig ist doch, in 20 von 27 Mitgliedstaaten der EU haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn, und richtig ist auch, dass dort sehr häufig die Arbeitslosigkeit niedriger ist als in Deutschland. Man kann also nicht sagen, dass Mindestlohn Arbeitsplätze gefährdet. Man könnte sagen, Mindestlohn sichert Arbeitsplätze, meine Damen und Herren!
Dann kommt das Argument wahrscheinlich mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Da will ich doch noch einmal darauf hinweisen, dass wir das
Problem der schlechten Entlohnung in vielen Dienstleistungsbereichen haben. Die sind nicht exportierbar. Vizekanzler Müntefering hat dieses wunderbare Beispiel am Sonntag in einer Veranstaltung gebracht, dass man wohl kaum, wenn der Friseur einen höheren Lohn zahlt, zum Friseur nach Krakau fährt. Oder, Herr Röwekamp, würden Sie dies tun? Nein! Das ist offensichtlich, viele Dienstleistungen sind nicht – –.
Herr Röwekamp ist vielleicht das beste Beispiel, weil er ein geschätzter Reisesenator ist, der schon einmal in Kanada oder woanders auf NATO-Tagungen sehr regelmäßig ist, aber trotzdem, ich glaube, auch dort in Kanada gelten Mindestlöhne. Von daher kommen Sie dort nicht billiger weg, Herr Röwekamp! Dieses Argument der Arbeitsplatzvernichtung und der -gefährdung ist Unsinn.
Dann komme ich zu der Empfehlung der CDU, die heißt Mindesteinkommen! Mindesteinkommen soll dann bedeuten, dass der Staat die Lohndifferenz bis hoch zu einem gewissen Niveau subventioniert. Das, meine Damen und Herren, ist abenteuerlich! Sie wollen, das muss man so deutlich sagen, offensichtlich in Deutschland Lohnzahlung sozialisieren. Das ist ja völlig neu! Ich bin der Auffassung, wir brauchen das knappe öffentliche Geld für Arbeit, Bildung, Infrastruktur und Schuldenabbau. Wir haben keine Zeit, Geschenke zu verteilen, und wir haben keine Zeit und kein Geld dafür, weil am Ende – das kennen wir aus der Steuerpolitik – dann die Arbeitnehmer wieder die Zeche zahlen. Deshalb ist dies der falsche Weg, wir werden ihn nicht mitgehen. Mindesteinkommen ist eine Etikette, die nicht tragfähig ist. Ringen Sie sich durch zum Mindestlohn! Machen Sie an der Stelle eine Bewegung!
Aber vielleicht komme ich mit meinem Appell ja gar nicht weiter, denn ich habe gewagt, einen Blick in den Wahl-O-Mat zu werfen und in die Antworten, die im Wahl-O-Mat gegeben werden, und da kommt es ja dann – –.
Der Wahl-O-Mat ist dieses schöne internetgestützte, Herr Kollege, Angebot der Landeszentrale für politische Bildung und anderer. Dort kann man ja nachlesen, was die Parteien zu gewissen Aufgaben sagen, und ich finde, da kommen Gesellschaftsbilder heraus. Unser Modell mit dem Mindestlohn ist ein solidarisches Gesellschaftsmodell, und das gilt auch für andere Bereiche. Ich habe dort gelesen, dass zu der These oder zu der Fragestellung, ob sich Bremen für die Lockerung des Kündigungsschutzes einsetzen soll, Herr Röwekamp und Herr Perschau, die CDU Ja
gesagt haben. Sie plädieren dafür, dass Bremen und Bremerhaven sich einsetzen für die Lockerung des Kündigungsschutzes. Sie sind in Gemeinschaft mit der FDP. Das ist ein anderes Gesellschaftsmodell, das wollen wir nicht! Da wird dann sichtbar, dass Sie den Mindestlohn offensichtlich aus ideologischen Gründen ablehnen, weil Sie einen solchen Kahlschlag wollen. Wir gehen diesen Weg nicht mit. Wer den Kündigungsschutz abbaut, das haben wir, glaube ich, schon bei der Bundestagswahl 2005 mit den Vorschlägen des Professors aus Heidelberg austragen müssen, das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren,
den werden wir nicht mitgehen!
Ich fordere Sie auf: Bleiben Sie dabei, was Bremen und Bremerhaven ausmacht: eine soziale Architektur! Machen Sie mit bei dem, was wir wollen, ein AlleMann- und Alle-Frau-Manöver für soziale Gerechtigkeit in diesem Lande! Ich sage Ihnen: Das gilt erst recht ab dem 14. Mai. Dann wird eine Regierung in die Richtung arbeiten müssen. Dann wird auch das Thema Mindestlohn nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!
Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich bedanke mich bei der CDU-Fraktion, dass sie zum Ende gekommen ist. Das Erste und Erfreuliche ist ja durchaus, Herr Röwekamp, dass Sie sich hier zur Tarifautonomie bekennen.
War nie anders, das ist sehr schön in dem Zusammenhang! Aber Tarifautonomie ist natürlich mehr als die Tatsache, dass sich da vielleicht zwei an einen Tisch setzen und etwas autonom verhandeln, sondern es gab einen wichtigen Hinweis auf die Anerkennung der Tarifverträge als allgemein verbindliche Tarifverträge.
Ich freue mich über diese Wendung, ich finde nur, sie hätte früher kommen können. Wir haben hier vor
zwei Monaten, Herr Röwekamp, diskutiert und beschlossen, dass wir das Ladenschlussgesetz verändern. In dem Zusammenhang sind wir auf Sie zugekommen, auf die CDU-Fraktion, und haben gesagt, es kommt darauf an, damit wir dort die Lohnbedingungen sichern, dass die Allgemeinverbindlichkeit realisiert wird und dass wir diesen Weg gehen und das verpflichten. Dazu hat es eine Ablehnung gegeben. Da hätte ich Ihren mutigen, starken Vortrag gern gehört und hätte gesagt, die CDU-Fraktion macht das mit. Heiße Luft war das! Nichts kam an der Stelle, als es zum Schwur kam!
Ich finde, der Hinweis, das macht doch alles deutlich, wenn wir hier den Vergleich aufmachen zu den anderen Ländern, in denen es natürlich Mindestlöhne gibt, und in denen es auch freie Gewerkschaften gibt, wenn Sie dann kommen mit Bulgarien: Sie haben versucht zu relativieren, aber ich muss sagen, das ist hochgradig lächerlich. Das, finde ich, macht Ihren ganzen Zynismus in dieser Frage deutlich.
Statt ernsthaft darüber zu reden, wo wir in vergleichbarer Höhe sind! Dann ist man natürlich an der Stelle, dass man darüber reden muss, dass wir in Europa gemeinsame Standards brauchen, dass wir sozusagen Untergrenzen brauchen. Darum geht es doch in der politischen Auseinandersetzung.
Ich will in dem Zusammenhang zu dem Thema, zu dem Sie sich lange ausgelassen haben – Verhandlungen, Tarifautonomie –, hier an dieser Stelle nur sagen: Dieser Umgang mit den Gewerkschaften und mit der Situation ist entweder absichtlich oder von Naivität und ökonomischer Unkenntnis geprägt. Es ist doch so, dass wir in vielen Bereichen aufgrund des Lohnabbaus der letzten Jahre und Jahrzehnte in einer Situation sind, dass die Gleichberechtigung gar nicht mehr, die Gleichrangigkeit, die Waffengleichheit, geboten ist, sondern die Erpressbarkeit der Gewerkschaften riesig geworden ist. Das wollen wir verhindern, darum eine Untergrenze, darum Mindestlohn. Das ist Sicherung der Tarifautonomie!
Herr Röwekamp, eines finde ich gut: dass Sie auf die Fahrt heute Nachmittag, die Bürgermeister Böhrnsen macht, hinweisen, auf den Weg, den er hin zu den Menschen macht. Jens Böhrnsen hat hier Herrn Perschau schon eingeladen zuzusteigen. Ich kann natürlich keine weiteren Einladungen aussprechen, die der Bürgermeister wahrnimmt, aber ich bin sicher, Herr Röwekamp, wenn auch Sie einmal zu den
Menschen gehen wollen, Sie sind herzlich eingeladen mitzufahren und sich das anzuschauen,
wie die Verhältnisse hier sind, oder selbst eine solche Fahrt zu organisieren. Machen Sie das! Aber Herr Röwekamp kann doch – Herr Focke, regen Sie sich doch nicht auf! –, Herr Röwekamp könnte doch einmal diesen Weg gehen und könnte sich die Arbeitsverhältnisse und die Lebensverhältnisse anschauen, anstatt hier zu polemisieren, dass die Linkspartei 50 Cent mehr will.
Meine Damen und Herren, bewegen Sie sich an der Stelle, gehen Sie den Weg mit, den wir hier vorgezeichnet haben! – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sehen darin, dass dieses Haus doch keinesfalls eine Modernitätslücke hat. Die CDU hat die Technik auf dem Tisch stehen, und die SPD weiß, wie man damit umgeht.
Da sind wir, glaube ich, auf einem ganz guten Wege. Der Senat schweigt dazu, jedenfalls in der Sache.
Zur Unternehmenssteuerreform ist es so, meine Damen und Herren, dass die anstehende Entscheidung über diese Unternehmenssteuerreform in Deutschland einerseits in der Tat durch eine Harmonisierung der Besteuerungsgrundlagen gerade im europäischen Kontext Wachstum ankurbeln und damit den Standort stärken muss. Andererseits, und das ist mindestens gleichgewichtig, muss in der Tat gewährleistet werden, dass die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte und die Stabilität der Staatseinnahmen, und zwar auf allen Ebenen, gewährleistet bleibt.
Für diese jetzt vorgelegten, der Kollege Pflugradt sprach das an, Steuerreformpläne im Kabinett spricht, dass die jetzige Regelung der Unternehmenssteuerreform Anreize für eine Versteuerung in anderen Ländern bietet und damit auch die Verlagerung von Ar
beitsplätzen unterstützt. Die derzeitige Spreizung, und das ist ein wichtiger Punkt, von nominalen und damit theoretisch gerechneten Steuersätzen und den realen und somit wirklich gezahlten Steuern fällt für Unternehmen in Deutschland extrem auseinander.
Um Jahr für Jahr zu erreichen, dass die reale Steuer, die gezahlt wird, niedriger liegt als das, was der immer zitierte Steuersatz ist, beschäftigen die großen Firmen mittlerweile ganze Finanzabteilungen, nur um Vermeidungsstrategien herauszufinden, statt sich mit Investitionsentscheidungen zu befassen. Sie beschäftigen Heerscharen an Steuerberatern und nicht zuletzt auch unsere Finanzämter. Dieser Unsinn, darum geht es bei der Steuerreform, muss beseitigt und beendet werden, meine Damen und Herren.
In der politischen Debatte darum, wie sie aufzubauen ist, gehen allerdings die Fakten munter durcheinander, beziehungsweise es werden auch wichtige Tatsachen unterschlagen. Ich will das an zwei Punkten festmachen: Die Unternehmenseinkünfte in Deutschland sind seit dem Jahr 2000 steuerlich erheblich entlastet worden. Das sind jetzt die Früchte, die die neue Koalition auf Bundesebene ernten kann. Das ist das Ergebnis der Politik der rot-grünen Bundesregierung,
die die mit der Steuerreform im Jahre 2000 verschiedene Maßnahmen ergriffen hat, unter anderem die Senkung des Spitzensteuersatzes. Das allerdings ist durchaus schon kritisch diskutiert worden!
Ich will auf einen wichtigen Fakt hinweisen, den wir bei dieser Debatte brauchen. Diese Steuerreform hatte nämlich ein Ergebnis: In dem Zeitraum von 2001 bis 2005 sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen insgesamt um 106 Milliarden Euro gestiegen, das ist ein Plus von 25 Prozent. Die darauf gezahlten Steuern sanken allerdings um 16 Milliarden Euro, das sind 13 Prozent weniger. Fazit: Es hat also in den letzten Jahren schon eine kräftige Nettoentlastung des Unternehmenssektors stattgefunden, das muss man bitte würdigen.
Darauf baut auch der zweite Fakt auf, meine Damen und Herren. Im europäischen Vergleich stehen wir nicht so schlecht dar wie behauptet und wie auch gerade Kollege Pflugradt wieder dargelegt hat. Man darf nämlich nicht auf die nominalen Steuersätze schauen und von den 38,65 Prozent reden, sondern man muss die effektive Gesamtsteuerbelastung betrachten. Hier hat Deutschland eine eher mittlere Position. Dafür gibt es auch gute Belege: Wir sind seit Jahrzehnten Exportweltmeister. Ich frage: Wie will man das schaffen, wenn man ein wirtschaftlich geknebelter Standort wäre?
Der weitere Beleg ist die aktuelle wirtschaftliche Lage. Wir haben natürlich eine gute Konjunktur und
erstmalig seit langem wieder eine Schaffung echter Arbeitsplätze in Deutschland. Wenn die Steuerlast für die Unternehmen so wäre, dass sie alle zusammenbrechen würden, wäre das nicht passiert. Von daher ist diese Überlastung der Unternehmen ein Ammenmärchen. Das alles, Herr Pflugradt, passiert vor dieser Unternehmenssteuerreform, das heißt, der Standort Deutschland sollte auch steuerpolitisch bitte nicht schlechtgeredet werden, meine Damen und Herren!
Vor dem Hintergrund der vorgelegten Pläne zur Steuerreform ist es umso wichtiger, und ich warne angesichts dessen davor, dass jetzt mit Forderungen einzelner Teilgruppen versucht wird zu überziehen. Ich finde, über kluge Änderungen können wir immer reden. Aber ich verweise darauf, und, Herr Pflugradt, Sie wiesen darauf hin, dass diese Steuerreform vor allem den Mittelstand entlasten soll. Das höre ich hier gern! Im Bundeskabinett allerdings hat der CSUBundeswirtschaftsminister Glos gesagt, er sehe eine Mittelstandslücke, und auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion redet so daher und will noch etwas darauf legen und will weitere Entlastungen für den schon entlasteten Unternehmenssektor haben. Das geht nicht, meine Damen und Herren. Das wäre eine falsche Politik und eine Gefährdung dieser Reform und dieser Reformvorschläge.
Ich bin der Auffassung, wir sollten weiter über die Ziele der Schaffung von Wachstum und Arbeit sprechen. Wir sollten aufpassen, dass wir kluge Vorschläge machen und nicht nur Vorschläge, die am Ende, auch in dem vorgelegten Entwurf, nur dazu führen, dass Leute wie der Automobilrennfahrer Schumacher, aber auch der Tennisspieler Becker, aber auch Firmen wie Müller-Milch ins Ausland gehen. Um dies bei den Firmen zu begrenzen, hat Bundesfinanzminister Steinbrück den Vorschlag unterbreitet, gerade mit einer Besteuerung der Schuldzinsen und damit bei den Gegenfinanzierungsmaßnahmen einen wichtigen Punkt anzugehen.
Herr Pflugradt, ich möchte einmal ein klares Wort von Ihnen hören. Das ist ein richtiger Vorschlag, der wird von CDU/CSU auf Bundesebene bekämpft, und das, sage ich noch einmal, gefährdet die Reform im Kern, wenn eine solche Diskussion geführt wird, meine Damen und Herren.
Das waren jetzt die wirtschafts-, arbeitsmarkt- und steuerpolitischen Seiten des ganzen Themas. Wir haben aber auch, und ich finde, das muss gleichgerichtet betrachtet werden, neben diesen Anforderungen an eine politisch tragfähige Unternehmenssteuerreform zu klären, wie die Wirkungen auf die öffentlichen Fi
nanzen und insbesondere die Staatseinnahmen sind. Ich verweise darauf, dass hier noch ein riesiges Problem besteht, weil die bisher vorgelegten Vorstellungen eine Einnahmelücke auf Bundesebene für den gesamten Staatsapparat von wahrscheinlich 8 Milliarden Euro, einige reden neuerdings von 6,5 Milliarden Euro pro Jahr, bedeuten. Es gibt auch andere Untersuchungen und Gutachten, die von 10 bis 14 Milliarden Euro ausgehen. Also, hier stehen wir vor einem Problem, welches so nicht gehen kann. Ich sage hier und habe das gemeinsam mit Bürgermeister Böhrnsen verschiedentlich und von Beginn an gesagt: Bremen, meine Damen und Herren, kann sich solche Steuerausfälle nicht leisten.
Wir können einem solchen Gesetz als Bundesland nur zustimmen, wenn es keine Einkommensrückgänge erzeugt, das heißt also, wenn es, wie die Fachleute es nennen, aufkommensneutral ist. Der jährliche, und ich betone es noch einmal, jährliche Einnahmeausfall würde, wenn man auf Bundesebene nur von 6,5 Milliarden Euro ausgeht, das ist die niedrigste Zahl, die da genannt wird, man kann auch die 5 Milliarden Euro nehmen, die ursprünglich einmal vorgesehen waren, dann würde dies Bremen wahrscheinlich mit 30 bis 60 Millionen Euro pro Jahr negativ betreffen. Dazu sage ich: Einen solchen Verlust kann sich Bremen nicht leisten!
Nein, nein!
Nein, nein! Diese Punkte können ja noch genauer betrachtet werden. Aber ich sage hier, Herr Pflugradt,
auch wenn Sie mir erzählen wollen, es seien nicht 30 bis 60 Millionen Euro pro Jahr,
sondern nur die Hälfte, 15 bis 30 Millionen Euro, Jahr für Jahr können wir uns das als Sanierungsland auch nicht erlauben.
Ich finde, das müssen wir endlich einmal lernen! Ich lerne dies auch aus der Steuerreform des Jahres 2000, der wir als Bundesland zugestimmt haben, und hinterher hatten wir mit den Einnahmeausfällen zu tun. Ich appelliere nur an Sie: Wenn Sie für die Selbstständigkeit Bremens stehen, stehen Sie auch an der Stelle deutlich und aufrecht und sagen, dass wir hier nachbessern müssen, dass es eine stabile Einnahmelage geben muss! Dies sind wir unserem Land und den Menschen hier schuldig.
Unter Aufkommensneutralität darf ich auch auf einen zweiten Aspekt verweisen: Es ist Tatsache, dass wir die Lasten in unserem Lande gerecht verteilen müssen. Sie sprachen an, und das ist richtig, dass sich die Steuereinnahmen ausgesprochen positiv entwickeln. Das hat mit den steigenden Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und aus der Lohnsteuer zu tun, das sind Arbeitnehmereinkommen. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass es diesem Land guttäte, weder uns in Bremen noch Deutschland insgesamt, wenn wir eine Politik betrieben, in der Maßnahmen beschlossen werden müssten, die die Arbeitnehmer, die Rentner, die Familien und Studenten belasten, um eine Unternehmenssteuerreform zu finanzieren,
durch die die Unternehmen schon in den letzten Jahren entlastet worden sind. Das wäre eine unsoziale Politik. Ich hoffe, wir haben hier in Bremen eine gemeinsame Haltung, dass wir dies ablehnen.
Drittens darf ich sagen: Wir haben die große Aufgabe, die Staatshaushalte wieder ins Lot zu bringen, und auch deshalb müssen wir auf die Aufkommensneutralität schauen.
Wir haben die Maastricht-Kriterien in Deutschland insgesamt zu beachten und hier in Bremen die Aufgabe, uns und den Haushalt zu sanieren. Dazu reicht es nicht immer, nur „Sparen, Sparen“ zu rufen. Wir müssen uns um die Einnahmensituation kümmern und die Einnahmen stärken. Wir wollen in unserem Bundesland auch etwas für Kinder und für mehr Bildung tun, auch hierfür benötigen wir entsprechende Finanzen. Deshalb bin ich strikt dafür, dass wir uns für Aufkommensneutralität einsetzen, meine Damen und Herren.
Ich muss einen Bezug herstellen. Ich war sehr verwundert, als der Antrag der CDU kam, hier die Unternehmenssteuer zu diskutieren gerade vor dem Hintergrund der Debatte, die wir in diesem Haus vor einem Monat in der Aktuellen Stunde über den UNICEF-Bericht hatten, meine Damen und Herren. Wir haben damals diesen Bericht und die Vorschläge von
Frau von der Leyen diskutiert. Ich hatte Befürchtungen, dass das alles am Ende nicht ordentlich finanziert wird. Die Entwicklung allein der letzten vier Wochen, meine Damen und Herren, gibt mir recht. Die Glaubwürdigkeit ist da doch verloren gegangen, nicht für uns, wir als Sozialdemokraten haben Finanzierungsvorschläge vorgelegt,
aber man muss das auch im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform so diskutieren. Wer die Versorgung für Kinder besser darstellen will, muss dafür auch das Geld besorgen. Ansonsten formuliert er Wunschträume oder, wenn ich mir das erlauben darf zu sagen, das Wahlprogramm der CDU hier im Land Bremen ist ja so etwas wie eine moderne CDUWundertüte in der vorösterlichen Zeit. Wenn ich mir das anschaue, dann wird ein Eindruck erweckt, man könne Wohltaten ausschütten, ohne sich um die Finanzierung zu kümmern, meine Damen und Herren. Das kann nicht die richtige Politik sein. Uns geht es um die Unternehmenssteuerreform für Wachstum und Arbeitsplätze,
aber auch für stabile Staatseinnahmen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich auch nur gemeldet, weil Sie, Herr Kollege Pflugradt, wie Frau Linnert das so schön formuliert hat, sich beim Ringen mit der Konsistenz Ihrer Argumente etwas verfangen haben und dabei leider in den Burggraben gefallen sind. Es ist notwendig, dass in einem solchen Hause die Zahlen nicht über die Stühle und über die Köpfe fliegen. Wenn Sie schon zitieren und den Ab
geordneten Poss zitieren, dann, finde ich, muss das auch richtig geschehen.
Ich nehme Bezug auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Quantifizierung/Auswirkungen der Steuerreform. Sie haben die Behauptung aufgestellt, dass die Länder lange nicht so betroffen seien. Demnach ist es natürlich so, dass der Bund in stärkerer Weise betroffen ist. Ich verweise nur darauf, dass man in der Tat – der Finanzsenator hat darauf hingewiesen – das Ganze über die Jahre betrachten muss.
Im Jahr 2008 kommt es zu Ausfällen in Höhe von 7,9 Milliarden Euro, das sind Regierungszahlen in diesem Zusammenhang, und es gibt weit höhere Prognosen. 2009 6,9 Milliarden, 2010 6,6 Milliarden – Minus immer! –, 2011 4,9 Milliarden, 2012 immer noch 3,3 Milliarden! Ich bin ganz auf der Seite des Finanzsenators, wenn er die Hoffnung formuliert, dass 2015 endlich die Null erreicht ist. Das dauert mir aber zu lange, und auch das können wir uns nicht erlauben.
Herr Kollege Pflugradt, ich mache mir auch Sorgen um den Bund. Ich bin hier auch als Landespolitiker in einer Verantwortung für die Bundespolitik.
Die rechte Seite des Hauses höhnt da nur, da sind die Sorgen geringer ausgeprägt. Die Länder jedenfalls verlieren im Jahr 2008 2,9 Milliarden, im Jahr 2009 2,78 Milliarden, im Jahr 2010 2,8 Milliarden, im Jahr 2011 2,1 Milliarden und im Jahr 2012 1,5 Milliarden Euro. Die Gemeinden sind auch negativ betroffen. Erst im Jahr 2012 kommen bescheidene 46 Millionen Euro plus. Ich sage Ihnen nur, wenn Sie 2,9 Milliarden nur für die Länder nehmen, dann sind Sie genau auf Bremen heruntergerechnet bei der Regel von einem Prozent bei 30 Millionen Euro Ausfall. Das ist der Punkt, den wir uns nicht erlauben können.
Bitte argumentieren Sie konsistent, verheddern Sie sich bitte auch an der Stelle nicht! Das ist der zweite und der viel wichtigere Punkt! Hier Peer Steinbrück zu zitieren mit genau den wichtigen Elementen der Reform, nämlich die Abschreibungsmöglichkeiten zurückzunehmen, die Zinsschranke einzuführen, Senator Nußbaum hat hier die notwendigen Ausführungen dazu gemacht. Die Frage der Funktionsverlagerung anzugehen und so weiter, das führt dazu, dass diese Unternehmenssteuerreform ein gutes Werk werden kann. Darum ist es auch richtig, diesen Weg weiterzugehen und die Beratung in die Richtung weiterzuführen.
Aber Sie führen hier Argumente für die Reform an, die leider von Ihren Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene bekämpft wird. CDU, CSU mit Herrn Glos und Herrn Meister stehen da und polemisieren gegen die Zinsschranke, gerade gegen die Elemen
te, die diese Reform vertretbar und am Ende auch finanzierbar machen. Deshalb bin ich der Auffassung, da sollten wir gemeinsam herangehen! Ich würde mich freuen, wenn die Bremer CDU hier auf den richtigen Pfad käme und wir damit nicht erst Verluste in Kauf nehmen müssten, sondern gemeinsam ordentlich voranmarschierten, das wäre vernünftiger! Leider konnte ich das Ihren Worten hier nicht entnehmen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Tittmann, Ihnen fehlt leider auch zu diesem wichtigen Thema die notwendige Sachkenntnis, und darüber hinaus, und
das ist viel schlimmer, fehlt Ihnen die moralische Ausstrahlungskraft, der es bedarf, um ein solches Thema zu behandeln.
Zynismus reicht nicht, Zynismus können wir nicht gebrauchen und entspricht auch nicht dem, was für dieses Haus angemessen wäre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die UNICEF-Studie zeigt die politische Dimension, die sich aus der Lage der Kinder, der Familien, aber auch von Bildung, Erziehung und Betreuung im Lande Bremen ergibt. Ich finde, Frau Linnert, da gebe ich Ihnen völlig recht, wir müssen uns auch als Koalition, als jede einzelne Fraktion hier in Bremen, auch daran messen lassen, was erreicht wurde und was wir gemacht haben.
Ich muss aber auch sagen, dass ich es nicht zulassen kann, dass man die Anstrengungen der vergangenen Jahre, in denen wir versucht haben, mit in der Tat großen Investitionen mit vielen Investitionsmitteln die Infrastruktur zu verbessern, in diesem Lande etwas zu tun für die Stärkung der Wirtschaftskraft und für die Schaffung von Arbeitsplätzen, jetzt in den Gegensatz stellt, sondern es muss eingeordnet werden. Wir haben viel erreicht, die ersten positiven Effekte zeigen sich. Jetzt muss man schauen, welche Aufgaben man in Zukunft hat, und daran wollen wir uns machen! Aber stellen Sie es nicht gegeneinander, bauen Sie es aufeinander auf!
Die zentrale Aussage des UNICEF-Berichts für Bremen, meine Damen und Herren, lautet aber, das ist auch richtig, es ist uns eben bislang nicht hinreichend gelungen, für unsere Kinder soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in unseren beiden Städten zu schaffen. Deswegen geht es auch um nichts Geringeres, und darum ist diese Debatte so wichtig, als um eine neue Schwerpunktsetzung der Landespolitik, die mit der Wahl von Jens Böhrnsen zum Bürgermeister und Präsidenten des Senats, die mit der Zäsur der Sanierungspolitik, die wir diskutiert haben, begonnen hat und die in der nächsten Legislaturperiode mit Kraft und Elan fortgesetzt und auf eine neue Stufe gehoben werden muss.
Die UNICEF-Studie ist nur ein weiterer kräftiger Anstoß, der uns nach Pisa, nach dem Befund des UNSonderbeauftragten, nach den Berichten über die Armut und Sozialabhängigkeit der Kinder und natürlich auch nach dem Versagen der bremischen Ju
gendhilfe zum Handeln mahnt. Aber damit ich an der Stelle auch nicht missverstanden werde: Wir haben in Bremen und Bremerhaven in den letzten Jahren gehandelt mit den Pisa-Aufstockungsmaßnahmen, mit dem Einstieg in die Betreuung für die Null- bis Dreijährigen, mit dem Programm für Ganztagsschulen, mit dem Einstieg in eine verbesserte Ferienbetreuung und vor allem natürlich mit der klaren Orientierung zur Stärkung der Jugendhilfe, die im Herbst vergangenen Jahres, von Bürgermeister Böhrnsen und von Senatorin Rosenkötter angeregt, Anfang dieses Jahres Konsequenzen gezogen hat aus dem schrecklichen Tod des zweijährigen Kevin.
Da ist gehandelt worden, aber das wird weitere personelle Verbesserungen und auch finanzielle Verbesserungen benötigen, denn die Lage von Kindern und Familien muss in Bremen verbessert und gestärkt werden. Wir als Sozialdemokraten werden alle Möglichkeiten nutzen, einen solchen Akzent zu setzen, um hier die Antworten, die zeitgerecht sind, auch zu geben, meine Damen und Herren.
Ich will an der Stelle gern sagen, ich kann mir gut vorstellen, dass man in der nächsten Legislaturperiode, Frau Linnert hat es angesprochen, auch das Ganze mit einer Enquete-Kommission flankiert, ein Fundament daran bringt. Entscheidender aber wird sein, dass man frühzeitig und schon gleich zu Beginn nach der Wahl die Inhalte verstärkt. Ich rede über Inhalte, Herr Rohmeyer, ich finde, ein Kinderressort, das hört sich gut und populär an, aber das Auswechseln von Namensschildern ist keine neue Politik, davon halte ich wenig.
Ich bin erstaunt, dass ein Thema hier noch nicht angeklungen ist, denn wenn wir heute über Familienpolitik reden, dann hören wir doch viel über Familienkrach, über den Familienkrach in und aus der CDU. Ich will das hier deutlich in den Zusammenhang stellen und auch keinen Zweifel daran lassen.
Also Zeitung lesen hilft immer weiter, das stimmt. Ich will jedenfalls keinen Zweifel daran lassen: Wir Sozialdemokraten sind froh und unterstützen, dass die neue kinderorientierte Politik der früheren SPDBundesfamilienministerin Renate Schmidt so bruchlos fortgeführt wird von Frau von der Leyen.
Aber ich wünsche ihr, und da ist das Problem, Herr Rohmeyer, wenn Sie gleich aufgeregt dazwischenrufen, zeigt ja dass das Problem.
Ich wünsche ihr nämlich viel Erfolg, dass sie sich gegen die Ewiggestrigen in ihrer eigenen Partei durchsetzt und die 500 000 zusätzlichen Krippenplätze auch schafft, für Bremen und Bremerhaven wären das 5000!
Das ist das, was wir dringend benötigen, und dazu braucht die Politik zwei Dinge: Geld und die Diskussion und die Etablierung eines neuen Erziehungsbildes. Ich will zuerst etwas zu dem Erziehungsbild sagen, denn da hat Frau von der Leyen in der Tat noch die meiste Arbeit in ihrer eigenen Partei vor sich. Ich darf hier nur beispielhaft, Herr Präsident, Sie erlauben mir das, den CDU-Innenminister des Landes Brandenburg, Herrn Schöhnbohm, aus dem „WeserKurier“ von vorgestern zitieren. Der gute Mann sagt: „Es kann nichts Besseres für ein Kind geben, als in den ersten drei Lebensjahren in der Familie betreut zu werden.“ Das ist genau das, womit erst einmal alle Mütter, alle berufstätigen Frauen inzident abgestempelt werden zu Rabenmüttern.
Darüber können wir gleich reden, Herr Rohmeyer, bleiben Sie ruhig! Zum Zweiten ist das offensichtlich, das unterstreichen auch Sie, wohl nach wie vor die Mehrheitsmeinung innerhalb der CDU und scheinbar auch hier im Hause. Aber der UNICEF-Bericht, darüber reden wir doch, und ich hoffe, Sie haben ihn gelesen, nimmt genau dieses alte Denken auf. Er macht deutlich, dass ein solches Erziehungsbild, das einzig darauf setzt, dass die Mütter zu Hause, nur zu Hause die beste Arbeit leisten können, dass das der Wirklichkeit der frühen Industriegesellschaft und Agrargesellschaft des 19. Jahrhunderts, so sagt der UNICEF-Bericht, entspricht.
Damals hatte die Großfamilie die Aufgabe, die Betreuung zu übernehmen. Damals war die Vielfalt von Wissen und Medien noch lange nicht so ausgeprägt, und schulische Anforderungen sind nicht derartig in die Familien eingedrungen. Im Übrigen waren die Vierzehnjährigen dort in der Regel in der Obhut ihres Lehrmeisters, alles Bedingungen, die sich heute nicht mehr ergeben.
Ich darf, mit Genehmigung des Präsidenten, direkt aus dem UNICEF-Bericht zitieren. Wenn Sie das hier debattieren wollen, dann müssen Sie auch über diese Konsequenzen reden. UNICEF schreibt: „ In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft müssen beide
Elternteile zur ökonomischen Basis und wirtschaftlichen Sicherheit der Familie beitragen.“ Sie sprechen in der Studie die Migrations- und kulturellen Wandlungsprozesse an, die unterschiedlichen Lebensformen und Vorstellungen über Familie, die ökonomische Spreizung. Und zum Schluss: „Solche Ausdifferenzierungsprozesse der ökonomischen Entwicklung“, so UNICEF, „können von den Eltern selbst bei der Erziehung ihrer Kinder und der Entwicklung der Lebenschancen der Kinder gar nicht aufgefangen werden, auch wenn der familiär verlässliche Kontext eine der wichtigsten Voraussetzungen für die kindliche Erziehung ist, so ist es heute.“
Da hat Frau von der Leyen richtig gelesen, Herr Rohmeyer, ich bin nicht sicher, ob Sie das auch so gesehen haben, denn UNICEF schreibt: „auch Aufgabe der Kommunen, der Länder und des Bundes, als Aufgabe staatlicher Zukunftsgestaltung auch verlässliche außerfamiliäre Umwelten für die Kinder zu schaffen“.
Darum geht es, das ist die neue Qualität, die müssen Sie aufnehmen und begreifen, und das heißt, dass die Verantwortung von Gesellschaft und Staat stärker steigen wird, und wir werden uns dem annehmen müssen. Das ist zum Nutzen der Kinder, der Mütter und auch der sich in der Erziehungsarbeit ja auch viel zu stark zurückhaltenden Väter. Diese erweiterte Aufgabe und Verantwortung von Gesellschaft und Staat, das will ich hier sagen, mindert nicht die Bedeutung der Eltern und der elterliche Liebe. Sie schafft eher die zeitgemäßen Voraussetzungen dafür. Meine Fraktionskollegin Margitta Schmidtke hat gerade in der letzten Woche, das finde ich sehr eindrücklich und sehr richtig, die gestiegene Verantwortung der Eltern deutlich gemacht und darauf verwiesen, dass Politik nicht Liebe ersetzen kann. Aber Politik muss den Freiraum für elterliche Liebe schaffen, und daraus ergibt sich eben, dass man dies öffentlich organisieren muss gerade in den komplexer werdenden Gesellschaften.
Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, ich halte es lieber eher damit, dass ich beides mache und die Gleichwertigkeit, die bestimme ich dann allein.
Ich bin jetzt aber bei dem zweiten Aspekt, dem guten und lieben Geld. 5000 Krippenplätze – das ist, heruntergerechnet, das, was Frau von der Leyen will – wird man nicht in Bremen selbst finanzieren können. Das werden wir vor dem Hintergrund unserer finanziellen Lage nicht schaffen. Bundesweit, und darüber muss man auch reden, kostet das 500 000Krippenprogramm von Frau von der Leyen rund 3 Milliarden Euro. Leider sagt die Bundesfamilienministerin nichts über die Finanzierung – bislang! Wahr
scheinlich übrigens deshalb, weil ihr dann die anderen CDU-Männer erst recht auch noch aufs Dach steigen werden.
Aber da hilft der SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, Herr Pflugradt passt auf, der hilft! Das Bundesfinanzministerium hat darauf hingewiesen, dass Deutschland jährlich 184 Milliarden Euro in die Familienförderung steckt, und zwar der Bund steckt dieses Geld hinein, und das ist in der Tat der richtige Hinweis! Da wird man herangehen müssen, um die 3 Milliarden herauszuholen. Das allerdings wird bedeuten, dass wir das Kindergeld, das den Leuten direkt zufließt, eher einfrieren müssen, und vor allem, meine Damen und Herren, müssen wir dazu kommen, das Ehegattensplitting umzustellen zu einem Familiensplitting. Das ist ein Ansatzpunkt, den wir unterstützen.
Das ist übrigens der Punkt, Herr Rohmeyer sagt, wir brauchen kein Geld ins System, Frau von der Leyen braucht für ihre Politik Geld ins System,
in Abgrenzung zu Frau Linnert. Da lesen Sie nach, und da werden Sie das Ganze sehen.
Ich bin gemahnt, zum Ende zu kommen, und will deshalb nur sagen, dass wir natürlich auch in Bremen die Dinge werden angehen müssen. Es wird einer Umschichtung im Haushalt bedürfen. Bürgermeister Böhrnsen hat vorgeschlagen, Mittagessen kostenfrei zu machen. Ich finde, Frau Linnert, darüber muss man nicht schlecht reden. Wir werden viele Dinge im Haushalt verändern müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen, einen Fehler, den wir nicht wieder machen müssen, weil wir eine Neuausrichtung brauchen, den ein handlungsfähiger Staat nicht vertragen kann, den muss man ansprechen. Frau Linnert hatte ihn ja auch angesprochen, und ich sage, das ist ein Fehler gewesen, als nach Scheitern des Kanzlerbriefes Anfang 2005 die Forderung vorgebracht wurde, im bremischen Sozialetat 90 Millionen Euro zu streichen. Das war falsch, in diesem ausgequetschten Sozialressort, was für ein Wahnsinn, meine Damen und Herren!
Aber wenn ich mich daran erinnere, mit welcher Leidenschaft, meine Damen und Herren von der CDU, Sie, Herr Neumann, der damalige Fraktionsvorsitzende Kastendiek und der unglaubliche Herr Gloystein dieses Ziel verfolgt haben, zu Einsparungen zu kommen, dann ist das, muss ich sagen, die größte politische Fehlleistung dieser Legislaturperiode gewesen,
und ich bin froh, dass Jens Böhrnsen und ich damals so dafür gerungen haben. Wir haben eine Einsparung von immer noch 25 Millionen Euro im Sozialhaushalt gehabt.
Das war deutlich zuviel. Daran werden wir immer noch etwas ändern müssen. Es war eine Verbesserung, wir müssen aber vor allem auch, Herr Rohmeyer, Geld ins System stecken. Wir brauchen einen Neuanfang in der nächsten Legislaturperiode, das ist die Konsequenz, wenn man mit der Zäsur der Sanierungspolitik anfängt! – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unzweifelhaft ist, dass die schwierige soziale Lage der Familien und Kinder nicht von heute auf morgen zu verändern sein wird, sondern es wird in der Tat ein längerer Prozess werden. Aber der entscheidende politische Punkt ist doch, wir müssen damit anfangen, wir müssen Konsequenzen ziehen und Schritte machen. Darum dränge ich sozusagen so auf diesen Punkt, dass es an der Stelle losgeht.
Ich will einen ersten Punkt hier aus der Debatte noch einmal aufnehmen, das betrifft dieses Familienmodell. Ich finde, das geht völlig fehl, Herr Rohmeyer, Frau Schmidtke für Ihre verfehlten, veralteten Vorstellungen heranzuziehen.
Der wichtige und zentrale Punkt ist doch gerade auch in den ersten Jahren – und nur so verstehe ich Frau von der Leyen, wenn sie die Zahl der Krippenplätze in Deutschland von 250 000 auf 750 000 ausdehnen will und deutlich macht, dass es die Wahlmöglichkeit für die Eltern nicht gibt, viele Kinder eben in der Zeit mit ihren Müttern oder Vätern allein leben müssen und die Mütter oder Väter keine Gelegenheit haben, Arbeit aufzunehmen. Das ist sozusagen das Zentralproblem, auf das wir aber darüber hinaus hinwirken müssen. Darauf hat Margitta Schmidtke sehr wohl hingewiesen.
Dass sich die Eltern in den ersten drei Jahren darum aktiv kümmern müssen, ist doch richtig! Darum haben die Sozialdemokraten in der rot-grünen Koalition gemeinsam mit den Grünen ja verbesserte Zeiten für Eltern geschaffen, damit sie zu Hause bleiben können. Frau Schmidtke hat wunderbare Briefe auf ihre Auslassungen und Einlassungen bekommen, und diese Briefe machen sehr wohl genau dieses Spannungsverhältnis deutlich – wenn ich das natürlich ohne jegliche Namensnennung einmal sagen darf, weil mir die Briefe freundlicherweise auch gezeigt wurden –, wenn eine Dame die Situation ihrer Schwiegertochter beschreibt und deutlich macht, dass diese sich entschieden hat weiterzuarbeiten und wie sie behandelt worden ist, weil sie dann natürlich ihren Sohn, auch unter drei Jahre, schon in Betreuung geben musste.
Im Übrigen, das will ich hier sagen, sind mein eigener Sohn und auch meine Tochter sehr früh in eine solche Betreuung gekommen, teilweise zu Kindertagesmüttern. Das ist doch nicht nur Betreuung, da findet Erziehung statt, da wird soziale Kompetenz geleistet, weil die Kinder frühzeitig mit anderen Kindern lernen. Die Isolierung nur Kind und Mutter oder Kind und Vater ist etwas, was der heutigen Gesellschaft nicht mehr genügt, Herr Rohmeyer! So komplett muss man die Sache angehen!
Dann geht es um das Geld, und da ist die Frage: Was ist das System? Sie sagen, Sie wollen es nicht in das System gießen. In den früheren Debatten der CDU war es das System. Ich vermute, es ändert sich jetzt, früher war es nämlich das System, Amt für Soziale Dienste, Fallmanager. Da darf man kein Geld hineingeben, die muss man immer weiter abwürgen. Das war die alte Position, das war System!
Die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss, die schrecklichen Vorkommnisse zeigen uns doch, dass es so einfach nicht ist, die zuständigen Sozialarbeiter als System abzustempeln. Sie leisten ihre Beiträge und müssen raus, und dafür wollen wir sorgen. Das finde ich gut, das sollten Sie nicht als System brandmarken, sondern Sie sollten sagen, den Weg müssen wir verstärken und weitergehen. Das wird auch unser bremisches Geld kosten, und darum brauchen wir an der Stelle einen weiteren Neuanfang, und ein System ist auch der Ausbau von Krippen, das ist dann nicht mehr in der Familie.
Natürlich ist das ein Betreuungssystem, was da aufgebaut wird. Damit sollte man etwas differenzierter umgehen. Wir werden das an der Stelle brauchen. Ich darf sagen, Frau Linnert, ich bin nicht in den Bund ausgeflogen, sondern ich habe durchaus bremische Punkte genannt und sehe ja gerade diesen Zusammenhang, und bin ja froh, dass wir deshalb so hier debattieren!
Der Familienkrach in der CDU bringt es doch am Besten auf den Punkt, und die Reaktion, die wir hier erleben, zeigt doch, dass es bei der CDU noch nicht durchgedrungen ist. Gleichwohl habe ich mich sehr gefreut, von Herrn Röwekamp im „Handelsblatt“ zu lesen, dass er die Leute aus seiner eigenen Partei auch als Ewiggestrige bezeichnet. Wunderbar, jetzt wird es darauf ankommen, dass wir den Worten auch Taten folgen lassen, und Taten werden etwas damit zu tun haben, dass wir das Geld an der richtigen Stelle in die Hand nehmen.
Eine letzte Bemerkung: Ich fand es nicht sachgerecht, der Präsident ist hoffentlich knapp an einem Ordnungsruf vorbeigegangen: Meine Kollegin Möbius redet nicht über Dinge, von denen sie keine Ahnung hat. Sie hat sehr umfänglich Ahnung. Ich will das hier nicht verschärfen, ansonsten könnte man auch darüber reden, wie hier an diesem Pult in dieser Debatte geredet wurde, Herr Rohmeyer! – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, ich hätte gern der Dame den Vortritt gewährt.
Herr Staatsrat, Sie haben gesagt, dass der Senat beispielsweise sehr positiv zu dem Kriterium Ausbildung und den sozialen Standards steht. Werden der Senat und Ihr Haus uns denn einen Vorschlag machen, wie wir gerade diese positiven sozialen Standards in das Landesvergabegesetz aufnehmen können?
Ich habe mehr zufällig einen Entwurf gesehen.
Ich habe darin aber nicht entdecken können, dass diese sozialen Standards in dem Vorschlag aus Ihrem Haus enthalten sind.
Dann frage ich konkret: Sind die sozialen Standards, für die sich der Senat ausspricht, in dem Entwurf enthalten, der aus Ihrem Haus kommt und von daher Ihr Wissen haben müsste?
Teilen Sie denn meine Einschätzung, dass es vor dem Hintergrund dieser Senatsantwort ausgesprochen wünschenswert wäre, wenn Sie in Ihrem Haus diese Standards und diese Ziele dort aufnehmen würden?
Dann darf ich darum bitten, dass der Senat auch bei seinen Gesetzesvorschlägen und die einzelnen Häuser sich an diese Senatsposition halten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich gleich zu Beginn ausdrücklich hinter diese Entscheidung des Senats stellen und auch für meine Fraktion erklären, dass wir es von Beginn an für richtig gehalten haben, dass wir uns als Land Bremen in dieser Form engagieren. Diese Entscheidung ist richtig, auch dass wir dies als Land allein tun und nicht in irgendeiner Weise im Verbund mit anderen Ländern.
Wir haben hier die Möglichkeit, unsere Rolle als selbstständiges Bundesland für so etwas zu nutzen und im Übrigen zu zeigen, dass Bremen selbst für die bremischen Arbeitsplätze, die bremische Wirtschaftskraft aktiv werden kann, aber auch eine Wirkung dabei hat in die niedersächsischen Nachbarbereiche, denn ein großer Teil der Arbeitnehmer kommt auch von dort. Die oberzentrale Funktion unseres Bundeslandes wird dadurch unterstrichen. Es ist unabdingbar, dies zur Sicherung des Luft- und Raumfahrtstandorts in Bremen zu tun. Das sind moderne Industriestrukturen, die müssen und wollen wir mit aller Kraft halten, genau wie wir um jeden Arbeitsplatz kämpfen.
Ich will auch sagen, dass dies aktive Industriepolitik ist, man braucht in der Industriepolitik einen aktiven, handlungsbereiten Staat. Ich bin der Auffassung und muss sagen, Frau Winther sagte gerade, im Zusammenhang mit der Industriepolitik wäre die CDU-Fraktion für eine vorsichtige Industriepolitik, da gibt es Aufmerksamkeit zu wahren. Aber vorsichtig und zurückhaltend darf man da nicht sein, man muss entschieden sein und die Sache entschieden anfassen in der Industriepolitik. Ich fand die Entscheidung des gesamten Senats richtig, und ich finde auch richtig, dass der Präsident des Senats, Bürgermeister Jens Böhrnsen, diese Sache zur Chefsache macht und in die Hand nimmt und dafür sorgt, dass die Arbeitsplätze gehalten werden.
Aber natürlich ist das so! Es ist ein richtiges Vorgehen, auch sich darum zu bemühen, den Chef des Konzerns selbst nach Bremen einzuladen. Das hat der gesamte Senat gemacht und trägt der gesamte Senat, wovon ich ausgehe, das ist aber richtig, weil wir es in dieser Krise bei Airbus im Wesentlichen mit Managementfehlern zu tun haben. Ich denke, man muss darüber reden, welche Gefährdung hier entsteht.
Wir bewegen uns im Bereich des Luftfahrzeugbaus ja nicht in einem Wettbewerbsmarkt. Wir bewegen uns in einem Markt, in dem es weltweit noch zwei Anbieter gibt, meine Damen und Herren, zwei Anbieter! Das ist eine klassische Monopolsituation, in der dort agiert wird. Darum ist es auch vertretbar und richtig, wenn staatliches Engagement in dem Zusammenhang angesprochen wird. Ich will auch sagen, wenn jetzt Hand angelegt wird an die einzelnen Standorte, ich sage dies extra nicht nur auf den Standort Bremen bezogen, mit dem Konzept Power 8, mit dem ja verbunden ist, dass gerade die Arbeitsteilung zwischen den Standorten, die Vernetzung der Produktion dieses Konzerns aufgelöst wird, dann ist das aus meiner Sicht der nächste Managementfehler, der vorbereitet wird.
Dagegen müssen wir antreten, weil wir als Bremen hohe Kompetenzen dort entwickelt haben, weil dieser Konzern und dieser Standort dort hohe Kompetenzen entwickelt haben im Bereich der Flügelproduktion. Ich will dies ausdrücklich ansprechen, denn das ist der Kernbereich, der bei allen Entwicklungen gehalten werden muss. Dort ist hohes technologisches Potenzial versammelt. Es ist eine Reihe von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in unserem Land auch darauf ausgerichtet worden. Nicht zuletzt haben wir dort eine qualifizierte Belegschaft mit gut ausgebildeten Leuten. Wer das vernichtet, der vernichtet wirklich öffentlich entwickeltes Eigentum und wertvolle Dinge. Deshalb darf daran nicht die Hand angelegt werden. Dieser Standort muss gesichert werden im Rahmen dieser Verbundproduktion.
Politik, dafür werbe ich jedenfalls, aktive Industriepolitik, wir als Sozialdemokraten halten das für den richtigen Weg, muss an so einer Stelle in den Markt eingreifen. Aber, ich will das hier auch zitieren, wir sind ja umgeben von ordnungspolitischen Bedenkenträgern. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren aus einem Kommentar des „Handelsblattes“ vom 18. Januar dieses Jahres. Dort heißt es: „Die Absicht der Bundesländer ist eindeutig. Sie wollen ihre Interessen in der anstehenden Airbus-Sanierung geltend mache.“ Gut so, sage ich dazu. Dann geht es aber weiter im Kommentar: „Dadurch wird die Arbeit für die EADS-Manager nicht leichter, denn das Grundübel der EADS verschärft sich. Die industriellen Anteilseigner wollen Geld verdienen, die politischen Aktionäre Arbeitsplätze sichern und Einfluss üben.“
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was daran schlecht sein soll, Arbeitsplätze zu sichern und Einfluss zu üben.
Hier zeigt sich, dass man sich ordnungspolitisch nicht verrennen soll und dass es gut ist, will ich ausdrücklich sagen, dass wir als Große Koalition, ich gehe davon aus, dass dies auch für Bündnis 90/Die Grünen gilt, für Bremen eindeutig dastehen und uns diesem ökonomischen Lehrbuchwissen einfachsten Niveaus nicht anpassen wollen.
Zum Schluss will ich sagen, wir dürfen uns natürlich keine Illusionen machen. Einen solchen industriepolitischen Ansatzbedarf wird man nicht durchsetzen mit 0,15 Prozent Bremer Anteil, sondern es wird erforderlich sein, die Koordination mit den anderen Bundesländern und vor allem mit der Bundesregierung hinzubekommen. Es ist und muss ein nationales Interesse an dieser Stelle sein, an dem alle anfassen müssen. Hier hilft sozusagen der Föderalismus wenig. Hier hilft es, wenn wir zu einer nationalen Gemeinschaftsaktion kommen und alle Kräfte gebündelt werden.
Man muss sich selbst fragen, was man denn als Standort selbst machen kann, denn wir sind nicht in der finanziellen Lage, dieses Werk zu sichern, darum kann es auch mit diesem Einstieg nicht gehen. Es geht darum, die Kräfte zu bündeln. Mich erinnert diese Auseinandersetzung an zwei Dinge, die wir in den letzten fünf bis zehn Jahren in unserem Bundesland hatten: zum einen schon bei Airbus an die Auseinandersetzung um das Dolores-Programm 1997/98, da gab es einen vergleichbaren Ansatz, zum anderen an das breite Bemühen darum, die Stahlwerke Bremen, damals noch Klöckner, vor fast vierzehn Jahren zu retten. Auch das war aktive Industriepolitik, auch da ist man eingestiegen. An diese Art von Aktivitäten muss man anknüpfen.
Da gibt es eine gute Tradition,
die ich hier zum Schluss gern ansprechen möchte, weil meine Vorrednerin das nicht getan hat. Das ist die gute Tradition, dass wir in diesem Großunternehmen starke Arbeitnehmervertretungen haben, die sich mit Blick auf den Standort und die Arbeitsplätze dieser Entwicklungen annehmen und mit ihrer Kenntnis der Details daran gehen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, wir können froh sein, dass wir in Deutschland eine so entwickelte Mitbestimmung haben und ein solches Betriebsverfassungsgesetz, dass das möglich ist. Ich bin stolz darauf, das wir Arbeitnehmer
vertretungen haben, die im Sinne unseres Standortes Bremen solche Industrien sichern und sich jeweils gemeinsam mit den jeweiligen Standorten dafür einsetzen.
Ich glaube, dass das ein Eckpunkt sein wird auch in der auf uns wohl zukommenden Auseinandersetzung um die Sicherung dieser vielen tausend Arbeitsplätze in diesem Werk. Ich denke, dass wir vor dem Hintergrund heute hierzu nicht die letzte Debatte geführt haben werden und vor diesem Hintergrund auch nicht das letzte Mal vielleicht hier in einer Aktuellen Stunde gestanden haben. Es ist jedenfalls richtig, dass der Senat weiter aktiv sein wird. Ich finde es auch richtig und bitte um Unterstützung. Meine Fraktion wird dafür sorgen, dass am 2. Februar, wenn die Arbeitnehmer bei Airbus zu Aktionen kommen, auch seitens der Politik dafür Unterstützung geboten wird. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind heute hier zusammengekommen zu einer Sondersitzung, weil ein kleiner Junge in unserer Stadt gestorben ist, der nicht hätte sterben dürfen und der nicht hätte sterben müssen. Das Schicksal von Kevin, das kann man, glaube ich, sagen, erschüttert Bremen und hat Bremen und Bremerhaven erschüttert, es hat die gesamte Republik berührt und erschüttert. Die Vernachlässigung, die hier stattgefunden hat in dem kurzen Leben des Kindes, ist natürlich das, was die Tragödie um den Tod noch einmal besonders deutlich macht, eine Tragödie, und darum, finde ich, kann man und darf man nicht herumreden, die auch ein besonderes politisches Ausmaß hat.
Heribert Brandl von der „Süddeutschen Zeitung“ hat sehr früh, schon am 13. Oktober, dazu kommentiert, ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren: „Wenn Eltern furchtbar versagen, wenn ihre Kinder verkümmern, verwahrlosen, verhungern, wenn sich also das Elternrecht in Elternunrecht verwandelt, dann muss der Staat Vater, Mutter und Vormund sein. Die leiblichen Eltern haben ein Sorgerecht, der Staat hat notfalls die Sorgepflicht.“ Das ist das zentrale Problem, mit dem wir uns befassen müssen, weshalb es in diesem Haus einen Untersuchungsausschuss gibt. Dieser Sorgepflicht ist nicht hinreichend entsprochen worden, das Hilfesystem hat komplett versagt, daran gibt es nichts zu beschönigen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen diesen Untersuchungsausschuss, weil wir wissen wollen, wie es zu diesem tragischen Tod gekommen ist, weil das Versagen der Institutionen durchleuchtet werden muss und weil im Ergebnis, dann sind wir auch bei dem Gespräch darüber, was zu tun ist, dafür gesorgt werden muss, dass ein solcher Vorgang nicht wieder geschieht. Nie wieder darf es eine solche Akte über ein Kind geben, nie wieder darf ein Kind in Obhut so anhaltend wirklich ohne Obhut und ohne persönliche Beobachtung bleiben. Das ist im Kern das, was wir ändern müssen an diesem Hilfesystem.
Wir wollen als Sozialdemokraten diesen Untersuchungsausschuss und haben deshalb etwas getan, das Gleiche gilt für die CDU, was wir bei einem solchen Antrag noch nie gemacht haben, dass alle Mitglieder unserer sozialdemokratischen Fraktion diesen Einsetzungsbeschluss unterschrieben haben, denn hier geht es um eine gemeinsame Aufgabe, und wir als Parlament müssen diese Aufklärung mit aller Kraft verfolgen und dürfen auch die Aufklärung nicht delegieren, gleichwohl viele an den Dingen werden ar
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beiten müssen. Aber wir haben hier auch als Parlament eine eigene Aufgabe, und alle Beteiligten müssen und sollten sich die Frage vorlegen, welche eigene Verantwortung wir und sie, aber wir selbst eben auch, in diesen Vorgängen haben.
Staatsrat Mäurer hat vor zwei Tagen seinen Bericht vorgelegt, ein wichtiges Dokument, vor allem aber ein erschütterndes Dokument, in dem in sehr klarer Sprache sehr deutlich nachgezeigt wird, welches schreckliche erschütternde Leben dieses Kind hatte und welche Dinge geschehen sind, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Ich kann nicht sagen, wie es zu diesem Tod des Kindes gekommen ist, denn das erschließt sich einem in Wirklichkeit nicht, wie es dazu gekommen sein kann, dass diese Vernachlässigung, dieses Nichtkümmern, dieses Nichtsorgen, immer wieder stattgefunden hat. Ich will die einzelnen Stationen dieses Lebens hier nicht wiedergeben, denn Sie hatten sicherlich alle die Gelegenheit, den Bericht von Staatsrat Mäurer nachzulesen. Frau Linnert hat ja auch die Geschichte dieses Kindes hier sehr ausführlich referiert.
Ich möchte mich, denn das war ein ganz entscheidender Punkt, dass dieser Bericht so in dieser Klarheit vorgelegt wird, an dieser Stelle sehr ausdrücklich und sehr herzlich bei Staatsrat Mäurer bedanken für diese Arbeit und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizressorts, die ihn erstellt haben, und bei unserem Bürgermeister, der diese Aufgabe in Auftrag gegeben hat. Das war ein wichtiger erster Schritt. Herzlichen Dank dafür!
Das war wirklich im Sinne dieses Kindes, und das ist der Stil, das muss er auch bleiben, mit dem wir an die Dinge herangehen. Ich sage das hier auch, Frau Linnert, weil ich Ihre Ausführungen über irgendwelche Gespräche oder Ausführungen im Rathaus nicht nachvollziehen konnte und es auch wirklich nicht sachdienlich und der Situation nicht angemessen finde, wenn wir damit so umgehen und uns hier gegenseitig irgendwelche Beurteilungen zuschieben. Wir müssen uns um das Problem kümmern. Herr Staatsrat Mäurer hat sich um das Problem bemüht, das ist der erste Schritt, das ist die entscheidende Grundlage für uns für die Beratung im Untersuchungsausschuss.
In der Konsequenz sagt dieser Bericht, dass vieles an Arbeitsabläufen im Jugendamt, im Amt für Soziale Dienste nicht in Ordnung war, dass es dort organisatorische Strukturen und Kontrollsysteme gegeben hat, die nicht gegriffen haben, und so gesehen das Kontrollsystem nicht hinreichend war. Das Jugendamt, das Amt für Soziale Dienste steht hier im Zentrum der Kritik.
Politische Verantwortung ist gezogen worden durch den Rücktritt von Senatorin Röpke, der in der Tat kon
sequent war und der, glaube ich, eine breite Hochachtung in diesem Hause, aber insgesamt zur Folge hat: Das war das Einzige, was gemacht werden konnte, und es war richtig. Es war aber genauso richtig, Konsequenzen zu ziehen im Hinblick auf die Amtsleitung im Amt für Soziale Dienste, was das Ressort und Staatsrätin Dr. Weihrauch hinterher vollzogen haben. Natürlich ist es unabweisbar und unausweichlich gewesen, dass hier die zuständigen Spitzen auch entsprechend schnell erst einmal so weit zur Verantwortung gezogen oder aus der Verantwortung genommen werden, wie dies möglich ist.
Ich sehe auch, es ist richtig und wichtig, dass wir uns befassen und dass auch in aller Klarheit und Offenheit mit dem Amt für Soziale Dienste und im Jugendamt darüber geredet wird, wie es zu diesen Mechanismen hatte kommen können, die den Tod dieses Jungen zur Folge hatten. Dazu gibt es, glaube ich, keine Alternative. Ich schließe mich aber sehr den Ausführungen von Frau Linnert an, dass wir aufpassen müssen, in dieser Situation nicht jedem und jeder Mitarbeiterin und Mitarbeiter in diesen Ämtern die Schuld zu geben und zu sagen, sie alle machen dort schlechte Arbeit oder sind unzureichend. Ich denke, das ist nicht der Fall, ich fand es richtig, das zu sagen.
Besonders hervorzuheben ist allerdings auch das besondere Engagement der Hebamme, wir können das in dem Bericht gut nachlesen, des Kinderarztes, der Leitung des Hermann Hildebrand Hauses, die sehr gedrängt haben. Die Frage ist: Warum ist das Ganze nicht durchgedrungen? Das ist die Kritik, und da kann man es sich nicht leicht machen, und ich kann nur sagen, jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter in den Ämtern muss sich die Frage nach der eigenen Aufgabenerfüllung und nach dem Umgang stellen. Ich denke, das tut dort auch jeder. Wenn man so engagiert mit Menschen arbeiten muss, wenn das der Beruf und die Berufung ist, dann dürfen wir das erwarten. Ich denke, es gibt eigentlich keine Hinweise darauf – auch das zeigt der Bericht von Staatsrat Mäurer ja sehr deutlich –, dass dies an der Stelle eine Grundhaltung in dem Amt ist. Es gibt eben organisatorisch und sonstige Mechanismen, die dazu geführt haben.
Ich will an dieser Stelle aber auch sagen, weil das auch angesprochen ist, dass wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier uns Fragen vorlegen müssen. Frau Linnert hat dies für die Grünen gesagt, und ich sage dies auch für die sozialdemokratische Fraktion. Wir haben in den letzten Wochen auch die fraktionsinternen Beratungen geführt, und es hat sich gezeigt, wie jede Einzelne und jeder Einzelner das wirklich ernst nimmt, sich die Frage vorlegt, ob man hier etwas nicht richtig gemacht, nicht aufgepasst hat. Ich habe den Eindruck aus Gesprächen, das kann man für das ganze Haus sagen, hier hat das Hilfesystem versagt, aber hier ist natürlich auch die Frage zu stellen, wie wir als parlamentarische Kontrolle zu wir
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ken haben, uns zu engagieren haben, dass die Mängel in schnellerer und zügigerer Weise deutlich werden.
Der Bericht von Staatsrat Mäurer kommt auch zu dem Ergebnis, dass es in diesem konkreten Einzelfall keine Kostengründe gegeben hat, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Das ist richtig und zeigt sich in diesem Fall auch sehr deutlich. An der Stelle bin ich sehr froh, Frau Linnert, dass Sie sagen, das sehen Sie auch so, auch aus Ihrem Aktenstudium. Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt! Man muss aber jetzt aufpassen, dass man dann nicht zu schnell – in Ihrer Rede war mir das etwas zu schnell – den Übergang dazu findet, dass man dann sagt, es sind aber am Ende doch Kostenfragen gewesen, die diese Strukturen produziert haben. Das ist mir deshalb zu schnell, weil die Grundlinie, ambulant statt stationär zu versorgen, eine ist, die sich auch fachlich aus vielen Dingen herleitet, und keine ist, die sich rein und gar nur aus finanziellen Gründen ergibt.
Die Fremdunterbringung sollte gesenkt werden, das ist richtig, und ist auch etwas, was im Kern eine positive Entwicklung wäre. Allerdings, und darüber müssen wir reden, wenn diese Senkung der Fremdunterbringung dazu führt, dass es zu solchen Vernachlässigungen und zu solchen strukturellen Dingen kommt, dann müssen die Dinge korrigiert werden. In diesem Falle aber, will ich deutlich sagen, wird doch klar, dass neben den Strukturfragen ganz offensichtlich auch dieser Fallmanager nur in diesem Betreuungsfall bei Kevin drastische Versäumnisse vorgenommen hat, dass er unzureichend informiert und berichtet hat. Unzureichend heißt dort, dass Fakten gefehlt haben. Das ist noch eine völlig ungeklärte Angelegenheit und wird eine wichtige Aufgabe, die sicherlich nicht nur der Untersuchungsausschuss zu betrachten hat: Welche Motivationen hat es gegeben, dass dieser Fallmanager an dieser Stelle in diesem Fall so reagiert hat.
Es spielt sicherlich diese Gesamtdiskussion eine Rolle, dass wir in den ganzen letzten Jahren eine Entwicklung haben, dass der Elternwille als Richtschnur gilt im Umgang mit Kindern. Das haben wir in vielen politischen Bereichen. Das ist eine im Grundsatz richtige Haltung, aber sie darf nicht dazu führen, dass es ein Laisser-faire gibt, ein Lockerlassen von Entwicklungen, die dann dazu führen, dass man derartige drastische Fehlentscheidungen, drastische Ignoranz von Fehlentwicklungen zulässt und Kinder eher bei ihren Eltern lässt.
Das ist die zentrale Lehre, die wir aus dem Tod dieses Jungen ziehen müssen. Elternwille als Richtschnur ist in Ordnung, in der Abwägung muss aber das Wohl der Kinder ganz oben stehen, und es muss ganz oben stehen, dass wir uns sorgen und diese Sorge notfalls wahrnehmen. Ich lese lieber eine Überschrift „Kind zu früh aus der Familie geholt“ als die Überschrift „Kind in der Familie gestorben“, meine Da
men und Herren. So muss man es leider zuspitzen, auch vor dem Hintergrund dieser Entwicklung.
Dass es vor dem Hintergrund der polizeilichen Meldungen, der Bitten des Bürgermeisters, des Drängens der Senatorin nicht dazu gekommen ist, dass im Fall Kevin wirklich gehandelt wurde – außer, dass viele Worte auf Papier geschrieben wurden –, ist der unglaubliche Vorgang, der dadurch aber noch einmal verschärft wird, dass wir uns die Frage vorlegen müssen, vor allem dieser Arzt sich die Frage vorlegen muss, warum er sich ebenfalls so konsequent auf die Seite des Vaters gestellt hat und warum er so wenig aufgrund der Alarmsignale, die dort sichtbar waren, gehandelt hat.
An der Stelle möchte ich deshalb auch sagen, dass uns dieser Fall natürlich dazu führt, dass wir über den Umgang von Drogensüchtigen mit ihren Kindern, aber natürlich auch über den Umgang und über die Fortsetzung unserer Methadonprogramme reden müssen. Ich teile, was Frau Linnert dazu ausgeführt hat, wir müssen in stärkerer Weise darauf achten, dass Beigebrauch unterbunden wird. Da wird man auch über Regularien reden müssen. Wir müssen wahrscheinlich auch in stärkerer Weise dazu kommen, dass die Ärzte, die zuständig sind, vielleicht auch deutlicher kontrolliert werden und dass darauf geachtet wird, und es wird kritischer zu prüfen sein, ob Drogenabhängige in den konkreten Fällen – bitte nie pauschal, sondern in konkreten Fällen – ihre Kinder vernünftig versorgen beziehungsweise vernünftig versorgen können, meine Damen und Herren.
Wir müssen auch beginnen, dafür ist, glaube ich, die heutige Diskussion und die heutige Bürgerschaftssitzung in ihrer Gesamtheit ein wichtiger Zeitpunkt mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, aber auch mit der bevorstehenden Neuwahl der Senatorin, darüber zu reden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um solche Vorgänge und solche Fälle zu verhindern. Dazu möchte ich als Erstes sagen, der Bürgermeister hat dies mehrfach formuliert und auch sehr schnell gefordert, dass wir neue Standards brauchen, neue Standards im Bereich der Jugendhilfe. Neue Standards heißt an der Stelle, dass das Kindeswohl in das Zentrum von Entscheidungen gestellt werden muss, und zwar das Kindeswohl nicht, wie es sich in den Akten wiederfindet, sondern das Kindeswohl sehr unmittelbar durch die Beobachtung, durch den Besuch, durch das Aufsuchen.
Ich finde, alles, was dort jetzt an Maßnahmen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten ergriffen worden ist, ist ein richtiger und ein guter Weg, der eingeschlagen worden ist. Es geht aber darüber hinaus. Es geht nicht nur darum, dass die größten Problemfälle in Augenschein zu nehmen sind, dass wir uns mit diesen Sorgen befassen, auch das muss man übrigens an der Stelle in der Debatte einmal sagen,
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die eher zunehmen in der Entwicklung unserer Gesellschaft, in der Entwicklung einer Gesellschaft, die geprägt ist von sich verfestigender Arbeitslosigkeit, auch von Ausgrenzung von Familien und teilweise schwierigen Lagen in ganzen Quartieren, sondern es wird auch darum gehen, dass wir uns als Staat und als Kommune dieser Verantwortung stellen müssen.
Da bin ich auf der Ebene des Handelns bei den Sofortmaßnahmen, die ergriffen werden müssen, wenn wir in Zukunft Dinge vermeiden wollen. Dass der Senat am vergangen Wochenende erste Stellen ausgeschrieben hat und neun Stellen im Bereich des Amtes für Soziale Dienste zur Verstärkung einsetzen will, halte ich für ein richtiges Signal, für eine richtige Maßnahme, meine Damen und Herren. Hier müssen Kümmerer ans Werk, und die Arbeit, die im Ressort von guten Leuten schon geleistet wird, muss verstärkt werden. Darum freue ich mich, dass der Senat hier so schnell handlungsfähig war.
Ich möchte aber auch sagen, das muss man wissen, dass diese Verstärkung und diese Notwendigkeiten, auf die wir Konsequenzen ziehen müssen, am Ende des Tages sicherlich auch Geld kosten werden, zusätzliches Geld, was sich nicht begründet aus der Frage – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen –, dass der Tod von Kevin Kostengründe hätte, sondern was sich daraus begründet, dass er uns wie eine Spitze des Eisbergs deutlich macht, dass wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, damit in der Gesellschaft Strukturen in dieser Art nicht entstehen können.
Der Tod von Kevin sollte uns mahnen, hier nicht über das Geld in politisches Gezänk zu verfallen. Ich bitte darum, dass dies nicht erfolgt. In diesem Zusammenhang wird das Sozialressort mit seinem Etat gefordert sein, einen Schwerpunkt zu setzen. Das kann aber eventuell nicht reichen, dann werden wir mehr machen müssen.
Herr Perschau hat letzte Woche gesagt, es geht hier um Leben und Tod. Das finde ich richtig, und deshalb ist es an der Stelle Aufgabe des Sozialressorts, aber, meine Damen und Herren, es ist auch Aufgabe des Gesamtsenats und aller Ressorts, hier die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten zu schaffen, dass so etwas möglich ist.
Wenn ich darauf hinweise, was jetzt in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangt ist und uns eigentlich schon lange bekannt ist und was dieser schreckliche Tod in einer Weise ans Tageslicht gespült hat, welche gesellschaftlichen Fehlentwick
lungen wir haben, dann müssen wir auch dazu kommen, dass wir politisch umsteuern dahingehend, dass wir die Lage der Kinder in unserer Gesellschaft, die Lage auch der Familien in stärkerer Weise in den Mittelpunkt stellen. Vernachlässigung ist ein gesellschaftliches Problem, Frau Linnert hat auch ergänzend Fragen der Gewalt und anderes angesprochen, ich konzentriere mich auf diese Vernachlässigungsfragen, die Entwicklung der Kinder überhaupt in ihren frühen Jahren.
Deshalb wird es wichtig sein und eine richtige Konsequenz, dass wir dazu kommen, die Betreuung in den Kindergärten und in den Schulen zu verbessern, dass wir mit der Betreuung der unter Dreijährigen anfangen, dass wir aber auch in den jetzigen Kindergärten die Situation verstärken. Auch, wenn ich mir die Lage der Kinder ansehe, ist es richtig, dass wir im schulischen Bereich auf Ganztagsschulen setzen, weil es eben viele Familien und viele Kinder gibt, Bürgermeister Böhrnsen hat es gestern Abend gesagt, die Montagmorgen mit Hunger im Magen in die Schulen kommen. Auch das ist ein Thema, das liegt darunter, und das muss angegangen werden.
Dieser Fall sollte uns auch mahnen, im großen Umfang hierauf politisch zu reagieren, die Situation von Kindern in Deutschland in den Mittelpunkt zu stellen und gerade auf arme Familien genauer zu achten. Dafür sollten wir Steuergelder im Kern einsetzen, denn dafür sind die Steuern da, das ist die Aufgabe des Staates.
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich sagen, der Bericht von Staatsrat Mäurer zeigt uns nicht nur, wie sich dieser Fall entwickelt hat, er zeigt uns auch wichtige Punkte, wo anzusetzen ist. Der Untersuchungsausschuss wird die Aufgabe haben, hier auch von parlamentarischer Seite Beratungen aufzunehmen und Empfehlungen zu formulieren. Ein neuerliches organisatorisches Versagen muss ausgeschlossen sein. Die Kontrolle muss funktionieren können. Das Amt für Soziale Dienste und das Jugendamt müssen als Kümmerer für die Kinder und für die Menschen auftreten können und ihre Wächterfunktion für die ganz Schwierigen wirklich auch wahrnehmen. Unser Ziel ist es, den Kinderschutz zu verbessern.
In dem parlamentarische Untersuchungsausschuss, meine Damen und Herren, wird die SPD-Fraktion mit voller Kraft arbeiten. Ich sage Ihnen hier zu, wir werden engagiert mitarbeiten! Wir werden vorbehaltlos bei der Aufklärung wirken. Es darf keine Geheimnisse und Unklarheiten geben. Aber wir werden auch konstruktiv und entschieden bei der Stärkung der Hilfen für unsere Kinder wirken und Vorschläge hierfür erarbeiten. Es geht um das Kindeswohl in unseren Städten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 16. Wahlperiode – 69. (außerordentliche) Sitzung am 2. 11. 06 4587
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu der heutigen Wahl kommt es, weil infolge der gerade eben debattierten Ereignisse Frau Senatorin Röpke von ihrer Funktion im Senat zurückgetreten ist. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, dass Karin Röpke diesen Schritt sehr konsequent und sehr zügig vollzogen hat, dass Karin Röpke im März 2002 in dieses Amt gekommen ist als Nachfolgerin der Senatorin Hilde Adolf, die bei einem Autounfall tragisch ums
Leben gekommen ist, und damals vor der Aufgabe stand, sich sehr kurzfristig zu entscheiden, dieses wichtige und große Ressort zu übernehmen, und jetzt auch unter ganz schwierigen Umständen und Gründen wieder aus diesem Ressort ausgeschieden ist.
Karin Röpke hat, glaube ich, ich habe das immer so erfahren, nicht nur hier im Hause, sondern insgesamt in unseren beiden Städten eine sehr engagierte Arbeit gemacht. Sie hat dafür gestanden, dass in der Sozialpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik, in der Gesundheitspolitik mit Augenmaß, aber auch mit großer Verantwortung gehandelt worden ist. Diese Debatte möchte ich nutzen, mich bei Karin Röpke noch einmal herzlich für ihre Arbeit zu bedanken.
Ich habe vor drei Wochen nach dem Rücktritt von Karin Röpke hier gestanden und angekündigt, dass wir sehr schnell und zügig einen neuen Vorschlag zur Wiederbesetzung machen werden. Das ist dann nach wenigen Tagen erfolgt. Es gab dann sogar die Kritik, nachdem viele Wiederbesetzungen etwas zu lange gedauert hätten, das sei nun zu schnell gewesen. Damit muss man leben, aber es war und ist richtig, glaube ich, dass wir heute und so schnell zu dieser Wiederbesetzung kommen.
Ich kann Ihnen sagen, wir schlagen Frau Ingelore Rosenkötter vor, eine Frau, die viel Erfahrung hat in Themen der Sozialpolitik, und zwar teilweise innerhalb der Aufgaben, die sie ja zukünftig zu leiten haben wird, aber vor allem auch außerhalb der öffentlichen, staatlichen und kommunalen Bereiche, die diese Themen kennt, und vor allem eine Frau, die engagiert, konsequent und sehr entscheidungsfreudig in der Lage ist, Organisationen zu leiten. Sie wissen, sie war und ist im Ehrenamt Präsidentin des Landessportbundes.
Ich bin sehr sicher, dass Ingelore Rosenkötter, so erlebe ich sie, eine Senatorin sein wird, die in dieser schwierigen Lage, in der ihr wahrscheinlich die üblichen 100 Tage kaum bleiben werden, die man so bekommt, in der Lage sein wird, diese Aufgaben in der Sozialpolitik und in der Gesundheitspolitik, zu denen wir beide Untersuchungsausschüsse haben, sehr zielstrebig anzugehen, aber auch mit der entsprechenden Umsicht, was die Entwicklung dieses großen Ressorts angeht. Ich will sagen, sie ist ja nicht nur die Senatorin für Soziales und Gesundheit, sie ist auch die Senatorin für Jugend, die Senatorin für Gleichstellung, für Familie, und sie ist auch die Senatorin für Arbeit, die hier eine wichtige Aufgabe hat in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich bin sicher, sie wird dies sehr umsichtig, sehr entschieden und engagiert machen, und sie wird dafür sorgen, so waren und sind ihre eigenen Worte, ein fürsorgliches Miteinander in diesem die Menschen betreffenden wichtigen Ressort anzugehen.
Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 16. Wahlperiode – 69. (außerordentliche) Sitzung am 2. 11. 06 4596
Meine Damen und Herren, ich habe hier – ich will das in dem Zusammenhang auch ansprechen – vor drei Wochen auch gesagt, dass auch diese Entwicklungen insbesondere im Sozial- und im Gesundheitsbereich es erfordern, dass wir in diesem wohl größten Ressort des Senats und der Bremer Landesregierung verschiedene Strukturen werden ändern müssen, dass dazu auch gehört – und da haben wirklich Spargründe die Rolle gespielt – zu korrigieren, dass dieses große Ressort von einer Staatsrätin auf der Verwaltungsebene geführt wird, von Frau Dr. Weihrauch, die im Übrigen wirklich auch noch sehr neu in dieser Stadt, in diesem Land ist, ich will einmal sagen, die eine hervorragende Arbeit in den letzten Wochen und Monaten geleistet hat, gerade in dieser schwierigen Zeit.
Es wäre eine wichtige Verstärkung, wenn es möglich wäre, in diesem Ressort einen zweiten Staatsrat zu etablieren. An diesem Vorschlag halten wir fest. Der Senat wird darüber zu entscheiden und zu beraten haben, die neue Senatorin wird dazu einen Vorschlag unterbreiten müssen, aber ich will hier noch einmal deutlich dafür werben, auch wenn es sich immer gut anhört, dass man sagt, man müsse doch zuerst und vorrangig, manche sagen ja auch ausschließlich, auf den unteren Ebenen Verstärkung herbeiführen. Ich denke, wenn wir über organisatorische Probleme diskutieren, und das hat die letzte Debatte vorhin geprägt, dann muss man auch bereit und in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass Strukturen entsprechend organisiert werden können. Deshalb ist es auch richtig, hier eine Verstärkung in der Spitze vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Frau Rosenkötter zu wählen. Ich glaube, sie wird eine hervorragende Sozialsenatorin, Gesundheitssenatorin, Senatorin für Gleichstellung, Senatorin für Arbeit werden. Ich bitte um Ihr Vertrauen und Ihre Stimme für Ingelore Rosenkötter! – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der erschütternde Tod des kleinen Kevin hat heute zu einer Erweiterung der Thematik und der Diskussion und zu einer tief greifenden Veränderung auch dieses Tagesordnungspunktes geführt. Er wirkt heute auch in unsere Diskussion hinein. Wir diskutieren ja faktisch über die Einsetzung von zwei Untersuchungsausschüssen, die, das will gleich zu Anfang sagen, auch aus unserer Sicht notwendig und unabdingbar sind. Wir diskutieren beide Themen, aber setzen heute nur einen Untersuchungsausschuss ein, nämlich den zu der Situation im Klinikverbund und in der Gesundheitspolitik.
Ich will gleich zu Anfang deutlich machen, dass wir als Sozialdemokraten in und an beiden Untersuchungsausschüssen aktiv, konstruktiv und vorbehaltlos mitwirken und mitarbeiten werden. Wir sind interessiert an einer vollständigen Aufklärung und Klarheit über alle Missstände, die es gibt. Ich glaube, mein Kollege Perschau wird dies auch gleich sagen, aber das kann man, glaube ich, insgesamt für die Koalition sagen, dass wir ein Interesse daran haben, Sachverhalte aufzuklären, wie es die Aufgabe und das Ziel von Untersuchungsausschüssen ist. Mir ist dies ein sehr wichtiger Punkt, denn da brauchen wir eine Einheitlichkeit und eine gemeinsame Sichtweise in diesem Hause.
Meine Damen und Herren, wir müssen mehr leisten, als beide Untersuchungsausschüsse leisten können. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, die Sachverhalte nur aufzuklären, wir müssen im Ergebnis dazu kommen, auch Sachverhalte zu verändern. Wir müssen dazu kommen, neue Regularien dort aufzubauen, wo etwas geändert werden muss und wo etwas anders gemacht werden muss. Darum geht es im Kern und im Ergebnis, daran werden wir jedenfalls mitwirken als Sozialdemokraten!
Ich will anfangs auch gleich eine große Gefahr ansprechen, die ich sehe, die sich mir und uns allen, glaube ich, noch einmal verdeutlicht hat, als Herr Dr. Güldner eben am Schluss seiner Rede das große Wort vom Regierungsversagen in den Raum gestellt und damit eine Verallgemeinerung hergestellt hat. Ich halte das gelinde gesagt für nicht zulässig. Ich finde, wir müssen dazu kommen, die Dinge im Einzelnen zu betrachten.
Ich möchte auch sagen, auch das muss uns allen bewusst sein, dieser Untersuchungsausschuss wird sieben oder acht Monate vor dem nächsten Wahltag eingesetzt. Damit, das muss man offen ansprechen, kommt die Arbeit, die wir leisten müssen, die vorbehaltlose, ich unterstreiche vorbehaltlose, Aufklärung auch in eine gefährliche Situation, weil nämlich versucht wird oder versucht werden könnte – ich sage das ganz vorsichtig, weil ich hoffe, dass wir alle gemeinsam beieinander bleiben werden –, daraus kurzfristig politisches Kapital zu schlagen oder hier in falscher Hinsicht zu popularisieren. Ich finde das insbesondere vor dem Hintergrund des Todes eines Kindes unverantwortlich, meine Damen und Herren!
Soweit meine Vorrede!
Wenn ich jetzt auf den Untersuchungsausschuss zum Klinikverbund zusteuere, den wir heute hier einsetzen werden, dann muss ich doch einmal das Thema der Verknüpfung kurz ansprechen, dahingehend kurz ansprechen, weil es einen gewaltigen Unterschied gibt. Der gewaltige Unterschied besteht darin, meine Damen und Herren, dass die Vorgänge um den Tod des Kindes so gravierend sind, dass die zuständige Senatorin zurückgetreten ist. Deshalb ist sie zurückgetreten! Sie ist nicht zurückgetreten, weil sie eine Schuld, eine politische Verantwortung mit der Notwendigkeit von Konsequenzen im Bereich dieser Klinikangelegenheit hatte. Die Koalition, das möchte ich hier sagen, die CDU hat dies gestern morgen hier auch deutlich unter Beweis gestellt, hätte Ihren Misstrauensantrag zurückgewiesen, weil er an der Frage der Klinikentwicklung nicht verantwortbar, nicht richtig und schädlich für das Land gewesen wäre, meine Damen und Herren.
Ich betone schon deshalb und bleibe dabei, dass wir strikt und sauber die Dinge auseinanderhalten müssen. Der Untersuchungsausschuss zu den Entwicklungen und zu den Vorkommnissen an der Gesundheit Nord hat verschiedene Ebenen, die sich auch in dem Auftrag des Untersuchungsausschusses wiederfinden.
Als Erstes möchte ich ansprechen, dass der Kern der Angelegenheit der ist, dass sich dort einzelne
Personen mit kriminellem Verhalten und krimineller Energie, insbesondere nach der Kenntnis, die wir bisher haben, der Geschäftsführer des Krankenhauses Ost, alleinige Entscheidungen getroffen haben, ohne sie rückzukoppeln mit den entsprechenden Gremien und der Hintergehung auch der politisch Verantwortlichen im Ressort, die zu einen großen Schaden für Bremen, aber insbesondere für die Kliniken und für die Gesundheitsversorgung geführt haben. Auch damit wird sich der Untersuchungsausschuss befassen müssen.
Ich möchte aber sagen, ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. Ein Untersuchungsausschuss ist immer noch ein politisches Gremium. Ein Untersuchungsausschuss ist auch nicht mit den Möglichkeiten von Staatsanwaltschaften ausgestattet. Darum wird es hier sicherlich zu Grenzen kommen, aber wir müssen uns ein klares Bild über die Verbindungen verschaffen, die es zwischen dem Geschäftsführer Lindner und dem Geschäftsführer der Gesundheit Nord, Tissen, gegeben hat.
Das sind Verbindungen, die etwas dubios und undurchschaubar erscheinen. Ich denke, dass wir an der Stelle eine gute Aufbereitung haben, und möchte auch an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Entscheidung, so zügig den Sonderbeauftragten Herrn Ziemann zu berufen und sofort dafür zu sorgen, dass alles, was bekannt ist, auf den Tisch kommt, war richtig. Wir sollten der damaligen Senatorin, Karin Röpke, auch an dieser Stelle noch einmal dankbar dafür sein, dass sie das so entschieden angegangen ist. Das ist politische Verantwortung, nicht wegzulaufen, sondern die Dinge in den Griff zu nehmen, meine Damen und Herren!
Wir werden natürlich darüber reden, wir wollen das, wie es um die politische Steuerung, die politische Steuerung im Zusammenhang mit den Entwicklungen in dem Klinikverbund steht. Es ist bekannt, der Staatsrat, Herr Dr. Knigge, hat deshalb die Konsequenz gezogen, weil er sich es selbst zugeschrieben und gesagt hat: Ich habe zu stark auf das Wort dieser Leute vertraut und bin diesen Dingen zu spät nachgegangen und habe auch, man muss sich das einmal vorstellen, Dokumenten, die mir überstellt wurden, geglaubt. Das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang, dass wir den Dokumenten soweit vertrauen, aber auch darin sind auch vorsätzliche Falschdarstellungen gewesen. Dies alles führt am Ende dazu, dass man Konsequenzen ziehen muss. Das hat der damalige Staatsrat sehr schnell gemacht.
Wir müssen darüber reden, wie wir – und das ist ein breiteres Thema – die Steuerung von ausgelagerten Gesellschaften gestalten. Wir sehen an der Stelle, nach unserer Auffassung jedenfalls, dass es erforderlich ist, dass man auch im Bereich der Verwaltun
gen oder senatorischen Behörden über die entsprechenden Kompetenzen, aber auch über entsprechende Kenntnisse und natürlich auch ein Know-how verfügt, das in der Lage ist, dass diese Gesellschaften nicht allein laufen können, dass wir auch im Krankenhausbereich, das möchte ich einmal so sagen, eine öffentliche, städtische und landespolitische Gesundheitspolitik brauchen, die sich auch um das Wohl und das Wehe dieser Krankenhäuser kümmert.
In dem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass der Kodex zum Umgang mit den Gesellschaften, den Bürgermeister Böhrnsen und Senator Dr. Nußbaum vorgelegt haben, genau in die richtige Richtung geht. Das sind die ersten richtigen Antworten, die wir an der Stelle geben müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier auch sagen: Der Untersuchungsausschuss wird sich natürlich auch damit zu befassen haben, welche Rolle die Aufsichtsräte haben. Wir wissen, dass auch Abgeordnete in diesen Aufsichtsräten gesessen haben und nach wie vor sitzen, eine Angelegenheit, die wir in Bremen so organisieren, das sage ich ganz persönlich, die wir in der überwiegenden Zahl der Fälle für richtig halten. Wenn wir in großer Zahl wichtige Aufgaben umsetzen in solchen Gesellschaften, dann muss zumindest in den steuernden Bereichen auch eine direkte parlamentarische Beteiligung und Kontrolle möglich sein.
Das wirft natürlich in einem solchen Zusammenhang die Frage auf – die Fragen werden auch zu stellen sein –, wie die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder ihre Verantwortung wahrgenommen haben, welche Kenntnisse sie hatten, welche Begegnungen sie hatten und vieles andere mehr, meine Damen und Herren. Auch das wird im Untersuchungsausschuss von unserer Seite jedenfalls nicht mit Scheu betrachtet, sondern wir glauben, wir können und müssen offensiv darangehen, damit auch an der Stelle völlige Klarheit und Offenheit herrschen.