Protocol of the Session on September 9, 2004

Nun eskaliert der Streit in Bremen um das Turnfest 2009. Nicht, wie der Sportsenator Röwekamp mehrfach betont, rechtzeitig und, sagen wir einmal, ordnungsgemäß, sondern in allerletzter Minute wird das Konzept für die Bewerbung vorgestellt, nämlich am 17. August. Wir erfahren dann, dass am 31. August die vorgezogene Bewerbungsfrist bereits ablaufen soll. Da kann man also nicht davon sprechen, dass das eine seriöse und zeitgerechte Vorbereitung ist. Ich komme immer einmal wieder auf die Parallele zu der Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2010, weil man da sehen kann, wie nützlich es ist, rechtzeitig professionell, unter Einbeziehung aller Kräfte, unter Motivierung aller notwendigen Kräfte in dieser Stadt ein seriöses und wirklich gut vorbereitetes Bewerbungsverfahren laufen zu lassen. Das kann man nicht sagen, wenn man am 17. August für den Bewerbungsschluss 31. August hier anfängt, überhaupt Konzepte vorzustellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, plötzlich kostet das Ganze nicht mehr zwölf Millionen Euro, also die umgerechnete Summe der Kostenkalkulation für 2006, sondern nur noch fünf Millionen. Wenige Tage vor Bewerbungsschluss heißt es dann vom

Sportsenator: Wenn man möchte, weil es Zweifel in der SPD gegeben hat, könnte man noch eine Million für die Sanierung von Turnhallen zusätzlich haben. Auch das ist alles andere als eine seriöse Vorgehensweise, wie wir finden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der Kirchentag, und das traf in der Bremischen Evangelischen Kirche durchaus auf Sympathie, wurde dann in Gedanken auf 2011 geschoben. Da gab es verschiedene Gründe, warum das eigentlich auch aus Sicht der Kirche durchaus Sinn machen sollte, obwohl er ja vorher angeblich für 2009 schon in trockenen Tüchern war.

Man erlebte nun in der Öffentlichkeit ein sehr beeindruckendes Schauspiel zwischen dem Sportsenator Röwekamp und der SPD-Fraktion, die sich gegenseitig die Schuld an den Problemen um die Bewerbung des Turnfestes in die Schuhe schoben. Ich finde, dass in diesem Fall das finanzielle Argument von Seiten der SPD-Fraktion, dass man sagt, man kann schlichtweg nicht die Investitionsanschlussprogramme der kommenden Legislaturperioden, deren Vorplanung und deren seriöse Begrenzungen ja auch die grüne Fraktionsvorsitzende und Haushaltsausschussvorsitzende Frau Linnert mehrfach gefordert hatte, einfach in dem Punkt überbuchen, indem man einfach Beschlüsse macht, bevor es, was immer, an erster Stelle von den Grünen, eingefordert worden ist, eine seriöse Zusammenschau der Vorbelastungen dieser Haushalte der zukünftigen Legislaturperioden gibt.

Diesem finanziellen Argument, das ja nicht sagt, wir haben kein Geld für einen Kirchentag oder wir haben kein Geld für ein Turnfest, sondern das nur sagt, wir haben kein Geld für alles, was ihr da so gern machen möchtet, also brauchen wir Entscheidungen über Begrenzungen und seriöse Finanzierungen, ist, glaube ich, sehr schwer zu widersprechen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun passiert, was vielleicht in Bremen an dieser Stelle passieren muss, der Bürgermeister war in Urlaub, kam aus dem Eismeer zurück. Ich habe einmal versucht, mich in den Sportsenator Röwekamp hineinzuversetzen, der die ganze Zeit einen Kampf gegen die SPD-Fraktion für das Turnfest 2009 kämpft in dem guten Glauben, der Kirchentag sei verschoben. Dann erzählt der Bürgermeister, zurück aus dem Eismeer: Nein, April, April, alles wieder zurück, 2009 können wir gar kein Turnfest machen, wir haben ja schon den Kirchentag 2009!

Meine Damen und Herren, Sie können sich den Eindruck, den das macht, ob nun bei Sportlern oder auch in der Kirche, aber auch außerhalb von Bremen sehr gut vorstellen! Das ist schlichtweg mit

Chaostagen nur sehr freundlich und wirklich absolut wohlwollend umschrieben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun kommt, wie ich auch wieder finde, berechtigterweise Herr Kastendiek ins Spiel, der sagt, erstens ist das alles zwar ganz schön, wenn auch verwunderlich, aber, so wie man erfahren kann, ist auch diese Information wieder noch nicht insoweit gesichert, als dass wir eine hundertprozentige Sicherheit haben, dass der Kirchentag nun 2009 nach Bremen kommt, abgesehen von den anderen Fragezeichen, die es auch um diese Veranstaltung in der Vorplanung noch gibt. Der Stand von heute ist meines Erachtens immer noch: Wir wissen nicht, ob der Kirchentag 2009 nach Bremen kommt, wir wissen nicht, ob das Turnfest 2013 nach Bremen kommt, wir wissen nicht, ob die Gymnastrada 2011 nach Bremen kommt, und wie wir das alles zusammen finanzieren, das wissen wir erst recht nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube, an dieser Stelle noch einmal diesen Schlenker – erlauben Sie ihn mir! – zum BAW machen zu müssen! Das BAW rechnet jetzt die Kosten für solche Events herunter, indem es plötzlich so etwas wie Werbeeffekt, Medieneffekte hereinrechnet. Man macht es so – das haben vielleicht nicht alle gesehen, deswegen sollte man es hier noch einmal erwähnen –, dass man sagt: Jede Minute, die Bremen dort im Fernsehen erscheint, auch wenn nur ein Turner da ist oder irgendetwas anderes von diesem Turnfest gezeigt wird, ist genauso viel wert, wie eine Werbeminute kosten würde, wenn sie von Persil oder wem auch immer geschaltet wird. Da man diese Rechnung dann selbst irgendwie komisch findet beim BAW – man kommt am Ende auf fast 50 Millionen Euro an Effekten –,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

sagt man einfach, das ist irgendwie ein bisschen viel, also nehmen wir einfach ein Viertel davon. Das wird dann schon richtig sein, und das schreiben wir in die Kostenkalkulation. Auf dieser Basis werden wir Bremen nach vorn bringen. – Ich danke Ihnen!

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Pohlmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht noch einmal eingehend auf den Redebeitrag von Ihnen, Herr Güldner: Man könnte ja in dieser inhaltlichen Frage, ob wir für Großveranstaltungen in dieser Stadt sind, auch feststellen, dass man zu dem Schluss kommt, es ist im

mer gut, dass man dies gründlich in den einzelnen Deputationen und im Parlament berät.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Und zwar bevor die Bewerbung hinausgeht!)

Diese Position teile ich vollkommen, und ich glaube, das ist auch eine Position, die wir insgesamt im Parlament auch als notwendig erachten.

Meine Damen und Herren, Bremen ist eine weltoffene Stadt, und wir als SPD-Fraktion, ich betone es noch einmal ausdrücklich, freuen uns über Gäste im Land Bremen. Wir sind gute Gastgeber, das haben wir in der Vergangenheit bewiesen, und wir betrachten es als Auszeichnung für Bremen, Veranstaltungsort für Großveranstaltungen zu sein, gleichzeitig betonen wir aber noch einmal, dass wir als SPD-Fraktion dafür eintreten, wenn diese Großveranstaltungen nach Bremen kommen, dass es unter bestimmten Voraussetzungen realisiert wird.

Erstens: Die haushaltsrelevanten Kosten müssen sorgfältig ermittelt werden. Zweitens: Die Finanzierung muss im Einklang mit den Möglichkeiten des bremischen Haushalts stehen. Drittens: Das Parlament, die Deputationen, die gewählten Abgeordneten müssen frühzeitig in die Entscheidungsfindungen eingebunden werden.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Keine dieser drei Voraussetzungen wurde bei der Vorbereitung des Turnfestes erfüllt. Vorbereitung und Abstimmung, so möchte ich das für unsere Fraktion betonen, waren in vielen Bereichen dilettantisch. Aus Nachlässigkeit oder auch bewusst wurde weder die Sportdeputation noch das Parlament einbezogen. Auch während der Haushaltsberatungen wurde dieses Projekt nicht erwähnt. Dabei legte das BAW bereits im Juni 2003 ein im Auftrag des Senats erstelltes Gutachten für eine mögliche Bewerbung des Turnfestes 2009 vor. Ermittelt wurde in diesem Gutachten eine Haushaltsbelastung von 12,3 Millionen Euro.

Im Frühjahr 2004 wurden zwei Mitarbeiter von dem Sportverein Bremen 1860 gebeten, Kosten, Konzeptionen und Durchführungsmöglichkeiten für das Turnfest in Bremen zu ermitteln und eine Kostenaufstellung vorzulegen. Es wurde eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet, aber auch über diese hier von mir skizzierten Arbeitsvorhaben der Verwaltung wurden weder die Fachdeputationen, die Sportdeputation noch das Parlament informiert. Am 8. Juni 2004 beschloss der Senat, gegenüber dem Deutschen Turnverband eine Interessensbekundung für die Durchführung des Turnfestes 2009 in Bremen abzugeben, und erst Anfang Juni wurden die

Fraktionsvorsitzenden der Koalition über diese Absicht des Senats mündlich informiert.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Nett!)

Die vom BAW 2003 ermittelten Kosten in Höhe von 12,3 Millionen Euro spielten nun mit einem Mal keine Rolle mehr. Stattdessen wurde der Eindruck vermittelt, dass die Organisationskosten für das Turnfest in Leipzig im Jahr 2002 in Höhe von 2,89 Millionen Euro auch für Bremen ausreichen würden. Am 25. August 2004 erhielt die Sportdeputation einen mündlichen Bericht. Die Kosten wurden jetzt mit 5,1 Millionen Euro angegeben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wären wir für Politikerinnen und Politiker, wenn wir bei dieser offensichtlich nicht sonderlich fundierten Zahlenvielfalt eine Entscheidung für die Ausführung des Turnfestes 2009 getroffen hätten?

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch einmal betonen, dass die Positionen, Herr Senator Röwekamp, die Sie auch in der Öffentlichkeit dargelegt haben, der Sport in Bremen kann nur von den Infrastrukturmaßnahmen für ein Sportfest profitieren, für das Bremen den Zuschlag erhält, richtig sind, aber klug wäre es gewesen, vor der Bewerbung den Haushaltsgesetzgeber zu fragen, ob er die notwendigen Gelder zur Verfügung hat und auch zur Verfügung stellt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, vielleicht erinnern Sie sich: Die politische Auseinandersetzung um das Turnfest fand in unmittelbarer zeitlicher Nähe der Beratungen der Haushalte 2004 und 2005 statt, Kürzungen überall, auch im Sportbereich. Ich erinnere nur noch einmal, was durch die Presse gegangen ist. Wir stehen vor Problemen: Wie können wir nach diesem nicht gerade sonderlich guten Sommer das Defizit im Bäderbereich ausgleichen? Es gibt Diskussionen, ob es notwendig ist, Wettmittel, die unmittelbar auch für die Sportförderung, für die Tätigkeit und Absicherung des Breitensports der Vereine notwendig sind, für den Haushaltsausgleich heranzuziehen. Diese Überlegungen gibt es, und dann diese Bewerbung: keine schriftliche Entscheidungsgrundlage, keine verbindliche Finanzierungsaussage, aber die selbstverständliche Erwartung, dass die Parlamentarier als Haushaltsgesetzgeber die Mittel zur Verfügung stellen! So geht es nicht! So kann man nicht mit dem Parlament umgehen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, der Senat hat inzwischen entschieden, sich für Großveranstaltungen des Deutschen Turnerbundes in den Jahren 2011 und 2013 – der Kollege Güldner hat es auch berichtet – zu bewerben. Das wäre 2011 die Welt-Gymnastrada, und das wäre 2013 das Deutsche Turnfest. Wir als SPDFraktion tragen dies mit, denn diese zeitliche Verschiebung macht eine Finanzierung aus dem Anschluss-Investitionsprogramm der Jahre 2011 bis 2014 möglich.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wenn dann noch etwas darin ist!)

Frau Kollegin, ich glaube, das ist ein notwendiger Weg, auch wenn Sie jetzt als Grüne behaupten, dass es nicht möglich wäre. Ich glaube, wir müssen uns dann hinsetzen, und das entspricht auch genau dem, was Herr Kollege Güldner gesagt hat, wie wir hier gemeinsam im Parlament beraten, wie wir diese Großveranstaltung, die absolut auch für diese Stadt, für ihre Außenwirkung, aber auch für viele Menschen eine sehr große Bedeutung hat, realisieren können. Dann müssen wir uns hinsetzen, und dies muss ordentlich finanziert werden, und dafür stehen wir als SPD-Fraktion!

(Beifall bei der SPD)

Die für die Jahre 2007 und bis zum Jahr 2010 zusätzlich beschlossene eine Million Euro zur Aufwertung der Sportinfrastruktur untermauert unsere Position, den Breitensport in Bremen zu fördern. Wir sehen diese Mittel aber auch als besondere Würdigung und Anerkennung der Tätigkeit der Vereine, der ehrenamtlich Tätigen, denn ohne dieses Engagement, ohne diesen Einsatz wären solche Großveranstaltungen nicht möglich. Das ist sehr wichtig, und das ist ein Zeichen, und wir unterstützen ausdrücklich, dass dies auch in den Beschluss des Senats aufgenommen wurde. Ich erwarte im Namen meiner Fraktion, dass der Landessportbund, die Sportverbände, die Fraktionen, die Fachdeputationen und das Fachressort für die Realisierung dieser Bewerbung in die Vorbereitung mit eingebunden werden.

Für den Fall, dass Bremen den Zuschlag für eine der Großveranstaltungen des Deutschen Turnerbundes entweder in dem Jahr 2011 oder 2013 erhält, erwarten wir Sozialdemokraten ein Konzept, auf dessen Grundlage die Veranstaltung sorgfältig geplant und die Kosten fundiert ermittelt werden. Außerdem muss das Sanierungsprogramm für die öffentlichen Gebäude das Turnfestkonzept bei der Prioritätensetzung mit berücksichtigen. Ziel und Ergebnis dieses Turnfestes muss es sein, den Breitensport in Bremen aufzuwerten und neue Impulse zu setzen.

Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist mir ein Bedürfnis, und ich

sage es auch ganz ausdrücklich, weil wir eine sehr lange und auch intensive Diskussion in unserer Fraktion und allen Bereichen der Öffentlichkeit geführt haben: Ich möchte mich für alle beim Bremer Sport entschuldigen. Der politische Umgang mit der Bewerbung für das Deutsche Turnfest 2009 hier in Bremen hat für viele Irritationen gesorgt. Ich hoffe sehr, dass wir alle, ich betone wir alle, aus diesem Debakel gelernt haben. Was wir hier geleistet haben, ist wahrlich kein Ruhmesblatt bremischer Politik!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Angesagt ist Selbstkritik für alle Beteiligten, und ich betone, aber auch für unsere Fraktion, selbstverständlich wir alle, verbunden mit der Selbstverpflichtung, mit Entscheidungsfindungen künftig sensibler, Herr Kastendiek, und verantwortungsbewusst umzugehen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, Grundabsicherungen und Rahmenbedingungen für den Sport sicherzustellen. Das sind zwei Seiten einer Medaille, und dann werden wir uns selbstverständlich auch für positive und gute Projekte, Großprojekte einsetzen. – Ich bedanke mich!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Pflugradt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Irgendwie haben die beiden Vorredner versucht, hier doppelte Pirouetten zu drehen,

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Und jetzt kommt der Dreifache rückwärts!)