Protocol of the Session on May 17, 2001

Wir genießen, dass wir einen höheren gestalterischen Anspruch haben, und das finde ich auch ganz gut.

Für die SPD-Fraktion ist es jetzt natürlich besonders knifflig, weil wir nicht nur hier in Bremen durch die Koalition in der Regierungsverantwortung sind, sondern auch auf der Bundesebene, da aber in Koalition mit den Grünen. Ich möchte das noch einmal ganz deutlich machen, weil das in der Frage der Debatte zur Bundeswehr eine ganz wichtige Rolle spielt, wenn wir jetzt hier nämlich zum Thema „Abschaffung der Wehrpflicht und Verkleinerung der Bundeswehr“ diskutieren, dann haben wir eine ganz schwierige Situation. Wir haben nämlich einen Koalitionspartner hier im Bundesland, der auf Bundesebene eine Position vertritt, die sich tendenziell eher gegen die der SPD richtet. Wir können auf Bundesratsebene als SPD-Fraktion aber ohne unseren Koalitionspartner nicht aktiv werden, das sieht der Vertrag so vor. Mit dem müssen wir also eine Bundesratsinitiative erst einmal abstimmen.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Sagen Sie doch, dass eine große Koalition nicht so schön ist!)

Eine weitere Frage, mit der wir uns in Hinblick auf den vorliegenden Bundesratsantrag auseinander zu setzen haben, ist, welche Rolle das offensichtlich ja sehr kleine Bundesland Bremen im Rahmen der ganzen Gemengelage im Bundesrat spielt. Dazu kommt dann noch, dass unser Koalitionspartner, mit dem wir hier jetzt laut Antrag der Grünen ja eine Initiative ergreifen wollen, eben auf Bundesebene genau in Opposition zu den Politikansätzen steht, die Scharping unter Zustimmung der Fraktion der Grünen macht. Insofern haben wir vor dem Hintergrund der Wehrpflicht, auf den Antrag möchte ich jetzt eingehen, eine sehr schwierige Situation, zu der wir uns politisch verhalten müssen. Deswegen werden wir den Dringlichkeitsantrag schon aus dieser schwierigen Konstellation heraus nicht verfolgen können. Ich werde es aber jetzt auch noch einmal inhaltlich begründen, warum es nicht dazu kommt.

Die Auffassung der SPD ist, dass die Wehrpflicht zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist. Die Einführung einer Berufsarmee hat aus unserer Sicht gewisse Risiken, weil sie eine gesellschaftliche Isolierung darstellen kann und weil die demokratischen Strukturen für eine Armee besonders dadurch gewährleistet sind, dass viele gesellschaftliche Gruppen direkt in die Bundeswehr dadurch hineinwirken, dass sie da sind. Wenn wir uns die deutsche Geschichte anschauen – es gibt auch in anderen Ländern Ereignisse –, dann ist das ein Argument, das dafür spricht, auch weiterhin die Wehrpflicht aufrecht zu erhalten, aber keine Berufsarmee einzuführen. Das bedarf aber gewisser Einschränkungen.

Der SPD – und der Bundesverteidigungsminister ist im Augenblick dabei, wer gestern die Nachrichten gesehen hat, hat auch über Verhandlungen mit der neuen Gewerkschaft ver.di gehört –, geht es derzeit politisch genau darum zu versuchen, im neuen politischen Koordinatensystem, das mittlerweile nicht mehr neu, sondern über zehn Jahre alt ist, ohne den Ost-West-Konflikt, natürlich auch, was das Militär betrifft, zu Umsteuerungen zu kommen. Verkleinerung ist unumgänglich, nicht nur, weil eine Armee keinesfalls mehr so benötigt wird, wie sie vielleicht vor einigen Jahren benötigt worden ist, Verkleinerung ist auch deswegen nötig, weil die haushaltspolitischen Spielräume auf Bundesebene so eng sind, dass die nötigen Einsparungen da sehr gut erbracht werden können, und deswegen geht Rudolf Scharping die Verkleinerung der Bundeswehr an, und das findet die SPD richtig so.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD sagt ganz deutlich ja zur Wehrpflicht, aber die Wehrpflicht darf nicht der Verkleinerung der Armee entgegenstehen.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Sehr sibyllinisch!)

Das ist nicht sehr sibyllinisch, sondern das macht ganz deutlich, welche Priorität wir haben. Für uns ist wichtiger, dass wir zu einer Verkleinerung der Armee kommen. Wir finden die Wehrpflicht zwar auch wichtig, aber wenn man sich entscheiden muss, dann macht das in der Perspektive deutlich, wie sich die SPD entscheiden will.

(Beifall bei der SPD – Abg. Frau S t r i e - z e l [CDU]: Aber Wehrgerechtigkeit gibt es dann nicht mehr!)

Die Wehrgerechtigkeit ist genau der Grund, weswegen wir dann möglicherweise irgendwann auch die Wehrpflicht zur Disposition zu stellen haben. Wir haben schon jetzt die Situation, und die Verkleinerung der Bundeswehr wird das noch verschärfen, dass wir genau diese Gerechtigkeit, wer wehrpflichtig ist und wer nicht, nicht mehr gegeben haben, und deswegen genau habe ich diesen Satz so formuliert, dass die Wehrpflicht der Verkleinerung nicht entgegenstehen darf.

Die Bundeswehr wird in ihrer Personenzahl und auch in der Zahl der zivilen Mitarbeiter deutlich reduziert werden, aber Rudolf Scharping macht derzeit eine Politik, die versucht, auch bei der Bundeswehr selbst und auch bei den zivilen Beschäftigten ein gewisses Maß an Akzeptanz für diese Verkleinerung zu schaffen und dafür einen gewissen Konsens herzustellen. Der Antrag der Grünen, auch wenn die Richtung für mich völlig nachvollziehbar ist, ist aber hinsichtlich der Zahl meiner Meinung nach derzeit eine so engagierte Zielsetzung, bei der wir davon ausgehen, dass wir sie in nächster Zeit nur schwer erreichen können, aber die Perspektive Truppenverkleinerung teilen wir!

Wir müssen allerdings im Hinblick auf die Wehrpflicht auch noch sehen, dass wir mittlerweile eine ganz andere, demokratisch viel deutlicher durchstrukturierte Gesellschaft haben. Vor dem Hintergrund meine ich, dass die Frage der Berufsarmee auch heutzutage anders diskutiert werden kann, als das noch in den fünfziger Jahren im Schatten des Nationalsozialismus der Fall war. Wenn wir uns andere Länder in Europa ansehen, die derzeit über eine Berufsarmee verfügen, dann müssen wir doch sagen, dass die demokratischen Systeme dadurch nicht gefährdet sind, und es handelt sich dabei keineswegs um einen Staat im Staate.

Deswegen bin ich der Meinung, dass wir hier langsam, aber durchaus offensiv diese Diskussion weiterführen müssen, und wenn Sie meine persönliche Einschätzung hören wollen, ich gehe davon aus, dass genau Folgendes passieren wird: Wir werden eine deutliche Truppenverkleinerung in Deutschland haben, und im Verlauf der Jahre wird genau wegen dieser Wehrgerechtigkeit die Wehrpflicht in Frage gestellt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwann dazu kommt, dass tatsächlich in Deutsch

land aus diesen pragmatischen Gründen die Wehrpflicht abgeschafft wird. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen ja heute auch etwas parlamentarisch diskutieren. Daher kann ich mir drei Vorbemerkungen nicht verkneifen, um auf den Kollegen Pietrzok einzugehen. Herr Pietrzok, jetzt weiß ich, was die wissenschaftliche Erklärung für das Wort Gummi-SPD ist, nachdem ich Sie hier gehört habe.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Erklären Sie doch einmal!)

In einer Rede sich gleichzeitig für und gegen die Wehrpflicht auszusprechen, das ist schon ein Kunststück, Herr Kollege Pietrzok!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Was mich wirklich erfreut hat, ist, dass Sie uns die Rolle der Opposition so gut erklären konnten, dass ich den Eindruck habe, die SPD läuft sich schon warm für diese Rolle.

(Beifall bei der CDU – Abg. K l e e n [SPD]: Ganz bestimmt nicht! – Abg. K o t - t i s c h [SPD] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage.)

Sehr geehrte Damen und Herren, das Experiment „Jugend im Parlament” ist gelungen. Ich möchte mich dem Dank anschließen, dem Dank an die Teilnehmer, dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Hause, dem Dank an die Sponsoren, dem Dank an die Kolleginnen und Kollegen hier aus dem Parlament, die intensiv dieses Projekt vorbereitet haben, und ich möchte mich auch ganz herzlich beim Präsidenten dafür bedanken, dass er sich so intensiv für dieses Projekt eingesetzt hat.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kottisch?

Selbstverständlich! Bei Herrn Kottisch immer gern!

Bitte, Herr Kottisch! ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Herr Eckhoff, ist Ihnen der Hegelsche Lehrsatz These, Antithese, Synthese bekannt?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Der ist mir sehr wohl bekannt, Herr Kollege Kottisch!

(Abg. K o t t i s c h [SPD]: Dann berück- sichtigen Sie ihn doch bitte einmal!)

Herr Kottisch, dass Sie so eine Frage stellen beziehungsweise so eine Zwischenbemerkung machen können, ist mir sehr wohl klar. Sie sind ja nicht SPDMitglied, vielleicht laufen Sie sich noch nicht warm für die Rolle der SPD.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Das war schwach!)

Ich möchte einige Bemerkungen zur Geschichte von „Jugend im Parlament” machen. Sehr geehrte Damen und Herren, die Forderung nach der Errichtung eines Jugendparlamentes stammt aus dem Jahr 1989. Damals schlug insbesondere die Junge Union ein Modell vor, wie man Vierzehn- bis Achtzehnjährige an der Demokratie besser beteiligen kann.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wie hieß denn damals der Vorsit- zende?)

Vierzehn- bis Achtzehnjährige sollten so nach Vorstellungen der Jungen Union damals, ich komme gleich darauf zurück, während der Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft auf einem Extra-Stimmzettel abstimmen können, um dort ein Jugendparlament zu wählen. Nun sind wir, und auch sicherlich meine Person, Herr Dr. Kuhn, von diesen idealistischen Forderungen mittlerweile etwas abgerückt, aber ich bin froh, dass sich in dieser Form im Jahr 2001 beziehungsweise die Durchführung im Jahr 2000 die Forderung nach einem Jugendparlament erfüllt hat. Dazu gab es ein langes parlamentarisches Vorspiel, es gab verschiedene Initiativen in den Jahren 1991 bis 1995. Diese wurden immer wieder unterschiedlich beurteilt, es kamen Vorschläge eines Jugendbeauftragten aus dem Bereich der senatorischen Behörde, aber schließlich und endlich hat sich diese Idee, Gott sei Dank, durchgesetzt.

Ich möchte auch noch einmal meine persönlichen Eindrücke dieser Tage im letzten Dezember schildern. Die Teilnahme auf der Tribüne war außerordentlich interessant und hat viel Spaß gemacht. Es wurde inhaltlich argumentiert, es wurde um Positionen gestritten, aber es wurden auch in bester parteitaktischer Manier Mehrheiten gesucht, dies gehört mit zur Politik. Danach wurde die Arbeit in den

Ausschüssen fortgesetzt, und in diesen Ausschüssen gab es interessante Runden, es gab harte Fragen, man konnte diesen Fragen selten ausweichen, wie wir das in der Politik ja ganz gern machen, es wurden die Fragen auf den Punkt gebracht. Ich weiß nicht, ob die Antworten immer auf den Punkt gebracht waren, aber ich kann, zumindest soweit ich es mitbekommen habe, beurteilen, dass sich alle Kolleginnen und Kollegen wirklich intensiv bemüht haben, diese Fragen auch entsprechend zu beantworten.

Mir und, ich glaube, auch den Kolleginnen und Kollegen aus dem Hause, die mitgemacht haben, hat es wirklich viel Spaß gemacht, und wenn wir auch herüberbringen, dass Politik mehr ist, als es häufig von außen betrachtet wird, dass Politik auch ein Faktor ist, der Spaß machen muss, damit man sich um Positionen streiten kann, damit man nach den besten Argumenten sucht, wenn uns das gelungen ist, mit Hilfe der Jugendlichen dies herüberzubringen, dann war es wirklich ein gelungenes Experiment!

(Beifall bei der CDU)

Aber, um das auch einleitend zu den Resolutionen zu sagen, die dort auch mehrheitlich beschlossen worden sind: Diese Positionen, und das war, glaube ich, allen Jugendlichen klar, lassen sich nicht eins zu eins umsetzen. Diese Positionen werden vielleicht in manchem Punkt sich in den nächsten Jahren automatisch ergeben. Die Gesellschaft entwikkelt sich weiter, die jüngeren Leute übernehmen eine immer stärkere Rolle auch im gesellschaftlichen Leben, und sicherlich wird manche Position sich erst nach langjährigem Bohren dicker Bretter in die Tat umsetzen lassen. Aber das darf die jungen Leute nicht davon abhalten, diese Positionen engagiert vorzutragen, mit diesen Positionen sich in die Politik einzubringen, und aus diesem Grunde setzen wir uns ja auch heute mit diesen Positionen auseinander.

Ich sage aber auch: Einige dieser Positionen werden vielleicht auch nie eine Mehrheit im politischen Engagement finden, und über andere Positionen wird der eine oder andere junge Mensch in zehn oder 15 Jahren denken, was habe ich da eigentlich zu Papier gebracht, und was war damals so meine Forderung, wie konnte ich so etwas zu dem damaligen Zeitpunkt nur fordern.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Alles Erfahrungswerte!)

Sicherlich, Frau Stahmann, auch ein bisschen Erfahrung, aber das kann ja bei solchen Diskussionen auch helfen.

Was uns aber natürlich in erster Linie hilft, um die Meinung der jüngeren Generation auch in unsere Arbeit stärker einfließen zu lassen, ist, dass bei den nächsten Wahlen noch mehr jüngere Leute tatsäch

lich auch hier in die Parlamente entsandt werden. Das ist die beste Möglichkeit politischer Mitbestimmung.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte ganz gern auf zwei Themenbereiche eingehen. Einen hat gerade der Kollege Pietrzok angesprochen, das ist der Bereich der Wehrpflicht und auch die damit verbundene Forderung der Grünen nach Reduzierung der Bundeswehr. Zunächst einmal muss man zum Ausgangspunkt sagen, dass die Bundeswehrstärke in den neunziger Jahren zweimal reduziert wurde. Direkt nach der Wiedervereinigung und der Verschmelzung der beiden Armeen gab es über 400 000 Soldaten. Dieses Modell ist dann auf 350 000 abgesenkt worden, und dies wird jetzt entsprechend weiter auf 282 000 reduziert, wenn ich die Zahl richtig in Erinnerung habe, Sollstärke.

Wir haben, und das muss man an dieser Stelle ganz deutlich sagen, internationale Verpflichtungen unterzeichnet, die Sollstärke der Bundeswehr darf im Rahmen von Nato-Kooperationen nicht auf unter 270 000 Mann abgesenkt werden, und wer auf der einen Seite mit einem grünen Außenminister Joschka Fischer einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat beansprucht, muss sich auch im Rahmen der Nato an die anderen Absprachen halten, und deshalb ist der Antrag, Frau Kollegin Linnert, den Sie hier eingebracht haben, leider auch im Rahmen der Politik der rotgrünen Bundesregierung ein unrealistischer.