Protocol of the Session on February 24, 2005

Die einheitlichen Lernentwicklungsberichte beschreiben die Lernfortschritte der Kinder, sie geben ein sehr differenziertes Bild von den Schülerinnen und Schülern. Das hat auch der Bildungssenator gesagt. Lernentwicklungsberichte stellen den individuellen Lernfortschritt dar. Sie können auch bei Kindern mit verlangsamter Lernentwicklung Fortschritte aufzeigen, sind den Prinzipien Ermutigen der schwachen Schüler und Fordern der stärkeren Schüler verpflichtet. Durch die Ziffernoten werden sie meiner Ansicht nach entwertet. Die Noten, die von der Koalition beschlossen wurden, sind da nicht nur ein ganz kleiner Teil, wie der Bildungssenator in öffentlichen Interviews glaubhaft machen will. Deshalb fordern wir heute als grüne Bürgerschaftsfraktion eine neue Zeugnisordnung, die den Schulfrieden in Bremen und Bremerhaven wieder herstellt. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Opposition, wenn Sie aufgewacht wären oder eine aufgeweckte Politik betreiben würden, hätten Sie gemerkt, dass der Beschluss, den Sie heute kritisieren,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Der Mann, der so gern Noten ver- teilt!)

schon im September 2002 nicht nur vom Senat beschlossen, sondern auf Ihre Initiative hin, Große Anfrage „Pisa E und keine Bremer Antworten?“, damals des Kollegen Mützelburg, Drucksache 15/1188 der vergangenen Legislaturperiode, hier der Bürgerschaft zur Kenntnis gegeben wurde, und Sie haben sie nicht irgendwie kritisiert. Es gab daran überhaupt keine Kritik. Heute, nachdem dann die Zeugnis- und Versetzungsordnung in Kraft ist, kommt hier auf einmal ein großer Aufschrei.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie politisch aufpassen würden, dann hätten Sie damals Ihre fachlichen Argumente einbringen können. Sie haben auch damals nur eine pauschale Kritik an der Bildungspolitik der großen Koalition vorgezogen. Heute stellen Sie sich hier hin und tun so, als ob wir eine schädliche Politik für die Kinder ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

und Jugendlichen dieser Stadt machen würden, meine Damen und Herren.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Genau!)

Ihre Politik ist einfach scheinheilig, das sage ich Ihnen ganz deutlich!

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte fachlich nur zwei, drei Punkte zu Ihrem Antrag sagen. Erstens: Wir haben mit der Zeugnisund Versetzungsordnung für die Grundschule eine hervorragende Kombination gefunden, sowohl die Lernentwicklung eines Kindes in Zukunft ab Klasse eins mit einem Brief an das jeweilige Kind zu dokumentieren, als auch in Klasse drei und vier einen dezidierten Lernentwicklungsbericht, der dann auch in Notenform den Leistungsstand des Kindes zusammenfasst. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir hier eine sehr gelungene Kombination gefunden haben.

Wir haben in Bremen vorher Beliebigkeit gehabt, das böse Wort! Jeder hat das gemacht, was er wollte, niemand hat sich an irgendetwas halten müssen. Da ist es natürlich klar, dass man über 15, 20 Jahre einen Wildwuchs hat, und dass die Leute, die heute dann entsprechende Regelungen umzusetzen haben, damit nicht immer sehr erfreut umgehen, kann ich menschlich nachvollziehen. Nur, meine Damen und Herren, wir müssen auf der anderen Seite auf Qualität achten, auf Standards achten. Gerade im Schulbereich ist es wichtig, dass wir uns am Wohl der Kinder orientieren. Das bedeutet, dass wir sehen müssen, dass wir hier einheitliche Standards einführen. Dazu gehört dann auch, dass alle Schulen im Prinzip dieselbe Regelung umsetzen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben Ausnahmen in Bremerhaven und in Bremen gemacht. Diese Ausnahmen bedeuten erst einmal, dass es eine Ausnahme ist, dass wir, wenn wir 74 Grundschulen haben, nicht 73 Grundschulen eine Ausnahmegenehmigung geben können, ich überspitze, ist völlig klar.

Es haben knapp 20 Schulen einen Antrag gestellt, und wir haben für sechs Schulen – und für alle diese Schulen gibt es eine sehr gute Begründung – eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Die sechsjährigen Grundschulen – Sie wissen, die CDU steht dem Modellversuch der sechsjährigen Grundschulen politisch nicht unbedingt nahe – sind ein Modellversuch, der noch läuft, und so lange wie er läuft, gehört es zum Konzept der sechsjährigen Grundschulen, dass es dort keine Noten gibt. Dem haben wir Rechnung getragen.

Die Bürgermeister-Smidt-Grundschule arbeitet nach Montessori-Pädagogik. Das schließt Noten aus, ebenso auf der anderen Seite – Sie haben die Waldorf-Schulen genannt, die Rudolf-Steiner-Pädagogik die das auch tut. Das waren auch die allerersten Schulen, die schon 2003, sehr frühzeitig, vor allen anderen, die haben es nämlich gelesen, was der Senat und die Koalition beschlossen haben, das gleich in einem Schreiben angemahnt haben, und das war selbstverständlich.

Eine Grundschule, die ganz neu ist, unsere jüngste, die Grundschule am Weidedamm, ist unter dem Vorzeichen gegründet worden, dass sie keine Noten gibt. Wir haben für alle sechs Bremer Grundschulen eine fachlich fundierte Begründung. Ich habe es auch den anderen Grundschulen versucht, klar zu machen, man hat sich nicht gegen diese Grundschulen entschieden, sie arbeiten in der Regel alle hervorragend, aber die Grundschulen, die die Koalition in die Ausnahmegenehmigung aufgenommen hat, haben eben ein besonderes Profil, und dafür gibt es eine fachliche Begründung. Da kann man sich dann nicht hinstellen und sagen, man habe hier willkürlich irgendwelche ausgewählt.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Warum muss die Andernacher Straße benoten, Herr Rohmeyer?)

Meine Damen und Herren, es ist eben wichtig, dass wir in Bremen nicht mehr dazu kommen, dass wir überall Insellösungen haben, sondern dass wir einheitliche Regelungen haben. Noten sind nicht schädlich, Noten diskreditieren keine Kinder, Noten werten niemanden ab.

(Beifall bei der CDU)

Dieses Vorurteil ist in Ihren Köpfen verhaftet. Dagegen werde ich fachlich nicht argumentieren können, das ist reine Ideologie, und so lange wie Sie diese Ideologie aufrechterhalten, kann man darüber mit Ihnen fachlich auch nicht reden. Ihren Antrag lehnen wir selbstverständlich, und nicht nur, weil er von Ihnen ist, ab. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau S t a h - m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das war ein bisschen schlicht, Herr Rohmeyer!)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Hövelmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine lange Debatte innerhalb der großen Koalition ist mit der Zensurenordnung im November 2004 beendet worden. Das war die politische Debatte innerhalb der großen Koalition, Herr Rohmeyer hat es angesprochen. Von 2002 bis 2004

haben wir über den Sinn oder Unsinn von Noten diskutiert. Wir sind sogar so weit gegangen, dass wir über Ziffern gesprochen haben: Kann man es verbal ausdrücken, muss man da eine Ziffer hinschreiben et cetera? Das liegt daran, dass SPD und CDU da sehr unterschiedlicher Auffassung sind.

Ich versuche es ruhig noch einmal mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und knüpfe an dem an, was Frau Stahmann gesagt hat. Die Iglu-Untersuchungen stellen absolut keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den Formen der Leistungsbeurteilung und den in der Untersuchung erreichten Leistungen dar. Mir sind wirklich keine wissenschaftlichen Untersuchungen – ich habe darum gebeten, legt sie mir vor, ich möchte mich ja gern damit auseinander setzen – zur Notengebung bekannt, die belegen, dass das Leistungsvermögen und die Leistungsergebnisse der Schülerinnen und Schüler durch die Beurteilung mit Noten verbessert werden.

Allerdings, meine Damen und Herren, ist mir eine ganze Reihe von empirischen Untersuchungen bekannt, die die mangelhafte Objektivität, die mangelhafte Zuverlässigkeit und auch die mangelhafte Gültigkeit im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Zensuren belegen. Noten sind ein Lehrerurteil, häufig am Klassendurchschnitt orientiert. Die unsägliche Gauß’sche Normalverteilungskurve, bei der man dann soundso viele Arbeiten mit einer Eins und soundso viele Arbeiten mit einer Sechs benotet, um das Ganze dann zu mischen, ist in Schulen nicht ohne Bedeutung.

Bemängelt wird von Wissenschaftlern auch die geringe prognostische Bedeutung von Zensuren im Hinblick auf den erfolgreichen Besuch einer weiterführenden Schule. Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen. Trotzdem müssen wir uns auch mit den anderen Beurteilungen auseinander setzen. Frau Stahmann hat es, ehrenwert wie sie hier argumentiert hat, genannt. Die Untersuchungen haben genauso belegt, dass auch verbale Beurteilungen nicht objektiv sind, meine Damen und Herren, und dass sie auch die Mängel von Noten nicht zwangsläufig aufheben. Nicht alles, was aufgeschrieben worden ist, muss deshalb auch richtig sein. Sie beruhen, genauso wie die Noten, auf subjektiven Urteilen, allerdings zeigen sie Entwicklungen, die eben auf unterschiedliche Niveauebenen bezogen sind. Ich glaube, ich will hier nicht aus dem Nähkästchen plaudern, wir haben diese Debatte sehr intensiv, in sehr vielen Gremien geführt und irgendwann muss Politik nach langen Debatten auch zu Entscheidungen kommen. Ich glaube, dass wir mit der neuen Zeugnisordnung beide Richtungen aufgreifen.

Auf der einen Seite haben wir den Schwerpunkt, und der Schwerpunkt ist eine an verbindlichen Bildungsstandards orientierte Leistungsbeurteilung. Man kann es nicht unabhängig von den Vergleichsarbeiten sehen, die wir schreiben, von den Bildungsstandards, die verbindlich in den Schulen eingeführt wer

den. Die nach einheitlichen Kriterien arbeitenden Lernentwicklungsdokumentationen sollen hierbei eine auch für Eltern nachvollziehbare Lernbegleitung der Grundschulkinder sicherstellen.

Meine Damen und Herren, diese Beurteilungspraxis ist ein vertretbarer, auch pädagogischer Kompromiss, denn die Beschreibung der Lernentwicklung in den einzelnen Fächern bleibt unabhängig von den zusammenfassenden Noten im Zentrum der pädagogischen Diagnostik. Das Beispiel, dass Frau Krusche als Erstes schaut, ist es eine Eins oder eine Zwei, beweist für mich überhaupt nichts. Ich schätze Frau Krusche im Übrigen auch anders ein, dass sie eher auf den Text schaut, da sie ja weiß, dass dieser Text mehr aussagt und eine pädagogische Beurteilung ist.

Genauso bin ich davon fest überzeugt, dass wir in dieser Kombination das eine machen und das andere nicht lassen. Wir nehmen die Eltern mit auf dem Weg der Lernentwicklung ihrer Kinder, beschreiben was sich verbessert hat, was noch zu verbessern ist, werten positiv Schritte, die vielleicht noch nicht zu einer Gymnasialreife führen. Dem Argument, dass dann eine Zensur sozusagen mit dem Hammer alles wieder kaputt macht, dem kann ich überhaupt nicht folgen, sondern ich glaube, es ist eine Frage der Vermittlung.

Jetzt komme ich damit zum Antrag der Grünen. So glorreich, wie es in Ihrem Antrag geschildert wird, war die alte Zeugnisordnung wirklich nicht. Bis zum Schuljahr 2003/2004 hat die Schulkonferenz entschieden, ob in den dritten und vierten Klassen Zeugnisse in Form von Lernentwicklungsberichten oder in Form von Notenzeugnissen erteilt werden. Wenn Eltern einer Klasse mehrheitlich gegen die an der Schule gültigen Formen der Zeugniserteilung stimmten, galt dann die Entscheidung der Mehrheit der Eltern dieser Klasse. Das heißt, das Argument der Unübersichtlichkeit – um nicht das Lieblingswort Nummer eins von Herrn Rohmeyer hier zu benutzen – ist ein Argument für die Einführung einer anderen Zeugnisordnung. Dieses unübersichtliche Durcheinander wird übrigens auch von den Kritikern der jetzigen Zeugnisordnung so gesehen und auch durchaus skeptisch gesehen.

Schwierig wird es bei den Ausnahmeregelungen. Wir haben darüber gesprochen. Es haben 19 Schulen beantragt, eine Unterschrift unter einen Antrag ist schnell gesetzt.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Bei uns nicht!)

Unter einen Antrag, unter eine Resolution, da habe ich mich falsch ausgedrückt!

Wenn Sie aber einmal sorgfältig nachschauen, wie die Praxis an den einzelnen Schulen gewesen ist, ich habe mir das gerade einmal für einen Ortsamtsbereich exakt angeschaut, dann ist die Realität ganz an

ders. Es gibt eine ganze Reihe von Schulen, in denen die Eltern unbedingt wollen, dass eine Zensur erteilt wird, und es gibt eine ganze Reihe von Schulen, wo das übrigens auch jahrelang geübte Praxis ist. Wir wollen hier nicht so tun, als würden alle Eltern jetzt sagen, Zensuren sind falsch. Auch das spricht übrigens für die Zeugnisordnung, mit der wir uns hier heute auseinander setzen. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, denn wir haben darin sowohl die mündliche Beurteilung als auch die Zensur. In jedem der 16 Bundesländer gibt es übrigens Zensuren, auch um das so zu sagen. Ich halte es allerdings, um auf die Ausnahmeanträge zurückzukommen, für bedauerlich, dass wir den 19 sehr wohl begründeten Anträgen, die in der Kürze der Zeit gestellt worden sind, nur bei sechs Schulen folgen konnten. Auch das ist eine Debatte innerhalb der Koalition gewesen. Die CDU konnte sich nicht zu mehr Fällen durchringen und auch nicht fachlich überzeugen lassen. Ich darf vielleicht eines sagen, bevor sich hier Unruhe ergibt. Wir waren gerade vor ein paar Tagen an der Grundschule am Buntentorsteinweg und haben dort eindrucksvoll, auch vom Elternbeirat, noch einmal Argumente bekommen, warum nach einer langen fachlichen Debatte diese Eltern keine Zensuren haben wollen. Das ist eine sehr gemischte Schule mit einem hohen Ausländeranteil. Mich hat das überzeugt, und ich habe Verständnis für den Unwillen dieser Eltern. Ich denke, dass wir auch noch nicht am Ende der Debatte sind, aber so einfach, wie Sie es sich machen, Frau Stahmann – das ist das Privileg der Opposition, ich habe Verständnis dafür – können wir uns das nicht machen, denn für beide Seiten gibt es gute Argumente. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, aber die Entwicklung an den Schulen weiterhin sehr sorgfältig verfolgen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Wedler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kritik an der neuen Zeugnisordnung kann ich voll teilen. Das ist in meinen Augen ein typisch bürokratisches Monster, das entstanden ist und dann auf die Schulen beziehungsweise auf die Lehrer, die vor dem Problem stehen, heruntergeregnet ist. Das ist für mich so ein typischer Kompromiss der großen Koalition, die sich im Grunde genommen auf nichts endgültig einigen konnte. Ich kann die Proteste der Lehrer sehr gut verstehen, wenn sie sich gegen die Dreifachbelastung, die damit ausgelöst wird, wehren. Dass sie Notenzeugnisse geben müssen, Lernentwicklungsberichte produzieren müssen

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Aber die Lernentwicklungsberichte sind doch sinn- voll!)

und dann auch noch gleichzeitig Elterngespräche führen müssen, das ist eine Dreifachbelastung, die man sehen muss, wenn man den Lehrern eine solche Arbeitslast aufdrückt.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Aber die Beratung ist doch wichtig!)

Deshalb kann ich die Lehrerproteste an dieser Stelle sehr gut nachvollziehen. Ich finde nämlich, dass es im Grunde genommen doppelt gemoppelt ist.

Nicht verstehen und billigen kann ich allerdings die in diesen Protesten zum Ausdruck kommende, will ich einmal vorsichtig sagen, Arbeitsverweigerung von Lehrern, denn das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn das Land, der Arbeitgeber, der Schulträger oder die Bildungsdeputation so etwas beschließt, denke ich, ist das maßgeblich für die betroffenen Lehrer und Schüler, dann müssen sie dem auch folgen, das sehe ich ein. Demonstrieren aber gegen eine solche Neuregelung, das Recht müssen wir ihnen allerdings zubilligen.

(Glocke)

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Stahmann anzunehmen?

Ja, bitte!

Bitte, Frau Stahmann!