Protocol of the Session on February 24, 2005

Die Kosten sind in der Tat, Frau Allers, ein kleines Argument, aber wir haben alle die Debatte gestern sehr genau verfolgt, auch wenn es nur ein paar zehntausend Euro kostet, die Schulen auszustatten, die eben nicht der vereinfachten Schreibschrift nacheifern, das kostet Geld. Das Geld haben wir nicht, und ich würde es im Augenblick auch lieber, entschuldigen Sie bitte, woanders ausgeben.

Dennoch finde ich den Antrag richtig. Ich bin ausgesprochen dankbar, dass es hier eine Übereinkunft gegeben hat innerhalb der großen Koalition, weil ich glaube, dass wir mittel- und langfristig selbstverständlich dazu kommen müssen, das zu vereinheitlichen. Das sollten wir überprüfen. Ich bin sehr wohl der Auffassung, dass man es schon zum neuen Schuljahr innerhalb der einzelnen Schulen erreicht. Herr Wedler hat darauf eben sehr schön hingewiesen, dass wir es ja noch nicht einmal weder in Niedersachsen noch in Bremen schaffen, dass einzelne Grundschulen einheitliche Schriften nutzen.

Ich sehe mit Freude, dass Frau Stahmann auch nickt in der Frage, Sie haben eben übrigens auch entgegenkommend gesagt, Frau Allers, das kann man auch regional abstimmen, das heißt ja schon, auch mehrere Schulen im Bezirk könnten sich da zusammenschließen und sich darauf einigen. Das finde ich einen sehr guten Kompromiss. Ich denke, wenn Sie uns beauftragen, das entsprechend zu überprüfen, mit den Schulen ins Gespräch zu kommen, dass wir uns dann einmal intern vornehmen, innerhalb der Schulen eine Vereinheitlichung zu schaffen, möglichst innerhalb der Region abgestimmt, und dann mittelfristig, auch ohne dass da unnötige Kosten entstehen, es dann vielleicht irgendwann schaffen, zu einer gemeinsamen, einheitlichen Schrift zu kommen. Aber wie gesagt, es gibt wichtigere Dinge. Trotzdem bin ich dankbar für diese Initiative. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 16/521 seine Zu

stimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Abg. T i t t m a n n [DVU] und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen)

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Keine Zensurenpflicht an Grundschulen!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Februar 2005 (Drucksache 16/541)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Lemke. Die Beratung ist eröffnet. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich schon auf eine lebhafte Bildungsdebatte mit der Koalition. Die neue Zeugnisordnung der großen Koalition sorgt an Bremer und Bremerhavener Schulen und bei Eltern für großen Unmut, Eltern klagen, es werden Briefe geschrieben. Erstmals seit 15 Jahren werden an den Grundschulen die Leistungen von Dritt- und Viertklässlern wieder zensiert.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Das ist doch gut so! – Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Aber in der Einheitsschrift!)

Das findet die CDU gut. Die Grünen finden das nicht gut! Da sind wir schon einmal beim Kern des Problems, Herr Rohmeyer. Grundschulverband, Zentralelternvertretung Bremen und Bremerhaven, Herr Rohmeyer, die Ihnen auch sonst immer so wichtig sind, und viele Grundschulleiter, Experten in Sachen Bildung, haben sich vehement gegen die Zensuren ausgesprochen. Die Schulen protestieren, und das ist bisher, seitdem ich Bildungspolitik mache, schon ein einmaliger Fall, in öffentlichen Aufrufen, und Eltern klagen vor Gericht gegen die Behörde und gegen diese Zeugnisverordnung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Zeugnisordnung ist unausgegoren, sie gefährdet den Schulfrieden, und deshalb fordern wir Sie ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

heute auf, eine neue Zeugnisordnung vorzulegen, die in der Regel auf eine verpflichtende Notengebung an den Grundschulen zugunsten von Lernentwicklungsberichten und verbindlichen Elterngesprächen verzichtet.

Die neue Zeugnisordnung sieht neben Lernentwicklungsberichten und Elterngesprächen die Wiedereinführung von Noten ab Klasse drei vor. Während die Lernentwicklungsberichte und Elterngespräche sehr positiv aufgenommen werden, das weiß auch Senator Lemke und wird es sicherlich in der Debatte noch einmal ausführen, stellt die Notengebung die Grundschulen vor große Probleme. Für die Mehrzahl der Bremer Grundschulen bedeutet das einen ganz gravierenden Einschnitt, denn sie haben im Laufe der letzten Jahre ihre pädagogischen Konzepte und die Arbeit, wie unterrichtet wird, an den Grundschulen deutlich verändert.

Über das Pro und Contra von Zensuren hat man lange gestritten, der Senator hat gestern hier gesagt, Zensuren seien schädlich, da hat sogar Frau Schmidtke geklopft und aus der SPD noch einige andere Leute. Es gibt Leute, die schwören auf Zensuren, ich denke, in den Fraktionen gibt es da ganz unterschiedliche Positionen. Fest steht aber Folgendes.

(Zurufe)

Das hat gestern Herr Lemke hier gesagt. Na gut, ich dachte, es wäre schädlich gewesen!

Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die hergibt, dass die Kinder mit Noten besser lernen. Nationale und internationale Untersuchungen der letzten Jahre belegen, die These von der besonders leistungsfördernden Wirkung von Noten – Herr Rohmeyer, hören Sie gut zu, sonst muss ich Sie umsetzen! –

(Heiterkeit)

bleibt ein Mythos, Herr Rohmeyer.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In Hamburg gab es eine große Untersuchung, die Lernausgangslagenuntersuchung, kurz LAU, auch gern von der CDU-Senatorin zitiert. Auch dort wurde deutlich, dass die Klassen, die mit Noten lernen, nicht besser lernen als die Kinder, die ohne Noten in der Schule sind. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Waldorfschulen, auch in Bremen beliebt, erteilen keine Noten, und andere Länder, die wir als Pisasieger bezeichnen, kommen sogar ohne Noten bis Klasse acht aus, das sind gute Beispiele.

Zensuren geben eben keine Auskunft über die Lernentwicklung und sind damit für Prognosen wenig hilfreich. Zensuren orientieren sich am Jahrgangsdurchschnitt einer Klasse, nicht an den Lernvoraussetzungen des einzelnen Kindes. Noten bescheini

gen leistungsstarken Kindern „gut“ oder „sehr gut“, auch wenn der Lernfortschritt nur minimal war, denn es ist schon so ein Effekt, dass viele Lehrer feststellen, dass die Kinder, die immer eine Eins schreiben, sich irgendwann nicht mehr anstrengen, obwohl auch sie mehr leisten könnten.

(Abg. Karl Uwe O p p e r m a n n [CDU]: Dann gibt es von Oma kein Geld mehr!)

Dann gibt es von Oma kein Geld mehr, sagt Herr Oppermann ganz lebenspraktisch.

Auch wenn der Lernfortschritt nur minimal war, das habe ich ausgeführt. Leistungsschwache Kinder bekommen „mangelhaft“ oder „ungenügend“, auch wenn sie gemessen an ihren Lernfortschritten riesengroße Schritte gemacht haben. Ein Kind, das früher 60 Fehler und dann 20 Fehler im Diktat gemacht hat, bekommt, wenn das Diktat in der Grundschule zensiert wird, immer noch eine Sechs, aber der Lernfortschritt war immens. Ich finde, Noten werden den Kindern nicht gerecht, und das ist einer meiner Hauptkritikpunkte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun sagen Herr Rohmeyer, der Bildungssenator oder die SPD, das sind lange Texte, und die Note steht da nur ganz klein in Klammern dahinter, aber jeder, der sich so ein Zeugnis in die Hand nimmt, Frau Krusche als Grundschullehrerin hat das heute Morgen auch gemacht, der Effekt ist der, schlägt es auf und sieht zu der Note, und das, was die Lehrerinnen und Lehrer geschrieben haben, wird nicht mehr richtig zur Kenntnis genommen.

Es sind nämlich sehr lange Zeugnisse, in Klasse vier jetzt zum Halbjahr zum Beispiel sieben Seiten. Ich finde es gut, dass die Lehrer die Kinder differenziert beschreiben, aber um Gottes Willen, warum muss man mit dieser Note diesen ausführlichen Bericht dann praktisch obsolet machen und in Frage stellen? Eine Note kann einem Menschen gar nicht gerecht werden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Verbale Benotungen sind nicht objektiver als Noten, das muss ich ehrlicherweise auch sagen. Sie suggerieren aber diesen Anspruch auch nicht. Sie können sichtbar machen, wo die Stärken und Schwächen eines Kindes im bewerteten Bereich liegen, unter welchen Bedingungen sie zustande gekommen sind und welche Fortschritte auch hinter schwächeren Leistungen stecken.

Allein 49 von 70 Bremer Grundschulen haben in einer relativ einmaligen gemeinsamen öffentlichen Erklärung, die ich eingangs erwähnt habe, ihre Position deutlich gemacht. Die Grundschulen erklären: „Wir geben Zensuren gegen unsere ausdrückliche

pädagogische Überzeugung und damit nur unter Protest.“ Die unterzeichnenden Schulen, die von der Pflicht zur Zensurengebung ausgenommen sind, erklären sich mit dem Anliegen und dem Protest solidarisch. Die Schulen fordern eindringlich, die Einführung von Zensuren bis zum Sommer 2005 zurückzunehmen. Auch in Bremerhaven, Herr Senator, halten sich die Eltern und Schulen in ihrer Kritik nicht zurück, in Bremen klagen die Eltern gerichtlich, und in Bremerhaven wird es wohl auch dazu kommen. So habe ich es zumindest von Eltern der ZwingliSchule gehört. Ich fordere Sie hier heute auf, Sie, Herr Senator Lemke, und die große Koalition, nehmen Sie es ernst, nehmen Sie diesen Unmut an den Schulen ernst, erlassen Sie eine neue Zeugnisordnung, und nehmen Sie Ihre alte zurück!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Zeugnisordnung sieht im Paragraphen 18 Absatz 4 eine ausdrückliche Ausnahmeregelung vor. Das hat die Schulen ja erst so richtig sauer gemacht, Herr Rohmeyer! Innerhalb einer sehr knapp bemessenen Frist von zwei Wochen legten immerhin 19 Bremer Grundschulen einen Antrag auf Notenbefreiung vor. Dazu brauchten sie ein pädagogisches Konzept und das Votum der Schulkonferenz. Etliche weitere konnten dies wegen der knapp bemessenen Frist von rund zwei Wochen nicht beantragen, wollten es aber gern. Sie konnten aber die Fristen nicht einhalten, weil es dann sehr schwierig ist, die Schulkonferenz in dieser kurzen Zeit einzuberufen.

Die Koalition befreite am Ende nur sechs Bremer Grundschulen und drei in Bremerhaven. Ich finde, die Schulen sind zu Recht sauer. Sie verabschieden eine Zeugnisordnung, schaffen eine Ausnahmeregelung und lassen dann nicht alle Schulen zu, obwohl sie gute pädagogische Konzepte vorgelegt haben und obwohl, wie von Ihnen verlangt, die Schulkonferenzen mit einer Zweidrittelmehrheit dafür gestimmt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Beispielsweise die Schule an der Admiralstraße wollte sich von der Benotungspflicht befreien lassen, auch die Grundschule Am Wasser, die Grundschule am Buntentorsteinweg. Auch die Grundschule an der Admiralstraße, deren Konzept von der Behörde in der Rangliste, es gibt wohl eine solche Rangliste, positiv bewertet wurde, erhielt keine Befreiung. Schlechter bewertete Schulen dagegen bekamen die Befreiung. Damit ist Ihr Verfahren auch rechtlich angreifbar. Es ist schon verwunderlich, dass die große Koalition eine funkelnagelneue Zeugnisordnung auf den Weg bringt, deren Möglichkeiten aber nicht so richtig ausgeschöpft werden sollen.

Das Ziel der Grundschule ist es: Kinder sollen das Lernen lernen, sie sollen fragen, sie sollen forschen. Jedes Kind soll dabei seine eigenen Lernfähigkeiten

entdecken und nutzen. Dabei führen viele Wege zum Ziel, bei einigen Kindern schneller, andere Kinder lernen langsamer. Kinder lernen in der Grundschule voneinander und miteinander. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sollen dabei Zensuren?

Die einheitlichen Lernentwicklungsberichte beschreiben die Lernfortschritte der Kinder, sie geben ein sehr differenziertes Bild von den Schülerinnen und Schülern. Das hat auch der Bildungssenator gesagt. Lernentwicklungsberichte stellen den individuellen Lernfortschritt dar. Sie können auch bei Kindern mit verlangsamter Lernentwicklung Fortschritte aufzeigen, sind den Prinzipien Ermutigen der schwachen Schüler und Fordern der stärkeren Schüler verpflichtet. Durch die Ziffernoten werden sie meiner Ansicht nach entwertet. Die Noten, die von der Koalition beschlossen wurden, sind da nicht nur ein ganz kleiner Teil, wie der Bildungssenator in öffentlichen Interviews glaubhaft machen will. Deshalb fordern wir heute als grüne Bürgerschaftsfraktion eine neue Zeugnisordnung, die den Schulfrieden in Bremen und Bremerhaven wieder herstellt. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!