Protocol of the Session on February 22, 2001

Es müssen aber nicht immer so konkrete Anlässe sein. Ich will an dieser Stelle überhaupt nicht verhehlen, dass es sich hierbei auch um eine gute Portion Symbolik handelt. Ist das aber denn so schlimm? In den Jahren 1935 bis 1945 verurteilte die NS-Justiz über 50 000 Männer wegen homosexueller Unzucht. 10 000 bis 15 000 Schwule wurden in Konzentrationslager verschleppt, nur die wenigsten überlebten den Terror der Lager. In der Bundesrepublik blieb der Paragraph 175 in der Nazifassung

unverändert in Kraft, die bundesdeutsche Justiz sprach noch einmal 50 Verurteilungen aus. Der Paragraph 175 hat also auch nach dem Jahr 1945 die Lebensperspektiven Schwuler und Lesben gravierend beschnitten. In der konservativen Nachkriegszeit konnte homosexuelles Leben nur im Verborgenen existieren.

Herr Dr. Kuhn hat es auch bereits erwähnt, der Bundestag ist im Dezember des letzten Jahres mit allen Stimmen des Hauses mit hervorragendem Beispiel vorangeschritten. Er hat sich bei allen Schwulen und Lesben entschuldigt für das begangene Unrecht und die Diskriminierung in der Vergangenheit. Er hat auch bedauert, dass der in der NS-Zeit verschärfte Paragraph 175 bis zum Jahr 1969 unverändert in Kraft blieb.

Meine Damen und Herren, auch das war nur Symbolik des Bundestages. Aber was für eine! Wie lange haben Schwule und Lesben, die altersmäßig meine Großväter oder Großmütter sein könnten, auf diesen Tag gewartet! Für viele wird es leider zu spät gekommen sein. Ich sage aber an dieser Stelle, lieber spät als gar nicht!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben heute die Chance, ein ähnliches symbolisches Zeichen zu setzen. Oft höre ich, was beschwert ihr euch eigentlich noch, ihr könnt doch heutzutage miteinander und untereinander machen, was ihr wollt. Stellen Sie sich die Welt aber einmal andersherum vor! Wie würden Sie das finden, wenn Sie als heterosexuelle Frau aus einer Gaststätte hinausgeschmissen werden, weil Sie Ihrem Freund einen dicken Kuss verpasst haben? Wir würden Sie es finden, wenn Sie als heterosexueller Mann angepöbelt werden, weil Sie mit Ihrer Ehefrau Hand in Hand durch die Fußgängerzone gehen?

Wie würden Sie das finden, wenn Sie an Ihrem Arbeitsplatz oder in Ihrem Mietshaus nur so lange toleriert werden, wie Sie die Neigung zum anderen Geschlecht vertuschen? Wie würden Sie es finden, wenn Sie kein Blut spenden dürften, weil Sie ja heterosexuell sind? Das ist kein Scherz. Schwule sind beim Blutspenden ausgeschlossen. Wenn ich zum Beispiel zum Roten Kreuz gehen und am Anfang einen Fragebogen ausfüllen würde, würde ich unter der Rubrik Krankheit das Thema Homosexualität finden. Das wäre ein Ausschlussgrund. Sicherlich im Detail wäre alles vielleicht medizinisch nachvollziehbar, aber es ist so.

All diese Situationen haben Homosexuelle schon erlebt, nicht alle Lesben und Schwule, aber viele. In den letzten 30 Jahren hat sich das gesellschaftliche Klima für Schwule und Lesben deutlich verbessert, aber immer noch kommt es zu Anfeindungen. Von gleichen Bürgerrechten sind wir in Deutschland noch

weit entfernt. Das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, das der Bundespräsident gerade am vergangenen Freitag unterschrieben hat und das damit zum 1. August 2001 in Kraft treten wird, wird sicher viel dazu beitragen, damit sich dies ändert.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion begrüßt den Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen und wird der Einsetzung eines nichtständigen Ausschusses zustimmen. Ich denke, im Ausschuss sollten wir dann über die genauen Formulierungen des Passus noch einmal nachdenken und debattieren. Ich darf aber an dieser Stelle auch der CDU gegenüber meinen Dank und Respekt ausdrücken für die angekündigte Zustimmung. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Engelmann hat es gesagt, auch wir als CDU-Fraktion werden diesem Antrag der Grünen zustimmen und uns dann im Ausschuss über die eine oder andere Formulierung unterhalten. Ich möchte aber trotzdem noch einige grundsätzliche Anmerkungen aus Sicht der CDU-Fraktion zu diesem Thema machen.

Ich möchte mit dem Thema anfangen, das der Kollege Oppermann beim letzten Mal gesagt hat. Wir sind als CDU-Fraktion weiterhin der Überzeugung, dass Ehe und Familie die Keimzelle jeder staatlichen Gemeinschaft sind. Wir sehen auch darin die beste Grundlage, dass Frau und Mann partnerschaftlich füreinander und als Mütter und Väter ihrer Kinder die Verantwortung übernehmen. Insbesondere für den Bestand des Gemeinwesens ist es von vitaler Bedeutung, dass Kinder geboren werden und in stabilen Beziehungen aufwachsen. Ehe und Familie stehen darum unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Als wertentscheidende Grundsatznorm verpflichtet der Artikel 6 des Grundgesetzes den Staat, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern.

Sehr geehrte Damen und Herren, unsere pluralistische Gesellschaft und unser Staat belassen aber dem Einzelnen die private Lebensgestaltung. Aus diesem Grund hat der Staat auch die Privatsphäre seiner Bürger zu respektieren. Er beschränkt sich auf den strafrechtlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und den Jugendschutz. Strafvorschriften, die in der Vergangenheit speziell die Homose

xualität betrafen, sind, Gott sei Dank, in den vergangenen Jahren abgeschafft worden.

(Beifall bei der CDU)

Es ist nicht Sache der Politik, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Die CDU respektiert darum die Entscheidung von Menschen, in anderen Formen als der Ehe einen partnerschaftlichen Lebensentwurf zu verwirklichen. Auch solche Beziehungen können gelebt werden und damit eine wichtige Basis unserer Gesellschaft sein.

Es macht, sehr geehrte Damen und Herren, im Interesse einer Gesellschaft keinen Sinn, denjenigen, die aufgrund ihrer biologischen Disposition oder ihrer freien Entscheidung nicht die Ehe und Familie als Lebensform gewählt haben, die Chancen einer bürgerlichen Existenz und eines würdigen und erfüllten Lebens zu erschweren. Deshalb ist dies ein ganz wichtiger Grund, warum wir dem Antrag heute zustimmen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die sexuelle Orientierung ist nach unserer Auffassung auch im Grundgesetz geschützt, zwar nicht explizit geregelt, wie wir das jetzt vorhaben. Aufgrund des Artikels 3 des Grundgesetzes, der beschreibt, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, ist aber diese Regelung sicherlich auch auf die Homosexuellen entsprechend zu übertragen.

Wir haben uns in der vorletzten Sitzung, glaube ich, oder vor drei Monaten sehr explizit mit dem Entwurf der rotgrünen Regierung auseinander gesetzt, die die Lebenspartnerschaft entsprechend regelt. Wir als CDU haben einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht, der viele Verbesserungen vorsah. Aber auch aufgrund des besonderen Schutzes der Ehe und Familie konnten wir damals diesem Antrag nicht zustimmen. Dies hat aber, um das auch ganz deutlich zu sagen, nichts damit zu tun, dass irgendjemand aus unseren Reihen Schwule und Lesben diskriminieren möchte. Auch dies ist ein wichtiger Grund, warum wir dem Antrag heute zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht das wiederholen, was bei uns in dem entsprechenden Artikel geregelt ist, das hat Herr Dr. Kuhn vorhin gemacht. Ich möchte auch nicht darauf eingehen, was andere Landesverfassungen geregelt haben, das hat der Kollege Engelmann gemacht. Wir werden uns noch einmal über die Formulierungen im Ausschuss unterhalten müssen, ob wir von sexueller Orientierung oder doch besser von sexueller Identität sprechen. Das ist zum Beispiel ein Punkt, der in der Auseinandersetzung und Diskussion weiterentwickelt werden muss. Das Ziel, das wir heute verabschieden, ist aber klar, dass wir einen Schutz

von Schwulen und Lesben auch in der Landesverfassung verankern wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren, aber eines dürfen wir uns nicht vormachen, es wird nicht ausreichen, einfach eine Landesverfassung zu ändern. Das, was Herr Engelmann gerade beschrieben hat im tagtäglichen Umgehen mit Schwulen und Lesben, wird sich nicht durch einen Beschluss der Bürgerschaft ändern. Homosexuelle Menschen haben in unserer Gesellschaft den Anspruch auf Nichtdiskriminierung, auf eine Achtung und auf Nichtausgrenzung. Wo insofern diese Defizite bestehen, ist das leider nicht eine Frage des Rechts, sondern des alltäglichen Umgangs der Gesellschaft mit Schwulen und Lesben. Die Gesellschaft selbst, ihre Mitglieder und ihre Institutionen sind es, die primär aufgerufen sind, Zurücksetzungen und Benachteiligungen im Alltag entgegenzutreten. Hierin liegt eine Aufgabe nicht nur für den Einzelnen in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und in den Familien, sondern auch bei Vertretern von Vereinen, Kirchen und Medien.

(Zuruf von der SPD: Und Parteien!)

Und Parteien, selbstverständlich! Dass nicht etwa die sexuelle Orientierung, sondern nur die menschlichen Qualitäten, Leistungen und die Beiträge zum gesellschaftlichen Ganzen Kriterien für die Bewertung von Personen sein können, muss im ökonomischen, kulturellen und politischen Bereich selbstverständlich sein.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Darum respektieren auch wir als Christlich Demokratische Union solche Lebensentwürfe, die partnerschaftliches füreinander Sorgen und grundlegende Werte in anderer Form verwirklichen wollen. Ehe und Familie bleiben gleichwohl Bestandteile oder die entscheidenden Bestandteile unserer Gesellschaft. Aus den genannten Gründen aber stimmen wir dem Antrag zu. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung, Drucksache 15/581, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU und Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

(Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in erster Lesung.

Meine Damen und Herren, gemäß Artikel 125 der Landesverfassung hat die Bürgerschaft (Landtag) Anträge auf Verfassungsänderungen nach der ersten Lesung an einen nichtständigen Ausschuss zu überweisen. Interfraktionell ist vereinbart worden, dass dieser Ausschuss aus fünf Mitgliedern und fünf stellvertretenden Mitgliedern bestehen soll.

Wir kommen zur Abstimmung über die Einsetzung des Ausschusses sowie zur Wahl der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder.

Ich lasse zuerst über die Einsetzung des Ausschusses abstimmen.

Wer der Einsetzung des nichtständigen Ausschusses gemäß Artikel 125 der Landesverfassung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU und Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

(Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) setzt einen Ausschuss ein.

Jetzt lasse ich über die Wahlvorschläge für diesen soeben eingesetzten Ausschuss abstimmen. Die Wahlvorschläge liegen Ihnen schriftlich vor.

Wer den Wahlvorschlägen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!