Europäischer Verfassungsvertrag – Positionen der Bremischen Bürgerschaft zur Fortentwicklung des europäischen Vertragswerkes für eine föderale und subsidiäre Europäische Union
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt mindestens drei Gründe dafür, dass wir uns mit dem Thema europäische Verfassung und Bremens Verhalten dazu auseinander setzen: erstens die gute Tradition unseres Landtags, sich mit europäischen Themen zu beschäftigen und zeitnah zu den jeweiligen Regierungskonferenzen die Prozesse der Europäischen Union zu begleiten, zweitens die verfassungsrechtliche Seite, nämlich in Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“ Damit sind auch wir im Spiel.
Drittens: Das ist die allgemeine politische Dimension der europäischen Verfassungsdiskussion, und wenn man – das möchte ich Ihnen gern ans Herz legen – sich die Rede von dem Literaturnobelpreisträger Imre Kertész von letzter Woche zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in Magdeburg anschaut, abgedruckt in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom letzten Sonntag, dann kann man noch einmal nachlesen, mit welcher ungeheuren Freude dieser große Literat als ungarischer Jude, der im KZ Auschwitz gewesen ist und hinterher viele seiner beeindruckenden Bücher über dieses Thema Holocaust geschrieben hat, feststellt, dass im Grunde die deutsche Einigung Voraussetzung für die europäische Einigung und vor allem jetzt für die EUOsterweiterung ist.
Wenn es die deutsche Einheit nicht gegeben hätte, hätten wir jetzt nicht diesen Prozess, der angestoßen worden ist. Er zum Beispiel, der in Budapest und Berlin lebt, rechtfertigt noch einmal in dieser Rede ganz eindrücklich, warum er es jetzt wagt, auch eine Wohnung in Berlin zu haben, nämlich weil er auf die Kraft der deutschen und der europäischen Demokratie vertraut. Er hat sein ganzes Leben, seine literarische, aber auch seine essayistische Arbeit, sich als politischer Intellektueller einzumischen, immer so verstanden, dass man wegen dieses schrecklichen Erbes und der Zerrissenheit Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ständig daran arbeiten muss, dass es zu solchen verhängnisvollen Verbrechen nicht mehr kommen kann, und er hat sein Leben und seine Arbeit in den Dienst gestellt.
Das, denke ich, ist der historische Hintergrund, vor dem wir uns heute, wenn wir uns die europäische Verfassungsdiskussion anschauen, politisch bewegen. Das ist in der Tat ein historischer Fortschritt, den man gar nicht hoch genug achten kann.
Zum ersten Mal in der Geschichte Europas liegt ein Entwurf für eine europäische Verfassung vor, erarbeitet durch den europäischen Verfassungskonvent unter Leitung von Valéry Giscard d´Estaing. Meine Damen und Herren, auch das ist ein großer Schritt nach vorn.
Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass im letzten Jahr schnell gemunkelt worden ist, dieser Konvent würde überhaupt nicht zum Abschluss kommen, und, Wunder, oh Wunder, im Sommer dieses Jahres ist aber dann ein Entwurf für eine europäische Verfassung übergeben worden. Das ist mir auch deshalb politisch so wichtig, um das noch einmal richtig zu würdigen, weil Europa ja gerade nicht nur eine Währungs- und Wirtschaftsunion sein soll, sondern ein einzigartiges politisches Bündnis der Mitgliedstaaten, die begrenzte Kompetenzen an Brüssel abgeben, aber eben auch gerade ein Bündnis der Bürgerinnen und Bürger und eine ganz besondere politische Formation, die auch anders ist als zum Beispiel der Bundesstaat der USA. Europa hat sich nun angeschickt, etwas wirklich Spezifisches zu machen mit einem Staatenbündnis und einem Bündnis der Bürgerinnen und Bürger in den verschiedenen Mitgliedsländern.
Es geht also um den Konstitutionsprozess unseres neuen Europas und um das politische Selbstverständnis unseres Kontinents. Wir alle wissen noch, was es bedeutet hat, als unser Kontinent gespalten war, wie gar nicht zu unterschätzen der Fall der Mauer im Jahr 1989 gewesen ist und dass er seitdem langsam, bei allen Schwierigkeiten und Mühen, wieder zusammenwächst. Das ist eine riesengroße Chance. Auch wenn es viele Risiken gibt, die ich gar nicht leugnen will, so finde ich, überwiegt aber bei weitem das Positive, das wir bei diesem Prozess gewinnen können, und eben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gerade, was das politische Selbstverständnis angeht.
Vor diesem Hintergrund haben wir unseren Antrag in die Bremische Bürgerschaft eingebracht. Wir sind der Meinung, dass der Verfassungsentwurf einen guten Kompromiss darstellt und dass er der Substanz nach nicht mehr gefährdet werden darf.
Bremen hat bisher auch so agiert, und das möchte ich auch noch einmal ausdrücklich lobend hervorheben, dass ich das richtig finde, dass Bremen auch bei seinem Auftreten in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe keine Irritationen zugelassen hat, wie die Grundposition ist, und ich wünsche mir sehr, dass dieser Kurs fortgesetzt wird. Man hätte ja in der letzten Woche von den Positionen der CDU/CSU auf Bundesebene, die sehr kritisch waren, was diese Regierungskonferenz in Rom anging, etwas skeptisch werden können, aber ich will noch einmal deutlich sagen: Es ist im Moment hier keine Kritik an dem Agieren des Senats bisher in Bremen, sondern wir sehen uns, was die Positionsbestimmung des Senats angeht, da ganz an seiner Seite, und deshalb will
ich noch einmal kurz hervorheben, was denn die besonderen Ergebnisse dieses Konventsentwurfs sind und was wir daran gemeinsam als richtige Entwicklung hervorheben!
Der Entwurf stellt einen wichtigen Fortschritt bei der europäischen Integration dar, er stellt einen Fortschritt bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen dar, gerade auch für Länder und Gemeinden. Die Kompetenzen sind klarer gefasst worden, Sie wissen, dass es da in den letzten Monaten doch erhebliche politische Auseinandersetzungen gegeben hat. Unter dem Strich kann man feststellen, dass es mit diesem Verfassungsentwurf, was die klare Regelung der Kompetenzen angeht, zu deutlichen Fortschritten gekommen ist.
Das Europäische Parlament, auch das haben wir fraktionsübergreifend politisch gewollt, erhält mehr Rechte. Es wird den Kommissionspräsidenten demnächst wählen, es wird mehr Demokratie, mehr Transparenz, mehr Bürgernähe, aber auch mehr Effektivität in der Europäischen Union geben.
Die Erfahrungen der Regierungskonferenzen von Amsterdam und Nizza haben gezeigt, dass eine geheim und mit Einstimmigkeitsprinzipien arbeitende Regierungskonferenz, wie wir sie bisher immer gehabt haben, keine besseren Ergebnisse hervorbringt als der unter den kritischen Augen der Öffentlichkeit arbeitende Konvent. Auch da muss man sehen, dass diese Art der Konventsmethode offensichtlich ein richtig guter Beitrag zum Zusammenfinden der Europäischen Union gewesen ist.
Es ist zu begrüßen, dass im Entwurf Kontrollrechte der nationalen Parlamente und das Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof vorgesehen sind. Mit der Aufnahme der Grundrechtecharta werden die Rechte der Bürgerinnen und Bürger entscheidend gestärkt. Es ist weiterhin positiv, dass durch die Einführung der doppelten Mehrheit die Bevölkerungsverhältnisse in der Europäischen Union in den Entscheidungsprozessen besser abgebildet werden und die Entscheidungsfähigkeit des Europäischen Rates verbessert werden kann.
Ich will auch gar nicht verhehlen, dass es auch aus grüner Sicht Punkte gibt, die sehr kritisch anzumerken sind, zum Beispiel dass es nicht gelungen ist, aus den Euratom-Verträgen auszusteigen. Mir ist auch klar, dass jede Fraktion jeweils vor ihrem politischen Hintergrund einzelne Kritikpunkte hat, die man an diesem gefundenen Kompromiss vorbringen kann. Trotzdem möchte ich noch einmal hervorheben, dass wir der Meinung sind, dass insgesamt so viel Positives erreicht worden ist, dass man es durch ein Aufschnüren des Pakets nicht gefährden darf, weil die Gefahr, dass man dann vor einem Torso steht und dieses Paket nicht wieder zusammen bekommt, so groß ist, dass man das nicht riskieren darf.
SPD formulieren in ihrem Antrag auch genauso wie wir, dass der Entwurf insgesamt ein ausgewogenes Kompromisspaket darstellt. Die Einbringung unberücksichtigt gebliebener gewichtiger Interessen der Länder sollte daher nur dann erfolgen, wenn im Verlauf der Regierungskonferenz, die ja gerade in Rom stattgefunden hat, von anderer Seite eine Verhandlungssituation entsteht, die dies angemessen und erfolgversprechend erscheinen lässt.
Die Koalitionsfraktionen erwarten auch, dass der Bremer Senat diese Linie weiterhin vertritt, und sie möchten, dass Bremen eine umfassende Informationskampagne startet, um den Bürgerinnen und Bürgern die Inhalte der Verfassung nahe zu bringen. Da sind wir ganz an Ihrer Seite. Wir alle wissen, und das ist für uns auch gemeinsam ein politisches Problem, dass Brüssel vielen Menschen doch sehr fern ist. Was da geregelt wird und an Politik gemacht wird, das ist eben nicht das, was man im tagtäglichen Leben hautnah erfahren kann, auch wenn es auf uns alle und auf alle politischen Bereiche immer mehr Auswirkungen hat. Was die aber da oben im fernen Brüssel treiben, da muss man viel Aufklärungsarbeit leisten, das ist eine wichtige Aufgabe. Deswegen unsere Unterstützung für dieses Vorhaben!
Meiner Meinung nach müsste man dann auch den politischen Mut haben, zu einem nächsten Schritt zu kommen, und das unterscheidet unsere Anträge. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, dass auch Bremen initiativ werden soll, was die Frage eines parallel zu den Europawahlen, die nächstes Jahr am 13. Juni stattfinden werden, europaweit abzuhaltenden Referendums angeht.
Wir sind ganz prinzipiell der Meinung, wenn man die Akzeptanz der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger, für Europa, für die Verfassung, für den NeuKonstitutionsprozess dieses europäischen Kontinents erreichen will, dass die Menschen dann auch darüber abstimmen müssen. Das ist Demokratie, und wir möchten an dem Punkt mehr Demokratie wagen.
Sie haben sich zu diesem Referendum nicht durchringen können, weil Sie dazu keine politischen Mehrheiten in Ihrer Fraktion haben. Wir finden das schade. Wir finden, man sollte nicht so früh mit diesem Begehren aufhören. Gerade wenn man die Menschen für dieses neue Europa gewinnen will, dann sollte man ihnen auch das Recht geben, da wirklich ihre politische Meinung zu sagen und sich in einem großen öffentlichen Prozess an dieser Meinungsfindung zu beteiligen.
Wir werden uns deswegen bei Ihrem Antrag, den wir in weiten Teilen, wo Sie die Ergebnisse der Konventsarbeit auf europäischer Ebene loben, richtig finden, der Stimme enthalten. Sie haben allerdings in Punkt sieben einen Passus, bei dem Sie sich leider
sehr vage dazu äußern, dass „die Kompetenzrückführung in nicht originär europarechtliche Aufgabenfelder und klare Formulierungen wünschenswert gewesen“ wären. Sie lassen aber offen, was Sie damit meinen. Das sind aber gerade die heiklen Fragen. Das stellen Sie einfach nur wieder in den Raum, ohne sich dazu wirklich eindeutig zu verhalten. Dieser Passus gefällt mir nicht. Wie gesagt, wir werden uns bei Ihrem Antrag enthalten.
Wir bedauern es sehr, dass Sie sich zu dieser Frage Referendum nicht haben durchringen können, und wir bitten Sie, darüber doch noch einmal nachzudenken, gerade auch aus dem Interesse getragen, für Europa zu werben, dass es unserem Landtag gut anstehen würde, sich hier mit einer offensiven und selbstbewussten Position für Europa und zu dem Wahlrecht der Menschen zu verhalten. – Vielen Dank!
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Vorlage des Entwurfes eines europäischen Verfassungsvertrags steht die Europäische Union vor einer ihrer größten Herausforderungen. Die Beschlussfassung über den Verfassungsvertrag ist neben der Einführung des Euros wohl der größte Schritt hin zur europäischen Integration.
Die Arbeit an einem solchen Verfassungsentwurf ist nicht nur im Hinblick auf die Weiterentwicklung der EU aufgenommen worden, sondern auch dem wesentlichen Reformdruck quasi geschuldet. Den Staaten der EU ist bewusst, dass die heutige Union an den Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit steht. Durch die Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten nimmt der Reformdruck weiter zu. Europa muss bürgernäher, demokratischer und effizienter werden, wenn es auch künftig seine Aufgaben zum Wohl seiner Bürger und Mitgliedstaaten erfüllen will. Darum sollte der vom Konvent vorgelegte Entwurf alle grundsätzlichen Regelungen, insbesondere diejenigen zur Verteilung der Grundständigkeit zwischen EU und Mitgliedstaaten, zur Finanzverfassung, zu den Integrationen der EU und ihrer Verfahrensweise, zur Rolle der nationalen Parlamente, das ist für uns hier als Bremische Bürgerschaft besonders wichtig, sowie eine Vereinfachung der bestehenden Verträge und einer Grundrechtecharta umfassen. Eine wirklich historische Aufgabe, die unserer Einschätzung nach in ganz überwiegendem Maße erfüllt wurde!
Nun liegt der Entwurf vor und dient als Grundlage für die Beratungen der Regierungskonferenzen der EU-Mitgliedstaaten. Wir haben sicherlich alle am vergangenen Wochenende den Auftakt der Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Rom verfolgt. Auch wenn noch keine konkreten Ergebnisse
vorliegen, was auch noch nicht zu erwarten war, können wir doch schon jetzt feststellen: Den Entwurf insgesamt hat niemand in Frage gestellt. Alle Länder sind sich bewusst, insbesondere diejenigen, die noch Änderungswünsche angemeldet haben, dass es ein großes Risiko birgt, das Ergebnispaket des Konvents wieder aufzuschnüren. Darum, glaube ich, wird es grundsätzliche Veränderungen nicht mehr geben, beziehen sich die Änderungsabsichten der kleineren Mitgliedstaaten doch an sich auf die Zahl der Kommissare und die Gewichtung der Stimmenanteile. Ich denke, dieses Problem wird zweifellos zu lösen sein.
Wichtig und hervorzuheben sind jedoch zahlreiche Punkte, die nun einer Regelung zuzuführen sind und vereinfacht und vereinheitlicht werden können. Die Schaffung zum Beispiel einer europäischen Grundrechtecharta ist ein so elementarer Erfolg und Fortschritt, den wir uns noch vor einigen Jahren nicht hätten vorstellen können. Die Koalitionsfraktionen haben sich vor diesem Hintergrund in ihrem Antrag auch auf eine stärkere inhaltliche Ausrichtung am Konvententwurf geeinigt. Der Antrag der Grünen reicht uns gerade in dieser sachlichen Sicht nicht weit genug,
Lassen Sie mich neben der Grundrechtecharta einige Punkte besonders erwähnen: Durch die Festlegung einer klaren Kompetenzzuordnung der Europäischen Union mit einer Einteilung und Auflistung der Kompetenzkategorien entstehen mehr Transparenz und Klarheit und somit auch mehr Bürgernähe. Besonders hervorzuheben ist ebenfalls, dass die Verfassung erstmals rechtsverbindlich die regionale und kommunale Selbstverwaltung achtet. Die eingeräumten Kontrollrechte durch die nationalen Parlamente und das vorgesehene Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof lassen eine Stärkung des Mitspracherechts der Landesparlamente erwarten.
Wir begrüßen, dass die Auffassung bei wichtigen nationalen Politikfeldern ein ausdrückliches Harmonisierungsverbot verankert. So bleiben nationale Besonderheiten weiter bestehen, und die Vielfalt in der Europäischen Union bleibt gewahrt.
Einen Moment einmal bitte! Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne, ich bitte, die Unterhaltung einzustellen! Ansonsten, wenn Sie sich unterhalten wollen, gehen Sie bitte in die Lobby! Es stört den Redner unwahrscheinlich!
Danke! Durch die Einführung der doppelten Mehrheiten werden weiterhin die Bevölkerungsverhältnisse in der EU besser berücksichtigt und wird die Entscheidungsfähigkeit des Rates verbessert.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch einige Kritikpunkte nicht unerwähnt lassen. Zunächst würden wir als CDU-Fraktion einen ausdrücklichen Gottesbezug in einem europäischen Verfassungsvertrag begrüßen.
Eine Verdeutlichung der europäischen Wurzel im Christentum wäre für uns ein wichtiger Passus, der auch dazu beiträgt, die EU stärker als bisher als Wertegemeinschaft zu definieren.
Außerdem wäre nach Auffassung der CDU-Fraktion eine Kompetenzzuordnung nicht originärer europäischer Aufgabenfelder und klarer Formulierungen im Sinne einer Vereinfachung wünschenswert gewesen.